Rechtmäßigkeit der Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen
Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Entleiher und dem zur Arbeitsleistung überlassenen Arbeitnehmer bei
einem unwirksamen Überlassungsvertrag
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der nach einer Betriebsprüfung geltend gemachten Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen.
Der Kläger ist Inhaber eines in Deutschland ansässigen Metall- und Maschinenbauunternehmens. Der Beigeladene zu 1. war Arbeitnehmer
der in Luxemburg ansässigen K. Montagebau AG (im Folgenden: AG) und wurde von dieser vom 1.12.2000 bis 28.2.2007 als Leiharbeitnehmer
an den Kläger überlassen. Sozialversicherungsbeiträge für den Beigeladenen zu 1. wurden durch die AG an die Luxemburger Sozialversicherung
abgeführt. Seit 2007 bezieht der Beigeladene zu 1. eine deutsche und eine luxemburgische Rente. Die AG hatte eine Erlaubnis
zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung nur für die Zeit von April 2000 bis April 2001. Über das Auslaufen der Erlaubnis
setzte sie den Kläger nicht in Kenntnis, gegen den 2008 wegen Verstoßes gegen das
Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (
AÜG) eine Geldbuße verhängt wurde.
Im Rahmen der Beitragsüberwachung forderte die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund vom Kläger für die Zeit vom 1.12.2003
bis 28.2.2007 Sozialversicherungsbeiträge (einschließlich Säumniszuschläge) in Höhe von 41 150,64 Euro für alle Zweige der
Sozialversicherung nach: In diesem Zeitraum sei der Arbeitsvertrag zwischen der AG und dem Beigeladenen zu 1. nach §
9 Nr
1 AÜG unwirksam gewesen. Vielmehr gelte nach §
10 Abs
1 S 1
AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu 1. als zustande gekommen. Hierauf sei nach dem Territorialitätsprinzip
ausschließlich das Recht am Beschäftigungsort, also deutsches Sozialversicherungsrecht anzuwenden. Der Kläger sei als Arbeitgeber
zur Abführung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags verpflichtet. Beitragsforderungen für die Zeit vor dem 1.12.2003 seien
verjährt und würden nicht mehr geltend gemacht (Bescheid vom 16.4.2009; Widerspruchsbescheid vom 9.8.2012).
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 22.2.2013). Auf die Berufung des Klägers hat das LSG das Urteil des SG sowie die Bescheide der Beklagten aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Beitragsnachforderung
der Beklagten finde in §
28e Abs
2 S 3 und 4
SGB IV keine Rechtsgrundlage. Zwar werde durch das
AÜG ein Beschäftigungsverhältnis im Geltungsbereich des
SGB IV fingiert, gleichwohl folge daraus keine Versicherungs- und Beitragspflicht nach deutschem Recht; denn im Verhältnis zwischen
dem Beigeladenen zu 1. und dem Kläger als Entleiher fehle es an einer "entgeltlichen" Beschäftigung, weil der Kläger dem Beigeladenen
zu 1. kein Arbeitsentgelt schulde. Zahle der Verleiher dem Leiharbeitnehmer - wie die AG dem Beigeladenen zu 1. - die volle
Arbeitsvergütung, sei der Lohnanspruch des Leiharbeitnehmers iS des §
422 Abs
1 BGB insoweit befriedigt. Sozialversicherungsrechtlich sei allein auf das fehlerhafte Beschäftigungsverhältnis abzustellen. Gestützt
werde diese Rechtsauffassung durch §
28e Abs
2 S 3
SGB IV. Danach habe der Verleiher, wenn er das vereinbarte Arbeitsentgelt an den Leiharbeitnehmer zahle, obwohl der Vertrag nach
§
9 Nr 1
AÜG unwirksam sei, auch den hierauf entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugsstelle zu zahlen. Einzugsstelle
sei vorliegend die luxemburgische Sozialversicherung. Hinsichtlich dieser Zahlungspflicht seien Verleiher und Entleiher Gesamtschuldner.
Das Gesetz gehe damit von nur "einer" zuständigen Einzugsstelle aus ("an die Einzugsstelle zu zahlen"). Ihr gegenüber sei
der Verleiher zahlungspflichtig, wenn er im Rahmen des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses das Entgelt zahle. Der Entleiher
hafte nur für die Forderung der Einzugsstelle, die für den Verleiher zuständig sei. Eine Verpflichtung gegenüber einer weiteren,
für den Entleiher zuständigen Einzugsstelle (hier: die zu 2. beigeladene deutsche Krankenkasse) werde nicht begründet. Eine
doppelte Absicherung würde zudem die Leistungsansprüche des Arbeitnehmers nicht verbessern, sondern sich allein auf der Einnahmenseite
auswirken. Das aber sei durch den allein auf den Schutz des Arbeitnehmers abzielenden Gesetzeszweck nicht gedeckt (Urteil
vom 28.5.2014).
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung von §
10 Abs
1 und
3 AÜG sowie von §
28e Abs
1 S 1 und Abs
2 S 3 und 4
SGB IV. Entgegen der Ansicht des LSG habe der Kläger den Gesamtsozialversicherungsbeitrag nach §
28e Abs
1 SGB IV zu zahlen. Aufgrund der Fiktion eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen ihm und dem Beigeladenen zu 1. durch das
AÜG unterliege der Beigeladene zu 1. als Person, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sei, der Versicherungs- und Beitragspflicht
in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung nach deutschem Recht. Die Pflicht zur Beitragsabführung sei nicht davon abhängig,
ob im Rahmen des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses zwischen der AG und dem Beigeladenen zu 1. eine Vergütung gezahlt werde.
Vielmehr komme es für die Entgeltlichkeit der zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu 1. bestehenden Beschäftigung allein
darauf an, dass aufgrund der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. die gesetzlichen Voraussetzungen eines Vergütungsanspruchs vorlägen,
mithin, dass aufgrund eines Arbeitsverhältnisses Arbeit geleistet werde. Ein Vergütungsanspruch des Beigeladenen zu 1. gegen
den Kläger folge insoweit aus §
10 Abs
1 AÜG. Hinsichtlich des Gesamtsozialversicherungsbeitrags hafteten der Kläger und die AG als Gesamtschuldner. Sinn und Zweck der
Inanspruchnahme des Entleihers lägen neben dem unmittelbaren sozialversicherungsrechtlichen Schutz des Leiharbeitnehmers auch
in der Sicherung der Einnahmen der Sozialversicherungsträger. Durch die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen an den luxemburgischen
Träger werde der Anspruch der (zuständigen) deutschen Einzugsstelle nicht erfüllt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. Mai 2014 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil
des Sozialgerichts Trier vom 22. Februar 2013 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beigeladenen stellen keine Anträge und äußern sich nicht.
II
Die Revision der beklagten Deutschen Rentenversicherung Bund ist zulässig und begründet. Sie führt im Ergebnis zu einer Aufhebung
des LSG-Urteils und zur Wiederherstellung des klageabweisenden SG-Urteils.
Zu Unrecht hat das LSG das Urteil des SG sowie die vom Kläger angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben. Mit den Bescheiden fordert die Beklagte vom Kläger
für die Zeit vom 1.12.2003 bis 28.2.2007 zu Recht Gesamtsozialversicherungsbeiträge im geltend gemachten Umfang nach.
1. Die Revision der Beklagten ist zulässig. Ihre Revisionsbegründung erfüllt selbst die strengen Zulässigkeitsanforderungen
des 5. Senats des BSG (vgl zur Divergenz hinsichtlich der Zulässigkeitsanforderungen Anfragebeschlüsse des 12. Senats an den 5. Senat vom 27.4.2016
- B 12 KR 16/14 R und B 12 KR 17/14 R). Die Revision genügt erst recht den Anforderungen, die der erkennende Senat allgemein an den Inhalt einer Revisionsbegründung
stellt.
2. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind formell und materiell rechtmäßig.
a) Die Beklagte war für den Erlass der Bescheide nach der von ihr durchgeführten Prüfung sachlich zuständig (§ 28p Abs 1 S
1 und 5
SGB IV). Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten
nach dem
SGB IV, die im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die
Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§
28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre. Nach Satz 5 der Vorschrift erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung
Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der gesetzlichen Kranken-, sozialen Pflege- und gesetzlichen
Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern;
insoweit gelten §
28h Abs
2 SGB IV sowie § 93 iVm § 89 Abs 5 SGB X nicht.
b) Unter Anwendung deutschen (Sozialversicherungs-)Rechts hat der Kläger den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für den kraft
Gesetzes versicherten (beschäftigten) Beigeladenen zu 1. als dessen Arbeitgeber zu zahlen (§
28e Abs
1 S 1
SGB IV; §
28d S 1
SGB IV iVm §
7 SGB IV und §
5 Abs
1 Nr
1 SGB V, §
20 Abs
1 S 2 Nr
1 SGB XI, §
1 S 1 Nr
1 SGB VI, §§
24 Abs
1,
25 Abs
1 S 1
SGB III, jeweils anzuwenden in den vom 1.12.2003 bis 28.2.2007 geltenden Fassungen). Zwischen dem Beigeladenen zu 1. und dem Kläger
galt nach den Vorschriften des
AÜG ein Arbeitsverhältnis als zustande gekommen (dazu aa), das sozialversicherungsrechtlich als (entgeltliche) Beschäftigung
iS von §
7 Abs
1 SGB IV zu qualifizieren ist (dazu bb). Auf diese Beschäftigung ist deutsches Sozialversicherungsrecht anzuwenden (dazu cc). Der
Kläger ist insoweit als Arbeitgeber zur Entrichtung der von der Beklagten nachgeforderten Beiträge verpflichtet (dazu dd).
Der Anspruch ist nicht etwa durch die von der AG an den luxemburgischen Träger der Sozialversicherung entrichteten Beiträge
erloschen (dazu ee).
aa) Zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu 1. bestand im streitigen Zeitraum, für den die Beklagte Sozialversicherungsbeiträge
nachfordert, ein Arbeitsverhältnis nach §
10 Abs
1 S 1 Halbs 1
AÜG. Nach dieser Bestimmung gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem zur Arbeitsleistung überlassenen Arbeitnehmer
als zustande gekommen, wenn der Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Arbeitnehmer unwirksam ist. Dies ist nach §
9 Nr 1
AÜG dann der Fall, wenn der Verleiher nicht über die nach dem
AÜG zur Arbeitnehmerüberlassung erforderliche Erlaubnis verfügt. Das war hier gegeben, denn nach den nicht mit Revisionsgründen
angegriffenen und daher für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (vgl §
163 SGG) besaß die AG (= Verleiherin) für die Zeit ab dem 15.4.2001 keine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung nach dem
AÜG. Dabei spielt es keine Rolle, dass die AG ihren Sitz in Luxemburg hatte. Aufgrund des Territorialitätsprinzips gelten die
Vorschriften des
AÜG auch für ausländische Verleiher, die Arbeitnehmer - wie hier - grenzüberschreitend nach Deutschland überlassen (vgl Entwurf
der Bundesregierung eines
Gesetzes zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung, BT-Drucks VI/2303 S 10 Zu Artikel 1 zu § 1). Entsprechend bedarf jede Arbeitnehmerüberlassung, die nach Deutschland erfolgt, der Genehmigung nach deutschem Recht,
und zwar auch dann, wenn der Verleiher eine Erlaubnis seines Heimatstaates besitzt oder nach seinem Recht eine solche nicht
benötigt (vgl zB Thüsing in ders,
AÜG, 3. Aufl 2012, Einf RdNr 45 mwN). Ohne Bedeutung ist es dabei, dass der Kläger geltend gemacht hat, keine Kenntnis davon
besessen zu haben, dass die luxemburgische AG im streitigen Zeitraum nicht mehr im Besitz einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung
nach dem
AÜG war. Die Fiktionswirkung des §
10 Abs
1 S 1 Halbs 1
AÜG tritt nämlich unabhängig vom Willen oder von der Kenntnis der Beteiligten ein (vgl Wank in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht,
16. Aufl 2016, §
10 AÜG RdNr 5 mwN).
bb) Entgegen der Ansicht des LSG war der Beigeladene zu 1. beim Kläger auch "gegen Arbeitsentgelt" beschäftigt. Der Beigeladene
zu 1. hatte gegen den Kläger einen Vergütungsanspruch aus dem durch das
AÜG fingierten Arbeitsverhältnis. Für das Entstehen eines solchen Anspruchs ist es - anders als der Kläger geltend macht - ohne
Bedeutung, dass der Beigeladene zu 1. Arbeitsentgelt bereits von der AG ausgezahlt bekommen hatte.
Im Beitragsrecht der Sozialversicherung gilt das sog Entstehungsprinzip (§
22 Abs
1 S 1
SGB IV). Demnach entsteht die Beitragspflicht schon, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs vorliegen.
Das heißt maßgebend dafür ist allein das Entstehen eines arbeitsrechtlich geschuldeten Entgeltanspruchs, ohne Rücksicht darauf,
ob (und von wem) dieser Anspruch im Ergebnis erfüllt wird oder nicht (stRspr; vgl zuletzt BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 12 R 11/14 R - RdNr 25 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2400 § 28p Nr 6 vorgesehen; BSGE 115, 295 = SozR 4-2400 § 17 Nr 1, RdNr 30 mit zahlreichen Nachweisen; zur Verfassungskonformität des Prinzips vgl BVerfG SozR 4-2400
§ 22 Nr 3). Für die Beitragsbemessung ist es unerheblich, ob der einmal entstandene Entgeltanspruch - zB wegen tarifvertraglicher
Verfallklauseln oder wegen Verjährung - vom Arbeitnehmer (möglicherweise) nicht mehr realisiert werden kann. Sobald die gesetzlichen
Voraussetzungen eines Vergütungsanspruchs vorliegen, entsteht die Beitragspflicht, unabhängig davon, ob und in welcher Höhe
das Arbeitsentgelt tatsächlich ausgezahlt wird (vgl Schlegel, NZA 2011, 380, 382 mwN; Körner, ASR 2014, 57, 60). Der Zufluss von Arbeitsentgelt ist für das Beitragsrecht der Sozialversicherung dagegen nur entscheidend, soweit der
Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mehr leistet als ihm unter Beachtung der gesetzlichen, tariflichen oder einzelvertraglichen Regelungen
zusteht, also dann, wenn ihm über das geschuldete Arbeitsentgelt hinaus überobligatorische Zahlungen zugewandt werden (vgl
zuletzt BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 12 R 11/14 R -, aaO).
Der Vergütungsanspruch des Beigeladenen zu 1. gegen den Kläger folgt im hier vorliegenden Fall der illegalen Arbeitnehmerüberlassung
aus dem nach §
10 Abs
1 S 1 Halbs 1
AÜG fingierten Arbeitsverhältnis (§
611 Abs
1 BGB). Dass im vorliegenden Fall die Zahlung des Arbeitsentgelts nicht durch den Kläger als Entleiher, sondern durch die AG als
Verleiherin im Rahmen des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses (vgl hierzu allgemein BAG Urteil vom 26.7.1984 - 2 AZR 471/83 - Juris RdNr 54) erfolgte, führt - entgegen der Ansicht des LSG und Teilen der Literatur (vgl Schüren in ders,
AÜG, 4. Aufl 2010, Einleitung RdNr 821; Tuengerthal/Geißer, BB 2014, 2874) - gerade nicht dazu, dass es am sozialversicherungsrechtlich relevanten Merkmal der Entgeltlichkeit mangelt. Zwar bewirkt
die Zahlung des Verleihers nach §
422 Abs
1 S 1
BGB grundsätzlich, dass der Vergütungsanspruch des Leiharbeitnehmers gegen den Entleiher aus dem (fingierten) Arbeitsverhältnis
erlischt, da zwischen Verleiher und Entleiher eine Gesamtschuldnerschaft iS des §
421 BGB besteht. Entscheidend für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der Entgeltlichkeit der Beschäftigung ist aber allein,
dass eine Forderung auf Zahlung von Arbeitsentgelt vor ihrer Erfüllung entstanden ist, nicht kommt es dagegen darauf an, ob
die Forderung nach Erfüllung des Anspruchs noch besteht (vgl Thüsing, aaO, Einf RdNr 80; im Ergebnis ebenso LSG Nordrhein-Westfalen
Urteil vom 28.1.2015 - L 8 R 677/12 - Juris RdNr 87; Hamann, JurisPR-ArbR 34/2014 Anm 2; Rolfs, VSSR 2009, 159, 161 f; Ulber, ZESAR 2015, 442, 444; Wilde, NZS 2016, 48, 51).
cc) Auf die entgeltliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigung des Beigeladenen zu 1. findet insoweit allein deutsches
Sozialversicherungsrecht Anwendung. Dies folgt aus dem in §
3 Nr 1
SGB IV niedergelegten Territorialitätsprinzip (vgl hierzu BSGE 57, 96, 97 f = SozR 2400 § 8 Nr 1 S 2 mwN).
Nach dieser Regelung gelten die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung, soweit sie eine
Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit voraussetzen, für alle Personen, die im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs
beschäftigt oder selbstständig tätig sind. Dies ist vorliegend zweifellos der Fall, weil die Tätigkeit des Beigeladenen zu
1. für den Kläger auf dem Territorium der Bundesrepublik ausgeübt wurde. Auf die Staatsangehörigkeit, den Sitz oder Wohnsitz
sowie den gewöhnlichen Aufenthalt von Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird nach §
3 Nr 2
SGB IV nur abgestellt, soweit die Vorschriften über die Versicherungspflicht keine Beschäftigung voraussetzen. Eine solche Konstellation
ist hier nicht gegeben.
(1) Eine Ausnahme von der Geltung deutschen Sozialversicherungsrechts liegt nicht vor. Die illegale grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung
vom Ausland nach Deutschland unterfällt nach der Rechtsprechung des Senats nicht dem Begriff der "Entsendung" iS des §
5 SGB IV - sog Einstrahlung - (vgl hierzu ausführlich BSGE 64, 145, 149 f = SozR 2100 §
5 Nr 3 S 6 f; zustimmend Wehrhahn in KassKomm, §
28e SGB IV RdNr 23 mwN, Stand März 2016).
(2) Ob eine illegale grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung dem Begriff der "Entsendung" im Sinne der - vorliegend für
die Beschäftigung in der streitigen Zeit vom 1.12.2003 bis 28.2.2007 noch von ihrem zeitlichen Geltungsbereich her zur Anwendung
gelangenden - EWGV 1408/71 unterfällt, der grundsätzlich Anwendungsvorrang zukommt (vgl auch §
6 SGB IV), muss der Senat nicht entscheiden (vgl hierzu allgemein Riederer von Paar in Schüren,
AÜG, 4. Aufl 2010, Einleitung RdNr 720 mwN; zu der ab dem 1.5.2010 geltenden EGV 883/2004 Boemke in Boemke/Lembke,
AÜG, 3. Aufl 2013, Einleitung RdNr 27; Urban-Crell/Bissels in Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst,
AÜG, 2. Aufl 2013, Einleitung RdNr 99).
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die EWGV 1408/71 auch auf Entsendungen im Rahmen von Leiharbeitsverhältnissen grundsätzlich anwendbar (vgl bereits zur Vorgängervorschrift
EuGHE 1970, 1251 Leitsatz und RdNr 14/16 = SozR Nr 2 zu Art 13 EWG-VO Nr 4 S Aa2 - Manpower; EuGHE 2006 I-1079 RdNr 21 - Herbosch Kiere NV).
Dies gilt aber nur mit der Maßgabe, dass der entsandte Arbeitnehmer dem Zeitarbeitsunternehmen, das ihn in das Gebiet eines
anderen Mitgliedstaats entsandt hat, auch "gewöhnlich angehört". Der EuGH hat diese Voraussetzung in seiner Rechtsprechung
dahin konkretisiert, dass zwischen dem Unternehmen mit einer Betriebsstätte in einem Mitgliedstaat und den Arbeitnehmern,
die es in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats entsandt hat, während der Dauer ihrer Entsendung eine arbeitsrechtliche
Bindung erhalten bleiben muss. Für die Feststellung, ob eine solche arbeitsrechtliche Bindung besteht, kommt es darauf an,
ob sich aus den gesamten Umständen des Beschäftigungsverhältnisses ergibt, dass der Arbeitnehmer diesem Unternehmen untersteht
(vgl EuGHE 2000, I-883 RdNr 24 = SozR 3-6050 Art 14 Nr 6 S 24 f - Fitzwilliam). Ob dies auch bei einer illegalen grenzüberschreitenden
Arbeitnehmerüberlassung mit Blick auf die Zielrichtung der EWGV - der Vermeidung von doppelter Sozialversicherungspflicht und Sicherungslücken (vgl Riederer von Paar in Schüren, aaO, Einleitung
RdNr 708 mwN) - der Fall ist, hat der EuGH zwar bislang nicht ausdrücklich entschieden. Einer Vorlage des Senats an dieses
Gericht zur Klärung dieser Frage im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens bedarf es vorliegend indessen nicht, weil die Frage
nicht entscheidungserheblich ist.
Ein nationales letztinstanzliches Gericht - wie vorliegend das BSG - ist zur Vorlage an den EuGH nämlich (nur) verpflichtet, wenn sich in einem Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt,
die nicht bereits Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH war - acte éclairé - und wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts
nicht derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt - acte clair - (vgl zuletzt BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 12 R 11/14 R - RdNr 43 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2400 § 28p Nr 6 vorgesehen). Die Vorlagepflicht steht ua unter dem
Vorbehalt, dass die gestellte Frage entscheidungserheblich ist (vgl BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 29.5.2012 - 1 BvR 3201/11 - Juris RdNr 22 ff mwN; EuGHE 1982, 3415 RdNr 21 - CILFIT). An der Entscheidungserheblichkeit fehlt es im vorliegenden Fall, weil selbst bei unterstellter Geltung
der EWGV 1408/71 deutsches Sozialversicherungsrecht zur Anwendung käme (vgl allgemein Hamann, JurisPR-ArbR 34/2014 Anm 2; im Ergebnis
ebenso Ulber, ZESAR 2015, 442, 443 f zu der erst ab 1.5.2010 anwendbaren EGV 883/2004). Das ergibt sich aus Folgendem:
Nach Art 13 Abs 2 Buchst a EWGV 1408/71 besteht Sozialversicherungspflicht grundsätzlich in dem Land, in dem eine unselbstständige und damit sozialversicherungspflichtige
Tätigkeit tatsächlich ausgeübt wird - sog Beschäftigungsortsprinzip. Dies wäre vorliegend Deutschland, da der Beigeladene
zu 1. seine Tätigkeit tatsächlich in Deutschland bei dem Kläger ausübte. Ein von diesem Grundsatz abweichender Ausnahmetatbestand
wäre nicht einschlägig. Insbesondere käme Art 14 Nr 1 Buchst a EWGV 1408/71 nicht zur Anwendung, wonach eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats von einem Unternehmen, dem sie gewöhnlich
angehört, abhängig beschäftigt wird und die von diesem Unternehmen zur Ausführung einer Arbeit für dessen Rechnung in das
Gebiet eines anderen Mitgliedstaats entsandt wird, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats unterliegt.
Denn diese Ausnahme greift nur, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit zwölf Monate nicht überschreitet und sie nicht
eine andere Person ablöst, für welche die Entsendungszeit abgelaufen ist, wobei der Zeitraum auf 24 Monate ausgedehnt werden
kann (Art 14 Nr 1 Buchst b EWGV 1408/71). Dieser maximale Zeitraum von 24 Monaten wäre durch die Überlassung des Beigeladenen zu 1. an den Kläger in der
Zeit vom 1.12.2000 bis 28.2.2007 überschritten. Damit würde das Sozialversicherungsrecht des Einsatzortes - also deutsches
Sozialversicherungsrecht - vom ersten Tag an gelten (vgl Boemke in Boemke/Lembke, aaO, Einleitung RdNr 27; Rolfs, VSSR 2009,
159, 176; Urban-Crell/Bissels, aaO, Einleitung RdNr 86; Thüsing aaO, Einf RdNr 70).
(3) Eine Zuordnung zu einem anderen als dem deutschen Sozialleistungssystem ergibt sich auch nicht aus einer sog E-101-Bescheinigung
(vgl Art 11 Abs 1 Buchst a EWGV 574/72; ab dem 1.5.2010: Vordruck A 1 bzw A-1-Bescheinigung; vgl hierzu ausführlich Wilde, NZS 2016, 48 ff). Das Vorliegen einer entsprechenden Bescheinigung des zuständigen Trägers in Luxemburg, wonach das eigene System der
sozialen Sicherheit auf den Beigeladenen zu 1. während der Dauer dessen Überlassung nach Deutschland anwendbar bleibt, hat
das LSG nicht festgestellt. Allein dadurch, dass der luxemburgische Träger die Beitragszahlung zugunsten des Beigeladenen
zu 1. durch die AG (möglicherweise) als rechtmäßig ansah, wird keine der Bescheinigung vergleichbare Bindungswirkung erzielt
(aA anscheinend Plagemann, ArbRAktuell 2014, 395, im Hinblick auf die A-1-Bescheinigung).
(4) Auch der Ausnahmetatbestand des Art 17 EWGV 1408/71 ist nicht gegeben. Dieser eröffnet die Möglichkeit, im Interesse bestimmter Personengruppen oder Personen Ausnahmen
von Art 13 bis 16 EWGV 1408/71 zu vereinbaren. Eine entsprechende Vereinbarung ist jedoch - trotz der von der Beklagten im Widerspruchsverfahren
angeregten Verfahrensweise - zu keinem Zeitpunkt geschlossen worden.
dd) Der Kläger ist auch zur Zahlung der Beiträge verpflichtet, weil im Fall einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung der
Entleiher nicht nur im arbeitsrechtlichen, sondern auch im beitragsrechtlichen Sinne Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers ist
(vgl BSGE 64, 145, 150 = SozR 2100 §
5 Nr 3 S 7; Werner in JurisPK-
SGB IV, 3. Aufl 2016, §
28e RdNr 71). Dafür ist es ohne Belang, ob der Leiharbeitnehmer bereits anderweitig geschützt ist, oder ob er Leistungen aus
der deutschen Sozialversicherung im Ergebnis nicht erhalten kann.
ee) Die Pflicht des Klägers zur Zahlung der von der Beklagten geforderten Beiträge ist schließlich auch nicht durch die Zahlung
von Beiträgen der AG an den luxemburgischen Träger der Sozialversicherung erloschen.
Zahlt der Verleiher das vereinbarte Arbeitsentgelt oder Teile des Arbeitsentgelts an den Leiharbeitnehmer, obwohl der Vertrag
nach §
9 Nr 1
AÜG unwirksam ist, so hat er zwar auch den hierauf entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugsstelle zu zahlen
(§
28e Abs
2 S 3
SGB IV). Durch die vorliegende Zahlung der AG ist aber keine Erfüllung iS des §
362 BGB eingetreten (vgl Ulber, ZESAR 2015, 442, 444; Wilde, NZS 2016, 48, 51). Erfüllung tritt nämlich nur ein, wenn die Zahlung an den "richtigen" Gläubiger erfolgt. Diese Voraussetzung ist vorliegend
schon deshalb nicht erfüllt, weil es sich bei dem Träger der luxemburgischen Sozialversicherung - wie oben ausgeführt - nicht
um die nach deutschem Recht zuständige Einzugsstelle für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag des Beigeladenen zu 1. und damit
nicht um den Gläubiger des Anspruchs handelt. Zuständige Einzugsstelle ist danach vielmehr die Beigeladene zu 2., an die allein
der Gesamtsozialversicherungsbeitrag abzuführen ist.
Keine Rolle spielt es dabei auch, ob die AG bei der Abführung der Beiträge in gutem Glauben gehandelt hat. Leistet der Schuldner
an einen Nichtberechtigten, den er gutgläubig für empfangsberechtigt hält, tritt eine leistungsbefreiende Wirkung nämlich
nur in den gesetzlich besonders bestimmten Fällen (§§
370,
407,
408,
893,
2367 BGB) ein. Diese Ausnahmefälle liegen nicht vor.
3. Die dargestellten Erwägungen des Senats führen zu keinem Verstoß gegen Normen des Rechts der EG/EU.
a) Das Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit (auf das sich auch der Kläger als Arbeitgeber für einen aus dem EG-Ausland eingesetzten
Arbeitnehmer möglicherweise berufen könnte, vgl EuGHE 1998, I-2521 RdNr 19 - Clean Car Autoservice) ist nicht tangiert, weil
Auslöser und Grundlage der Pflicht des Klägers zur Beitragszahlung ein Rechtsverstoß im Rahmen der an sich EG-/EU-weit möglichen
Arbeitnehmerüberlassung ist, dh die Nichteinhaltung der insoweit geregelten Zuständigkeit für den Beitragseinzug.
b) Ein Verstoß gegen Diskriminierungsverbote des Rechts der EG/EU ist ebenso nicht gegeben. Der vorliegend zu beurteilenden
Pflicht des Klägers zur Beitragsabführung liegt ein rein innerstaatlicher Sachverhalt zugrunde (vgl die vergleichbaren Sachverhalte
bei EuGHE 1987, I-3719 RdNr 28 - Demirel; BVerfGE 89, 155, 174). Bei rein innerstaatlichen Sachverhalten ohne Verbindung zum europäischen Recht ist der EuGH aber nicht zu einer Rechtskontrolle
berufen (vgl EuGHE 1995, I-3981 RdNr 10 - van Buynder) und eine Vorlagepflicht nach Art 234 EGV besteht in diesen Fällen von vornherein nicht (vgl zB BSG Beschluss vom 28.9.2005 - B 6 KA 19/05 B - Juris RdNr 17 mwN).
Auch eine in solchen Konstellationen allein denkbare - ausschließlich nach deutschem Recht zu beurteilende - Inländerdiskriminierung
liegt nicht vor, weil der Kläger - wie alle deutschen Arbeitgeber, die in Deutschland Arbeitnehmer beschäftigen - zur Entrichtung
von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen herangezogen wird. Hinzu kommt, dass schon in grundlegender Hinsicht das Vorliegen
einer vermeintlichen Diskriminierung im Ergebnis zweifelhaft ist, weil dem Kläger möglicherweise Regress- und Kondiktionsansprüche
gegen die AG zustehen (vgl dazu allgemein Ulber, ZESAR 2015, 442, 444; Wilde, NZS 2016, 48, 51; ähnlich Hamann, JurisPR-ArbR 34/2014 Anm 2). Denkbar wäre in diesem Zusammenhang auch ein Schadensersatzanspruch des
Klägers gegen die AG, zB wegen Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Unterrichtung über den Zeitpunkt des Wegfalls der
Erlaubnis (§
12 Abs
2 S 1
AÜG).
Darüber hinaus wäre europarechtlich nach Art 17 EWGV 1408/71 eine Befreiung von der Anwendung deutscher Rechtsvorschriften in Betracht gekommen, worauf die Beklagte den Kläger
im Widerspruchsverfahren ausdrücklich hingewiesen hatte. Hierzu ist es aber im Ergebnis nicht gekommen, weil der Beigeladene
zu 1. nach den Feststellungen des LSG die dazu nötige Mitwirkung verweigerte.
4. Für Fehler bei der Berechnung der geforderten Beiträge nebst Säumniszuschlägen bestehen keine Anhaltspunkte. Der Kläger
hat insoweit auch keine Einwände erhoben.
5. Die Kostenentscheidung folgt, da weder der Kläger noch die Beklagte zu den in §
183 SGG genannten Personen gehören, aus §
197a Abs
1 S 1 Teils 3
SGG iVm §
154 Abs
1, §
162 Abs
3 VwGO.
6. Der Streitwert für das Revisionsverfahren war gemäß §
197a Abs
1 S 1 Teils 1
SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 GKG in Höhe des Betrags der streitigen Beitragsforderung festzusetzen.