Rente wegen Erwerbsminderung
Verfahrensrüge
Merkmal eines Beweisantrags
Rüge der Verletzung von Hinweispflichten
Gründe:
Mit Beschluss vom 19.2.2015 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Sie beruft sich auf Verfahrensfehler und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des §
160a Abs
2 S 3
SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 S 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 1
SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 S 3
SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist
die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem
Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 S 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist.
Wird ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§
103 SGG) gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne
Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund
derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe
des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des
LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten
Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren
Ergebnis hätte gelangen können (zum Ganzen BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN).
Die Klägerin rügt einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§
103 SGG). Hierzu trägt sie vor, die Beklagte sei im Verfahren im Jahr 2008 betreffend eines Antrags auf Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation nicht von einer erheblichen Gefährdung oder gar Minderung der Erwerbsfähigkeit ausgegangen. Wenn das LSG -
ebenso wie das SG - nunmehr von einer vollen Erwerbsminderung bereits vor dem 15.12.2007 ausgehe, hätte es im Zuge der Amtsermittlungsverpflichtung
eine weitergehende medizinische Begutachtung zum Gesundheitszustand der Klägerin im Jahr 2008, dem Zeitraum der Ablehnung
des Antrags auf Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, veranlassen müssen. Ab dem 15.12.2007 und später
wären die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt.
Die Klägerin hat hiermit nicht aufgezeigt, dass sie einen entsprechenden (prozessordnungsgemäßen) Beweisantrag gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG gestellt hat. Denn Merkmal eines Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für
diese Tatsache (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN). Ein anwaltlich vertretener Beteiligter kann nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört
werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten
hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt (stRspr, vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Nach Sinn und Zweck des §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG soll die Sachaufklärungsrüge die Revisionsinstanz nur dann eröffnen, wenn das Tatsachengericht vor seiner Entscheidung durch
einen Beweisantrag ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass ein Beteiligter die Sachaufklärungspflicht des Gerichts
(§
103 SGG) noch nicht als erfüllt ansieht (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 21; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 52).
Das Erfordernis, einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag zu stellen, kann auch nicht mit der sinngemäßen Rüge umgangen werden,
das LSG habe Hinweispflichten aus §
106 Abs
1, §
112 Abs
2 S 2
SGG verletzt, weil es von Amts wegen nicht auf die Stellung angemessener und sachdienlicher Anträge hingewirkt habe (BSG SozR 1500 §
160 Nr 13; vgl auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl 2014, Vor §
60 RdNr 1h und Leitherer, aaO, § 160 RdNr 18c mwN). Hält das Tatsachengericht eine Beweisaufnahme für notwendig, so hat es keinen
entsprechenden Beweisantrag herbeizuführen, sondern den Beweis von Amts wegen auch ohne Antrag zu erheben. Lehnt es die Beweiserhebung
dagegen ab, muss es nicht kompensatorisch auf einen Beweisantrag hinwirken und damit helfen, eine Nichtzulassungsbeschwerde
vorzubereiten (BSG SozR 1500 § 160 Nr 13; Becker, SGb 2007, 328, 331; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX RdNr 132).
Dass die Klägerin mit der Beweiswürdigung (§
128 Abs
1 S 1
SGG) durch das LSG nicht einverstanden ist, ist unerheblich. Denn hierauf kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt
werden (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG).
Auch die Grundsatzrüge nach §
160 Abs
2 Nr
1 SGG hat keinen Erfolg. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den
Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig
und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen
Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen
aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren
eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre
(abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall
hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
Die Klägerin hält für grundsätzlich bedeutsam,
(1) "Ob nicht in jedem Fall spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem nach dem 15.12.2007 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
vorgelegen haben und - unzweifelhaft - jedenfalls zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Ablehnungsentscheidung der Beklagten
für die beantragte Rentenbewilligung und der nachfolgend ergangenen erst- und zweitinstanzlichen Entscheidung des Gerichts
auch die medizinischen Voraussetzungen erfüllt waren, sodann nicht jedenfalls ab diesem Zeitpunkt der Rentenantragstellung
eine Rentenbewilligung nach den gesetzlichen Vorschriften zu erfolgen hat, wenn neben den vorliegenden medizinischen Voraussetzungen
zur Gewährung einer beantragten Rente wegen voller Erwerbsminderung auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt
sind?"
(2) "Ob nicht in dem Moment, in dem versicherungsrechtliche und medizinische Voraussetzungen für eine zu gewährende Rente
wegen voller Erwerbsminderung erfüllt sind, die Rentenleistungen zu gewähren sind, selbst wenn - entsprechend der vorliegend
- für rechtsfehlerhaft erachteten Rechtsauffassung des erst- und zweitinstanzlichen Gerichts der Nachweis für das Eintreten
der medizinischen Voraussetzungen nach dem 15.12.2007 als Zeitpunkt des Vorliegens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
- nicht gelungen wäre?"
(3) "Ob es nicht zu den Verpflichtungen eines Rentenversicherungsträgers gehört, Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung
jedenfalls dann zu gewähren, wenn der Eintritt der versicherungsrechtlichen und der medizinischen Voraussetzungen gegeben
sind und von Seiten einer Versicherungsnehmerin Beiträge zur Rentenkasse gezahlt wurden, die anderenfalls nur deshalb vor
Erreichen der regulären Altersgrenze deshalb nicht zur Auszahlung gelangen, weil medizinische Voraussetzungen nach der Annahme
des erst- und zweitinstanzlichen Gerichts zu einem Zeitpunkt vorgelegen hätten, zu dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
noch nicht erfüllt gewesen wären?"
Mit diesen Fragen ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargetan. Denn sie lassen schon völlig offen, welches
gesetzliche Tatbestandsmerkmal welcher bundesrechtlichen Norm (§
162 SGG) mit Blick auf welche Bestimmung ausgelegt werden soll, um die Rechtseinheit zu wahren oder das Recht fortzubilden. Im Übrigen
beziehen sich die Fragen (1) und (2) ausdrücklich auf die Verhältnisse der Klägerin und haben damit Einzelfallcharakter. Derart
auf die Gestaltung des Einzelfalls zugeschnittene Fragen können aber von vornherein keine Breitenwirkung entfalten, weil sie
im angestrebten Revisionsverfahren nicht mit einer verallgemeinerungsfähigen Aussage beantwortet werden könnten (vgl hierzu
BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10 und Nr 39 S 58; BSG Beschlüsse vom 17.8.2009 - B 11 AL 192/08 B - Juris RdNr 3 und vom 29.12.2011 - B 11 AL 104/11 B - BeckRS 2012, 65384 RdNr 6). Die Formulierung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar,
damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX RdNr 181). Keinesfalls gehört es
zu den Aufgaben des BSG, den Vortrag daraufhin zu untersuchen, ob sich aus ihm evtl eine entsprechende Rechtsfrage herausfiltern ließe (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 26 S 48).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (vgl §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.