Rente wegen Erwerbsminderung
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht
Gründe
I
Die im Jahr 1962 geborene Klägerin begehrt eine Rente wegen Erwerbsminderung. Der beklagte Rentenversicherungsträger lehnte
den im Februar 2016 gestellten Antrag nach Einholung zweier neurologisch-psychiatrischer Sachverständigengutachten ab (Bescheid vom 30.5.2016; Widerspruchsbescheid vom 23.2.2017). Das SG hat im Klageverfahren ein weiteres neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinisches Gutachten von R erstellen lassen und sodann
die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 26.4.2019). Im Berufungsverfahren wurde auf Antrag der Klägerin vom Facharzt für Neurologie B ein fachpsychiatrisches Gutachten angefertigt.
Dieser sah "zumindest die Kriterien einer Teilerwerbsminderungsrente" erfüllt. R hat dazu eine ergänzende Stellungnahme abgegeben.
Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Klägerin sei nach der übereinstimmenden Bewertung der Sachverständigen
M, N und R noch in der Lage, unter Beachtung gewisser qualitativer Einschränkungen leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen
Arbeitsmarkts "vollschichtig" zu verrichten. Das Gutachten des Neurologen B könne aus den von R benannten Gründen nicht überzeugen
(Urteil vom 8.3.2022).
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt. Sie rügt einen Verfahrensmangel.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Die Klägerin hat einen
Verfahrensmangel iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG bezeichnet. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist
es erforderlich, darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem
Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht.
Die Klägerin rügt eine Verletzung des §
103 SGG, weil das LSG einem Beweisantrag ohne ausreichende Begründung nicht gefolgt sei. Wird ein Verstoß gegen die tatrichterliche
Sachaufklärungspflicht geltend gemacht, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung
eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen prozessordnungsgemäßen Beweisantrags,
dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig
hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung
Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung,
dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin
bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen,
dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 3.4.2020 - B 9 SB 71/19 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 11.3.2022 - B 5 R 310/21 B - juris RdNr 12; Fichte in Fichte/Jüttner,
SGG, 3. Aufl 2020, §
160a RdNr 56).
Die Klägerin führt in der Beschwerdebegründung an, sie habe mit Schriftsatz vom 7.3.2022 ein ergänzendes sozialmedizinisches
Gutachten zur Gesamtbeurteilung aller bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen beantragt. Hierzu habe das LSG in seinem Urteil
ausgeführt, dass sich weitere Ermittlungen nicht aufdrängten und ihr Hilfsbeweisantrag kein relevantes Beweisthema umreiße.
Das sei jedoch unzutreffend, da sie im "Schriftsatz vom 17.3.2022" auf einen Hinweis im Gutachten des Sachverständigen B Bezug
genommen habe, dass ihm eine ergänzende Beurteilung der sozialmedizinischen Auswirkungen aller Gesundheitsstörungen nicht
möglich sei. Aus diesem Grund habe sich dem Gericht zumindest mittelbar die Erforderlichkeit einer entsprechend ergänzenden
Ermittlung aufdrängen müssen; weiterer Darlegungen zum Ergebnis der beantragten Beweisaufnahme bedürfe es deshalb nicht.
Mit ihrem Vorbringen hat die Klägerin nicht aufgezeigt, dass sie beim LSG einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt
hat. Ein solcher Beweisantrag muss benennen, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte (vgl §
118 Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
403 ZPO) und mit welchem Ziel Beweis erhoben werden soll (vgl BSG Beschluss vom 17.5.2022 - B 5 R 21/22 B - juris RdNr 7). Dass dies in dem Schriftsatz vom 7.3.2022 geschehen wäre, wird aus ihrem Vortrag nicht ersichtlich. Liegen bereits mehrere
Gutachten zum Gesundheitszustand und zum verbliebenen Leistungsvermögen vor und hat sich dadurch schon ein gewisses Leistungsbild
manifestiert, bedarf es besonderer Angaben, weshalb die Einholung eines weiteren Gutachtens erforderlich sein soll. Hierfür
muss der Beschwerdeführer gezielt zusätzliche Auswirkungen auf das verbliebene (quantitative und/oder qualitative) Leistungsvermögen
durch weitere - oder (ggf auch in ihrem Zusammenwirken) anders zu beurteilende - dauerhafte Gesundheitsbeeinträchtigungen
möglichst genau bezeichnen (vgl BSG Beschluss vom 5.2.2015 - B 13 R 372/14 B - juris RdNr 12 mwN). Zudem wird eine Verpflichtung des Gerichts, einen Sachverständigen mit der Gesamtbeurteilung aller vorliegenden Gutachtensergebnisse
zu beauftragen, allenfalls dann angenommen, wenn mehrere Gutachten aus verschiedenen medizinischen Fachrichtungen vorliegen
und sich die aus Sicht der jeweiligen Fachgebiete festgestellten Defizite überschneiden und gegebenenfalls potenzieren können
(vgl BSG Beschluss vom 6.9.2017 - B 5 R 51/17 B - juris RdNr 12 mwN).
Das Vorbringen der Klägerin richtet sich daran nicht aus. Der lediglich angeführte Umstand, dass der von ihr benannte Gutachter
nach §
109 SGG sich nicht in der Lage gesehen habe, die sozialmedizinischen Auswirkungen aller Gesundheitsstörungen zu beurteilen, verdeutlicht
nicht, inwiefern unter Berücksichtigung der weiteren, gleichfalls neurologisch-psychiatrischen Gutachten ein zusätzlicher
Aufklärungsbedarf bestanden habe. Soweit die Klägerin in der Beschwerdebegründung auf eine "Reihe weiterer Erkrankungen" Bezug
nimmt, die in dem neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinischen Gutachten des R genannt seien (zB Kollagenose, Fibromyalgie-Syndrom,
Wirbelsäulenverformung usw), stellt sie nicht dar, wie dieser Gutachter die genannten Gesundheitsstörungen in ihren Auswirkungen
auf die berufliche Leistungsfähigkeit beurteilt hat und weshalb eine weitere sozialmedizinische Begutachtung zur Gesamtbeurteilung
geboten gewesen sein könnte.
Im Übrigen hat die Klägerin auch nicht erläutert, weshalb die Entscheidung des LSG auf der unterbliebenen Beweisaufnahme beruhen
kann. Sie behauptet das lediglich pauschal, was nicht ausreicht (vgl §
160 Abs
2 Nr
3 Teilsatz 1 iVm §
160a Abs
2 Satz 3
SGG). Ihr Vortrag, aus der Entscheidung des BSG vom 4.2.1988 (5/5b RJ 96/86 - SozR 1500 § 103 Nr 27) ergebe sich, dass solche Darlegungen entbehrlich seien, trifft nicht zu. Die Klägerin übersieht, dass jene Entscheidung in
einem Revisionsverfahren ergangen ist und demgemäß keinerlei Ausführungen zu den notwendigen Darlegungen für die Rüge einer
Verletzung der Amtsermittlungspflicht im Rahmen eines Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens enthält.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
183 Satz 1 iVm §
193 Abs
1 und 4
SGG.