Rente wegen Erwerbsminderung
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht
Gründe
I
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.
Nachdem die Beklagte bereits den Antrag des Klägers vom 18.11.2014 auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach Einholung
eines psychiatrischen Gutachtens abgelehnt hatte (Bescheid vom 28.1.2015 und Widerspruchsbescheid vom 19.3.2015), beschied sie auch einen erneuten Antrag vom 11.12.2017 nach Einholung eines weiteren Gutachtens negativ (Bescheid vom 9.2.2018 und Widerspruchsbescheid vom 27.8.2018). Nach Anhörung zweier psychiatrischer Gutachter, davon ein vom Kläger benannter Sachverständiger nach §
109 SGG, hat das SG mit Urteil vom 24.3.2020 die Klage abgewiesen. Das LSG hat ärztliche Befundberichte und ein neurologisch-psychiatrisches
Gutachten eingeholt. Mit Urteil vom 13.12.2021 hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der Kläger sei zur Überzeugung
des Senats noch in der Lage, wenigstens sechs Stunden täglich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung
und bei Beachtung gewisser qualitativer Einschränkungen (insbesondere keine besonderen nervlichen Belastungen und kein Zugang
zu Alkohol und Medikamenten) zu verrichten.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt. Er macht als Zulassungsgrund eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) sowie Verfahrensfehler (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) geltend.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Die Beschwerdebegründung legt keinen
Zulassungsgrund iS des §
160 Abs
2 SGG in der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Weise dar. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
1. Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob die Beschwerdebegründung vom 15.3.2022 bereits deshalb iS des §
65a Abs
3 SGG als nicht formgerecht anzusehen ist, weil sie mit einer einfachen Signatur von Rechtsanwalt M endet und damit ihn als das
Dokument verantwortende Person kenntlich macht, während die qualifizierte elektronische Signatur für das Dokument von Rechtsanwältin
A angebracht wurde. Diese hat das Dokument über ihr besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) dem Gericht übersandt.
Ob Rechtsanwältin A mit dieser Vorgehensweise auch die Verantwortung für den Inhalt der Beschwerdebegründung oder lediglich
eine Dienstleistung zur Versendung übernehmen wollte, ist weder aus der angebrachten elektronischen Signatur noch aus der
bloßen Übermittlung des Dokuments ersichtlich. Das könnte lediglich unterstellt bzw vermutet werden, was dem Zweck der qualifizierten
elektronischen Signatur als Authentizitätsnachweis nur eingeschränkt gerecht würde (vgl dazu Müller, NJW 2022, 1336: ein nicht von der verantwortenden Person selbst versandter Schriftsatz sollte immer eine qualifizierte elektronische Signatur
der verantwortenden Person aufweisen; anders Müller in jurisPK-ERV, Band 3, §
65a SGG RdNr 130, Stand der Einzelkommentierung 13.6.2022: Übernahme der Verantwortung dürfte angesichts des mit einer qualifizierten
elektronischen Signatur verbundenen Aufwands "regelmäßig anzunehmen" sein). Hier kommt es auf die Frage der formgerechten Einreichung der Beschwerdebegründung allerdings nicht entscheidungserheblich
an, denn diese wahrt bereits aus anderen Gründen nicht die gesetzlich vorgeschriebene Form.
2. Der Kläger hat eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht in der erforderlichen Weise dargelegt (vgl §
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
Eine Rechtssache hat nur dann iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage zu revisiblem Recht (§
162 SGG) aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch
das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung des Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen
Bedeutung muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre
(konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm
angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 §
160 Nr 30 RdNr 4 mwN; s auch Fichte in Fichte/Jüttner,
SGG, 3. Aufl 2020, §
160a RdNr 32 ff).
Es fehlt bereits daran, dass der Kläger eine aus sich heraus verständliche abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum
Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl §
162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert. Die grundsätzliche Bedeutung sieht der Kläger darin, dass "das Gericht nicht im Einklang
mit medizinischen Inhalten, mit den hier im Raum stehenden Begriffen umgeht, sondern viel mehr hier eigene Auslegungen schafft,
die nicht im Einklang mit den Gutachtungserholungen stehen bzw. die offenbar die Wahl, welchem Gutachten des Gerichts zu folgen
gedenkt, massiv beeinflussen". Ungeachtet der sprachlichen Unklarheiten dieses Satzes ist ihm keine Rechtsfrage zu entnehmen.
Mit dem weiteren Vorbringen wendet sich der Kläger gegen die vom LSG vorgenommene Bewertung seiner Erwerbsfähigkeit, der er
seine eigene Auffassung von der richtigen Bewertung der sozialmedizinischen Ermittlungsergebnisse gegenüberstellt. Mit der
- vermeintlichen - Unrichtigkeit eines Urteils im Einzelfall kann eine grundsätzliche Bedeutung indes nicht begründet werden.
Darüber hinaus verkennt der Kläger, dass die Beweiswürdigung der Rüge im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ausdrücklich entzogen ist (vgl auch BSG Beschluss vom 21.3.2022 - B 5 R 264/21 B - juris RdNr 7). Hierzu gehört auch die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse - wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse
(BSG Beschluss vom 20.5.2020 - B 13 R 49/19 B - juris RdNr 16 mwN). Auch soweit der Kläger die Bewertung des medizinischen Sachverhalts unter dem Gesichtspunkt eines Verfahrensfehlers nach
§
160 Abs
2 Nr
3 SGG rügt, vermag dies daher die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen. Den Vortrag, das LSG habe "aus Kommentaren selbst
medizinische Beurteilungen" erstellen wollen, belegt der Kläger in keiner Weise.
3. Soweit der Kläger beanstandet, das LSG habe eine von ihm benannte Zeugin nicht vernommen, rügt er sinngemäß den Verfahrensmangel
einer Verletzung des §
103 SGG. Den Anforderungen an eine solche Rüge wird das Vorbringen des Klägers aber nicht gerecht.
Wird ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht geltend gemacht, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils
folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen
Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen
als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände,
die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme
und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen
kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt
aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 3.4.2020 - B 9 SB 71/19 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 20.1.2021 - B 5 R 248/20 B - juris RdNr 7; Fichte in Fichte/Jüttner,
SGG, 3. Aufl 2020, §
160a RdNr 56; Voelzke in jurisPK-
SGG, §
160a RdNr 167, Stand der Einzelkommentierung: 4.3.2022).
Einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag bezeichnet der Kläger nicht. Er trägt vor, die Zeugin habe "zu dem Umfang und der
Schwere der Reaktion, die der Kläger zeigte angesichts des negativen Gutachtens N" gehört werden sollen. Entgegen der Auffassung
des LSG hätte die Aussage der Zeugin wichtige Erkenntnisse vermitteln können, "nämlich die Schwere der Erkrankung allein aus
den Tatsachen wie sich dieses Erkrankungsbild nach außen auch für den Nicht-Mediziner zeigt". Aufgrund welcher Qualifikation
und Funktion die Zeugin Aussagen zu welchen Auswirkungen dauerhafter Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das verbliebene berufliche
Leistungsvermögen des Klägers hätte machen können, erschließt sich daraus nicht.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.