Pflicht privater Arbeitgeber zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nach dem SGB IX
Rechtmäßigkeit eines Feststellungsbescheides zur Berechnung der Zahl der Pflichtarbeitsplätze
Keine Anrechnung zugewiesener schwerbehinderter Auszubildender
Gründe:
I
Im Streit ist ein Feststellungsbescheid der Beklagten zur Berechnung der Zahl der Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte
Menschen.
Der Kläger betreibt als eingetragener Verein mit etwa 400 eigenen Mitarbeitern verschiedene Schulen und Einrichtungen, darunter
das Jugendwerk L. (im Folgenden: Jugendwerk). Als ein von der Beklagten zugelassener Träger bietet dieses Maßnahmen der beruflichen
Bildung nach dem SGB II und
SGB III in Kooperation mit der Beklagten und den Jobcentern der Region an. Nach einem Vertrag zwischen Beklagter und dem Jugendwerk
über die Durchführung von Maßnahmen nach §
117 Abs
1 Satz 1 Nr
1a SGB III in vergleichbaren Einrichtungen nach §
35 SGB IX aF besteht eine Aufnahmepflicht von Maßnahmeteilnehmern bis zu einer festgelegten Platzzahl; ferner ist die Aufnahmekapazität
für Maßnahmen in einzelnen Berufsfeldern und der von der Beklagten an den Kläger jeweils zu zahlende Monatsfestpreis geregelt
(Vertrag vom 24.5.2013). Einen Anspruch des Jugendwerks auf die Zuweisung von Teilnehmenden durch die Beklagte sieht der Vertrag
nicht vor.
Die Beklagte wies dem Jugendwerk 2012 und 2013 auch drei schwerbehinderte Maßnahmeteilnehmer zu. Diese absolvierten jeweils
dreijährige Ausbildungen auf der Grundlage von Berufsausbildungsverträgen, die mit dem Jugendwerk geschlossen worden waren.
Eine Ausbildungsvergütung war nicht vorgesehen, die Beklagte förderte die jeweiligen Ausbildungen durch Gewährung von Ausbildungsgeld
und übernahm auch die Beiträge zur Sozialversicherung. Das Jugendwerk erhielt für jeden dieser Maßnahmeteilnehmer von der
Beklagten den vertraglich vereinbarten Festpreis (monatlich jeweils ca 1100 Euro).
Am 24.3.2015 ging bei der Beklagten die Erklärung des Klägers zur Durchführung des
SGB IX (Anzeigeverfahren nach §
80 Abs
2 SGB IX aF) für das Kalenderjahr 2014 ein. Darin gab der Kläger an, in der Jahressumme seien bei ihm 3254 Arbeitsplätze nach §
73 Abs
1 bis
3 SGB IX aF zu berücksichtigen. Das Soll der Pflichtarbeitsplätze betrage 163. Von diesen Pflichtarbeitsplätzen seien insgesamt 134
tatsächlich besetzt gewesen, die Zahl der unbesetzten Pflichtarbeitsplätze betrage 29. Bei der Ermittlung der besetzten Pflichtarbeitsplätze
berücksichtigte der Kläger gestützt auf §
76 Abs
2 SGB IX aF die drei genannten Maßnahmeteilnehmer doppelt.
Die Beklagte korrigierte das Verzeichnis der anrechenbaren Beschäftigten in Bezug auf diese drei Auszubildenden und erhöhte
die Zahl der unbesetzten Pflichtarbeitsplätze um 72 auf insgesamt 101 (Bescheid vom 15.4.2015 mit Anlage; Widerspruchsbescheid
vom 31.5.2016). Die drei Auszubildenden könnten als Maßnahmeteilnehmer der Beklagten nicht bei der Besetzung der Pflichtarbeitsplätze
berücksichtigt werden. Im Übrigen entsprach die Festsetzung den von dem Kläger gemeldeten Zahlen.
Das SG hat die Klage gegen diesen Bescheid abgewiesen (Urteil vom 14.2.2018). Auch die Berufung des Klägers blieb erfolglos (Urteil
des LSG vom 12.3.2020). Die Stellen, auf denen die drei Maßnahmeteilnehmer beschäftigt worden seien, stellten keine Arbeitsplätze,
insbesondere auch keine Stellen für Auszubildende iS von §
73 Abs
1 SGB IX aF dar, denn der Kläger habe wegen seiner vertraglichen Bindung gegenüber der Beklagten nicht frei entscheiden können, mit
welchen Personen er die Stellen besetze. Eine andere Sichtweise würde den Sinn und Zweck der Beschäftigungspflicht unterlaufen.
Auch die Differenzierung in §
73 Abs
2 Nr
1 SGB IX aF und in §
76 Abs
2 Satz 2 iVm §
35 Abs
2 SGB IX aF, der Betriebe oder Dienststellen begünstige, stütze dieses Ergebnis. Für eine vergleichbare Behandlung bzw Bevorzugung
auch der überbetrieblichen Träger von beruflichen Reha-Maßnahmen wie dem Kläger habe der Gesetzgeber kein Erfordernis gesehen.
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine unzutreffende Auslegung von §
73 Abs
1 SGB IX aF. Auch Maßnahmeteilnehmer fielen nach dem Wortlaut der Vorschrift in die Definition des §
73 Abs
1 SGB IX aF und nicht in den Ausschluss des §
73 Abs
2 SGB IX aF. Das LSG verkenne zudem, dass er als Einrichtung jedenfalls frei entscheiden könne, ob er überhaupt einen Vertrag mit
der Beklagten schließe. Entgegen der Auffassung des LSG sei auch §
76 Abs
2 Satz 2
SGB IX aF nicht überflüssig, sondern rein deklaratorisch zu verstehen. Gegen das Ergebnis des LSG spreche schließlich die Rechtsprechung
des BAG zum bestehenden Wahlrecht von Maßnahmeteilnehmern zur Schwerbehindertenvertretung.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. März 2020 und das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 14. Februar
2018 sowie den Bescheid vom 15. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Mai 2016 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
II
Der Senat konnte die Streitsache in Abwesenheit eines Vertreters bzw Bevollmächtigen des Klägers verhandeln und entscheiden,
denn der Kläger ist mit der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden. Seine zulässige Revision hat im Sinne der Aufhebung
des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Erfolg (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG). Die Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids in vollem Umfang überprüfen
zu können.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den Entscheidungen der Vorinstanzen der Bescheid vom 15.4.2015 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 31.5.2016, mit dem die Beklagte die zur Berechnung der Zahl der Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte
Menschen (163) und der besetzten (62 statt der angegebenen 134) bzw unbesetzten (101 statt der angegebenen 29) Arbeitsplätze
notwendigen Daten festgestellt hat. Von diesem hinreichend bestimmten Inhalt sind SG und LSG - unter Berücksichtigung der Anlage zu diesem Bescheid und der Bezugnahme auf die Anzeige des Klägers - zu Recht
ausgegangen. Der Kläger greift den Bescheid zutreffend (nur) mit der Anfechtungsklage (§
54 Abs
1 Satz 1 Alt 1
SGG) an. Das für die Festsetzung einer Ausgleichsabgabe zuständige Integrationsamt war nicht notwendig beizuladen, denn die Frage
der Rechtmäßigkeit des Feststellungsbescheids der Beklagten wäre allenfalls Vorfrage für einen möglichen Bescheid über die
Ausgleichsabgabe (vgl BSG vom 10.12.2019 - B 11 AL 1/19 R - SozR 4-3250 § 154 Nr 1 RdNr 13 mwN).
Ob das LSG in der Sache die zulässige Berufung gegen das die Klage gegen den angefochtenen Bescheid abweisende Urteil des
SG zu Recht zurückgewiesen hat, kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen nicht abschließend entscheiden. Was die
formelle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids angeht, war der Kläger vor Erlass des Bescheids nach § 24 Abs 1 SGB X anzuhören, weil die Beklagte von der Erklärung des Klägers abweichende Feststellungen getroffen und insoweit in dessen Rechte
eingegriffen hat. Ob der Kläger angehört und ob eine Anhörung ggf nachgeholt wurde (§ 41 Abs 1 Nr 3 SGB X), lässt sich den Ausführungen des LSG nicht entnehmen.
Die materielle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids verlangt, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Feststellungsbescheids
nach §
80 Abs
3 SGB IX aF, der § 163 Abs 3
SGB IX in seiner aktuellen Fassung entspricht, vorgelegen haben. Da sich der angefochtene Bescheid auf das Jahr 2014 bezieht, ist
noch das
SGB IX in seiner bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung (im Folgenden:
SGB IX aF) anwendbar, in der insbesondere die besonderen Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen (Schwerbehindertenrecht)
in den §§
68 ff
SGB IX aF enthalten waren. Erst durch Art 2 des BTHG vom 23.12.2016 (BGBl I 3234) sind diese Vorschriften zum 1.1.2018 weitgehend wortgleich in Teil 3 des
SGB IX (§§
151 ff
SGB IX) verschoben worden. §
80 Abs
3 SGB IX aF sieht vor, dass die BA nach Prüfung in tatsächlicher sowie in rechtlicher Hinsicht einen Feststellungsbescheid erlässt
über die zur Berechnung der Zahl der Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen und der besetzten Arbeitsplätze notwendigen
Daten, wenn ein Arbeitgeber die Daten bis zum 30.6. nicht, nicht richtig oder nicht vollständig anzeigt. Die Ermächtigung
der BA zum Erlass eines Feststellungsbescheids ist damit an die in §
80 Abs
2 Satz 1
SGB IX aF geregelte Pflicht des Arbeitgebers geknüpft, der für ihren Sitz zuständigen Agentur für Arbeit einmal jährlich bis spätestens
31.3. für das vorangegangene Kalenderjahr, aufgegliedert nach Monaten, die Daten anzuzeigen, die zur Berechnung des Umfangs
der Beschäftigungspflicht, zur Überwachung ihrer Erfüllung und der Ausgleichsabgabe notwendig sind.
Als privater Arbeitgeber mit mehr als jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen unterlag der Kläger grundsätzlich
der Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nach §
71 Abs
1 Satz 1
SGB IX aF und damit auch der Anzeigepflicht nach §
80 Abs
2 SGB IX aF (vgl dazu BSG vom 10.12.2019 - B 11 AL 1/19 R - SozR 4-3250 § 154 Nr 1 RdNr 16 f). Der Begriff des Arbeitgebers ist dabei formal, dh rechtsträgerbezogen zu bestimmen,
so dass es nicht auf den einzelnen Betrieb - also hier ggf allein auf das Jugendwerk - ankommt, sondern auf den Arbeitgeber
als juristische Person und die dort vorhandenen Arbeitsplätze (vgl nur Joussen in Dau/Düwell/Joussen,
SGB IX, 5. Aufl 2019, §
154 RdNr 9; Greiner in Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Jabben,
SGB IX, 14. Aufl 2020, §
154 RdNr 4). Seiner Anzeigepflicht ist der Kläger für das Jahr 2014 nachgekommen durch Übermittlung einer entsprechenden Anzeige,
die am 24.3.2015 bei der Beklagten eingegangen ist. Die Anzeige war indessen schon wegen unzutreffender Angaben zu den besetzten
Pflichtarbeitsplätzen nicht richtig iS von §
80 Abs
3 SGB IX aF.
Entgegen der Auffassung des Klägers sind die dem Jugendwerk - aufgrund des Vertrags über die Durchführung von Maßnahmen zur
Teilhabe am Arbeitsleben nach dem
SGB III in Einrichtungen - zugewiesenen Maßnahmeteilnehmer keine Personen, die einen Arbeitsplatz iS von §
73 Abs
1 SGB IX aF einnehmen. Zugewiesene Maßnahmeteilnehmer sind deshalb weder für die Ermittlung der Anzahl der Arbeitsplätze als Grundlage
für die Berechnung der Anzahl der zu beschäftigenden schwerbehinderten Menschen nach §
71 Abs
1 Satz 1
SGB IX aF von Bedeutung noch können sie auf Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen gemäß §
75 oder §
76 SGB IX aF angerechnet werden.
Der Begriff des Arbeitsplatzes ist in §
73 Abs
1 SGB IX aF legaldefiniert. Danach sind Arbeitsplätze im Sinne des Schwerbehindertenrechts alle Stellen, auf denen Arbeitnehmer und
Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung
Eingestellte beschäftigt werden. Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Begriff des Arbeitsplatzes von drei Elementen
geprägt: Dem Bestehen eines Anstellungsverhältnisses als rechtliches Element und der damit verbundenen Eigenschaft als Arbeitnehmer
bzw Beamter oder Richter, der Einrichtung von Stellen durch den Arbeitgeber als räumlich-gegenständliches Element sowie der
Beschäftigung von Personal auf diesen Stellen (dreigliedriger Arbeitsplatzbegriff, vgl BSG vom 10.12.2019 - B 11 AL 1/19 R - SozR 4-3250 § 154 Nr 1 RdNr 20 mwN). Soweit nicht Beamte oder Richter betroffen sind, sondern Arbeitnehmer oder Auszubildende,
wird das rechtliche Element des §
73 Abs
1 SGB IX aF nach den für das Arbeitsrecht entwickelten Maßstäben vermittelt. Danach ist entscheidend die vertraglich geschuldete Erbringung
von Diensten in persönlicher Abhängigkeit; der Arbeitnehmer muss weisungsabhängig und in die Organisation des Arbeitgebers
eingegliedert sein (vgl BSG vom 10.12.2019 - B 11 AL 1/19 R - SozR 4-3250 § 154 Nr 1 RdNr 21; BVerwG vom 16.5.2013 - 5 C 20/12 - juris RdNr 12 mwN). Hinzu kommt, dass die Stelle besetzt sein, also tatsächlich in gewissem Umfang einer Beschäftigung
nachgegangen werden muss, womit sichergestellt wird, dass nur die tatsächlich zur Verfügung stehenden Beschäftigungsmöglichkeiten
für die Eingliederung schwerbehinderter Menschen in das Erwerbsleben berücksichtigt werden (vgl BSG vom 10.12.2019 - B 11 AL 1/19 R - SozR 4-3250 § 154 Nr 1 RdNr 22; BVerwG vom 16.5.2013 - 5 C 20/12 - juris RdNr 18).
Daran gemessen sind Personen nicht auf einem Arbeitsplatz iS von §
73 Abs
1 SGB IX aF beschäftigt, die einer Einrichtung der beruflichen Rehabilitation zugewiesen werden, um eine Leistung zur Teilhabe am
Arbeitsleben zu erhalten. Die Maßnahmeteilnehmer sind selbst dann, wenn sie - wie hier - förmliche Berufsausbildungsverträge
mit der Einrichtung geschlossen haben, einem eigenen rechtlichen Regime unterworfen, das durch die besondere Gestaltung der
tatsächlichen und rechtlichen Beziehungen zwischen Leistungsträger (Beklagte), Leistungsberechtigter (Maßnahmeteilnehmer)
sowie Leistungserbringer (Kläger) geprägt ist. Danach fehlt es an einer Eingliederung im Sinne der gesetzlichen Definition
des Arbeitsplatzes. Sinn und Zweck der zur Durchsetzung der Beschäftigungspflicht schwerbehinderter Menschen geschaffenen
Regelungen stützen dieses Ergebnis.
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben umfassen ua die berufliche Ausbildung (§
33 Abs
3 Nr
4 SGB IX aF; §
49 Abs
3 Nr
5 SGB IX) und werden, abhängig von Art und Schwere der Behinderung, in Berufsbildungswerken, Berufsförderungswerken sowie vergleichbaren
Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation - wie im vorliegenden Fall dem Jugendwerk - durchgeführt (§
35 Abs
1 Satz 1
SGB IX aF; §
51 Abs
1 Satz 1
SGB IX). Die Einrichtung muss bestimmte Anforderungen erfüllen (§
35 Abs
1 Satz 2
SGB IX aF; §
51 Abs
1 Satz 2
SGB IX); sie soll darauf hinwirken, dass die Leistungsberechtigten im Falle der beruflichen Ausbildung in der Einrichtung die Ausbildung
jedenfalls zum Teil auch in Betrieben oder Dienststellen durchführen (§
35 Abs
2 Satz 1
SGB IX aF; §
51 Abs
2 Satz 1
SGB IX). Für diesen Fall der Durchführung einer beruflichen Ausbildung auch in Betrieben oder Dienststellen ordnete §
76 Abs
2 Satz 2
SGB IX aF (ab 1.1.2018: §
159 Abs
2 Satz 2
SGB IX) die Geltung von §
76 Abs
2 Satz 1
SGB IX aF (§
159 Abs
2 Satz 1
SGB IX) an, wonach ein schwerbehinderter Mensch, der ausgebildet wird, auf zwei Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen
angerechnet wird. Zur Konkretisierung der Rechtsstellung von Teilnehmenden an Leistungen in Einrichtungen der beruflichen
Rehabilitation bestimmt §
36 Satz 1
SGB IX aF (jetzt §
52 Satz 1
SGB IX) ergänzend, dass diese nicht in den Betrieb der Einrichtung eingegliedert werden. Mit dieser Regelung soll nach der Begründung
des Gesetzentwurfs verdeutlicht werden, dass die Teilnehmer nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen (BT-Drucks 14/5074
S 108).
Durch diese Gestaltung unterscheidet sich die Ausbildung und Rechtsstellung von Personen in Einrichtungen deutlich von derjenigen
der Auszubildenden in Betrieben oder Dienststellen. So fehlt zum einen die erforderliche, auf Eingliederung gerichtete vertragliche
Ausformung der Ausbildungsverhältnisse von Maßnahmeteilnehmern. Zwar werden regelmäßig - wie auch hier - Ausbildungsverträge
entsprechend dem BBiG abgeschlossen. Dessen Vorschriften finden aber, etwa was die Vergütung betrifft, in öffentlich finanzierten dreiseitigen
Ausbildungsverhältnissen nach der Rechtsprechung des BAG nur eingeschränkt Anwendung (vgl BAG vom 15.11.2000 - 5 AZR 296/99 - BAGE 96, 237 = AP Nr 9 zu § 10 BBiG; BAG vom 16.1.2003 - 6 AZR 325/01 - AP Nr 13 zu § 10 BBiG). Prägend ist vielmehr das Sozialrechtsverhältnis zwischen den zugewiesenen Teilnehmern und dem Maßnahmeträger - hier der
BA - mit den sozialrechtlichen Ansprüchen auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, die neben den Leistungen zum Lebensunterhalt
(vgl §
45 Abs
2,
3 und
5 SGB IX aF; §
65 Abs
2,
3 und
5 SGB IX) verschiedene weitere Leistungen umfassen (vgl §
33 Abs
6,
7 und
8 SGB IX aF; §
49 Abs
6,
7 und
8 SGB IX). Zu erfüllen sind diese Ansprüche vom Träger, der sich der Einrichtung als Leistungserbringer bedient (ausführlich dazu
Banafsche in Deinert/Welti, StichwortKommentar Behindertenrecht, 2. Aufl 2018, Leistungserbringungsrecht, RdNr 28 ff).
Zum anderen liegt auch keine tatsächliche Eingliederung in den Ausbildungsbetrieb vor. Nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung
erfordert die tatsächliche Eingliederung von Auszubildenden in betriebliche Strukturen, dass eine berufspraktische Ausbildung
im Rahmen der arbeitstechnischen Zwecksetzung des Betriebs ("innerhalb des laufenden Geschäftsbetriebs") erfolgt (vgl BAG
vom 26.1.1994 - 7 ABR 13/92 - BAGE 75, 312 = AP Nr 54 zu § 5 BetrVG 1972, juris RdNr 26 f; BAG vom 20.3.1996 - 7 ABR 46/95 - BAGE 82, 302 = AP Nr 9 zu § 5 BetrVG 1972 Ausbildung, juris RdNr 11; BAG vom 13.6.2007 - 7 ABR 44/06 - AP Nr 12 zu § 5 BetrVG 1972 Ausbildung, juris RdNr 15 ff). Hieran fehlt es bei einer Ausbildung von zugewiesenen Maßnahmeteilnehmern in einer Einrichtung
wie der des Jugendwerks. Denn Betriebszweck einer Einrichtung iS von §
35 Abs
1 Satz 1
SGB IX aF (§
51 Abs
1 Satz 1
SGB IX) ist die Erbringung einer Dienstleistung gegenüber dem Sozialleistungsträger in Form der Durchführung von Leistungen zur
Teilhabe am Arbeitsleben. Zu dieser Leistung hat sich die Einrichtung - wie auch hier das Jugendwerk - vertraglich verpflichtet
und sie wird dafür durch die Zahlung eines Entgelts (Pauschalbetrag für jeden Teilnehmer) vergütet. Für die Erbringung dieser
Dienstleistung bedarf es zwar auch einer Betriebsorganisation, die wiederum den Einsatz von (eigenem) Personal und ggf sogar
die Ausbildung von Personal bedingt, etwa in sozialen Berufen. Die dafür aufzubringenden Kosten stellen Betriebskosten der
Einrichtung dar. Nicht Teil dieser Betriebsorganisation ist allerdings die Ausbildung der zugewiesenen Teilnehmer und deren
Betreuung an sich, denn beides setzt bereits eine entsprechende Betriebsorganisation voraus. Vielmehr ist die Ausbildung der
Maßnahmeteilnehmer selbst Gegenstand des Betriebszwecks (so BAG vom 20.3.1996 - 7 ABR 46/95 - BAGE 82, 302 = AP Nr 9 zu § 5 BetrVG 1972 Ausbildung, juris RdNr 11). (Betriebs-)Kosten in Form von Ansprüchen der Auszubildenden, die typischerweise mit betrieblichen
Ausbildungen verbunden sind, entstehen von vornherein nicht, da deren Leistungsansprüche unmittelbar vom Träger erfüllt werden.
Aus Sinn und Zweck der Beschäftigungspflicht nach §
71 Abs
1 Satz 1
SGB IX aF ergibt sich ebenfalls, dass Teilnehmende einer Reha-Maßnahme nicht Arbeitsplätze im Sinne der Regelungen zur Beschäftigungspflicht
besetzen. Die Beschäftigungspflicht zielt darauf ab, schwerbehinderte Menschen in das Erwerbsleben einzugliedern (vgl BSG vom 10.12.2019 - B 11 AL 1/19 R - SozR 4-3250 § 154 Nr 1 RdNr 17; BVerwG vom 16.5.2013 - 5 C 20/12 - juris RdNr 18). Solange Arbeitgeber die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen nicht beschäftigen, haben sie für
jeden unbesetzten Pflichtarbeitsplatz für schwerbehinderte Menschen eine Ausgleichsabgabe (§
77 Abs
1 Satz 1
SGB IX aF) zu entrichten. Diese ist Ersatz für die von den Arbeitgebern in Form der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen zu
erbringende Naturalleistung und dient der Durchsetzung der Beschäftigungspflicht (vgl dazu BVerfG vom 26.5.1981 - 1 BvL 56/78 ua - BVerfGE 57, 139, 167, 168 = juris RdNr 100). Arbeitgeber, die keine schwerbehinderten Menschen beschäftigen, leisten auf diese Weise einen Ausgleich
zu Gunsten der Arbeitgeber, die dies tun (vgl BVerfG vom 10.11.2004 - 1 BvR 1785/01 ua - BVerfGK 4, 166, juris RdNr 15 mit Verweis auf BT-Drucks 7/656 S 20).
Dieses Ziel der dauerhaften Eingliederung von schwerbehinderten Menschen in das Arbeits- und Berufsleben kann nur dann effektiv
verfolgt werden, wenn die mit der Beschäftigungs- und Ausgleichsabgabepflicht bezweckte Verhaltenssteuerung dort ansetzt,
wo die Entscheidung über die Einstellung eines Arbeitnehmers gefällt und rechtlich der Arbeitsplatz geschaffen wird (so BSG vom 10.12.2019 - B 11 AL 1/19 R - SozR 4-3250 § 154 Nr 1 RdNr 19; vgl auch BVerwG vom 13.12.2001 - 5 C 26/01 - BVerwGE 115, 312, juris RdNr 16). Sinn und Zweck würde indessen verfehlt, wenn auch Teilnehmer an beruflichen Teilhabemaßnahmen in Einrichtungen
neben den von den Einrichtungen ansonsten beschäftigten schwerbehinderten Menschen auf die Pflichtarbeitsplätze der Einrichtungen
anzurechnen wären. Der vom Gesetz bezweckte Anreiz, schwerbehinderte Menschen als eigenes Personal einzustellen, würde in
dem Umfang abnehmen, in dem schwerbehinderte Menschen als Maßnahmeteilnehmer zugewiesen werden (so bereits zur Anrechnung
von Arbeitsplätzen betreuter behinderten Menschen in Werkstätten für Behinderte BSG vom 26.3.1992 - 11 RAr 47/91 - SozR 3-3870 § 9 Nr 1 - juris RdNr 20). Eine Einrichtung, wie sie der Kläger betreibt, würde sich einerseits schon durch ihre wirtschaftliche
Ausrichtung - Ausbildung im Auftrag von Dritten als Dienstleistung gegen Entgelt - von der Verpflichtung, schwerbehinderte
Menschen in einer bestimmten Anzahl zu beschäftigen, entlasten können. Andererseits käme eine Verhaltenssteuerung im Hinblick
auf die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nur sehr bedingt in Betracht, weil die Einrichtung auf die konkrete Auswahl
der Teilnehmer keinen Einfluss hat, da diese - wie auch hier - vom Leistungsträger zugewiesen werden. Davon abgesehen bewirken
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, wie sie in Einrichtungen wie der des Klägers als Ausbildung erbracht werden - anders
als eine feste Beschäftigung oder eine betriebliche Ausbildung mit der Aussicht übernommen zu werden -, für sich genommen
noch keine Teilhabe am Arbeitsleben, sondern bereiten diese lediglich vor (vgl Deusch in Dau/Düwell/Joussen,
SGB IX, 5. Aufl 2019, §
52 RdNr 5; Luik in Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB IX, 3. Aufl 2018, §
52 RdNr 18).
Gestützt wird dieses Ergebnis in gesetzessystematischer Hinsicht, wie das LSG zu Recht ausgeführt hat, durch die Regelung
des §
76 Abs
2 Satz 2
SGB IX aF (jetzt §
159 Abs
2 Satz 2
SGB IX). Diese ordnet für den auch hier vorliegenden Fall von Ausbildungen in Einrichtungen die Geltung von §
76 Abs
2 Satz 1
SGB IX aF (jetzt §
159 Abs
2 Satz 1
SGB IX) an, wonach ein schwerbehinderter Mensch, der ausgebildet wird, auf zwei Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen
angerechnet wird, wenn die berufliche Ausbildung auch in Betrieben oder Dienststellen durchgeführt wird. Dieser Regelung hätte
es nicht bedurft, wenn schon die Ausbildung in der Einrichtung an sich zur Anrechnung führen könnte. Entgegen der Auffassung
des Klägers ist dieser Regelungsgehalt keineswegs "rein deklaratorisch". Es erschließt sich nicht, warum alleine für den (Sonder-)Fall,
dass während einer beruflichen Ausbildung in einer Einrichtung entsprechend der Vorgabe des §
35 Abs
2 Satz 1
SGB IX aF (ab 1.1.2018: §
51 Abs
2 Satz 1
SGB IX) zeitweise auch in Betrieben oder Dienststellen ausgebildet wird, eine Klarstellung erforderlich gewesen sein sollte, nicht
jedoch für den zeitlich regelmäßig überwiegenden Kern der Ausbildung in der Einrichtung selbst.
Anders, als der Kläger meint, legt auch die Rechtsprechung des BAG zum Bestehen eines Wahlrechts der einer Einrichtung zugewiesenen
Auszubildenden zur Schwerbehindertenvertretung keine andere Beurteilung nahe. Denn dieses Wahlrecht knüpft eben nicht an die
Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne der gesetzlichen Definition an, sondern folgt aus einer umfassenden Zuständigkeit
der Schwerbehindertenvertretung, die auch das Eintreten für die Interessen von Maßnahmeteilnehmern, die nicht in einen Betrieb
eingegliedert sind, umfasst (vgl BAG vom 27.6.2001 - 7 ABR 50/99 - BAGE 98, 151 = AP Nr 2 zu § 24 SchwbG 1986, juris RdNr 19 ff; BAG vom 16.4.2003 - 7 ABR 27/02 - BAGE 106, 57 = AP Nr 1 zu §
95 SGB IX, juris RdNr 22 ff).
Stellt danach - entgegen der Auffassung des Klägers - die Berufsausbildung in einer Einrichtung schon keine Beschäftigung
auf einem Arbeitsplatz iS des §
73 Abs
1 SGB IX aF dar, kommt es nicht darauf an, welche Tatbestände mit welcher Zielrichtung in §
73 Abs
2 und
3 SGB IX aF im Einzelnen geregelt werden. Denn dies betrifft nur Fälle, die schon voraussetzen, dass Arbeitsplätze vorliegen, aber
iS einer Fiktion nicht als solche gelten sollen (sog Negativkatalog, vgl Deinert in Deinert/Welti, StichwortKommentar Behindertenrecht,
2. Aufl 2018, Pflichtquote, RdNr 6).
Vorliegend hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG jedenfalls drei Personen, die dem Jugendwerk als Teilnehmer für
berufliche Teilhabemaßnahmen zugewiesen worden waren und im Jahr 2014 an solchen Maßnahmen teilgenommen hatten, in seiner
Anzeige nach §
80 Abs
2 SGB IX aF auf die von ihm mitgeteilten Pflichtarbeitsplätze mit einer Summe von 72 (3 Arbeitsplätze x 12 Monate x 2 wegen der Doppelanrechnung)
zu Unrecht angerechnet. Damit war diese Anzeige unrichtig und die Beklagte berechtigt, einen Feststellungsbescheid nach §
80 Abs
3 SGB IX aF zu erlassen.
Anhand der Feststellungen des LSG vermag der Senat indessen nicht zu beurteilen, ob dieser Feststellungsbescheid in der Sache
insgesamt materiell rechtmäßig ist. Denn das LSG konnte zwar zutreffend von der unrichtigen Einbeziehung der drei Maßnahmeteilnehmer
ausgehen, hat aber ohne eigene Feststellungen und rechtliche Beurteilung die weiteren Angaben des Klägers zu den vorhandenen
Arbeitsplätzen und den (weiteren) besetzten Pflichtarbeitsplätzen übernommen, weil hierüber zwischen den Beteiligten kein
Streit bestehe. Das "Unstreitigstellen" entscheidungserheblicher Tatsachen ersetzt allerdings nicht die erforderliche Sachaufklärung
und eigene Würdigung des Sachverhalts durch das Gericht (vgl nur BSG vom 13.5.2009 - B 4 AS 58/08 R - BSGE 103, 153 = SozR 4-4200 § 12 Nr 13, RdNr 12; BSG vom 12.12.2013 - B 4 AS 14/13 R - juris RdNr 11). Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das LSG deshalb noch die tatsächlichen Feststellungen und
eine eigene Beurteilung nachzuholen haben zur Anzahl der bei dem Kläger als Rechtsträger (formaler Arbeitgeber) vorhandenen
Arbeitsplätze nach Maßgabe von §§
73 SGB IX aF, zur sich hieraus nach §
74 SGB IX aF ergebenden Pflichtarbeitsplatzzahl und schließlich - ggf unter Berücksichtigung des von dem Kläger nach §
80 Abs
1 SGB IX aF zu führenden Verzeichnisses - zur Anrechnung von Beschäftigten auf diese Pflichtarbeitsplätze nach Maßgabe der §§
75 und
76 SGB IX aF.
Die Kostenentscheidung bleibt - auch wegen der Kosten des Revisionsverfahrens - dem LSG vorbehalten.