Kostenerstattung selbstbeschaffter Leistungen im Rahmen der häuslichen Krankenpflege in der Krankenversicherung
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten noch um die Erstattung restlicher Kosten wegen der von einem Pflegedienst durchgeführten und bezahlten
Insulininjektionen in Höhe von 446,94 EUR in der Zeit vom 18. Februar bis 5. März 2002 und vom 1. April bis 30. Juni 2002
nach §
13 Abs
3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) iVm §
37 Abs
2 SGB V.
Die Kläger sind die Kinder und Rechtsnachfolger der am 17. Januar 2005 verstorbenen Hedwig S. , die bei der beklagten
Krankenkasse versichert war und von der Pflegekasse Pflegegeld nach der Pflegestufe III erhielt. Die an Alzheimer-Demenz und
Diabetes leidende, bettlägerige Versicherte lebte mit dem Kläger zu 3. in einem gemeinsamen Haushalt. Er und die als Betreuerin
bestellte Klägerin zu 2. übernahmen die tägliche Pflege der Versicherten im Bereich der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen
Versorgung.
Nach einem Krankenhausaufenthalt der Versicherten verordnete die Hausärztin am 18. Februar 2002 zur Behandlung der Diabeteserkrankung
zweimal täglich zu verabreichende Insulininjektionen, und zwar zunächst für den Zeitraum bis zum 5. März 2002. In dem am 20.
Februar 2002 bei der Beklagten eingegangenen "Antrag der Versicherten auf Genehmigung häuslicher Krankenpflege" gab die Klägerin
zu 2. an, dass die verordneten Maßnahmen nicht durch eine im Haushalt der Versicherten lebende Person erbracht werden könnten
und durch den "Häuslichen Pflegedienst I. S. und K. S. " geleistet würden. Der Pflegedienst führte die
Pflegemaßnahmen auf Grund eines am 18. Februar 2002 mündlich abgeschlossenen und am 19. Februar 2002 schriftlich niedergelegten
Pflegevertrages aus, wobei ein Einsatz entsprechend der mit der Beklagten getroffenen Vergütungsvereinbarung mit 5,73 EUR
berechnet wurde. Der Pflegevertrag enthielt den Zusatz: "Kosten der Behandlungspflege werden dem Leistungsempfänger in Rechnung
gestellt, wenn die Krankenkasse die Kostenübernahme ablehnt oder zu einem späteren Zeitpunkt genehmigt."
Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme unter Hinweis auf §
37 Abs
3 SGB V ab, weil Familien- und Haushaltsangehörige die verordneten Maßnahmen übernehmen könnten (Bescheid vom 21. Februar 2002, Widerspruchsbescheid
vom 25. September 2002). Für die Folgezeit vom 6. bis zum 31. März 2002 gewährte die Beklagte jedoch die verordneten Maßnahmen
der häuslichen Krankenpflege (diesmal Dekubitusbehandlung und Insulininjektionen) als Sachleistung. Die Kostenübernahme für
die am 28. März 2002 verordneten Insulininjektionen für den Zeitraum vom 1. April bis zum 30. Juni 2002 lehnte die Beklagte
hingegen unter Hinweis auf den Leistungsausschluss nach §
37 Abs
3 SGB V erneut ab (Bescheid vom 8. April 2002, im Berufungsverfahren nachgeholter Widerspruchsbescheid vom 30. November 2004). Auch
für die Folgequartale ab 1. Juli 2002, die nach einer Verfahrensabtrennung durch das Sozialgericht (SG) nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind, erfolgten gleichartige Leistungsablehnungen.
Die Versicherte wandte sich mit der Klage gegen die Leistungsablehnungen, weil ihr Sohn, der Kläger zu 3., wegen einer Spritzenphobie
nicht in der Lage sei, die Injektionen zu verabreichen, und ihre Tochter, die Klägerin zu 2., nicht in ihrem Haushalt lebe
und sich im Übrigen ebenfalls nicht im Stande sehe, die Spritzen zu setzen. Am 5. Dezember 2002 hat die Versicherte die vom
Pflegedienst für die Zeit vom 18. Februar bis zum 5. März 2002 sowie vom 1. April bis zum 30. November 2002 berechneten Kosten
von 2.504,01 EUR bezahlt. Auf die hier streitigen Zeiträume entfiel dabei ein Teilbetrag von 933,99 EUR. Im Laufe des Rechtsstreits
erkannte die Beklagte ihre Leistungspflicht für jene Zeiten an, in denen der Kläger zu 3. berufsbedingt nicht in der Lage
war, die häusliche Krankenpflege durchzuführen. Es verblieben danach offene Kosten von noch 446,94 EUR.
Das SG hat der auf Kostenerstattung gerichteten Klage stattgegeben, ist dabei aber versehentlich von einem Kostenfreistellungsanspruch
ausgegangen (Urteil vom 28. Mai 2003). Das Landessozialgericht (LSG) hat nach Beweisaufnahme die Berufung der Beklagten zurückgewiesen
und die Beklagte verurteilt, an die Kläger 446,94 EUR zu zahlen (Urteil vom 7. Juni 2005). Zur Begründung hat es ausgeführt,
soweit die Versicherte sich die häusliche Krankenpflege in den Zeiten vor dem Zugang der Ablehnungsbescheide vom 21. Februar
2002 und 8. April 2002 selbst beschafft habe (Zeiträume vom 18. bis zum 22. Februar 2002 und vom 1. bis zum 9. April 2002),
folge der Kostenerstattungsanspruch aus §
13 Abs
3 SGB V iVm §
37 Abs
2 SGB V wegen Unmöglichkeit der rechtzeitigen Erbringung einer unaufschiebbaren Leistung durch die Krankenkasse. Ein Leistungsausschluss
nach §
37 Abs
3 SGB V scheide aus, weil der als einziger Haushaltsangehöriger in Betracht kommende Kläger zu 3. mit der Spritztechnik überfordert
gewesen sei. Soweit die Versicherte sich die häusliche Krankenpflege in den Zeiten nach dem Zugang der Ablehnungsbescheide
selbst beschafft habe (23. Februar bis 5. März 2002 und 10. April bis 30. Juni 2002), beruhe der Kostenerstattungsanspruch
auf der rechtswidrigen Ablehnung einer notwendigen, vertragsärztlich verordneten Leistung. Die dabei angefallenen Kosten beruhten
auch auf den Leistungsablehnungen, obgleich der Pflegevertrag schon vorher abgeschlossen worden sei und darin die täglich
zu erbringenden Pflegeleistungen auf unbestimmte Zeit festgelegt worden seien. Es sei davon auszugehen, dass die Vertragsparteien
nach Zugang der Leistungsablehnungen vom 21. Februar und 8. April 2002 einen "stillschweigenden (konkludenten) Wechsel in
der Rechtsgrundlage" vorgenommen hätten, und so der "ursächliche Zusammenhang" zwischen der Verwaltungsentscheidung und dem
Kostenaufwand der Versicherten hergestellt worden sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des §
13 Abs
3 SGB V. Ein Kostenerstattungsanspruch wegen rechtswidriger Leistungsablehnung scheitere daran, dass sich die Versicherte schon vor
der Inanspruchnahme der Krankenkasse mit dem Pflegevertrag vom 18./19. Februar 2002 zu einer privaten Bezahlung der Leistungen
verpflichtet habe; die Inanspruchnahme des Pflegedienstes sei deshalb nicht kausal auf die Leistungsverweigerung zurückzuführen.
Im Übrigen sei der Pflegevertrag wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nach §
32 Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil (
SGB I) nichtig gewesen, sodass die Versicherte keiner vertraglichen Zahlungspflicht gegenüber dem Pflegedienst ausgesetzt gewesen
sei. Deshalb entfalle auch ein Kostenerstattungsanspruch wegen der vor dem Zugang der Ablehnungsentscheidungen erbrachten
Leistungen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG für das Land Brandenburg vom 7. Juni 2005 und des SG Cottbus vom 28. Mai 2003 zu ändern und die Klage
abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil, halten den Pflegevertrag vom 18./19. Februar 2002 für wirksam und machen zusätzlich
geltend, die Vergütungsansprüche des Pflegedienstes für alle nach dem Zugang der Ablehnungsentscheidungen erbrachten, jeweils
separat zu beurteilenden Leistungen seien erst mit der tatsächlichen Durchführung entstanden, sodass es insoweit nicht am
notwendigen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Leistungsablehnung und dem Kostenaufwand der Versicherten mangele.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach §
165, §
153 Abs
1 und §
124 Abs
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die Kläger Anspruch auf
Zahlung von weiteren 446,94 EUR haben. Der Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 25. September 2002 und der Bescheid vom 8. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2004
sind rechtswidrig, weil zu Unrecht ein Leistungsausschluss nach §
37 Abs
3 SGB V angenommen worden war.
Die Kläger sind aktivlegitimiert. Nach dem Erbschein des Amtsgerichts Cottbus vom 16. Februar 2005 sind sie gemeinschaftlich
Erben der verstorbenen Versicherten und damit deren Rechtsnachfolger geworden. Mit dem Tod der Versicherten ist deren Vermögen
als Ganzes und somit auch der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch auf die Kläger übergegangen (§
1922 Abs
1 Bürgerliches Gesetzbuch >BGB<).
Aus den Sonderregelungen des Sozialgesetzbuchs ergibt sich nichts anderes. Zwar werden nach §
58 Satz 1
SGB I fällige Ansprüche auf Geldleistungen nur dann nach den Vorschriften des
BGB vererbt, wenn sie nicht nach den §§
56 und
57 SGB I einem Sonderrechtsnachfolger zustehen. Eine Sonderrechtsnachfolge hat hier jedoch nicht stattgefunden. Der Kostenerstattungsanspruch
ist deshalb nach den Vorschriften des
BGB auf die Kläger übergegangen.
Nach §
56 Abs
1 Satz 1 Nr
2 SGB I stehen fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen beim Tod des Berechtigten bei Fehlen eines Ehegatten (Nr 1) den Kindern
zu, wenn diese mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben (1. Alternative) oder
von ihm wesentlich unterhalten worden sind (2. Alternative). Die hier ausschließlich in Betracht zu ziehende 1. Alternative
trifft allein auf den Kläger zu 3. zu, denn er hat seine Mutter im gemeinsamen Haushalt bis zu deren Tod gepflegt. Es fehlt
jedoch am Tatbestandsmerkmal der "laufenden" Geldleistung. Mit diesem Begriff werden diejenigen Geldleistungen erfasst, auf
die der Berechtigte einen dem Grunde nach wiederkehrenden Anspruch hat, wobei nicht entscheidend ist, ob im konkreten Fall
nur eine einzige Zahlung vorgenommen wird. Das trifft auf einen Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs
3 SGB V nicht zu. Ein solcher Aufwendungsersatz mag sich zwar aus mehreren Einzelansprüchen zusammensetzen, die aus der wiederholten
Nichterfüllung eines Sachleistungsanspruchs resultieren. Gleichwohl handelt es sich nicht um eine "laufende" Geldleistung,
weil dieser Anspruch nicht von vornherein auf eine wiederkehrende Zahlung gerichtet ist. Der Anspruch auf Kostenerstattung
hat somit lediglich eine einmalige Geldleistung zum Gegenstand (BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - B 9 V 7/03 R - BSGE 92, 42 RdNr 7 = SozR 4-3100 § 35 Nr 3 RdNr 13), auch wenn er sich aus diversen Beträgen wegen mehrmaliger Nichterfüllung des Sachleistungsanspruchs
zusammensetzt, die im Wege einer Klagehäufung (§
56 SGG) geltend gemacht werden.
Nach §
2 Abs
2 Satz 1
SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen der Krankenversicherung als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das die
Rehabilitation und die Teilhabe behinderter Menschen regelnde Neunte Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IX) nichts Abweichendes vorsehen. Die Krankenkasse darf an Stelle der Sach- oder Dienstleistung Kosten nur erstatten, soweit
es das
SGB V oder das
SGB IX vorsieht (§
13 Abs
1 SGB V). Anspruchsgrundlage ist hier §
37 Abs
2 SGB V iVm §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V. Diese Vorschrift bestimmt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen (1. Alternative)
oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt (2. Alternative) und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung
Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Im vorliegenden Fall geht es um Kostenerstattungsansprüche nach der 1. Alternative, soweit es um die Inanspruchnahme von Leistungen
des Pflegedienstes durch die Versicherte vor dem Zugang des ersten Ablehnungsbescheides vom 21. Februar 2002 bezüglich der
vertragsärztlichen Erstverordnung vom 18. Februar 2002 (Zeitraum 18. bis 22. Februar 2002) sowie des zweiten Ablehnungsbescheides
vom 8. April 2002 bezüglich der vertragsärztlichen Folgeverordnung vom 28. März 2002 (Zeitraum 1. bis 9. April 2002) geht.
Hinsichtlich der Zeiten nach dem Zugang dieser Ablehnungsbescheide (23. Februar bis 5. März 2002 sowie 10. April bis 30. Juni
2002) handelt es sich um Kostenerstattungsansprüche nach der 2. Alternative.
Diese Kostenerstattungsansprüche waren uneingeschränkt begründet. Der Versicherten stand in allen hier streitigen Zeiträumen
ein Sachleistungsanspruch gegen die Beklagte auf Durchführung von täglich zwei subkutanen Insulininjektionen, die morgens
und abends in ihrer Wohnung zu verabreichen waren, als häusliche Krankenpflege nach §
37 Abs
2 SGB V (Behandlungssicherungspflege) zu. Bei den vertragsärztlich verordneten Injektionen handelte es sich um medizinisch notwendige
Maßnahmen der Behandlungspflege, weil sie krankheitsspezifisch zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung der Diabeteserkrankung
eingesetzt wurden (BSGE 86, 101 = SozR 3-2500 § 37 Nr 2). Die Versicherte war auf die regelmäßigen Insulininjektionen zur Stabilisierung ihres Gesundheitszustandes
angewiesen. Mit den Injektionen musste unmittelbar nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus am 18. Februar 2002 abends begonnen
werden, und sie mussten danach kontinuierlich und ohne Unterbrechung fortgesetzt werden. Es handelte sich also um eine "unaufschiebbare
Leistung", die von der Beklagten als Sachleistung zu erbringen gewesen wäre (§
2 Abs
2 Satz 1
SGB V), aber nicht erbracht worden ist, weil die Beklagte vor dem Eingang der Anträge keine Kenntnis von den Verordnungen hatte
und nach deren Eingang die Genehmigung - auch rückwirkend - sofort hätte aussprechen müssen, diese aber wegen fehlerhafter
Beurteilung der Sach- und Rechtslage nicht erteilt hat.
Die Versicherte war zur eigenständigen Verabreichung der Injektionen auf Grund ihrer Demenz nicht in der Lage. Nach den nicht
angegriffenen und für den erkennenden Senat daher bindenden (§
163 SGG) Feststellungen des LSG war auch kein Haushaltsangehöriger der Versicherten zur Durchführung dieser Behandlungspflegemaßnahme
im Stande. Die von der Beklagten im Verwaltungsverfahren sowie erst- und zweitinstanzlich vorgetragenen Argumente für die
Möglichkeit der Behandlungspflege durch die Kläger zu 2. und 3. als Pflegepersonen sind im Revisionsverfahren zu Recht nicht
wiederholt worden. Einziger Haushaltsangehöriger der Versicherten war bis zu ihrem Tod der Kläger zu 3., der aber hierfür
"nicht geeignet" war, weil er mit der Spritztechnik überfordert war. Dies hat das LSG nach Beweisaufnahme festgestellt. Die
Klägerin zu 2. als Betreuerin der Versicherten wohnte zwar am Ort, hatte aber einen eigenen Haushalt und war deshalb keine
Haushaltsangehörige ihrer Mutter, auch wenn sie täglich zur Erledigung von Maßnahmen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen
Versorgung zu ihr ging. Ein Leistungsausschluss nach §
37 Abs
3 SGB V kam daher nicht in Betracht.
Die Beklagte hätte folglich dem Sachleistungsanspruch der Versicherten nach §
37 Abs
2 SGB V, der durch Übersendung der vertragsärztlichen Verordnungen mit den rückseitigen Genehmigungsanträgen am 20. Februar 2002
und 5. April 2002 (Eingangsstempel) geltend gemacht worden war, für die gesamten streitigen Zeiträume stattgeben müssen, weil
alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren. Auf die Frage, ob die Beklagte bei Nichterfüllung einer Anspruchsvoraussetzung
(zB wegen eines Anspruchsausschlusses nach §
37 Abs
3 SGB V) jedenfalls für die Zeit bis zum Zugang der Ablehnungsentscheidungen aus Vertrauensschutzgründen nach Nr 23 (ab 2. März 2005
Nr 24 - BAnz Nr 41) der Richtlinien des (damaligen) Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von
häuslicher Krankenpflege (HKP-Richtlinien) vom 16. Februar 2000 (BAnz Nr 91) die Leistung hätte bewilligen müssen, was hier
die Zeiten vom 18. bis zum 22. Februar 2002 sowie vom 1. bis zum 9. April 2002 betraf, kam es somit nicht an.
Die Versicherte hat sich die verordneten Insulininjektionen als "unaufschiebbare Leistung" (§
13 Abs
3 Satz 1, 1. Alternative
SGB V) in den vorgenannten Zeiten auf eigene Kosten selbst beschafft, indem sie den Pflegevertrag vom 18./19. Februar 2002 mit
dem Pflegedienst abgeschlossen und die geleisteten Einsätze im Dezember 2002 bezahlt hat. Die Kosten in Höhe von 5,73 EUR
pro Einsatz entsprachen den Vergütungssätzen, die zwischen dem Pflegedienst und der Beklagten für gleichartige Sachleistungen
vereinbart waren. Diese Kosten sind nach §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V "in der entstandenen Höhe" zu erstatten. Es kommt dabei nur darauf an, ob der Versicherte bei Vertragsabschluss die entstehenden
Kosten nach den zu jenem Zeitpunkt für ihn erkennbaren Umständen als angemessen und mit dem auch von ihm zu beachtenden Wirtschaftlichkeitsgebot
(§
12 Abs
1 SGB V) vereinbar ansehen durfte. Unerheblich ist hingegen, ob der abgeschlossene Selbstbeschaffungs-Vertrag zivilrechtlich wirksam
oder unwirksam war. Die Regelung des §
13 Abs
3 SGB V sieht eine Kostenerstattung "in der entstandenen Höhe" für die Selbstbeschaffung einer Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV) stets dann vor, wenn die Leistung notwendig war. Die Frage, ob der Kostenaufwand auf der Erfüllung einer vertraglichen
Vergütungspflicht des Versicherten beruht, auf einer sonstigen zivilrechtlichen Zahlungspflicht basiert oder gar rechtsgrundlos
entstanden ist, spielt dagegen für die Kostenerstattung nach §
13 Abs
3 SGB V grundsätzlich keine Rolle. Daher kam es insoweit nicht darauf an, ob der Pflegevertrag wegen eines Verstoßes gegen ein gesetzliches
Verbot nach §
32 SGB I nichtig war, wie die Beklagte meint.
Selbst wenn man aber die Kostenerstattung über den Wortlaut des §
13 Abs
3 SGB V hieraus von einer vertraglichen Vergütungspflicht der Versicherten gegenüber dem Leistungserbringer abhängig machen wollte,
wäre hier eine Kostenerstattungspflicht der Beklagten anzunehmen. Der Pflegevertrag war nach seinem gesamten Inhalt darauf
gerichtet, dass die vertragsärztlich verordneten Behandlungspflegemaßnahmen (§
37 SGB V) auf Kosten der Beklagten erbracht werden sollten, die insoweit den Sachleistungsanspruch der Versicherten zu erfüllen hatte.
Die Rubrik "Selbstzahler" war konsequenterweise auch nicht angekreuzt worden. Die Kosten der Behandlungspflege sollten nach
einem ausdrücklichen Vermerk im Vertrag nur dann der Versicherten in Rechnung gestellt und von ihr getragen werden, wenn die
Krankenkasse die Kostenübernahme ablehnt oder zu einem späteren Zeitpunkt genehmigt. Die Sekundärhaftung der Versicherten
war also aufschiebend bedingt (§
158 Abs
1 BGB) durch eine vorherige negative Verwaltungsentscheidung der Krankenkasse, indem sie den Leistungsantrag wegen Nichterfüllung
einer der Anspruchsvoraussetzungen des §
37 Abs
2 SGB V entweder in vollem Umfang ablehnte oder ihm nur teilweise, nämlich nicht schon zum beantragten Leistungsbeginn, sondern erst
ab einem späteren Zeitpunkt, stattgab. Nur für den Fall, dass ein Sachleistungsantrag wegen Nichterfüllung einer Anspruchsvoraussetzung
abgelehnt und darüber ein Ablehnungsbescheid bzw Teilablehnungsbescheid erteilt worden ist, sollte die Sekundärhaftung der
Versicherten eingreifen. Eine solche Vertragsklausel dient dem berechtigten Interesse eines nichtärztlichen Leistungserbringers,
die Frage vorab zu klären, wer im Falle der Ablehnung einer beantragten Sachleistung durch die Krankenkasse für die Vergütung
einer erbrachten Leistung einzustehen hat. Diese Vertragsklausel kann daher nicht als Verstoß gegen das gesetzliche "Verbot
nachteiliger Vereinbarungen" nach §
32 SGB I angesehen werden, wonach privatrechtliche Vereinbarungen, die zum Nachteil des Sozialleistungsberechtigten von Vorschriften
des SGB abweichen, nichtig sind. Das Risiko der Erfüllung aller sachlichen und persönlichen Voraussetzungen eines Sozialleistungsanspruchs
trägt grundsätzlich der Versicherte als Anspruchsteller. Es ist ein berechtigtes Anliegen eines Leistungserbringers, sich
durch die Vereinbarung einer Sekundärhaftung des Versicherten für den Fall der Ablehnung des vorrangigen, zur Kostenpflicht
der Krankenkasse führenden Sachleistungsanspruchs vergütungsrechtlich abzusichern, soweit die Genehmigung einer beantragten
Sachleistung durch die Krankenkasse noch aussteht. Der Schutzzweck des §
32 SGB I wäre erst berührt, wenn ein Leistungserbringer bei einem Sachleistungsverhältnis auch dann vertraglich auf den Versicherten
zurückgreifen wollte, wenn die Krankenkasse die Vergütung einer von ihr schon genehmigten Leistung aus Gründen verweigert,
die in die Risikosphäre des Leistungserbringers fallen und von ihm zu vertreten sind (zB Leistung auf Grund einer nicht mehr
gültigen Verordnung). Davon kann hier jedoch keine Rede sein. Die Versicherte hat demgemäß die ihr in Rechnung gestellten,
ordnungsgemäß erbrachten notwendigen Leistungen des Pflegedienstes am 5. Dezember 2002 zu Recht bezahlt.
Soweit es um die Zeiten nach Zugang der Ablehnungsbescheide vom 21. Februar 2002 und 8. April 2002 geht, ergibt sich der Kostenerstattungsanspruch
aus der 2. Alternative des §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V. Die Beklagte hat die begehrte Sachleistung zu Unrecht abgelehnt. Der Versicherten sind auch "dadurch" für die selbst beschafften
Behandlungspflegemaßnahmen Kosten entstanden. Bei laufenden oder sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Leistungen
hat die Rechtsprechung die ablehnende Entscheidung der Krankenkasse immer schon als Zäsur angesehen und die Kostenerstattung
nach der 2. Alternative des §
13 Abs
3 SGB V nur für diejenigen Leistungen ausgeschlossen, die bis zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung auf eigene Rechnung beschafft
wurden. Für spätere Leistungen wird der erforderliche Kausalzusammenhang dagegen bejaht, soweit die Entscheidung der Krankenkasse
noch geeignet war, das weitere Leistungsgeschehen zu beeinflussen (BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 22 und BSGE 79, 125, 128 = SozR 3-2500 § 13 Nr 11). War mit dem Beginn der Behandlung der weitere Verlauf bereits endgültig festgelegt, fehlt
dagegen der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen der Ablehnungsentscheidung der Krankenkasse und der Kostenbelastung
des Versicherten auch für den Teil der Behandlung, der zeitlich nach dem ablehnenden Bescheid liegt (BSG SozR 3-2500 § 28
Nr 6 für eine umfangreiche zahnärztliche Behandlung mit Implantaten und einer daran befestigten Unterkieferprothese). Im vorliegenden
Fall fehlt es entgegen der Ansicht der Beklagten nicht am ursächlichen Zusammenhang zwischen den Ablehnungsentscheidungen
der Beklagten und dem für die Leistungsbeschaffung entstandenen Kostenaufwand, obgleich der Pflegevertrag schon vom 18./19.
Februar 2002 datiert, also vor den Ablehnungsentscheidungen abgeschlossen worden ist. Die Vergütungsansprüche für die ab 23.
Februar 2002 bzw ab 10. April 2002 erbrachten Pflegemaßnahmen sind (ebenso wie auch die ab 18. Februar 2002 bzw 1. April 2002
erbrachten Leistungen) nicht bereits mit Abschluss des Pflegevertrages entstanden und fällig geworden, sondern erst mit der
tatsächlichen Leistungserbringung (§
614 BGB). Tag für Tag sind so zwei neue Vergütungsansprüche (in Höhe von jeweils 5,73 EUR pro Einsatz) entstanden, die sich schließlich
im gesamten hier streitigen Zeitraum auf 933,99 EUR summiert hatten, wovon bezüglich des Kostenerstattungsanspruchs noch 446,94
EUR offen sind. Die Versicherte war nach dem Vertrag nicht verpflichtet, monatlich 60 Einsätze in Anspruch zu nehmen, sondern
konnte jederzeit "nicht notwendig werdende Einsätze absagen", und zwar ohne Beschränkung auf bestimmte Absagegründe. Die Leistungen
waren auch immer gleicher Art und jeweils in sich abgeschlossen, beruhten also nicht aufeinander und stellten kein einheitliches
Ganzes dar. Die Leistungserbringung erfolgte gleichermaßen "auf Abruf", wobei hier der einzuhaltende Rhythmus durch die ärztliche
Verordnung vorgegeben war und nur die Abweichungen vom Rhythmus anzuzeigen waren, indem die Versicherte oder ihre Betreuerin
bevorstehende Einsätze - aus welchen Gründen auch immer - rechtzeitig absagten. Der ursächliche Zusammenhang zwischen Leistungsablehnung
und Kostenaufwand ist damit gewahrt. Eines vom LSG zur Herstellung der Kausalität für notwendig erachteten - und bejahten
- stillschweigenden Wechsels der Rechtsgrundlage im Verhältnis der Versicherten zum Pflegedienst bedurfte es nicht, und für
ihn gab es auch keine Anhaltspunkte.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
197a SGG. Im Gegensatz zu den Vorinstanzen war §
193 SGG im Revisionsverfahren nicht mehr anwendbar, weil der Beteiligtenwechsel auf Klägerseite noch vor dem Beginn des Rechtszuges
stattgefunden hat und die Kläger den Kostenerstattungsanspruch nicht in der Eigenschaft als Versicherte oder als Sonderrechtsnachfolger
einer Versicherten (§
56 SGB I), sondern als deren Erben geltend gemacht haben und damit - anders als noch im Berufungsverfahren (§
183 Satz 2
SGG) - im Revisionsverfahren nicht mehr unter die Kostenprivilegierung nach §
183 SGG fallen. Vielmehr werden die Kläger und die Beklagte vom persönlichen Anwendungsbereich des §
197a SGG erfasst.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 Gerichtskostengesetz.