Gründe:
I
Der Kläger begehrt von der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) die Zahlung von 51 405,80 Euro zur Insolvenzmasse.
Über das Vermögen des mittlerweile verstorbenen Insolvenzschuldners Dr. R., der als Facharzt für Orthopädie zur vertragsärztlichen
Versorgung zugelassen war, wurde auf Antrag vom 7.3.2005 mit Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 1.5.2005 das Insolvenzverfahren
eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Beklagte hatte aufgrund einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung
der Leistung Nr 439 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen gegen Dr. R. nach bestandskräftigem Bescheid
vom 25.6.2003 Rückforderungsansprüche in Höhe von 53 657,78 Euro. Auf ein Schreiben von Dr. R. vom 26.8.2003, in dem er eine
Rückzahlung der Summe in Raten von 3000 Euro pro Quartal vorschlug, erklärte sich die Beklagte mit Schreiben vom 23.2.2005
mit einer ratenweisen Tilgung der Rückforderung einverstanden und kündigte eine Verrechnung in 37 Raten an. Bereits von der
Restzahlung für das Quartal III/2004 hatte die Beklagte 851,98 Euro einbehalten. Beginnend mit der 2. Abschlagszahlung für
das Quartal I/2005 am 15.3.2005 (2. Abschlagszahlung 15.4.2005, Honorarbescheid für I/2005 am 6.7.2005) behielt die Beklagte
von den Honoraransprüchen des Insolvenzschuldners Beträge zwischen 1200 und 7700 Euro ein, bis die Rückforderungssumme getilgt
war. Am 14.3.2005 teilte der Kläger der Beklagten die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung über das Vermögen von
Dr. R. durch Beschluss vom 10.3.2005 mit. In einem Telefonat am 14.4.2005 kündigte der Kläger die voraussichtliche Insolvenzeröffnung
am 1.5.2005 an. Mit Schreiben vom 30.6.2006 forderte der Kläger die Beklagte auf, die Verrechnung des Rückforderungsanspruchs
mit den Zahlungsansprüchen des Insolvenzschuldners für die Zukunft zu unterlassen. In weiteren Schreiben vom 11.7.2006, 22.8.2006
und 24.8.2006 verlangte er von der Beklagten, die bislang durch Verrechnungen einbehaltenen Beträge in Höhe von 30 100 Euro
bis zum 4.9.2006 auf das Insolvenzanderkonto des Klägers auszukehren. Dem ist die Beklagte nicht nachgekommen.
Mit Schriftsatz vom 6.11.2006 hat der Kläger Klage beim SG München erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, an
ihn die bis dahin einbehaltene Summe von 30 100 Euro nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.5.2005
zu zahlen und die Unzulässigkeit der Verrechnung der Rückforderungsansprüche mit Zahlungsansprüchen des Insolvenzschuldners
festzustellen. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 9.10.2007 abgewiesen.
Das LSG hat mit Urteil vom 25.11.2009 die Berufung zurückgewiesen. Die Forderung des Klägers sei durch die von der Beklagten
durchgeführten Verrechnungen im Zeitraum vom Quartal III/2004 bis zum Quartal l/2007 getilgt worden. Die Berechtigung zur
Verrechnung ergebe sich aus § 5 Abs 9 der ab dem 1.4.2005 geltenden Abrechnungsbestimmungen der Beklagten bzw für den Zeitraum
vor dem 1.4.2005 aus dem wortgleichen § 7 Abs 8 ihres Honorarverteilungsmaßstabes. Die Beklagte könne danach bei Überzahlungen,
Rückforderungen und Schadensersatzforderungen den festgestellten Betrag sofort mit Ansprüchen des Vertragsarztes verrechnen
oder zum unverzüglichen Ausgleich zurückverlangen. Die Verrechnung meine die Einstellung der vorgenannten festgestellten Forderungen
in das Abrechnungskonto des Arztes als unselbstständige Abrechnungsposten und deren Verrechnung mit Zahlungen an den Vertragsarzt.
Dies ergebe sich zum einen aus dem Wortlaut der genannten Vorschriften, zum anderen entspreche dieses Vorgehen der jahrzehntelangen
Praxis der Beklagten.
Die Rechtmäßigkeit der Verrechnung des geltend gemachten Betrages ergebe sich jedenfalls aus dem Verfahrensablauf im konkreten
Fall. Die Forderung der Beklagte gegen Dr. R. sei schon seit dem Jahr 2003 bestandskräftig festgestellt; die Voraussetzungen
für eine Aufrechnung nach §§
387 ff
BGB hätten lange vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgelegen. Die Beklagte habe die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens
bestehende Aufrechnungslage auch nicht durch eine anfechtbare Handlung nach §
130 Insolvenzordnung (
InsO) erlangt. Der Beklagten komme nämlich bereits in dem Moment eine insolvenzrechtlich schützenswerte Aufrechnungslage zu, in
dem der Vertragsarzt seine Leistungen erbracht und die Abrechnung eingereicht habe und nicht erst mit Wirksamwerden des entsprechenden
Honorarbescheides. Anstelle der sofortigen Aufrechnung habe die Beklagte mit Dr. R. eine Verrechnung im Sinne einer Anrechnung
mit den Abschlags- und Restzahlungen vereinbart.
Dagegen richtet sich die Revision des Klägers. Er trägt zur Begründung vor, das Schreiben der Beklagten vom 23.2.2005 enthalte
vom objektiven Empfängerhorizont aus betrachtet eine Aufrechnungserklärung. Im allgemeinen Sprachgebrauch würden die Begriffe
"Aufrechnung" und "Verrechnung" identisch verwendet. Mit den Honoraransprüchen des Insolvenzschuldners und den Rückforderungsansprüchen
der Beklagten hätten sich zwei selbstständige Forderungen gegenübergestanden, es seien nicht etwa von einem Anspruch unselbstständige
Rechnungsposten in Abzug gebracht worden. Honoraransprüche, die erst nach Zugang des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
durch die Erbringung und Abrechnung vergütungspflichtiger Leistungen gegen die KÄV entstünden, unterlägen insolvenzrechtlich
der Anfechtbarkeit. Außer den Vergütungsansprüchen für das Quartal III/2004 in Höhe von 851,98 Euro seien alle den Verrechnungen
zugrunde liegenden Vergütungsansprüche innerhalb der letzten drei Monate vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
bzw nach diesem Antrag entstanden und damit gemäß §
130 Abs
1 Satz 1 Nr
1 und
2 InsO anfechtbar. Daraus folge, dass die von der Beklagten ab dem Quartal IV/2004 vorgenommenen Verrechnungen in Höhe von insgesamt
52 805,80 Euro gemäß §
96 Abs
1 Nr
1 und
3 InsO unzulässig und die Beträge zur Insolvenzmasse herauszugeben seien.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. November 2009 sowie des Sozialgerichts München vom 9. Oktober 2007
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 51 405,80 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf vom Hundert über dem jeweiligen
Basiszinssatz seit dem 1. Mai 2005 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, es sei durch das Einstellen der Regressforderung in das Abrechnungskonto eine einer Kontokorrentabrede nach
§ 355 Handelsgesetzbuch gleichstehende Rechtslage geschaffen worden. Eine solche Abrede, die die Selbstständigkeit der einzelnen Forderungen aufhebe,
könne auch stillschweigend und zB durch ständige Übung getroffen werden. Sie - die Beklagte - habe diese Einstellung ihrer
Forderung in das Abrechnungssystem durch Honorarbescheid für das Quartal III/2004 mitgeteilt. Der Honoraranspruch entstehe
von vornherein nur in der Höhe, die er nach der Verrechnung aufweise. Selbst wenn man davon ausgehe, dass eine dem Regime
der §§
94 ff
InsO unterliegende Aufrechnung vorliege, sei die Aufrechnungslage nicht in anfechtbarer Weise erlangt worden. Weder der Erlass
des Honorarbescheides noch die Erbringung ärztlicher Leistungen noch die Einreichung der Abrechnungsunterlagen stellten anfechtbare
Handlungen dar. Darüber hinaus sei nach §
95 InsO eine Aufrechnungslage geschützt, wenn die Forderung, gegen die aufgerechnet werden solle, bereits im Kern angelegt gewesen
sei. Dies sei hier der Fall, weil der Vertragsarzt einen Anspruch auf Teilhabe an der Honorarverteilung habe. Schließlich
sprächen Gesichtspunkte der Honorarverteilungsgerechtigkeit und der Systemerhaltung für das vom LSG gefundene Ergebnis.
II
Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet, soweit die Beklagte gegen Honorarforderungen für die Quartale I/2005
bis I/2007 aufgerechnet hat. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen bestehen für diese streitbefangenen Quartale noch Honoraransprüche
des Insolvenzschuldners, denn sie sind durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung mit ihr gegen den Insolvenzschuldner
zustehenden Forderungen nicht erloschen. Soweit die Aufrechnung gegen Honorarforderungen für das Quartal IV/2004 erklärt worden
ist, ist die Revision hingegen zurückzuweisen.
1. Der Kläger ist als Insolvenzverwalter berechtigt, die Honoraransprüche des Insolvenzschuldners aus vertragsärztlicher Tätigkeit
geltend zu machen. Nach §
80 Abs
1 InsO geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, durch die
Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter über. Zur Insolvenzmasse rechnet das gesamte Vermögen, das dem
Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (§
35 Abs
1 InsO), mithin auch Forderungen auf Zahlung vertragsärztlichen Honorars.
2. Der Zahlungsanspruch des Klägers ist für die Quartale II/2005 bis I/2007 nicht erloschen. Die Aufrechnungen der Beklagten
sind gemäß §
96 Abs
1 Nr
1 InsO unzulässig und damit unwirksam.
a) Die Beklagte hat in den jeweiligen Honorarbescheiden ihre Rückforderung aus dem bestandskräftigen Berichtigungsbescheid
vom 25.6.2003 in Teilbeträgen von unterschiedlicher Höhe gegen die Honorarforderungen des Schuldners für diese Quartale aufgerechnet.
Für die öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisse des Vertragsarztrechts sind die Vorschriften des Allgemeinen Schuldrechts
über die Aufrechnung in §§
387 ff
BGB im Wege der Lückenfüllung entsprechend anwendbar (BSGE 105, 224 = SozR 4-2500 § 85 Nr 52, RdNr 14; BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, RdNr 17; BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 11 S 55 f mwN). Demgegenüber finden die für Aufrechnungen und
Verrechnungen geltenden Vorschriften der §§
51,
52 SGB I nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl BSGE 105, 224 = SozR 4-2500 § 85 Nr 52, RdNr 14; BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, RdNr 16 mwN) auf Honorarzahlungen an Vertragsärzte auf der Grundlage von §
85 Abs
4 Satz 1
SGB V schon deswegen keine Anwendung, weil solche Zahlungen keine Sozialleistungen darstellen, die dem Vertragsarzt zur Verwirklichung
seiner sozialen Rechte zukommen sollen.
Nach §
387 BGB kann, wenn zwei Personen einander Leistungen schulden, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, jeder Teil seine Forderung
gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung
bewirken kann. Diese Voraussetzungen lagen bezüglich der aus sachlich-rechnerischer Richtigstellung resultierenden öffentlich-rechtlichen
Rückforderungen der Beklagten einerseits und der Honorarforderungen des Insolvenzschuldners andererseits vor.
Die Erstattungsforderung der Beklagten sowie die konkretisierten Honorarforderungen des Insolvenzschuldners waren, da jeweils
auf Zahlung eines Geldbetrages gerichtet, gleichartig im Sinne des §
387 BGB. Zudem war die Erstattungsforderung zum Zeitpunkt der Aufrechnungen auch fällig. Die Honorarforderungen des Insolvenzschuldners
waren jedenfalls mit ihrer Konkretisierung nach Abschluss und Abrechnung des jeweiligen Quartals erfüllbar. Während die Gegenforderung
vollwirksam und fällig sein muss (Grüneberg in Palandt,
BGB-Kommentar, 70. Aufl 2011, §
387 RdNr 11 mwN), muss die Hauptforderung lediglich erfüllbar, nicht aber vollwirksam und fällig sein (Grüneberg, aaO, RdNr 12).
Entgegen der Auffassung der Beklagten wurde die Erstattungsforderung nicht lediglich als Rechnungsposten in ein Kontokorrentkonto
eingestellt. Der Anspruch der KÄV auf Erstattung von überzahltem Honorar als Folge einer Abrechnungsberichtigung stellt eine
eigenständige Forderung dar. Zwar wird bei einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung für ein noch nicht abgerechnetes Quartal
das Honorar von vornherein gemindert, weil ein Anspruch auf die Vergütung zu Unrecht abgerechneter Leistungen nicht besteht.
Ist aber bereits ein Honorarbescheid ergangen und wird dieser aufgrund einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung korrigiert,
entsteht eine eigenständige Erstattungsforderung. Dementsprechend reicht bei einer quartalsversetzten Richtigstellung, wie
sie hier erfolgt ist, die Anfechtung der Berichtigung, während bei der quartalsgleichen Berichtigung gerichtlicher Rechtsschutz
im Wege einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen den Honorarbescheid gesucht werden muss (vgl Wenner, Vertragsarztrecht
nach der Gesundheitsreform, 2008, § 23 RdNr 17, 18).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 5 Abs 9 der ab dem 1.4.2005 geltenden "Abrechnungsbestimmungen der KVB", auf die
die Beklagte sich beruft. Danach kann die KÄV bei Überzahlungen, Rückforderungen und Schadensersatzforderungen den festgestellten
Betrag sofort mit Ansprüchen des Vertragsarztes verrechnen oder zum unverzüglichen Ausgleich zurückverlangen. Der Kläger weist
zu Recht darauf hin, dass bereits der Wortlaut der Bestimmung die von der Beklagten daraus abgeleiteten rechtlichen Folgerungen
nicht stützt. Der Begriff der "Verrechnung" im Zusammenhang mit "Rückforderungen" legt vielmehr nahe, dass rechtstechnisch
eine Aufrechnung gemeint ist. Der Annahme eines unselbstständigen Rechnungspostens steht aber vor allem entgegen, dass Honorarforderungen,
wie dies auch in § 2 der Abrechnungsbestimmungen der Beklagten ausdrücklich vorgeschrieben ist, quartalsweise gesondert geltend
zu machen und abzurechnen sind (vgl dazu BSGE 105, 224 = SozR 4-2500 § 85 Nr 52, RdNr 37). Anders als etwa bei einem Vorteilsausgleich, bei dem ersparte Aufwendungen auf einen
Anspruch angerechnet werden, besteht kein Zusammenhang zwischen der Erstattungsforderung der KÄV als Folge von Abrechnungskorrekturen
zurückliegender Quartale und den später entstandenen Honorarforderungen. Die vom LSG zitierte Entscheidung des BGH zur Aufrechnung
im Insolvenzverfahren betraf die Bezahlung von Gesellschafter-Rechnungen im Rahmen der Kontenangleichung und damit eine nicht
vergleichbare Konstellation (BGHZ 170, 206).
b) Die Aufrechnungen mit Honorarforderungen für die Quartale II/2005 bis I/2007 sind, weil sie nach dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung
am 1.5.2005 erfolgt sind, nach §
96 Abs
1 Nr
1 InsO unwirksam. Danach ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist, die Aufrechnungslage mithin nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden
ist. Das war hier der Fall. Die Honorarforderungen für das Quartal II/2005 und die Folgequartale konnte die beklagte KÄV erst
nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllen.
Der Senat hat im Hinblick auf die Anwendung der Anfechtungsvorschriften der
InsO entschieden, dass mit dem Abschluss eines Quartals, in dem der Vertragsarzt vertragsärztliche Leistungen erbracht hat, und
der Vorlage der entsprechenden Abrechnung bereits ein "genereller" Anspruch des Arztes auf Teilhabe an der Honorarverteilung
und insofern schon dem Grunde nach ein Vergütungsanspruch des Arztes entsteht. Höhe und Fälligkeit dieses Anspruchs hängen
aber von Inhalt und Zeitpunkt des Erlasses des Honorarbescheides ab; dessen Erlass steht insoweit dem Eintritt einer Bedingung
iS des §
140 Abs
3 InsO gleich (BSGE 105, 224 = SozR 4-2500 §
85 Nr
52, RdNr 38).
c) Aus diesem Grund ist die Aufrechnung auch nicht nach §
95 Abs
1 Satz 1
InsO zulässig. Danach kann, wenn zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die aufzurechnenden Forderungen oder eine von
ihnen noch aufschiebend bedingt oder nicht fällig oder die Forderungen noch nicht auf gleichartige Leistungen gerichtet sind,
die Aufrechnung erst erfolgen, wenn ihre Voraussetzungen eingetreten sind. Damit wird auch eine "Aufrechnungsanwartschaft",
dh das schutzwürdige Vertrauen auf den Eintritt einer Aufrechnungslage geschützt (Hofmann in Graf-Schlicker,
InsO, 2. Aufl 2010, §
95 RdNr 1). Der Insolvenzgläubiger soll darauf vertrauen dürfen, dass er sich dann, wenn seine Forderung bereits bei Eröffnung
des Insolvenzverfahrens besteht, nach Fälligkeit bzw Eintritt der Bedingung durch Aufrechnung befriedigen kann (Kroth in Braun,
InsO, 4. Aufl 2010, §
95 RdNr 1). Das setzt aber voraus, dass die Forderungen bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens jedenfalls im rechtlichen
Kern begründet waren (vgl Kroth, aaO, RdNr 2 mwN). Die Honoraransprüche von Dr. R. für die Quartale ab II/2005 waren jedoch
nach der Rechtsprechung des Senats auch dem Grunde nach am 1.5.2005 noch nicht entstanden.
d) Auch § 114 Abs 2
InsO ist nicht einschlägig. Danach kann der Verpflichtete gegen die Forderung auf Bezüge für den Zeitraum von zwei Jahren nach
dem Ende des zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens laufenden Kalendermonats eine Forderung aufrechnen, die ihm gegen den Schuldner
zusteht. Zwar ist der Begriff der Bezüge aus einem Dienstverhältnis weit zu fassen (Pöhlmann in Graf-Schlicker, aaO, § 114
RdNr 7 mit zahlreichen Beispielen). Nach der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 167, 363 RdNr 13 ff), der sich der Senat anschließt, stellen aber Honoraransprüche eines Vertragsarztes gegen die für ihn zuständige
KÄV keine Forderungen auf "Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge" iS des § 114 Abs 1
InsO dar. Soweit die Beklagte sich darauf beruft, dass diese Entscheidung sich ausdrücklich nur zu § 114 Abs 1
InsO verhält, verkennt sie, dass die Qualifizierung von Leistungen als "Bezüge" in allen Regelungen des § 114
InsO im selben Sinn zu verstehen ist. Die Vorschrift erfasst nach der Rechtsprechung des BGH nur Vergütungsansprüche, die ausschließlich
als Ertrag der Arbeitskraft anzusehen sind. Der Honoraranspruch des Vertragsarztes resultiert aber nicht allein aus der Verwertung
seiner Arbeitskraft, sondern aus dem Betrieb der Praxis (BGHZ, aaO, RdNr 16). Der BGH hat in diesem Zusammenhang ausgeführt,
dass bei einer Anwendung des § 114 Abs 1
InsO auf die Honoraransprüche eines Kassenarztes gegen die KÄV der Verwalter bei seiner Entscheidung über die Fortsetzung von
Verträgen die Abtretung dieser Ansprüche für einen Zeitraum von zwei Jahren ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu berücksichtigen
hätte. Um Masseminderungen zu vermeiden, müsste er sämtliche Verträge beenden, was notwendig zur Einstellung des Praxisbetriebes
führe, womit auch dem Abtretungsgläubiger nicht gedient sei.
Ähnliche Erwägungen stehen auch der Auffassung der Beklagten entgegen, aus Gründen der Sicherung der Stabilität des vertragsärztlichen
Vergütungssystems müsse ihr die privilegierte Durchsetzung von Rückforderungsansprüchen auch in der Insolvenz eines Vertragsarztes
möglich sein. Wenn die Honoraransprüche, die ein Vertragsarzt nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erarbeitet, nicht dem
Insolvenzverwalter für die Fortführung der Praxis zur Verfügung stehen, könnte je nach Höhe der Aufrechnung durch die KÄV
mit Rückforderungsansprüchen aus früheren Quartalen die wirtschaftliche Basis für eine Weiterführung der Praxis fehlen. Dabei
verkennt der Senat nicht, dass für die KÄV bei der Durchsetzung von Rückforderungsansprüchen gegen ein in wirtschaftliche
Schwierigkeiten geratenes Mitglied ein Dilemma entstehen kann. Lässt sie sich auf eine lang gestreckte Ratenzahlung ein, läuft
sie Gefahr, bei Eintritt der Insolvenz mit ihrer Forderung teilweise auszufallen. Verweigert sie eine ratenweise Tilgung,
könnte sie sich dem Vorwurf ausgesetzt sehen, ihr Mitglied in eine vielleicht noch vermeidbare Insolvenz zu treiben. Nachdem
aber mit der Entscheidung des Senats in diesem Verfahren feststeht, dass sich die KÄV durch sog Verrechnungen keine privilegierte
Zugriffsmöglichkeit auf Honoraransprüche im Insolvenzverfahren verschaffen kann, steht die KÄV insoweit ungeachtet ihres mitgliedschaftlichen
Verhältnisses zum Vertragsarzt nicht anders da als andere Gläubiger. Die Risiken ihrer Entscheidung, Dr. R. trotz der seit
2003 bekannten Überschuldung ab Februar 2005 eine ratenweise Tilgung zu gewähren, hätten sich im Übrigen auch dann realisiert,
wenn der Kläger die Praxis nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossen und nicht fortgeführt hätte.
3. Die Aufrechnung gegen den Honoraranspruch des Gemeinschuldners für das Quartal I/2005 in Höhe von 4200 Euro ist ebenfalls
unwirksam. Der Wirksamkeit der Aufrechnung steht §
96 Abs
1 Nr
3 InsO entgegen, wonach die Aufrechnung unzulässig ist, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare
Rechtshandlung erlangt hat. Eine solche Konstellation ist hier gegeben.
Nach §
130 Abs
1 Satz 1
InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht
hat, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, der
Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war und der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte (Nr 1)
oder wenn sie nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit
oder den Eröffnungsantrag kannte (Nr 2).
Als Rechtshandlung wird grundsätzlich jede bewusste Willensbetätigung verstanden, die eine rechtliche Wirkung auslöst und
das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann (BGHZ 170, 196 RdNr 10; BFHE 208, 296, 299). Der Senat hat im Hinblick auf die Verpflichtung der KÄV zur Erteilung eines Honorarbescheides Zweifel geäußert, ob
im Erlass eines Honorarbescheides eine anfechtbare Rechtshandlung gesehen werden kann (BSGE 105, 224 = SozR 4-2500 § 85 Nr 52, RdNr 23 f), weil das Anfechtungsrecht in erster Linie auf die Konstellation zugeschnitten ist,
dass sich der Gläubiger in der "kritischen" Zeit vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Forderung gegen
den Schuldner beschafft, mit der oder gegen die er aufrechnen kann.
Dem Erlass eines Honorarbescheides kommt nach der Entscheidung des Senats vom 3.2.2010 insolvenzrechtlich letztlich aber auch
keine entscheidende Bedeutung zu. Der Senat hat vielmehr bereits unter der Prämisse, dass der Honorarbescheid als anfechtbare
Rechtshandlung anzusehen ist, entschieden, dass es für die Anfechtbarkeit des "Erwerbs" der Aufrechnungslage gemäß §
140 Abs
1 und
3 InsO darauf ankommt, wann die Forderung entstand und damit das Gegenseitigkeitsverhältnis begründet wurde (BSGE 105, 224 = SozR 4-2500 § 85 Nr 52, RdNr 30 f). Die Rechtshandlung, die die Aufrechnungslage begründete und der Beklagten hier eine
Befriedigung ermöglichte, war die Vorlage der Abrechnung durch Dr. R. am 6.4.2005. Damit entstand sein Anspruch auf Honorar
dem Grunde nach. Da die Wirkung dieser Handlung, mit der die Hauptforderung begründet wurde, innerhalb des von §
130 Abs
1 Satz 1 Nr
1 InsO festgelegten Dreimonatszeitraums vor der Verfahrenseröffnung eintrat, hat die Beklagte die Möglichkeit der Aufrechnung insoweit
durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt.
Das entspricht im Ergebnis der neueren Rechtsprechung des BGH und des BFH, wonach Leistungen, die zur Entstehung einer Steuerforderung
führen, eine Rechtshandlung iS des §
96 Abs
1 Nr
3 InsO darstellen (BGH, ZIP 2010, 90; BFHE 231, 488). Dabei ist es ohne Belang, ob die anfechtbare Rechtshandlung die Begründung der Hauptforderung oder der Gegenforderung zur
Folge hat. Der BFH führt aus, dass §
96 Abs
1 Nr
3 InsO nicht voraussetze, dass die Rechtshandlung unmittelbar und unabhängig vom Hinzutreten weiterer Umstände eine Aufrechnungslage
zum Entstehen bringen müsse. §
96 Abs
1 Nr
3 InsO verlange lediglich, dass die Rechtshandlung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sei, dass sie eine Voraussetzung
für die Aufrechnungsmöglichkeit geschaffen habe und dass die Rechtshandlung den Insolvenzgläubiger benachteilige.
Der vom Senat als maßgeblich für die Anfechtbarkeit angesehene Zeitpunkt des Abschlusses des jeweiligen Quartals der Leistungserbringung
und der Vorlage der Abrechnung ist auch maßgeblich für die erforderliche Kenntnis des Gläubigers von der Zahlungsunfähigkeit
(vgl BGH, NJW 2008, 2190, 2191). Zum Abschluss des Quartals I/2005 am 31.3.2005 war der Insolvenzantrag bereits gestellt, und die Beklagte hatte durch
die Mitteilung des Klägers vom 14.3.2005 über die vorläufige Insolvenzverwaltung auch Kenntnis vom Eröffnungsantrag, so dass
die Voraussetzungen des §
130 Abs
1 Satz 1 Nr
2 InsO vorlagen.
4. Die Aufrechnung in Höhe von 1400 Euro gegen die Honorarforderung aus dem Quartal IV/2004 war hingegen wirksam. Der Zeitpunkt
des Quartalsabschlusses und der Abrechnung lag hier mehr als drei Monate vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
und damit außerhalb des in §
130 Abs
1 Satz 1 Nr
1 InsO bestimmten Zeitraums. Überdies war der Beklagten zu diesem Zeitpunkt die Zahlungsunfähigkeit von Dr. R. noch nicht bekannt.
Der Schuldner ist nach §
17 Abs
2 Satz 1
InsO zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Nach §
17 Abs
2 Satz 2
InsO ist Zahlungsunfähigkeit in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen einstellt. Die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit
setzt für sicher gehaltenes Wissen voraus (BGH, aaO). Zwar war der Beklagten durch das Schreiben von Dr. R. vom 26.8.2003
und der anliegenden Vermögensaufstellung bekannt, dass er überschuldet war. Das allein ließ aber noch nicht zwingend auf seine
Zahlungsunfähigkeit schließen, zumal Dr. R. selbst eine Ratenzahlung in Höhe von 3000 Euro pro Quartal vorschlug und dieser
Vorschlag zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt bereits mehr als 1½ Jahre zurücklag. Positive Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit
erhielt die Beklagte erst durch die Mitteilung des Klägers vom 14.3.2005 über die vorläufige Insolvenzverwaltung.
5. Ein Zinsanspruch des Klägers besteht nicht. Eine Verzinsung von Honorarforderungen eines Vertragsarztes kommt nach der
Rechtsprechung des Senats nicht in Betracht (vgl BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 11). Etwas anderes gilt auch nicht für das Insolvenzverfahren.
Der Kläger als Insolvenzverwalter kann insofern keine weitergehenden Ansprüche stellen als der Schuldner selbst.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 3
SGG iVm einer entspre chenden Anwendung der §§
154 ff
VwGO. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits, weil sie unterlegen ist (§
154 Abs
1 VwGO). Der Senat hat von einer Kostenquotelung abgesehen, weil der Kläger nur zu einem geringen Teil unterlegen ist (§
155 Abs
1 Satz 3
VwGO).