Rechtmäßigkeit eines vertragsärztlichen Regresses aufgrund einer Richtgrößenprüfung
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Die Beteiligten streiten um die
Rechtmäßigkeit eines Regresses aufgrund einer Richtgrößenprüfung.
Die Klägerin ist eine hausärztliche
Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) bestehend aus den Eheleuten Dres. Ingrid und
Paul-Hans Suerbaum. Diese verordnete im Jahr 2003 Arzneimittel im Gesamtwert
von brutto 1 213 411,95 Euro. Wegen Überschreitung des Richtgrößenvolumens
leitete der Prüfungsausschuss eine Richtgrößenprüfung ein und setzte einen
Regress in Höhe von 309 703,24 Euro fest. Im anschließenden Vorverfahren
beantragte das Mitglied der BAG Dr. Ingrid Suerbaum die mündliche Anhörung vor
dem beklagten Beschwerdeausschuss. Dieser teilte der Klägerin den Termin der
Sitzung mit und bot Frau Dr. Ingrid Suerbaum die Teilnahme an. Daraufhin
beantragte sie die Verlegung des Termins mit der Begründung, dass sie diesen
aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrnehmen könne. Hierzu bezog sie sich auf
eine Bescheinigung der Psychiaterin Karrasch. Außerdem begründete die Klägerin
ihren Widerspruch schriftlich.
Den Verlegungsantrag lehnte der
Beklagte ab. An der Sitzung des beklagten Beschwerdeausschusses am 6.12.2010
nahm keines der beiden Mitglieder der klagenden BAG, sondern allein deren
damalige Prozessbevollmächtigte teil. Dem Widerspruch gab die Beklagte
teilweise statt und reduzierte den Regress auf 295 278,33 Euro. Im
anschließenden Klageverfahren gab der Beklagte ein Teilanerkenntnis ab und
reduzierte den Regressbetrag um weitere 13 915,98 Euro. Das SG hat der Klage
stattgegeben (Urteil vom 25.1.2017). Die Berufung des
Beklagten war erfolgreich (LSG Urteil vom
12.2.2020).
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde
macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
(Zulassungsgrund nach §
160 Abs
2 Nr
1 SGG)
geltend.
II
1. Die Beschwerde der Klägerin ist
nicht begründet. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
liegt nicht vor.
Die Revisionszulassung wegen
grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in
dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich)
sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist
(vgl BVerfG <Kammer> Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 -
SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14; s auch BSG Beschluss vom 16.11.1995 - 11 BAr
117/95 - SozR 3-1500 § 160a Nr 19 S 34 f; BSG Beschluss vom 14.8.2000 - B 2 U
86/00 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 30 S 57 f mwN). Klärungsfähigkeit ist
nicht gegeben, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage nicht im Revisionsverfahren
zur Entscheidung anstünde oder die Rechtsfrage aufgrund besonderer Gestaltung
des Rechtsstreits einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung nicht zugänglich
ist (vgl zB BSG Beschluss vom 13.2.2019 - B 6 KA 17/18 B - juris RdNr
7).
Die Klägerin hält die folgenden
Fragen für grundsätzlich klärungsbedürftig:
"Teil 1: Sind die Vertragspartner gemäß §
106 Abs.
2 Satz 4
SGB V (Stand: 2003 / 2010) befugt, auf der Rechtsgrundlage des §
106 Abs. 3
Satz 1
SGB V (Stand: 2003 / 2010) in Ausgestaltung des § 24 Abs. 1 SGB X in der
Prüfvereinbarung eine Bestimmung zu vereinbaren, wonach der Beschwerdeausschuss
in nicht-öffentlicher Sitzung verhandelt und nach geheimer Beratung unter
Ausschluss der Beteiligten entscheidet mit der Folge, dass der jeweils geprüfte
bzw. von der Prüfung betroffene Arzt und / oder die jeweils geprüfte
Berufsausübungsgemeinschaft als Beteiligte(r) das Recht haben, an der Sitzung
des Beschwerdeausschusses teilzunehmen und dort mündlich angehört zu
werden?
Teil 2: Sind im Falle einer Berufungsausübungsgemeinschaft
als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die betrieben wird von zwei zur
Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung gemäß §
95 Abs.
1 Satz 1, Abs. 3
SGB V zugelassenen Vertragsärzten, welche die ärztliche Tätigkeit gemäß § 33
Abs. 2, Abs. 3 Ärzte-ZV gemeinsam ausüben, die mit der Stellung als Beteiligte
gemäß § 12 Abs. 1 SGB X verbundenen Rechte in einem Prüfverfahren gemäß § 106
SGB V von den einzelnen Vertragsärzten in Wahrnehmung ihrer bezogen auf die GbR
gemäß §§
709,
714 BGB gemeinsamen Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis
auszuüben (sofern es, wie im Falle der Klägerin, keine entgegenstehende
vertragliche Bestimmung im Vertrag über die gemeinsame Berufsausübung gibt),
oder bestehen abweichend von der zivilrechtlichen Rechtslage eine Besonderheit
oder gar eine Verpflichtung in dem Prüfverfahren gemäß §
106 SGB V dahingehend,
dass ein Vertragsarzt, ohne allein geschäftsführungs- und vertretungsbefugt und
auch nicht bevollmächtigt zu sein, gleichwohl für die
Berufsausübungsgemeinschaft / GbR handeln muss, wenn der andere Vertragsarzt
nachweislich aus einem erheblichen Grund verhindert ist?
Teil 3: Haben der einzelne Vertragsarzt und / oder die
Berufsausübungsgemeinschaft, der er angehört, Anspruch auf Verlegung der
Sitzung des Beschwerdeausschusses, wenn der Arzt nachweislich nicht teilnehmen
kann und dies hinreichend entschuldigt?"
a) Auf die formulierten Rechtsfragen
kommt es für die Entscheidung im Revisionsverfahren nicht an. Die unter "Teil
1" formulierte Frage, ob die genannten Vertragspartner berechtigt wären, in der
Prüfvereinbarung eine Bestimmung zu vereinbaren, nach der der von der Prüfung
betroffene Arzt das Recht hat, an der Sitzung des Beschwerdeausschusses
teilzunehmen und dort mündlich angehört zu werden, ist nicht
entscheidungserheblich. Das LSG ist davon ausgegangen, dass nach § 24 SGB X
grundsätzlich eine schriftliche Anhörung ausreichend sei. Etwas Anderes gelte
nur, wenn dies durch eine spezielle Rechtsvorschrift vorgeschrieben werde.
Solche besonderen Regelungen seien hier nicht ersichtlich. Insbesondere könne §
7 Abs 2 der "Vereinbarung zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der
vertragsärztlichen Versorgung gemäß §
106 SGB V ab dem Jahr 2010" (im
Folgenden: Prüfvereinbarung) kein Recht des Arztes auf eine mündliche Anhörung
entnommen werden. Zwar könne ua der Formulierung, nach der der Ausschuss in
Sitzungen "verhandelt" und der Regelung, nach der die anschließende Beratung
"unter Ausschluss der Beteiligten" erfolge, entnommen werden, dass der geprüfte
Arzt als Beteiligter an der Verhandlung des Beschwerdeausschusses teilnehmen
und sich dort mündlich äußern könne. Dies habe aber nicht zur Folge, dass die
Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Beschwerdeausschusses davon abhänge, dass
dem Arzt die Möglichkeit zur mündlichen Äußerung gegeben werde.
An die Auslegung des § 7 Abs 2
Prüfvereinbarung durch das LSG ist der Senat auch in dem angestrebten
Revisionsverfahren gebunden, weil es sich um Landesrecht handelt, dessen
Geltungsbereich sich ersichtlich nicht über den Bezirk des Berufungsgerichts
hinaus erstreckt (§
162 SGG). Revisibel sind nach §
162 SGG
nur Vorschriften des Bundesrechts sowie sonstige Vorschriften, deren
Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt.
Selbst wenn in Bezirken anderer LSG ähnliche Regelungen existieren sollten, ist
weder mit der Beschwerde geltend gemacht und konkret dargelegt worden noch
sonst für den Senat ersichtlich, dass in den anderen LSG-Bezirken bewusst und
gewollt um der Rechtseinheit willen inhaltlich übereinstimmende Vorschriften
geschaffen worden wären; eine bloß zufällige Übereinstimmung mit der streitigen
regionalen Regelung reichte insoweit nicht aus (zu diesen Anforderungen
vgl zB BSG Beschluss vom 30.10.2017 - B 9 BL 1/17 B - juris RdNr 10; BSG
Beschluss vom 27.12.2018 - B 9 BL 1/18 B - juris RdNr 8; Leitherer in
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
162 RdNr
5b).
Dass sich grundsätzlich
klärungsbedürftige Fragen zur Auslegung von Bundesrecht stellen würden, hat die
Klägerin im Übrigen nicht geltend gemacht und dafür ist auch nichts
ersichtlich. Insbesondere hat das LSG zutreffend darauf hingewiesen, dass der
Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art
103 Abs
1 GG nach seinem eindeutigen
Wortlaut für das Verfahren "vor Gericht" und damit nicht für das
Verwaltungsverfahren gilt (vgl BVerfG Beschluss vom 18.1.2000 - 1 BvR
321/96 - BVerfGE 101, 397, 404 = juris RdNr 26 mwN; zu dem Verfahren vor den
Berufungsausschüssen vgl BSG Beschluss vom 6.2.2008 - B 6 KA 9/07 B - juris
RdNr 12).
Da unter Zugrundelegung der für den
Senat bindenden Auslegung der landesrechtlichen Bestimmungen durch das LSG eine
unterbliebene mündliche Anhörung keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Bescheides hat, kommt es für die Entscheidung im
Revisionsverfahren auch auf die darauf aufbauenden unter "Teil 2" und "Teil 3"
formulierten Rechtsfragen nicht an.
b) Lediglich ergänzend ist darauf
hinzuweisen, dass die Prüfvereinbarung nach zutreffender Auffassung des LSG
gegen Bundesrecht verstoßen würde, wenn sie die Rechtmäßigkeit der Entscheidung
des Beschwerdeausschusses generell von einer mündlichen Anhörung des Arztes
abhängig machen würde. Nach § 24 Abs 1 SGB X muss dem Beteiligten, in dessen
Rechte eingegriffen werden soll, Gelegenheit gegeben werden, sich zuvor zu den
für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Eine bestimmte Form ist
für diese Anhörung jedoch nicht vorgeschrieben (BSG Beschluss vom
6.2.2008 - B 6 KA 9/07 B - juris RdNr
12 mwN). Nach stRspr des Senats
ermächtigt §
106 Abs
3 Satz 1
SGB V in der Fassung des
Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20.12.1988 (BGBl I 2477)
die Vertragspartner, in der Prüfvereinbarung Festlegungen zu den Beweismethoden
zur Feststellung der Unwirtschaftlichkeit zu treffen, nicht aber dazu, das
Verwaltungsverfahren iS des § 8 SGB X abweichend von Bundesrecht zu regeln
(zum Ausschluss einer Kostenerstattung entsprechend § 63 SGB X im Falle
eines für den Widerspruchsführer erfolgreich abgeschlossenen Abhilfeverfahrens:
BSG Urteil vom 14.5.1997 - 6 RKa 10/96 - SozR 3-1300 § 63 Nr 10 = juris RdNr 19
ff; BSG Urteil vom 31.5.2006 - B 6 KA 78/04 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 4 RdNr 16;
BSG Urteil vom 9.9.1998 - B 6 KA 80/97 R - SozR 3-1300 § 63 Nr 12 = juris RdNr
21; zu Anforderungen an das Vorliegen eines wirksamen Prüfantrags: BSG Urteil
vom 27.6.2001 - B 6 KA 66/00 R - SozR 3-2500 § 106 Nr 53 = juris RdNr 21
ff).
Gesichtspunkte, die einer
Übertragung der zu §
106 Abs
3 Satz 1
SGB V idF des GRG ergangenen Rspr auf die
hier zum Zeitpunkt der Durchführung des Verwaltungsverfahrens maßgebende
Rechtslage entgegenstehen könnten, sind für den Senat nicht ersichtlich und von
der Klägerin auch nicht vorgetragen worden. Während die Vertragspartner der
Prüfvereinbarung nach §
106 Abs
3 Satz 1
SGB V idF des GRG noch "die Verfahren
zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit" zu vereinbaren hatten, sind nach §
106 Abs
3 Satz 1
SGB V in der hier maßgebenden Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes
vom 14.11.2003 (BGBl I 2190)"Inhalt und Durchführung" der
Beratung und der Prüfung der Wirtschaftlichkeit zu vereinbaren. Nach der
Gesetzesbegründung wird mit der geänderten Formulierung klargestellt, dass
"Gegenstand der Vereinbarung auf der Ebene der Kassenärztlichen Vereinigung die
inhaltlichen Kriterien und die logistischorganisatorische Durchführung der
Beratungen und Prüfungen ist" (BT-Drucks 15/1525 S 115 zu Buchst f
Doppelbuchst aa). Damit übereinstimmend ist die geänderte Formulierung
in der Literatur als Verdeutlichung und damit als Bestätigung der
Rechtsprechung verstanden worden, nach der §
106 Abs
3 Satz 1
SGB V aF
grundsätzlich nicht dazu ermächtigt, das Verwaltungsverfahren iS des §
8 SGB X
abweichend von Bundesrecht zu regeln (vgl Engelhard in Hauck-Noftz, SGB
V, Werksstand 11/17, § 106 RdNr 438).
Für die Vereinbarung über das Gesetz
hinausgehender Anforderungen an eine ordnungsgemäße Anhörung kann insofern
nichts anderes gelten als für die Vereinbarung zusätzlicher Anforderungen an
einen wirksamen Prüfantrag durch die Vertragspartner der Prüfvereinbarung:
Zusätzliche Anforderungen an die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsverfahrens über
das gesetzlich vorgesehene Maß hinaus erschweren den Prüfgremien die
Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Dadurch kann die Effektivität der
Prüfung beeinträchtigt werden (vgl BSG Urteil vom 27.6.2001 - B 6 KA
66/00 R - SozR 3-2500 § 106 Nr 53 = juris RdNr 29). Die
Vertragspartner der Prüfvereinbarung sind gesetzlich nicht zur Einführung
solcher Regelungen ermächtigt.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf
§
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 3
SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§
154 ff
VwGO. Danach trägt die Klägerin die Kosten des von ihr erfolglos
geführten Rechtsmittels (§
154 Abs
2 VwGO). Eine Erstattung
der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da diese
keine Anträge gestellt haben (§
162 Abs
3 VwGO).
3. Die Festsetzung des Streitwerts
ergibt sich aus §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 1
SGG iVm §
63 Abs
2 Satz 1, § 52
Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG und entspricht der Höhe des Regresses, gegen
den sich die Klägerin nach dem Teilanerkenntnis des Beklagten im Verfahren vor
dem Sozialgericht noch wendet.