LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.03.2021 - 5 R 1764/19
Anspruch auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung mit einem Status als
Syndikusrechtsanwalt
Anforderungen an die fristwahrende Stellung eines erforderlichen gesonderten Antrags
Ablehnungsbescheid wird nicht Gegenstand eines sozialgerichtlichen Klageverfahrens über die Ablehnung der Befreiung von der
Rentenversicherungspflicht wegen Nichtausübung einer Tätigkeit mit einem Status als Rechtsanwalt
1. Ein Bescheid über die Ablehnung der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht, der sich auf den neu erworbenen Status
als Syndikusrechtsanwalt bezieht, wird nicht Gegenstand des Gerichtsverfahrens gegen den Bescheid über die Ablehnung der Befreigung
von der Rentenversicherungpflicht wegen Nichtausübung einer anwaltlichen Tätigkeit vor Erlangung des Status als Syndikusanwalt
(vgl. BSG, Beschluss vom 22.03.2018 - B 5 RE 12/17 B -, in juris).
2. Die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht bei einer Beschäftigung als Syndikusrechtsanwalt nach § 231 Abs. 4b S. 1 SGB VI setzte einen gesonderten Antrag voraus. Zur Fristwahrung genügte es nicht, dass der Antragsschriftsatz bis zum 01.04.2016
beim Gericht eingegangen war.
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Vorinstanzen: SG Heilbronn 02.05.2019 S 1 R 579/18
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 02.05.2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand
Streitig ist die rückwirkende Befreiung der Klägerin als Syndikusrechtsanwältin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Rentenversicherung.
Die 1974 geborene Klägerin ist seit 13.02.2001 als Rechtsanwältin zugelassen und seit 21.10.2013 als Juristin bei der Firma
B. & S. GmbH in L. (im Folgenden: Fa. B.) tätig. Ein von der Klägerin hierfür gestellter Antrag vom 02.04.2014 auf Befreiung
von der Rentenversicherungspflicht wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 24.07.2014 abgelehnt. Der Widerspruch der Klägerin
wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18.05.2015 zurückgewiesen. Die hiergegen zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhobene Klage (S 1 R 1997/15) wurde auf Antrag der Klägerin und mit Einverständnis der Beklagten mit Beschluss vom 27.07.2015 zum Ruhen gebracht. Nach
Wiederanrufung durch die Beklagte wurde das Verfahren unter dem Az. S 1 R 1330/19 fortgeführt. Mit Gerichtsbescheid vom 12.09.2019 wies das SG die Klage ab. Unter dem Az. L 5 R 3446/19 war die Berufung der Klägerin beim Senat anhängig. In der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2021 erklärte der Klägerbevollmächtigte
diesen Rechtsstreit für erledigt.
Mit an das SG adressiertem Schreiben vom 23.03.2016, welches am 30.03.2016 beim SG einging, teilte die Klägerin mit, dass sie die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin nach neuem Recht beantrage und bis zur
bestandskräftigen Entscheidung über diesen Zulassungsantrag das Verfahren weiterhin ruhen solle. Weiter ist in dem Schreiben
ausgeführt: "Aufgrund des bereits gestellten Antrags auf Befreiung von der Versicherungspflicht gem. § 6 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB VI) ist unseres Erachtens bereits die "rückwirkende" Befreiung nach § 231 Abs. 4b letzter Satz SGB VI fristgerecht beantragt. Daher ist der Antrag auf Befreiung gem. § 6 SGB VI und der Antrag auf rückwirkende Befreiung gem. § 231 Abs. 4b SGB VI bereits als gestellt anzusehen. Rein vorsorglich wird sowohl der Antrag auf Befreiung gern. § 6 SGB VI und der Antrag auf rückwirkende Befreiung gem. § 231 Abs. 4b SGB VI für die weiterhin ausgeübte Tätigkeit der klagenden Partei gestellt." Das Schreiben leitete das SG mit Schreiben vom 31.03.2016 an die Beklagte zur Kenntnisnahme und ggf. weiteren Bearbeitung in eigener Zuständigkeit weiter.
Bei der Beklagten ging das Schreiben am 08.04.2016 ein.
Auf ihren Antrag vom 17.03.2016, bei der Rechtsanwaltskammer (RAK) Stuttgart am 18.03.2016 eingegangen, erteilte die RAK der
Klägerin mit Bescheid vom 30.05.2016, ihr am 31.05.2016 zugestellt, die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin "für ihre Tätigkeit
bei der Fa. B." gem. § 46a Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Insbesondere der Anstellungsvertrag der Klägerin mit der Fa. B. vom 01.07.2015 nebst Ergänzung vom 17.03.2016, in dem die
konkrete Tätigkeit beschrieben werde, werde Bestandteil des Zulassungsbescheids. Die Zulassung erfolge tätigkeitsbezogen.
Mit Bescheid vom 21.09.2016 befreite die Beklagte die Klägerin nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI für ihre im Anstellungsvertrag vom 01.07.2015 bezeichnete Tätigkeit bei der Fa. B. ab dem 31.05.2016, dem Zeitpunkt der Zulassung
als Syndikusrechtsanwältin, von der Rentenversicherungspflicht.
Zum 30.09.2016 beendete die Klägerin ihre Tätigkeit für die Fa. B. Daraufhin widerrief die RAK die Zulassung der Klägerin
als Syndikusrechtsanwältin mit Bescheid vom 08.05.2017.
Mit Bescheid vom 09.01.2017 lehnte die Beklagte den Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach
§ 231 Abs. 4b SGB VI für die in der Zeit vom 21.10.2013 bis 30.05.2016 ausgeübte Beschäftigung bei der Fa. B. ab, da die Klägerin den Antrag auf
rückwirkende Befreiung nicht innerhalb der gesetzlichen Ausschlussfrist bis 01.04.2016 gestellt habe.
Hiergegen erhob die Klägerin am 19.01.2017 Widerspruch und bezog sich auf den Schriftsatz vom 23.03.2016 an das SG. Der Antrag sei fristgerecht gestellt worden. Es könne nicht darauf ankommen, wann der Antrag der Beklagten zugegangen sei,
sondern allenfalls auf den Zugang bei Gericht. Abgesehen davon sei kein erneuter Antrag erforderlich gewesen. Entgegen der
Ansicht der Beklagten handele es sich um einen einheitlichen Streitgegenstand, da der Rechtsstand vor den Entscheidungen des
Bundessozialgerichts (BSG) vom 03.04.2014 wiederhergestellt habe werden sollen (Bundesverfassungsgericht <BVerfG>, Beschluss vom 19.07.2016, 1 BvR 2584/14).
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Antrag auf rückwirkende Befreiung habe
nur bis zum Ablauf des 01.04.2016 gestellt werden können. Der beim SG eingegangene Antrag könne nicht mehr als fristwahrend im Sinne des § 16 Abs. 2 S. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB I) angesehen werden. Danach seien Anträge auf Sozialleistungen beim zuständigen Leistungsträger zu stellen. Sie würden auch
von allen anderen (unzuständigen) Leistungsträgern und von allen Gemeinden entgegengenommen. Dies bedeute, dass der beim SG eingegangene Antrag fristwahrend nur gestellt sei, wenn das SG ein zuständiger oder unzuständiger Leistungsträger sei oder als Gemeinde definiert werden könne. Eine solche zur Entgegennahme
von Anträgen bezeichnete Stelle im Sinne des § 16 SGB I seien Sozialgerichte nicht und könnten daher auch keine Anträge auf Sozialleistungen fristwahrend entgegennehmen. Die Gerichte
seien in ihrer Funktion Organe der Rechtsprechung und somit streng von den Organen der Verwaltung zu trennen. Eine rückwirkende
Befreiung von der Versicherungspflicht komme daher nicht in Betracht.
Am 19.02.2018 hat die Klägerin zum SG Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, die Beklagte habe die Bescheide im Verfahren S 1 R 1997/15 erteilen müssen, weil es sich gem. § 96 Sozialgerichtsgesetz ( SGG) um eine Abänderung des angefochtenen Verwaltungsaktes handele. Deshalb beantrage die Klägerin die Verbindung der Verfahren.
Festzustellen sei weiter, dass das Datum, von dem die Befreiung für die Zukunft von der Beklagten ausgesprochen worden sei,
auf Grund einer Gesetzesänderung mittlerweile falsch sei. Die Befreiung müsse vom Datum des Antragseingangs bei der Rechtsanwaltskammer
auf Zulassung als Syndikusrechtsanwalt ausgesprochen werden. Zudem gehe die Beklagte fälschlicherweise davon aus, dass der
Klägerin kein Anspruch auf rückwirkende Befreiung zustehe, weil ein entsprechender Antrag nicht rechtzeitig gestellt worden
sei. Die Auffassung der Beklagten, es handele sich um unterschiedliche Streitgegenstände, sei unzutreffend. Dies ergebe sich
aus den Beschlüssen des BVerfG vom 19.07.2016 (1 BvR 2584/14) und 22.07.2016 (1 BvR 2534/14). Das Gericht habe die Kosten des Verfassungsbeschwerdeverfahrens den betroffenen Bundesländern auferlegt und zur Begründung
wie folgt formuliert: "Erklärtes Ziel des Gesetzgebungsvorhabens war es, die Rechtstellung von Syndikusrechtsanwälten weitgehend
anzugleichen und speziell im Hinblick auf die Befreiung von der Versicherungspflicht den vor Verkündung des Urteils des Bundessozialgerichts
vom 03.04.2014 bestehenden Rechtszustand aufrechtzuerhalten bzw. wiederherzustellen (vgl. BT-Drucks 18/6915, Seite l f.)."
Das Gericht gehe also selber von einem "einheitlichen Streitgegenstand" aus. Dies sei auch richtig, denn die Klägerin streite
seit Beginn ihrer Tätigkeit darum, von der Versicherungspflicht befreit zu werden, auf welcher Rechtsgrundlage dies tatsächlich
beruhe, sei dabei unerheblich. Die Klägerin habe daher keinen neuen Antrag auf Befreiung stellen müssen. Vielmehr habe in
diesem Fall eine Information des Gerichts ausgereicht. Ein separater Antrag auf rückwirkende Befreiung sei bei einem bereits
laufenden Gerichtsverfahren nicht Sinn und Zweck des § 231 Abs. 4b SGB VI. Mehrere Sozialgerichte (im Einzelnen zitiert) seien von einem einheitlichen Streitgegenstand ausgegangen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat ergänzend geltend gemacht, die aktuelle Befreiung als Syndikusrechtsanwältin
und die Frage der rückwirkenden Befreiung nach § 231 Abs. 4b SGB VI würden unterschiedliche Lebenssachverhalte betreffen. Es würden zwei unterschiedliche Streitgegenstände vorliegen mit der
Folge, dass die rückwirkende Befreiung unter anderem einen neuen fristgerechten Antrag erfordere. Ein solcher Antrag sei erst
am 08.04.2016 gestellt worden und damit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 231 Abs. 4b SGB VI für eine rückwirkende Befreiung nicht erfüllt. Das BSG habe im Verfahren B 5 RE 12/17 B die Frage, ob der Bescheid über die Befreiung als Syndikusrechtsanwalt nach dem ab 01.01.2016
geltenden Recht nach § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits über die Befreiung als "Syndikusanwalt" nach dem bis 31.12.2015 geltenden Recht werde,
verneint.
Mit Bescheid vom 27.02.2018 änderte die Beklagte den Beginn der Befreiung der Klägerin für ihre Tätigkeit bei der Fa. B nach
§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI auf den 18.03.2016.
Mit Gerichtsbescheid vom 02.05.2019 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Bescheid der Beklagten vom 09.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 22.01.2018 sei rechtmäßig. Nach § 231 Abs. 4b S. 1 SGB VI werde eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI, die unter Berücksichtigung der BRAO in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung erteilt worden sei, auf Antrag vom Beginn derjenigen Beschäftigung an erteilt,
für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt werde. Sie wirke auch vom Beginn davorliegender Beschäftigungen
an, wenn während dieser Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestanden habe.
Die Befreiung wirke frühestens ab dem 01.04.2014. Die Befreiung wirke jedoch auch für Zeiten vor dem 01.04.2014, wenn für
diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt worden seien. Die Sätze 1
bis 4 gelten nicht für Beschäftigungen, für die eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt auf Grund
einer vor dem 04.04.2014 ergangenen Entscheidung bestandskräftig abgelehnt worden sei. Der Antrag auf rückwirkende Befreiung
nach den Sätzen 1 und 2 könne nur bis zum Ablauf des 01.04.2016 gestellt werden. Vorliegend habe die Beklagte zutreffend entschieden,
dass der Antrag auf rückwirkende Befreiung nach § 231 Abs. 4 SGB VI nicht fristgerecht bis zum Ablauf des 01.04.2016 gestellt worden sei. Unmittelbar bei der Beklagten habe die Klägerin einen
derartigen Antrag nicht gestellt. Dies behaupte sie auch nicht. Zutreffend und unter Darstellung der maßgeblichen Rechtslage
habe die Beklagte im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 22.01.2018 dargelegt, dass der im Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten
vom 23.03.2016 an das SG enthaltene vorsorgliche Antrag auf rückwirkende Befreiung nicht fristgerecht im Sinne des § 231 Abs. 4b SGB VI gestellt worden sei, weil dieser erst am 08.04.2016 bei der Beklagten eingegangen sei. Von einer weiteren Darstellung der
Entscheidungsgründe werde abgesehen. Es werde auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom
22.01.2018 Bezug genommen. Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten sei für die rückwirkende Befreiung auf Grundlage
von § 231 Abs. 4b SGB VI auch eine erneute, hierauf bezogene Antragstellung erforderlich gewesen, so dass der Antrag nicht bereits auf Grund des in
der Vergangenheit gestellten Antrags auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI als gestellt anzusehen sei. Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten sei der Bescheid vom 09.01.2017 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2018 auch nicht Gegenstand des Klageverfahrens S 1 R 1997/15 geworden. Im Verfahren S 1 R 1997/15 sei die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als Rechtsanwältin nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI streitig. Wie höchstrichterlich geklärt sei, würden in ein anhängiges Streitverfahren über die Befreiung von Rechtsanwälten
von der Rentenversicherungspflicht auf Grund einer gleichzeitig ausgeübten abhängigen Beschäftigung ungeachtet ihres Bezugs
auf dasselbe Versicherungsverhältnis weitere Verwaltungsakte, die mit Blick auf den neuerworbenen Status als Syndikusrechtsanwalt
ergangen seien, nicht kraft Gesetzes einbezogen (unter Verweis auf BSG, Beschluss vom 22.03.2018 - B 5 RE 12/17 B -, Beschluss vom 28.06.2018 - B 5 RE 2/17 R -; Landessozialgericht <LSG> Baden-Württemberg,
Urteil vom 20.07.2017 -L 7 R 3495/15 -, alle in juris). Nach § 96 SGG werde ein nach Klageerhebung ergangener neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass
des Widerspruchsbescheides ergangen sei und den angefochtenen Verwaltungsakt abändere oder ersetze. Vorliegend sei der Bescheid
vom 09.01.2017 zwar nach Erlass des im Verfahren S 1 R 1997/15 angefochtenen Widerspruchsbescheides vom 18.05.2015 ergangen, er ändere oder ersetze allerdings nicht den Bescheid vom 24.07.2014
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.05.2015. Abändern oder Ersetzen setze allgemein voraus, dass der Regelungsgegenstand
des neu einzubeziehenden Verwaltungsakts mit dem des früheren identisch sei. Mit dem im Verfahren S 1 R 1997/15 angefochtenen Bescheid vom 24.07.2014 habe die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht
nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI hinsichtlich der am 21.10.2013 aufgenommenen Tätigkeit bei der Fa. B. abgelehnt. Demgegenüber habe sie mit dem Bescheid vom
09.01.2017 den Antrag der Klägerin auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach der mit Wirkung zum
01.01.2016 eingeführten Übergangsvorschrift des § 231 Abs. 4b SGB VI abgelehnt. Wie das BSG im Einzelnen näher dargelegt habe, liege eine Identität der Regelungsgegenstände der Bescheide auf Grund der unterschiedlichen
Statusbezogenheit nicht vor (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2018, a.a.O.). Dieser Auffassung schließe sich das SG nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage voll umgänglich an. Auch der von dem Klägerbevollmächtigten in Bezug genommene
Entscheidung des BVerfG vom 19.07.2016 (1 BvR 2584/14) sei nichts Gegenteiliges zu entnehmen, denn das BVerfG habe sich in der genannten Entscheidung mit der Frage des § 96 SGG überhaupt nicht auseinandergesetzt. Hierfür habe auch im Rahmen der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde kein Anlass
bestanden. Das von dem Klägerbevollmächtigten hervorgehobene gesetzgeberische Ziel, eine einheitliche Versicherungsbiographie
zu gewährleisten, könne nicht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 96 SGG begründen, denn die Rechtsfolge des Tatbestands des § 231 Abs. 4b SGB VI sei an einen völlig anderen und teilweise neuen Sachverhalt (u.a. die Zulassung zur Syndikusrechtsanwältin) geknüpft, damit
dem ursprünglichen Befreiungsbegehren zugrundeliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar (unter Verweis auf LSG Baden-Württemberg,
Urteil vom 28.07.2017, a.a.O.). Die von dem Klägerbevollmächtigten unter Ziffer 2 des Klagantrags erhobene Klage auf Feststellung,
dass die Klägerin fristgerecht den Antrag auf Befreiung auch für die Zeit rückwirkend ab dem 31.10.2013 (richtig: 21.10.2013)
gestellt habe, sei unzulässig. Sachdienlicher Klageantrag sei im vorliegenden Fall, worauf das Gericht dem Klägerbevollmächtigten
hingewiesen habe, die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage der Gestalt, die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen
Bescheide zu verpflichten, die Klägerin rückwirkend ab 21.10.2013 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung
zu befreien. Ein weitergehendes Feststellungsinteresse durch den stattdessen gestellten Feststellungsantrag sei weder dargetan
noch ersichtlich.
Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 09.05.2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 28.05.2019 Berufung
beim LSG Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung wird der bisherige Vortrag wiederholt und ergänzend ausgeführt, die Auffassung
des SG, dass die Klägerin verpflichtet gewesen sei, einen erneuten Befreiungsantrag für die von ihr durchgängig ausgeübte Tätigkeit
zu stellen, für die die Klägerin mittlerweile zur Syndikusanwaltschaft zugelassen sei, sei unzutreffend. Das Verständnis der
Beklagten, dass es sich hier um zwei Streitgegenstände handele, wie es jetzt das BSG im Hinblick auf § 96 SGG vertrete, sei für die Klägerin im Hinblick auf die Entscheidungen des BVerfG (- 1 BvR 2584/14 -, - 1 BvR 2534/14 -) nicht nachvollziehbar. Auch die Ausführungen des SG, dass das BVerfG sich damit nicht auseinandergesetzt habe, sei unzutreffend. Zudem komme es zu einer rechtswidrigen Ungleichbehandlung.
Hätte der Arbeitgeber der Klägerin die Beiträge an das Versorgungswerk abgeführt und nicht zur Beklagten angemeldet, wären
diese Beiträge aufgrund der Veröffentlichung der DRV vom 12.12.2014 sicher gewesen, wenn die Klägerin erst zum 01.01.2015
zur DRV umgemeldet worden wäre. Zudem bleibe sie bei ihrer Auffassung, dass sie alle notwendigen Anträge rechtzeitig gestellt
habe. Die rechtzeitige Antragstellung beim SG sei ausreichend. Der Rechtsgedanke des § 91 SGG sei anzuwenden. Die Klägerin habe jedenfalls davon ausgehen dürfen, dass eine Antragstellung gegenüber dem SG während des noch laufenden Gerichtsverfahrens ausreiche. Ein Hinweis von der Beklagten, dass ein erneuter Antrag im laufenden
Verwaltungsverfahren notwendig sein sollte, sei nie erfolgt, obwohl dies der Beklagten ohne Weiteres möglich gewesen wäre.
Es habe ein Verfahren für die genau gleiche Tätigkeit gegeben. Zu verlangen, dass neben einer fristgerechten Information des
Gerichts auch noch ein gesonderter Antrag bei der Beklagten auf erneute Befreiung gemäß § 6 SGB VI für die gleiche Tätigkeit noch einmal zu stellen sei, überspanne die Anforderungen an die Pflichten eines Antragstellers.
§ 16 Abs. 1 SGB I gelte nur für den Fall, dass erstmals Leistungen bei einem Rentenversicherungsträger beantragt würden. Zudem sei das SG verpflichtet gewesen, den Antrag unverzüglich weiterzuleiten. Somit habe die klagende Partei alles unternommen, was hier
zur Fristwahrung erforderlich gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 02.05.2019 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids
vom 09.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.01.2018 und in der Fassung des Bescheids vom 27.02.2018 zu
verpflichten, die Klägerin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für ihre Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin
bei der Firma B. & S. GmbH rückwirkend vom 21.10.2013 bis zum 17.03.2016 zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und ihre Bescheide für zutreffend. Ergänzend hat sie vorgetragen, der Gesetzgeber
habe die Regelung zur Zulassung als Syndikusrechtsanwalt in der BRAO sowie die Übergangsvorschrift des § 231 Abs. 4b SGB VI gezielt geschaffen, um im Wesentlichen die bis zu den Urteilen des BSG vom 03.04.2014 (B 5 RE 3/14 R, B 5 RE 9/14 R sowie B 5 RE 13/14 R) geübte Verwaltungspraxis herzustellen. Es handele sich
hierbei um Sachverhalte, bei denen regelmäßig in der Vergangenheit bereits nach der alten Rechtslage Befreiungsanträge bei
den Rentenversicherungsträgern gestellt worden seien. In Kenntnis dieses Umstandes habe der Gesetzgeber die rückwirkende Befreiung
nach § 231 Abs. 4b SGB VI antragsabhängig ausgestaltet. Diese Antragsbezogenheit wäre andernfalls entbehrlich gewesen. Ein vorliegend bereits im Jahr
2014 nach alter Rechtslage gestellter Befreiungsantrag könne demnach nicht für eine völlig neue und nicht deckungsgleiche
Befreiungsmöglichkeit gelten, die erst seit dem Jahre 2016 existiere. Die Sozialgerichte hätten in dieser Frage bislang ausnahmslos
zugunsten der Beklagten entschieden. § 91 SGG betreffe die Klagefrist und sei nicht einschlägig. Für weitere Anträge während des Verfahrens gelte § 91 SGG nicht mehr. § 16 Abs. 1 SGB I sei entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht lediglich auf Fälle anwendbar, in denen erstmalig Leistungen beantragt
würden. Eine entsprechende Einschränkung ergebe sich nicht aus dem Gesetz. Der selbst rechtskundigen und durchgehend anwaltlich
vertretenen Klägerin sei es ohne Weiteres möglich gewesen, einen Antrag auf rückwirkende Befreiung - zumindest vorsorglich
- fristgerecht (auch) bei der Beklagten, und nicht (nur) bei Gericht zu stellen.
Mit Beschluss vom 12.02.2021 hat der Senat das Versorgungswerk der Rechtsanwälte für Baden-Württemberg zum Verfahren notwendig
beigeladen. Es hat keine Anträge gestellt und sich nicht zur Sache geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten
des Sozialgerichts und des Senats sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht erhobene und gemäß § 143 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig. Die Berufung bedurfte insbesondere nicht der Zulassung (§ 144 Abs. 1 SGG).
II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
1. Die Klage ist nicht wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit unzulässig. Denn der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten
vom 09.01.2017 ist nicht Gegenstand des (damals) laufenden Klageverfahrens (ursprünglich S 1 R 1997/15) gegen den Bescheid vom 24.07.2014 geworden, mit dem die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 02.04.2014 auf Befreiung von
der Rentenversicherungspflicht abgelehnt hat.
Die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG sind nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift wird ein neuer Verwaltungsakt nach Klageerhebung nur dann Gegenstand des Klageverfahrens,
wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Der
Bescheid vom 09.01.2017 ändert den Bescheid vom 24.07.2014 weder ab noch ersetzt er diesen.
Ausweislich der Verfügungssätze liegt keine Identität der Regelungsgegenstände vor. Mit Bescheid vom 24.07.2014 hat die Beklagte
den Antrag der Klägerin vom 02.04.2014 auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für ihre "am 21.10.2013 aufgenommene
Beschäftigung als juristische Mitarbeiterin und Vertriebsassistentin" bei der Fa. B. abgelehnt. Dagegen hat die Beklagte mit
Bescheid vom 09.01.2017 den Antrag der Klägerin vom 08.04.2016 "auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht
nach § 231 Abs. 4b SGB VI" für die in der Zeit vom 21.10.2013 bis 30.05.2016 ausgeübte Beschäftigung als Mitarbeiterin bei der Fa. B. abgelehnt. Dabei
bezog sich dieser Bescheid auf den Status der Klägerin als Syndikusrechtsanwältin, während der Bescheid vom 24.07.2014 den
Status der Klägerin als Rechtsanwältin betraf. Dies ergibt die Auslegung der beiden Verwaltungsakte.
Die Auslegung eines Verwaltungsakts hat ausgehend von seinem Verfügungssatz und der Heranziehung des in § 133 Bürgerliches Gesetzbuch ( BGB) ausgedrückten allgemeinen Rechtsgedankens zu erfolgen, dass es nicht auf den Buchstaben, sondern auf den wirklichen Willen
der Behörde bzw. des Verwaltungsträgers ankommt, soweit er im Bescheid greifbar seinen Niederschlag gefunden hat; für die
Ermittlung des erklärten Willens sind dabei auch die Umstände und Gesichtspunkte heranzuziehen, die zur Aufhellung des Inhalts
der Verfügung beitragen können und die dem Beteiligten bekannt sind, wenn der Verwaltungsakt sich erkennbar auf sie bezieht
(BSG, Beschluss vom 22.03.2018 - B 5 RE 12/17 B -, in juris, Rn. 29 m.w.N.; BSG, Urteil vom 28.06.2018 - B 5 RE 2/17 R -, in juris).
Unter Anlegung dieses Maßstabs ergibt sich, dass im Bescheid vom 24.07.2014 der erklärte Wille der Beklagten, die Befreiung
der Klägerin von der Rentenversicherungspflicht für die geltend gemachte, seit dem 21.10.2013 ausgeübte Tätigkeit bei der
Fa. B. wegen der Nichtausübung einer anwaltlichen Tätigkeit abzulehnen, zum Ausdruck kommt. Dies ergibt sich aus dem Verfügungssatz,
wonach sich die Entscheidung der Beklagten ausdrücklich auf die am 21.10.2013 aufgenommene Tätigkeit bei der Fa. B. als juristische
Mitarbeiterin und Vertriebsassistentin bezieht, und der Begründung, wonach die Klägerin nicht als Rechtsanwältin bei der Fa.
B. beschäftigt sei. In ihrem Antrag vom 02.04.2014 hat die Klägerin zwar auf ihre Tätigkeit als "Syndikus" verwiesen, bezog
sich jedoch zugleich auf ihre frühere Befreiung in ihrer vorherigen Beschäftigung, in der sie aufgrund ihres Status einer
Rechtsanwältin von der Rentenversicherungspflicht befreit war (Bescheid vom 26.04.2001).
Der Bescheid vom 09.01.2017 bezieht sich zwar auch auf die Tätigkeit der Klägerin bei der Fa. B. seit 21.10.2013. Diese Ablehnung
stellt jedoch im Unterschied zu dem Bescheid vom 24.07.2014 auf den neu erworbenen Status der Klägerin als Syndikusrechtsanwältin
ab. Dies ergibt sich aus der Bezugnahme des Bescheids auf den Antrag der Klägerin vom 08.04.2016, mit dem die Klägerin unter
Hinweis auf die von ihr beantragte Zulassung als Syndikusrechtsanwältin die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht
beantragt hat. Außerdem ergibt sich dies aus der Bezugnahme auf § 231 Abs. 4b SGB VI im Verfügungssatz des Bescheids. Aufgrund der unterschiedlichen Statusbezogenheit liegt keine Identität der Regelungsgegenstände
vor (vgl. BSG, Beschluss vom 22.03.2018 - B 5 RE 12/17 B -, in juris, Rn. 31 m.w.N.; BSG, Urteil vom 28.06.2018 - B 5 RE 2/17 R -, in juris; vgl. auch BSG, Beschluss vom 23.07.2019 - B 5 RE 5/19 B -, in juris <Verfassungsbeschwerde hiergegen nicht zur Entscheidung angenommen:
BVerfG, Kammerbeschluss vom 11.05.2020 - 1 BvR 2105/19>; BSG, Beschluss vom 04.08.2020 - B 5 RE 4/20 B -, in juris).
Hiervon Abweichendes ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht aus den Entscheidungen des BVerfG vom 19. und
22.07.2016 (1 BvR 2584/14 und 1 BvR 2534/14). Das BVerfG hat die Auslegung und Anwendung von § 231 Abs. 4b SGB VI ausdrücklich zunächst den Fachgerichten überlassen (in juris, Rn. 8).
2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 09.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
22.01.2018 und in der Fassung des Bescheids vom 27.02.2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Voraussetzungen einer rückwirkenden Befreiung nach § 231 Abs. 4b SGB VI liegen nicht vor, weil die Klägerin keinen fristwahrenden Antrag gestellt hat.
Nach § 231 Abs. 4b S. 1 SGB VI wirkt eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI, die unter Berücksichtigung der BRAO in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung erteilt wurde, auf Antrag vom Beginn derjenigen Beschäftigung an, für die die
Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird. Sie wirkt nach § 231 Abs. 4b S. 2 SGB VI auch vom Beginn davor liegender Beschäftigungen an, wenn während dieser Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft in einem
berufsständischen Versorgungswerk bestand. Die Befreiung wirkt auch für Zeiten vor dem 01.04.2014, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene
Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden (§ 231 Abs. 4b S. 4 SGB VI). Eine rückwirkende Befreiung ist nicht für Beschäftigungen möglich, für die eine Befreiung von der Versicherungspflicht
als Syndikusrechtsanwalt auf Grund einer vor dem 04.04.2014 ergangenen Entscheidung bestandskräftig abgelehnt wurde (§ 231 Abs. 4b S. 5 SGB VI). Der Antrag auf rückwirkende Befreiung konnte nach § 231 Abs. 4b S. 6 SGB VI nur bis zum Ablauf des 01.04.2016 gestellt werden.
Die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht bei einer Beschäftigung als Syndikusrechtsanwalt setzt somit nach
dem klaren und keiner abweichenden Auslegung zugänglichen Gesetzeswortlaut ("Antrag auf rückwirkende Befreiung") einen gesonderten
Antrag voraus. Entgegen der im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertretenen Rechtsauffassung des Bevollmächtigten
der Klägerin beschränkt sich das Antragserfordernis auch nicht auf "neue" Verfahren. Entsprechendes ergibt sich aus dem Wortlaut
der Norm nicht. Die Einschränkung der rückwirkenden Befreiung im Fall einer bestandskräftigen Entscheidung nach § 231 Abs. 4b S. 5 SGB V zeigt vielmehr, dass Fälle, in denen - wie vorliegend - das (Gerichts-)Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, ebenfalls
zum Anwendungsbereich der Norm gehören.
Der Antrag nach § 231 Abs. 4b S. 6 SGB VI ist eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung, auf den die Grundsätze des bürgerlichen Rechts entsprechend anwendbar sind
(Seewald in Kasseler Kommentar, SGB I, § 16 Rn. 13). Eine gegenüber einer Behörde abzugebende Willenserklärung wird nach § 130 Abs. 1 und 3 BGB in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie der Behörde zugeht. Zuständige Behörde ist vorliegend der Träger der Rentenversicherung,
der über den Befreiungsantrag zu entscheiden hat (s. § 6 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 231 Abs. 4b SGB VI). Der Beklagten ist der an das SG gerichtete und dort am 30.03.2016 eingegangene, "vorsorgliche" Antrag im Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin
vom 23.03.2016 erst am 08.04.2016 zugegangen. Damit ist der Antrag nicht fristgemäß wirksam geworden.
Zur Fristwahrung genügte es nicht, dass der Antragsschriftsatz bis zum 01.04.2016 beim SG eingegangen war. § 16 Abs. 2 S. 2 SGB I greift nicht ein. Nach § 16 Abs. 1 SGB I sind Anträge auf Sozialleistungen beim zuständigen Leistungsträger zu stellen; sie werden auch von allen anderen Leistungsträgern,
von allen Gemeinden und bei Personen, die sich im Ausland aufhalten, auch von den amtlichen Vertretungen der Bundesrepublik
Deutschland im Ausland entgegengenommen. Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger, bei einer für die Sozialleistung
nicht zuständigen Gemeinde oder bei einer amtlichen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gestellt werden,
sind nach § 16 Abs. 2 S. 1 SGB I unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten. Ist die Sozialleistung von einem Antrag abhängig, gilt der
Antrag als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei einer der in § 16 Abs. 2 S. 1 SGB I genannten Stellen eingegangen ist (§ 16 Abs. 2 S. 2 SGB I). Es ist bereits zweifelhaft, ob § 16 SGB I überhaupt Anwendung findet. Denn vorliegend geht es nicht um den Erhalt von Sozialleistungen, auch nicht mittelbar. Denn
mit dem Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht soll gerade kein Rechtsverhältnis begründet werden, das Sozialleistungsansprüche
beinhaltet. Abgesehen davon, ist das SG aber jedenfalls kein unzuständiger Leistungsträger im Sinne des § 16 Abs. 2 S. 1 SGB I. Das SG ist überhaupt kein (Sozial-)Leistungsträger. Die Sozialleistungsträger werden in § 12 i.V.m. §§ 18 bis 29 SGB I abschließend aufgeführt. Das SG gehört nicht dazu. Es ist daher keine Stelle im Sinne des § 16 SGB I (so auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 23.09.2010 - L 7 AS 651/10 B ER -, in juris, Rn. 19; Öndül in: Schlegel/Voelzke, jurisPK- SGB I, 3. Aufl., § 16 SGB I, Stand: 05.11.2019, Rn. 33).
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist auch der Rechtsgedanke des § 91 SGG nicht anzuwenden. Die Frist für die Erhebung der Klage gilt nach § 91 Abs. 1 SGG auch dann als gewahrt, wenn die Klageschrift innerhalb der Frist statt bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit
bei einer anderen inländischen Behörde oder bei einem Versicherungsträger eingegangen ist. Die Klageschrift ist unverzüglich
an das zuständige Gericht der Sozialgerichtsbarkeit abzugeben (§ 91 Abs. 2 SGG). Unmittelbar anwendbar ist diese Vorschrift lediglich auf die Einhaltung der Klagefrist, die vorliegend nicht betroffen
ist. Eine entsprechende Anwendung scheidet aus. Es fehlt bereits an einer vergleichbaren Interessenlage. Denn in § 91 SGG geht es darum, dem Rechtsunkundigen die Klageerhebung zu erleichtern (vgl. BSG, Urteil vom 25.04.2018 - B 8 SO 23/16 R -, in juris, Rn. 18). Für Anträge in laufenden Klageverfahren gilt § 91 SGG wegen seines engen systematischen Bezugs zur Klageerhebung nicht (B. Schmidt, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG Komm., 13. Aufl. 2020, § 91 Rn. 2). Eine vergleichbare Interessenlage besteht nicht, wenn wie hier an die Verwaltung gerichtete Anträge beim Gericht
eingereicht werden (zu einem Antrag auf Sachverständigenentschädigung Thüringer LSG, Beschluss vom 08.04.2004 - L 6 B 55/03 SF -, in juris, Rn. 29).
Soweit die Klägerin mit ihrem Vortrag, die Beklagte habe auf die Notwendigkeit eines erneuten Antrags hinweisen müssen, sinngemäß
einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch geltend macht, kann sie ebenfalls nicht durchdringen. Dass die Klägerin die Antragsfrist
versäumt hat, kann nicht auf eine Pflichtverletzung der Beklagten zurückgeführt werden. Ausweislich des Antragsschriftsatzes
vom 23.03.2016 war der anwaltlich vertretenen Klägerin die Regelung des § 231 Abs. 4b SGB VI bekannt. Sie vertrat lediglich die Auffassung, ein erneuter Antrag sei nicht erforderlich. Es wäre ihr aber ohne Weiteres
möglich gewesen, jedenfalls vorsorglich bei der Beklagten einen fristgemäßen Antrag zu stellen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
IV. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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