LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.09.2019 - 7 AY 3535/18
Vorinstanzen: SG Freiburg 05.09.2018
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des SG Freiburg vom 5. September 2018 aufgehoben.
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 24. November 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Januar
2018 verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 2.967,64 Euro auszuzahlen.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Klage- und Berufungsverfahren.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Auszahlung eines sichergestellten und an den beklagten Leistungsträger überwiesenen Geldbetrages
an den Kläger streitig.
Der in 1990 geborene Kläger ist i. Staatsangehöriger. Er kam im September 2015 in die Bundesrepublik Deutschland. Bei einer
Kontrolle durch die Polizeiinspektion N.-Mitte in N. wurden beim Kläger am 7. September 2015 ausweislich des Sicherstellungsprotokolls
mit seinem Einverständnis Bargeld in Höhe von 3.000,00 Euro und 200,00 US-Dollar sichergestellt und nach § 7a Asylbewerberleistungsgesetz ( AsylbLG) in Verwahrung genommen. Der Kläger wurde von der Polizei angewiesen, in die Zentrale Aufnahmeeinrichtung (ZAE) Z. zur Registrierung
und Weiterleitung zu gehen, wo er am 11. September 2015 aufgenommen wurde. Von der Polizeiinspektion N.-Mitte wurde am 21.
September 2015 ein Geldbetrag in Höhe von 3.000,00 Euro und 200 US-Dollar (167,64 Euro) an die ZAE Z. überwiesen. Am 21. September
2015 wurde der Kläger zur Aufnahmeeinrichtung (AE) in K. weitergeleitet; nachdem er dort nicht registriert worden war, wurde
der Geldbetrag weiterhin in der ZAE Z. verwahrt.
Am 25. Februar 2016 kam der Kläger - nach seinen Angaben aus M. - in den Landkreis E ... Mit Unterbringungsbescheid vom 25.
Februar 2016 wurde er nach § 7 Flüchtlingsaufnahmegesetz (FlüAG) mit Wirkung vom 25. Februar 2016 in der Gemeinschaftsunterkunft
D. zur Unterbringung aufgenommen. Auf seinen Antrag vom 23. Februar 2016, in welchem er versicherte, weder über Einkommen
noch über Vermögen zu verfügen, bewilligte ihm der Beklagte mit Bescheid vom 15. April 2016 Leistungen nach dem AsylbLG ab dem 25. Februar 2016, und zwar für die Zeit vom 25. bis 29. Februar 2016 in Höhe von 31,92 Euro, für den Monat März 2016
einen Geldbetrag zur Deckung des soziokulturellen Existenzminimums in Höhe von 145,00 Euro, Grundleistungen zur Sicherung
des physischen Existenzminimums in Höhe von 185,14 Euro sowie ab April 2016 bis auf weiteres einen Geldbetrag zur Deckung
des soziokulturellen Existenzminimums in Höhe von monatlich 135,00 Euro und Grundleistungen zur Sicherung des physischen Existenzminimums
in Höhe 185,14 Euro. Weiter wurde ihm die unentgeltliche Nutzung der ihm zur Verfügung gestellten Unterkunft als Sachleistung
gewährt.
Am 13. Juni 2016 wurde dem Kläger eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens ausgestellt. Mit Einweisungsverfügung
der Gemeinde D. - Ortspolizeibehörde - vom 4. Oktober 2016 wurde der Kläger ab dem 4. Oktober 2016 in die gemeindliche Asylbewerberunterkunft
im Anwesen W. Straße X, 79211 D., eingewiesen und hierfür eine Nutzungsentschädigung von monatlich 90,00 Euro zuzüglich 90,00
Euro Nebenkostenvorauszahlung festgesetzt.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 6. Dezember 2016 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft
(§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Asylgesetz [AsylG]) zuerkannt.
Mit Bescheid vom 24. Januar 2017 stellte der Beklagte die bisher gewährten Leistungen nach dem AsylbLG mit Wirkung vom 1. Januar 2017 ein. Die Leistungen nach dem AsylbLG wurden letztmals am 25. November 2016 für Dezember 2016 auf das Konto des Klägers überwiesen.
In der Zeit vom 25. Februar 2016 bis zum 31. Dezember 2016 gewährte der Beklagte dem Kläger insgesamt 3.976,92 Euro (2.591,92
Euro Grundleistungen nach § 3 AsylbLG, 1.360,00 Euro Taschengeld, 25,00 Euro Krankenhilfe), daneben erhielt er als Sachleistung für die Zeit vom 25. Februar 2016
bis 4. Oktober 2016 Unterkunft; nach der Gebührenordnung des Landratsamts E. beträgt der Sachleistungswert Unterkunft monatlich
200,00 Euro.
Nachdem der Beklagte durch die ehrenamtliche Betreuerin des Klägers im Juli 2017 Kenntnis davon erhalten hatte, dass bei dem
Kläger bei seiner Einreise Barmittel sichergestellt worden waren, machte der Beklagte zunächst gegenüber der Polizeiinspektion
N.-Mitte einen Erstattungsanspruch geltend. Nach dessen Weiterleitung an die ZAE Z. teilte diese mit Schreiben vom 18. September
2017 dem Beklagten mit, der von der Polizei sichergestellte Betrag von 3.167,64 Euro sei als "gemischte Verwaltungseinnahme"
eingezogen worden, nachdem der Kläger zur AE K. weitergeleitet worden, dort jedoch nicht eingetroffen sei. In der Folgezeit
wurde der sichergestellte Betrag an den Beklagten überwiesen.
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2017 teilte der Beklagte dem Kläger mit, nach § 7 Abs. 1 AsylbLG seien Einkommen und Vermögen, über das verfügt werden könne, von dem Leistungsberechtigten vor Eintritt von Leistungen nach
dem AsylbLG aufzubrauchen. Abzusetzen sei ein Freibetrag in Höhe von 200,00 Euro. Der Kläger hätte sein Vermögen vor der Leistungsgewährung
im Zeitraum vom 25. Februar 2016 bis zum 31. Dezember 2016 einsetzen müssen, dies sei durch die Sicherstellung der Barmittel
jedoch nicht möglich gewesen. Das verfügbare Barvermögen werde abzüglich eines Freibetrages von 200,00 Euro, der an den Kläger
ausgezahlt wurde, einbehalten.
Am 3. November 2017 machte der Kläger gegenüber dem Beklagten die Auszahlung eines Geldbetrages von 3.167,64 Euro geltend.
Sein persönliches Vermögen habe bei seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland lediglich 200,00 Dollar, umgerechnet
167,64 Euro, betragen. Die Brüder O. und A. K. S. A., B./I., hätten ihm 3.000,00 Euro (jeweils 1.500,00 Euro) für seine Flucht
geliehen und forderten diese Beträge zurück. Mit Bescheid vom 24. November 2017 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Die sichergestellten
Barmittel seien Vermögen, das nach § 7 AsylbLG einzusetzen sei. Der Kläger habe im Zeitraum vom 25. Februar 2016 bis 31. Dezember 2016 Leistungen nach dem AsylbLG bezogen. Die sichergestellten Barmittel würden abzüglich des Freibetrages als vorhandenes Vermögen einbehalten.
Hiergegen legte der Kläger am 14. Dezember 2017 Widerspruch ein. Beigefügt war ein nicht datiertes Schreiben der Brüder O.
und A. K. S. A., in welchem diese angeben, sie seien mit dem Kläger und weiteren Freunden am 9. August 2015 gemeinsam nach
Europa aufgebrochen. In S. hätten sie dem Kläger einen Geldbetrag von jeweils 1.500,00 Euro geliehen, da sie nicht gewusst
hätten, wieviel Geld für die Reise bis nach Europa benötigt würde und er nur 300,00 Dollar dabei gehabt habe. Es sei vereinbart
worden, dass er den Betrag zurückgebe, falls er ihn nicht für die Reise benötigen würde. Sollte er nur einen Teil davon benötigen,
würde er den verbliebenen Betrag gleich zurückgeben und den Rest der 3.000,00 Euro zu einem späteren Zeitpunkt. Zu ihrer Überraschung
sei am 7. September 2015 in N. eine Zugkontrolle durchgeführt worden, bei welcher der Kläger habe aussteigen müssen. Sie selbst
seien nach B. weitergefahren. Zwei Tage später hätten sie den Kläger angerufen und ihn gebeten, den Geldbetrag zurückzugeben.
Mittlerweile seien sie zurück im I. und benötigten das Geld dringend.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 2018, auf den Bezug genommen wird, wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Gegen
den am 27. Januar 2018 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 13. Februar 2018 Klage zum Sozialgericht F (SG) erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, die sichergestellten 3.000,00 Euro seien nicht als Vermögen zu berücksichtigen.
Diesen Betrag habe er nur darlehensweise und damit lediglich vorübergehend erhalten, so dass es sich bereits überhaupt nicht
um "Vermögen" im Sinne der §§ 7, 7a AsylbLG handele.
Mit Gerichtsbescheid vom 5. September 2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Leistungen erbringende bzw. Erstattung beanspruchende Leistungsträger
dürfe auch auf das sichergestellte Vermögen zugreifen. Der streitige Betrag sei dem Kläger nicht etwa zur Verwahrung übergeben
worden, sondern um diesen auf der Flucht einzusetzen. Das Geld sei in das Eigentum des Klägers übergegangen, der einem entsprechenden
Darlehensrückzahlungsanspruch ausgesetzt sei. Dieser stehe der Berücksichtigung als Vermögen jedoch nicht entgegen. Das Vermögen
umfasse die Summe aller aktiven Vermögenswerte. Diese müssten grundsätzlich zur Sicherung des Lebensunterhalts eingesetzt
werden, eine Saldierung von Aktiva und Passiva sei nicht zulässig. Vorliegend sei insbesondere zu berücksichtigen, dass der
Geldbetrag dem Kläger in S. übergeben worden sei und somit bereits vor Erreichen der Bundesrepublik und bevor ein Leistungsanspruch
nach dem AsylbLG überhaupt denkbar sei. Der Geldbetrag habe gerade dazu gedient, dem Kläger den Weg in die Bundesrepublik zu ermöglichen,
nicht aber, um dort seinen Unterhalt zu sichern. Deswegen handele es sich auch nicht um (während des Leistungsbezuges erzieltes)
Einkommen, sondern um Vermögen.
Hiergegen hat der Kläger am 2. Oktober 2018 Berufung zum (LSG) B.-W. eingelegt. Er hat vorgetragen, zum einen sei nicht geklärt,
ob er tatsächlich Eigentümer der 3.000,00 Euro geworden sei; dies beurteile sich nach serbischem Recht, da die Darlehensgewährung
in S. erfolgt sei. Aber auch wenn er Eigentümer geworden sei, seien die 3.000,00 Euro mit einem Darlehensrückgewähranspruch
belastet und deshalb nicht als Vermögen zu berücksichtigen. Denn bei den 3.000,00 Euro habe es sich um den einzigen Vermögensgegenstand
gehandelt, über den er verfügt habe. Zwischen Vermögensgegenstand und Belastung bestehe eine ähnliche Identität wie zwischen
Vermögensgegenstand und dinglicher Belastung nach der Rechtsprechung des BundesSG (BSG) bei der dinglichen Belastung von Grundstücken.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des SG F vom 5. September 2018 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 24. November 2017 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 22. Januar 2018 zu verurteilen, einen Betrag in Höhe von 2.967,64 Euro an ihn auszuzahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Er trägt vor, bei den bei der Einreise des Klägers sichergestellten Beträgen von 3.000,00 Euro und 200,00 Dollar handele es
sich um Vermögen des Klägers. Normzweck und Norminhalt der Regelung des § 7 AsylbLG knüpften an das sozialhilferechtliche Gebot des Vorrangs der Selbst- und Dritthilfe und den daraus folgenden Grundsatz des
Nachrangs der Sozialhilfe an. § 7a AsylbLG diene gerade der Verhinderung einer rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen nach dem AsylbLG, indem er eine Rechtsgrundlage für die Sicherstellung vorhandener Vermögenswerte von Ausländern bei ihrer Einreise in die
Bundesrepublik Deutschland schaffe. Aus der tatbestandlichen Formulierung des § 7a AsylbLG "Leistungen nach diesem Gesetz" folge, dass in Anknüpfung an die vorzunehmende Begrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs
des § 7a Satz 1 AsylbLG auf Kostenerstattungsansprüche nach § 7 Abs. 1 Satz 3 AsylbLG regelmäßig nur diejenigen Leistungen zu verstehen seien, die solche Ansprüche entstehen ließen. Dies seien die nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG zu gewährenden Grundleistungen, deren Höhe sich in entsprechender Anwendung der in § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG genannten Leistungen auch betragsmäßig ausdrücken lasse. Auch die nach den §§ 4 und 6 AsylbLG erbrachten Leistungen lösten Erstattungsansprüche nach § 7 Abs. 1 Satz 3 AsylbLG aus. Der Erstattungsanspruch nach § 7 Abs. 1 Satz 3 AsylbLG setze zudem, anders als § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG, lediglich vorhandenes Vermögen voraus, ohne dass dieses im Zeitpunkt der Leistungserbringung verfügbar sein müsse. Hinzuzurechnen
sei noch der Wert der erbrachten Leistungen für die Unterbringung in der ZAE Z. und der BEA M. vom 11. September 2015 bis
zum 25. Februar 2016. Dem Kläger sei darüber hinaus zum Zeitpunkt der Leistungsgewährung der Verbleib des Geldes bekannt gewesen,
denn nach dem Schreiben der Regierung von Mittelfranken vom 5. Oktober 2017 habe der Kläger gewusst, dass das Geld in der
ZAE Z. verwahrt worden sei. Zudem habe der Kläger bei seiner Aufnahme in der Einrichtung des Beklagten die Frage nach seinen
Vermögensverhältnissen falsch beantwortet. Die Leistungsbewilligung an den Kläger sei deshalb rechtswidrig erfolgt.
Der Senat hat die beim Ausländeramt des Landratsamts E. geführte Ausländerakte und die beim Regierungspräsidium K. geführte
Akte des Klägers beigezogen, auf die Bezug genommen wird.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge,
welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die gemäß § 151 Abs. 1 SGgesetz ( SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).
Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid vom 24. November 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
22. Januar 2018, mit dem der Beklagte die Auszahlung der beim Kläger am 7. September 2015 sichergestellten Barmittel mit Ausnahme
des Betrages von 200,00 Euro abgelehnt hat. Hiergegen wendet sich der Kläger zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs-
und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG), mit der er die Rückzahlung des sichergestellten Geldbetrages geltend macht.
2. Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs ist der allgemeine öffentlich-rechtliche
Erstattungsanspruch.
a) Auch im öffentlichen Recht gilt - ebenso wie nach den §§ 812 ff. Bürgerliches Gesetzbuch ( BGB) im bürgerlichen Recht -, dass Leistungen ohne Rechtsgrund und sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen rückgängig
gemacht werden müssen. Der Verwirklichung dieses Grundsatzes dient der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch, der aus
rechtsstaatlichen Gründen generell eine Korrektur rechtsgrundloser Vermögensverschiebungen gebietet. Seine Geltung ist heute
allgemein anerkannt (st. Rspr., vgl. Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 18. Januar 2001 - 3 C 7/00 - BVerwGE 112, 351 - juris m.w.N.; BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 LW 1/16 R - BSGE 124, 128 - juris Rdnr. 27). Ebenso ist anerkannt, dass die Anspruchsvoraussetzungen denen des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs
entsprechen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 1985 - 7 C 48/82 - BVerwGE 71, 85 - juris Rdnr. 11; Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 22. November 2012 - 1 K 262.10 - juris Rdnr. 28). Das Bestehen des
Anspruchs des Klägers hängt mithin davon ab, ob der Beklagte die begehrten 2.967,40 Euro durch eine unmittelbare Vermögensverschiebung
zu Lasten des Klägers ohne Rechtsgrund erlangt hat. Das ist vorliegend der Fall.
b) Zwar hat es sich bei dem am 7. September 2015 von der Polizeiinspektion N.-Mitte sichergestellten Geld um Vermögen des
Klägers im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG gehandelt. Einkommen und Vermögen werden im AsylbLG nicht definiert. Was unter Einkommen bzw. Vermögen zu verstehen ist, ist deshalb unter Rückgriff auf die Bestimmungen der
§§ 82, 90 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) zu bestimmen (vgl. BSG, Urteil 26. Juni 2013 - B 7 AY 6/11 R - juris Rdnr. 23 f.). Vermögen sind danach alle beweglichen und unbeweglichen Güter
und Rechte in Geld oder Geldeswert; umfasst werden auch Forderungen bzw. Ansprüche gegen Dritte, soweit sie nicht normativ
dem Einkommen zuzurechnen sind. Das Vermögen umfasst die Summe aller aktiven Vermögenswerte (z.B. BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 - B 4 AS 28/09 R - juris Rdnr. 22; BSG, Urteil vom 25. August 2011 - B 8 SO 19/10 R - juris Rdnr. 13). Hierbei sind alle Vermögensbestandteile einzeln zu betrachten.
Zu berücksichtigen ist nur das tatsächlich vorhandene Vermögen (vgl. Senatsurteil vom 4. August 2016 - L 7 SO 1394/16 - juris
Rdnr. 32; Mecke in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 90 Rdnr. 11 ff. m.w.N.). Vom Vermögen abzugrenzen ist das Einkommen. Hierbei ist an die Regelungen im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und SGB XII und der dort maßgeblichen modifizierten Zuflusstheorie anzuknüpfen. Danach gilt als Einkommen all das, was jemand nach Antragstellung
wertmäßig dazu erhält und als Vermögen das, was er bei Antragstellung bereits hatte (ständige Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 30. September 2008 - B 4 AS 29/07 R - juris Rdnr. 18). Dahingestellt bleiben kann, ob der Kläger von Anfang an Eigentümer der sichergestellten Geldmittel war
- wofür spricht, dass er ausweislich des Protokolls der Polizeiinspektion N.-Mitte vom 8. September 2015 angegeben hatte,
Eigentümer der Geldmittel zu sein -, oder ob er diese von den Brüdern S. A. als Darlehen erhalten hatte. Denn die behauptete
Darlehensgewährung war jedenfalls bereits vor der Einreise des Klägers in die Bundesrepublik Deutschland erfolgt, so dass
der Kläger bereits vor der Sicherstellung am 7. September 2015 über den Geldbetrag verfügen konnte. Dahingestellt bleiben
kann hierbei, nach welchem Recht der nach den Angaben des Klägers in S. geschlossene Darlehensvertrag zu bewerten ist. Maßgeblich
ist vorliegend allein, dass der dem Kläger übergebene Geldbetrag prinzipiell geeignet war, zur Sicherung seines Lebensunterhalts
zu dienen (vgl. Mecke in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 90 Rdnr. 13) und er zu diesem Zweck auch hierüber zur Bestreitung seines Lebensunterhalts verfügen konnte.
Der Berücksichtigung als Vermögen des Klägers steht auch nicht entgegen, dass dieser möglicherweise einem Darlehensrückzahlungsanspruch
ausgesetzt ist. Nicht zutreffend ist die in der Berufungsbegründung vertretene Auffassung, just der sichergestellte Vermögensbestandteil
sei mit einer Rückzahlungsverpflichtung belastet. Dies wäre nämlich nur dann der Fall, wenn das konkret dem Kläger als Darlehen
ausgehändigte Geld wieder zurückgegeben werden müsste. Dem steht jedoch bereits entgegen, dass die Vorschriften über den Sachdarlehensvertrag
auf die Übergabe von Geld keine Anwendung finden (§ 607 Abs. 2 BGB). Der Darlehensrückzahlungsanspruch bezieht sich deshalb nur auf die Summe des Geldes, nicht dagegen auf die Rückgabe konkret
ausgehändigter Geldscheine.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist die Berücksichtigung von Verbindlichkeiten bei der Feststellung der vorhandenen Vermögenswerte allenfalls dann geboten,
wenn eine Verbindlichkeit unmittelbar auf dem fraglichen Vermögensgegenstand lastet (z. B. eine auf einem Grundstück eingetragene
Hypothek), da der Vermögensgegenstand in diesem Fall nicht ohne Abzüge veräußert werden könnte (BSG, Urteil vom 15. April 2008 - B 14 AS 27/07 R - juris Rdnr. 44; Beschluss vom 2. November 2011 - B 4 AS 154/11 B - juris Rdnr. 7). Eine solche unmittelbare Belastung liegt, wie ausgeführt, nicht vor. Unzutreffend ist auch der weitere
Berufungsvortrag, bei dem Betrag von 3.000,00 Euro habe es sich um den einzigen Vermögensgegenstand des Klägers gehandelt.
Dagegen spricht nämlich, dass bei dem Kläger am 7. September 2015 neben dem Betrag von 3.000,00 Euro ein weiterer Geldbetrag
i.H.v. 200,00 US-Dollar sichergestellt worden ist.
c) Ein Rechtsgrund für die Vermögensverschiebung liegt jedoch nicht vor und folgt insbesondere nicht aus § 7a Satz 1 AsylbLG. Danach kann von Leistungsberechtigten wegen der ihnen und ihren Familienangehörigen zu gewährenden Leistungen nach diesem
Gesetz Sicherheit verlangt werden, soweit Vermögen im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG vorhanden ist.
aa) Hierbei sind "zu gewährende Leistungen" - anders als erbrachte Leistungen - nur diejenigen Leistungen, welche die zuständige
Behörde zur Erfüllung von Rechtsansprüchen der Leistungsberechtigten rechtmäßig zu leisten hat (W. in G./W., SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 7a AsylbLG Rdnr. 8; Groth in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 7a Rdnr. 16). Der Anwendungsbereich des § 7a Satz 1 AsylbLG ist deshalb im Regelfall erheblich eingeschränkt; die Vorschrift erstreckt sich im Wesentlichen auf die Fälle des § 7 Abs. 1 Satz 3 AsylbLG, in denen Leistungsberechtigte trotz vorhandenen Vermögens in einer Einrichtung (insbesondere in einer Gemeinschaftsunterkunft)
Sachleistungen beziehen und dem Träger deshalb zur Kostenerstattung verpflichtet sind (Groth, a.a.O., Rdnr. 16; Hohm in GK- AsylbLG, Stand Juni 2018, § 7a Rdnr. 23 m.w.N.; a.A. Cantzler, AsylbLG, 2019, § 7a Rdnr. 10). Für alle anderen Leistungen scheidet eine Sicherheitsleistung im Regelfall aus, da Vermögen vor der Inanspruchnahme
von Leistungen aufzubrauchen ist (§ 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG) und deshalb bei Vorhandensein von Vermögen mangels Hilfebedürftigkeit kein rechtmäßiger Leistungsanspruch besteht.
bb) Eine Sicherheitsleistung nach § 7a Satz 1 AsylbLG darf zudem nur von der Behörde angeordnet werden, die als Träger der Leistungen nach dem AsylbLG sachlich und örtlich zuständig ist. Denn nur sie hat als diejenige Behörde, die die Leistungen zu gewähren hat, ein berechtigtes
Interesse an der Anordnung der Sicherheitsleistung (Dollinger in Siefert, AsylbLG, 2018, § 7a Rdnr. 9). Die Leistungsbehörden sind nach §§ 10, 10a AsylbLG für die Anordnung der Sicherheitsleistung zuständig. Hierdurch erhalten sie aber nicht die Befugnis, diese unter Anwendung
unmittelbaren Zwangs durchzusetzen. Die zur Anwendung unmittelbaren Zwangs befugten Vollstreckungsbehörden bzw. -beamten sind
vielmehr nach den landesgesetzlichen Regelungen zu bestimmen, sie müssen dann ggf. von den Leistungsbehörden nach dem AsylbLG herangezogen werden (Cantzler, a.a.O., § 7a Rdnr. 19). Vorliegend erfolgte die Anordnung der Sicherheitsleistung jedoch nicht durch den Beklagten bzw. die im Zeitpunkt
der Anordnung für Leistungen nach dem AsylbLG zuständigen Behörde, sondern durch die Ortspolizeibehörde und damit durch eine unzuständige Behörde.
cc) Darüber hinaus setzt die Anordnung einer Sicherheitsleistung eine Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 40 Verwaltungsverfahrensgesetz [VwVfG]) voraus. Dies muss in der Begründung der Entscheidung zum Ausdruck kommen; diese soll die Gesichtspunkte erkennen
lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist (§ 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG) (Dollinger, a.a.O., § 7a Rdnr. 17). Eine Ermessensentscheidung ist vorliegend nicht getroffen worden.
§ 7a Satz 1 AsylbLG ermächtigt jedenfalls nicht die Einbehaltung von Vermögen zur generellen Herstellung des Nachrangs der Leistungen nach dem
AsylbLG oder zur Sicherung jedweder Erstattungsansprüche, im Besonderen nicht der auf der Grundlage des § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. § 50 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) als Folge der Aufhebung einer Leistungsbewilligung auf der Grundlage der §§ 44 ff. SGB X (Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. April 2016 - L 15 AY 2/12 - juris Rdnr. 28), die hier ohnehin
nicht vorliegt.
d) Ein Kostenerstattungsanspruch der Beklagten folgt auch nicht aus § 7 Abs. 1 Satz 3 AsylbLG. Danach haben Leistungsberechtigte bei der Unterbringung in einer Einrichtung, in der Sachleistungen gewährt werden, soweit
Einkommen und Vermögen im Sinne des Satzes 1 vorhanden sind, für die erhaltenen Leistungen dem Kostenträger für sich und ihre
Familienangehörigen die Kosten in entsprechender Höhe der in § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG genannten Leistungen sowie die Kosten der Unterkunft und Heizung zu erstatten; für die Kosten der Unterkunft und Heizung
können die Länder Pauschalbeträge festsetzen oder die zuständige Behörde dazu ermächtigen. Der Erstattungsanspruch nach §
7 Abs. 1 Satz 3 AsylbLG setzt voraus, dass der Erstattungspflichtige Leistungen in Form von Sachleistungen erhalten hat (Cantzler, a.a.O., § 7 Rdnr. 44; Scheider in GK- AsylbLG, § 7 Rdnr. 98) und wäre deshalb allein auf die Unterkunftskosten beschränkt, da nur diese als Sachleistung erbracht worden sind.
Vorliegend fehlt es aber bereits an einem Verwaltungsakt, mit dem die zu erstattenden Kosten geltend zu machen sind (vgl.
Scheider in GK- AsylbLG, Stand Januar 2018, § 7 Rdnr. 160). Die Erstattungspflicht tritt entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten zudem nur ein, soweit Einkommen oder
Vermögen im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG vorhanden sind. Aus der Gesetzesformulierung bzw. der Bezugnahme auf Satz 1 ergibt sich, dass bei der Erstattungsforderung
Einkommen und Vermögen nur zu berücksichtigen sind, soweit sie schon während des Leistungsbezugs in der Einrichtung vorhanden
und verfügbar waren (Cantzler, a.a.O., § 7 Rdnr. 48; Krauß in Siefert, AsylbLG, § 7 Rdnr. 46; Senatsurteil vom 8. Dezember 2011 - L 7 AY 3353/09 - juris Rdnr. 19). Das Vermögen im Sinne von § 7 Abs. 1 AsylbLG ist dann "verfügbar", wenn es ohne tatsächliche oder rechtliche Hindernisse zur Bestreitung des aktuellen Lebensunterhalts
eingesetzt werden kann. Es muss sich also - wie im Rahmen des § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII - um sog. bereite Mittel handeln (Senatsurteil vom 8. Dezember 2011 - L 7 AY 3353/09 - juris Rdnr. 19; Schmidt in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 7 AsylbLG Rdnr. 48). Dies war vorliegend nicht der Fall. Bei dem eingezogenen Betrag hat es sich im Zeitraum der Leistungsgewährung
durch den Beklagten nicht um bereite Mittel des Klägers gehandelt. Denn dem Kläger war während des Leistungsbezugs der Verbleib
der eingezogenen Geldmittel nicht bekannt, er konnte deshalb nicht auf das bei der ZAE Z. verwahrte Vermögen zur Bestreitung
seines aktuellen Lebensunterhalts zurückgreifen. Im vom Kläger unterzeichneten Sicherstellungsprotokoll vom 7. September 2015
ist lediglich die Sicherstellung des beschlagnahmten Bargeldes durch Polizeibeamte der Polizeiinspektion N.-Mitte, nicht jedoch
der Verbleib des Bargeldes dokumentiert. Die Mitteilung über die Maßnahme nach § 7a AsylbLG und die Weiterleitung der Geldmittel an die Sozialbehörde vom 8. September 2015 (Bl. 95 Beklagtenakte) ist nicht zur Kenntnis
des Klägers gelangt. Mit Schreiben vom 15. September 2015 hat die ZAE Z. der Polizeiinspektion N.-Mitte mitgeteilt, der Kläger
sei in der ZAE Z. nicht eingetroffen. Es werde um Überweisung des Geldes an die ZAE Z. gebeten, das Geld werde dann weitergeleitet.
In einer "Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender" vom 21. September 2019 eines Sachbearbeiters der ZAE Z. wurde
als zuständige Aufnahmeeinrichtung die ZAST K. genannt. An einbehaltenen Unterlagen wurde nur der Nationalpass aufgeführt.
Eine Mitteilung an den Kläger über den Verbleib des Geldes ist damit nicht erfolgt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus
dem Schreiben der ZAE Z. vom 5. Oktober 2017 an den Kläger. Dieses bezieht sich nämlich auf eine Anfrage des Klägers vom 25.
September 2017 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge N., in welcher dieser mitgeteilt hatte, mittlerweile habe er
den Verbleib des Geldbetrages recherchiert, ihm sei von einem Mitarbeiter der ZAE Z. mitgeteilt worden, dass der Geldbetrag
immer noch auf einem Sparkassenkonto der Sparkasse F. liege. Dem Kläger war danach bis zu dieser Information nicht bekannt,
wo der eingezogene Geldbetrag verwahrt wurde. Auch der aufbewahrenden Stelle, der ZAE Z., war nicht bekannt, wo sich der Kläger
aufhielt, nachdem er von dort am 21. September 2015 zur Aufnahmeeinrichtung in K. weitergeleitet, dort jedoch nicht registriert
worden war. So hat der Kläger im Schreiben vom 3. November 2017 auch angegeben, der Verbleib des Geldbetrages sei zwei Jahre
lang ungeklärt gewesen. Verbleibende Zweifel gehen zu Lasten des Beklagten, der insoweit die materielle Beweislast für das
Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 3 AsylbLG trägt (Scheider a.a.O., § 7 Rdnr. 110; Cantzler, a.a.O., § 7 Rdnr. 48).
e) Schließlich ist auch keine Rücknahme der Leistungsbewilligung nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. § 45 SGB X erfolgt und kann - da die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X abgelaufen ist - auch nicht mehr rechtmäßig erfolgen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Es entspricht billigem Ermessen, dass der Beklagte trotz einer geringfügigen teilweisen Berufungsrücknahme angesichts des
betragsmäßig weit überwiegenden Obsiegens des Klägers dessen außergerichtliche Kosten in beiden Instanzen trägt.
4. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
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