Einstweiliger Rechtsschutz im sozialgerichtlichen Verfahren; Statthaftigkeit einer einstweiligen Anordnung auf Unterlassung
der Einleitung eines Rehabilitationsverfahrens
Gründe:
I. In dem Beschwerdeverfahren ist die Verpflichtung der Antragsgegnerin (Ag) streitig, von der Antragstellerin (ASt) bis auf
Weiteres keine Teilnahme an einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme zu verlangen.
In dem beim Sozialgericht Nürnberg (SG) anhängigen Klageverfahren (S 16 R 385/08) hat die ASt unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide die Verpflichtung der Ag beantragt, ihr auf den Antrag vom 15.05.2007
Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren. Das SG hat den Internisten Dr.S. mit Gutachten vom 14.10.2008 gehört. Dieser hat ein dreistündiges Leistungsvermögen der ASt angenommen.
Es bestünde aber eine begründete Aussicht, durch Anwendung bisher noch ungenutzter diagnostischer Verfahren und erweiterter
therapeutischer Maßnahmen die vorhandenen Gesundheitsstörungen soweit zu bessern, dass ein Leistungsvermögen von sechs Stunden
und mehr in absehbarer Zeit erreicht werden könne. Diese Maßnahmen könnten im Rahmen eines stationären Rehabilitationsverfahrens
konzentriert werden. Der ebenfalls gehörte Neurologe und Psychiater Dr.B. hat auf seinem Fachgebiet eine zeitliche Einschränkung
des Leistungsvermögens nicht festgestellt (Gutachten vom 20.01.2009).
Die Ag hat unter Hinweis auf die Ausführungen der Sachverständigen den Antrag auf Abweisung der Klage aufrecht erhalten. Vordringlich
erscheine die Durchführung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme. Diese Leistung hätte Vorrang vor der Gewährung einer
Rente.
Mit Schreiben vom 11.02.2009 hat die Ag der ASt Antragsformulare für eine medizinische Leistung zur Rehabilitation mit der
Bitte übersandt, diese vollständig ausgefüllt zurückzusenden. Die Ag hat die ASt an die Übersendung der Formulare erinnert
(Schreiben vom 19.03.2009).
Am 27.03.2009 hat die ASt beim SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung dahingehend beantragt, dass die Ag von ihr bis auf Weiteres keine Rehabilitationsmaßnahmen
mehr verlange. Durch eine solche Maßnahme könne keine Verbesserung ihres Gesundheitszustandes erreicht werden. Die Ag habe
mit Mahnung und per Bescheid vom 19.02.2009 einen Rehabilitationsaufenthalt verlangt, der aus medizinischer Sicht völlig sinnlos
sei. Es sei völlig aussichtslos, dass sie ihren sozialrechtlichen Mitwirkungspflichten nachkomme, weshalb der Bescheid nicht
zu erlassen gewesen sei.
Mit Beschluss vom 08.09.2009 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Eine Sicherungsanordnung komme nicht in Betracht, da ein Recht,
das durch eine bestandsschützende Anordnung gesichert werden müsste, hier ein Recht auf Rentenzahlung, bisher nicht feststehe.
Eine Regelungsanordnung scheide ebenfalls aus. Einen Anordnungsgrund habe die ASt nicht glaubhaft gemacht. Schwere und unzumutbare
Nachteile seien nicht anzunehmen, weil es im Hauptsacheverfahren um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, d.h.
um Leistungen finanzieller Art gehe. Die ASt könne zumutbar auf den Bezug von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch
Sozialgesetzbuch verwiesen werden. Es fehle auch an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches. Zum einen habe die Ag
der ASt bisher lediglich mit Schreiben vom 19.02.2009 Antragsformulare für einen Antrag auf Leistungen zur medizinische Rehabilitation
übersandt und mit Schreiben vom 19.03.2009 hieran erinnert, jedoch keinen Verwaltungsakt über die Gewährung einer Leistung
zur medizinischen Rehabilitation erlassen. Einen "Bescheid vom 19.02.2009" - wie von der ASt angegeben - habe dem SG nicht vorgelegen und habe die Ag nach deren Angaben auch nicht erlassen. Zum anderen komme dem Grundsatz "Reha vor Rente"
kein anspruchsversagender Charakter zu. Dieser Grundsatz begründe für den Versicherten nur eine Obliegenheit, im zumutbaren
Umfang an der Verhinderung oder Beseitigung eines Versicherungsfalls mitzuwirken und sich insbesondere medizinischen Rehabilitationsleistungen
zu unterziehen. Dieser Grundsatz stelle nur einen Programmsatz dar, der nicht dazu berechtige, eine Rente zu versagen, wenn
deren tatbestandlichen Voraussetzungen gegeben seien und der Versicherte sich weigere, sich einer Rehabilitationsleistung
zu unterziehen. Ein Versagen der Leistung könne nur bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§
63,
66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) und durch einen im Ermessen des Rentenversicherungsträgers stehenden ausdrücklichen Bescheid erfolgen. Ein derartiges Verwaltungsverfahren
habe die Ag bisher weder eingeleitet noch durchgeführt.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der ASt. Es könne ihr nicht zugemutet werden, den Erlass eines Verwaltungsaktes über
die Teilnahme zur medizinischen Rehabilitation abzuwarten. Der Anordnungsgrund ergebe sich aus der Möglichkeit, Rentenleistungen
aufgrund einer behaupteten Unterlassung einer Mitwirkungsobliegenheit zu versagen. Bereits durch das Zusenden der auszufüllenden
Erklärung entstehe diese Obliegenheitspflicht. Die Gefahr sei, dass sie, sollte das Rentenverfahren erfolgreich beendet oder
aus sonstigen Gründen die Rente auszuzahlen sein, diese Rente aufgrund einer angeblichen Obliegenheitsverletzung nicht erhalte.
Auch der Anordnungsanspruch bestehe. Die Gefahr einer Versagung von Rentenzahlungen bestehe bereits aufgrund der unterlassenen
Mitwirkung. Selbst wenn es noch eines Verwaltungsaktes dafür bedürfte, wäre die Bedrohungssituation gegeben. Bereits durch
das Zusenden des Antrages gehe die Ag fest davon aus, dass eine Rehabilitationsmaßnahme durchzuführen sei. Zwischen einem
Nichtausfüllen und einer Versagung der Leistung erfolgten demnach keine weiteren Zwischenprüfungen.
Die ASt beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 08.09.2009 und den Bescheid der Ag vom 19.02.2009 aufzuheben und die Ag zu verpflichten,
von der ASt bis auf Weiteres keine Teilnahme an Rehabilitationsmaßnahmen zu verlangen.
Die Ag beantragt,
die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 08.09.2009 zurückzuweisen.
Das SG habe zutreffend darauf hingewiesen, dass durch die Beschwerdegegnerin lediglich die Antragsformulare für die Beantragung
von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation übersandt worden seien. Ein dahingehender Verwaltungsakt sei nicht erlassen
worden. Der Grundsatz "Reha vor Rente" begründe lediglich die Obliegenheit, in zumutbarem Umfang an der Verhinderung oder
Beseititgung der Leistungsminderung mitzuwirken, ein anspruchsversagender Charakter komme ihm nicht zu. Allerdings bestehe
die Obliegenheit, der Rehabilitation zuzustimmen, wenn zumindest wahrscheinlich sei, dass die Rehabilitation dauerhaften Erfolg
habe. Ein Verwaltungsverfahren mit dem Ziel der Versagung der Rentenleistung bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§
63,
66 SGB I sei nicht eingeleitet und folglich auch ein Verwaltungsakt selbigen Inhalts nicht erlassen worden.
Zur Ergänzung wird auf die Akten der Ag und auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der ASt ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Allerdings hat das SG den Antrag unzutreffend als unbegründet abgelehnt. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war aber schon nicht
statthaft und daher als unzulässig abzulehnen.
Aus dem Vorbringen der ASt wird deutlich, dass sie sich bereits gegen die Einleitung eines Rehabilitationsverfahrens wendet.
Sie begehrt die Aufhebung eines Bescheides vom 19.02.2009, der für den Senat ebenfalls in den Akten nicht auffindbar war,
meint aber offensichtlich die Schreiben der Ag vom 11.02.2009 und 19.03.2009, mit denen Antragsformulare für Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation übersandt bzw. an deren Rücksendung erinnert wurde. Sie widersetzt sich diesem Verlangen, da
derartige Maßnahmen medizinisch sinnlos seien und ihre Weigerung, die Antragsformulare ausgefüllt zurückzusenden oder der
Maßnahme zuzustimmen, eine Rentenversagung zur Folge haben könnte.
Mit diesem Begehren will die ASt im Ergebnis erreichen, dass die Ag die Verfahrenshandlung unterlässt, ein Rehabilitationsverfahren
einzuleiten. Nach §
115 Abs
1 Satz 1, Abs
4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) wird das Rehabilitationsverfahren auf Antrag oder von Amts wegen mit Zustimmung des Versicherten eingeleitet.
Indes können Rechtsbehelfe gegen Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit dem gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelf
geltend gemacht werden. Dies ergibt sich aus dem Rechtsgedanken des §
44a Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO), das Verwaltungsverfahren nicht durch die isolierte Anfechtung von unselbständigen Verfahrenshandlungen zu verzögern oder
zu erschweren. Dieser Rechtsgedanke ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren zu beachten (vgl. BSG Urteil vom 10.12.1992
- 11 RAr 71/91 = BB 1993, 1443 mwN, BSG Urteil vom 24.11.2004 - B 3 KR 16/03 R = SozR 4-2500 § 36 Nr 1). Der vorliegende Antrag ist zwar nicht auf die Anfechtung einer Verfahrenshandlung, sondern auf
die Verpflichtung der Antragsgegnerin gerichtet, die Einleitung eines Rehabilitationsverfahrens zu unterlassen. Unter die
Vorschrift des §
44a VwGO fallen aber nicht nur solche Rechtsbehelfe, die auf die Anfechtung einer Behördenentscheidung gerichtet sind, sondern darüber
hinaus auch alle anderen Arten von förmlichen Rechtsbehelfen (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner,
VwGO, RdNrn 3, 4 zu § 44a). Daher werden u.a. auch Verpflichtungsklagen, aber auch Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen
von §
44a VwGO erfasst. In Eilverfahren kann kein weitergehender Rechtsschutz erlangt werden als in Klageverfahren (vgl. BVerwG Beschluss
vom 21.03.1997 - 11 VR 2/97 = Buchholz 310 §
44a VwGO Nr 7).
Demnach kann die ASt nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Ag erreichen, die Übersendung der
Antragsformulare oder die Einleitung eines Rehabilitationsverfahrens zu unterlassen. Hierdurch wird die ASt nicht rechtlos
gestellt, da sie ihr Begehren, die Einleitung des Rehabilitationsverfahren zu verhindern, durch Versagung ihrer Zustimmung
erreichen kann (vgl. §
115 Abs
4 SGB VI). Den Befürchtungen, zukünftig einer möglichen Verwaltungsentscheidung nach §§
63,
66 SGB I ausgesetzt zu sein, kann nicht Rechnung getragen werden. Denn insoweit fehlt es an einem qualifizierten Rechtsschutzbedürfnis,
das für einen vorbeugenden Rechtsschutz erforderlich ist. Der sozialgerichtliche Rechtsschutz ist grundsätzlich nachgängiger
Rechtsschutz. Es ist den Gerichten grundsätzlich nicht erlaubt, der Behörde im Vorhinein den Erlass bestimmter Entscheidungen
zu verbieten oder vorzuschreiben. Es ist daher in der Regel abzuwarten, bis die Verwaltung gehandelt hat. Danach kann der
Klageweg beschritten werden und ggf. um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§
177 SGG).