Beginn einer Versorgungsrente
Beginn und Höhe eines Berufsschadensausgleichs
Folgen eines Gewahrsams in der DDR
Verwaltungsaktqualität von Ausführungsbescheiden
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten sind der Beginn der Versorgungsrente des Klägers nach einem GdS von 40 sowie Beginn und Höhe des
Berufsschadensausgleichs (BSA) nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) i.V.m. dem Häftlingshilfegesetz (HHG) streitig.
Der 1952 in Sachsen geborene Kläger wuchs in der DDR auf. Er befand sich dort vom 27.12.1977 bis 26.06.1978 und vom 10.08.1981
bis 10.11.1982 in Haft. Sodann wurde er in die Bundesrepublik Deutschland entlassen (10.11.1982). Am 19.02.1984 befand sich
der Kläger auf der Transitautobahn zwischen Berlin (West) und Hirschberg. Bei der Ausreisekontrolle an der Grenzübergangsstelle
Rudolphstein der DDR wurde der Kläger festgenommen. Er befand sich daraufhin vom 20.02.1984 bis 13.11.1987 wiederum in DDR-Haft.
Mit Urteil des Bezirksgerichts D. vom 19.10.1984 wurde er - unter Einbeziehung eines früheren Urteils vom 15.01.1982 - wegen
mehrfachen ungenehmigten Devisenwertumlaufs und wegen ungesetzlicher Warenausfuhr (teilweise in Tateinheit mit ungenehmigter
Ausfuhr von Kulturgut der DDR) zu einer Freiheitsstrafe verurteilt; ferner wurden die ihm gewährte Strafrestaussetzung zur
Bewährung widerrufen und der Vollzug des noch nicht vollstreckten Teils der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 15.01.1982
angeordnet. Am 13.11.1987 reiste der Kläger wieder zurück nach Bayern.
Am 06.07.1983 stellte die Regierung von Niederbayern eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 des Häftlingshilfegesetzes hinsichtlich der Haftzeiträume 27.12.1977 bis 26.06.1978 und 10.08.1981 bis 10.11.1982 aus. Am 08.11.1988 wurde von der Regierung
von Niederbayern eine entsprechende Bescheinigung hinsichtlich des Zeitraums vom 20.02.1984 bis 19.01.1985 ausgestellt. Hinsichtlich
des Zeitraums 20.01.1985 bis 13.11.1987 wurde keine Bescheinigung ausgestellt.
Mit Beschluss des Bezirksgerichts D. vom 08.05.1992 wurden das Urteil vom 15.01.1982 und teilweise auch das vorhergehende
Urteil vom 19.10.1984 (Rehabilitierungsentscheidung nach dem Rehabilitierungsgesetz (RehabG) in seiner vom 03.10.1990 bis
03.11.1992 geltenden Fassung (FNA III-33 bei juris) aufgehoben. Der Antrag auf Rehabilitierung hinsichtlich der Verurteilung
wegen ungesetzlicher Warenausfuhr etc. wurde vom Bezirksgericht zurückgewiesen. In dem Beschluss stellte das Gericht fest,
dass der Kläger für die bzgl. des Zeitraums vom 20.02.1984 bis 18.07.1985 entstandenen Nachteile Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen
habe. Mit Beschluss vom 05.10.1992 hob das Bezirksgericht D. das Urteil des Kreisgerichts D. vom 10.05.1978 bezüglich der
Haftzeit vom 27.12.1977 bis 26.06.1978 auf.
Hinsichtlich seines beruflichen Werdegangs liegen vom Kläger u.a. folgende Angaben (vgl. die Ausführungen gegenüber dem neuropsychiatrischen
Gutachter Dr. V. vom 10.01./24.01.1997 im Berufungsverfahren des Bayer. Landessozialgerichts - BayLSG - L 5 AR 208/95) vor: Die 9. und 10. Schulklasse habe er bei der Nationalen Volksarmee (NVA) besucht und so einen der Mittleren Reife vergleichbaren
Abschluss erreicht. Im Anschluss daran habe er eine Lehre zum Bleikristalldekorveredler erfolgreich durchlaufen. 1970 sei
er dann in die Armee eingetreten und nach Abschluss der Berufsausbildung zunächst im erlernten Beruf tätig gewesen, später
sei er auf Montage gegangen. Im Übrigen habe er seit dem 10. Lebensjahr Leistungssport betrieben. Als er 20 Jahre alt gewesen
sei, sei er DDR-Meister im Gewichtheben geworden. Bei der Armee habe er zudem eine Taucherausbildung erhalten und sei zwar
in allen Belangen gefördert, jedoch daran gehindert worden, an Auslandswettkämpfen und den Olympischen Spielen teilzunehmen,
da er Westverwandtschaft gehabt habe. Schließlich habe er einen Ausreiseantrag verfasst, worauf er drangsaliert worden sei.
Aus den Angaben des Klägers ergibt sich, dass er beim VEB H. E. von 1967 bis 1970 zum Glasveredler ausgebildet worden ist
(Facharbeiterzeugnis v. 27.07.1970; hier ist bestätigt, dass der Kläger die Arbeitstechniken eines Bleikristalldekorschleifers
beherrsche). Zudem legte der Kläger einen tabellarischen Lebenslauf und seinen Sozialversicherungsausweis (DDR) vor
Am 18.07.1983 stellte der Kläger bei einer persönlichen Vorsprache beim Beklagten erstmals Antrag auf Beschädigtenversorgung
nach dem BVG i.V.m. dem HHG. Er machte als Körperschäden Zahnschäden, Leberschäden, nervliche Angegriffenheit und eingeschränkte Darmtätigkeit geltend.
Am 25.11.1987 machte der Kläger sodann wegen der weiteren Haft bis 13.11.1987 weitere Gesundheitsschäden geltend wie Verlust
eines Schneidezahns, Wirbelsäulenverkrümmung und Ellenbogenbeschwerden, Leberschaden (Verschlimmerung) und psychische Beeinträchtigung.
Mit Bescheid vom 01.12.1988 erkannte der Beklagte als Folgen des Gewahrsams (Schädigungsfolgen) für die Zeit vom 01.11.1982
bis 10.11.1984 einen nervösen Erschöpfungs- und seelischen Versagenszustand bei psychiasthenischer Persönlichkeitsveranlagung
mit Neigung zu abnormen seelischen Reaktionen und Verlust des 1. unteren Schneidezahns rechts und als Schädigungsfolgen ab
11.11.1984 lediglich Verlust des 1. unteren Schneidezahns rechts an. Leberschaden, Störungen des Verdauungsapparats, zusätzliche
Zahnschäden, insbesondere die Zerstörung eines Backenzahns seien nicht Schädigungsfolgen. Die Voraussetzungen für Rentenleistungen
seien nicht erfüllt, weil keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um wenigstens 25 % vorliege. Im Bescheid wurde der Kläger
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auf den Antrag vom 25.11.1987 auf Anerkennung weiterer Haftschäden (Inhaftierung 20.02.1984
bis 13.11.1987) ein gesonderter Bescheid ergehen werde. Mit Bescheid vom 11.12.1989 wurde es abgelehnt, weitere Folgen eines
Gewahrsams anzuerkennen, da - auf psychiatrischem Fachgebiet - keine Schädigungsfolgen bestünden bzw. - auf orthopädischem
Fachgebiet und hinsichtlich von Zahnschäden - keine Kausalität gegeben sei. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Am 24.01.1993 stellte der Kläger Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) unter Anführung zahlreicher Gesundheitsstörungen. Mit Bescheid vom 07.05.1993 lehnte der Beklagte den Antrag ab, da bereits
mit Bescheid vom 01.12.1988 eine Beschädigtenrente nach dem HHG abgelehnt worden sei. Auch wenn es sich um einen Tatbestand im Sinne von § 1 Abs. 1 Ziffer 1 Buchst. a StrRehaG handle, komme § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG bezüglich der genannten Gesundheitsstörungen wegen Satz 2 der genannten Vorschrift nicht in Betracht. Im Übrigen seien die
im Antrag vom Januar 1993 geltend gemachten Gesundheitsstörungen weder über das HHG noch über das StrRehaG zu entschädigen. Der Widerspruch vom 27.05.1993 gegen diesen nach dem StrRehaG ergangenen Bescheid wurde vom Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 01.09.1993 als unbegründet zurückgewiesen. Hieran schloss
sich das Klageverfahren des Sozialgerichts (SG) Landshut S 9 VU 1/93 an. Nach der Erstellung von medizinischen Sachverständigengutachten bot der Beklagte vergleichsweise an, die PTBS als weitere
Haftschädigungsfolge anzuerkennen und die MdE mit Wirkung ab 01.01.1993 mit 30 % zu bewerten. Die Annahme dieses Vergleichsangebots
erledigte das Streitverfahren vor dem SG.
Mit Bescheid vom 01.10.2001 wurde der Vergleich vom Beklagten ausgeführt. Der Bescheid, der nach dem HHG erging, erwuchs in Bestandkraft. Im Verfügungssatz des Bescheids wurde geregelt, dass ab 01.01.1993 als Folgen einer Schädigung
nach dem HHG eine PTBS und der Verlust des 1. unteren Schneidezahns rechts im Sinne der Entstehung anerkannt würden. Die Schädigungsfolgen
bedingten eine MdE von 30, so dass Versorgungsrente zustehe. In der Begründung des Bescheids wurde darauf hingewiesen, dass
die Voraussetzungen für die Zahlung der Grundrente erfüllt seien; Ausgleichsrente könne mangels Schwerbehinderung nicht gezahlt
werden. Die besonderen Voraussetzungen für die sonstigen Versorgungsbezüge wie BSA etc. lägen ebenfalls nicht vor.
Mit am 09.02.2010 beim Beklagten eingegangenem Antrag begehrte der Kläger einen höheren Grad der Schädigungsfolgen (GdS) und
eine höhere Grundrente und machte eine Verschlimmerung der bereits anerkannten Schädigungsfolgen sowie neue Schädigungsfolgen
geltend: Neu seien seit ca. drei Jahren Herzrhythmusstörungen, Herzrasen, Bluthochdruck, Albträume, Schwindel, Übelkeit und
Krampfadern aufgetreten; die PTBS habe sich verschlechtert. Nach der Durchführung medizinischer Ermittlung erstellte am 26.07.2010
der Arzt K. eine versorgungsärztliche Stellungnahme und vertrat die Auffassung, dass die vom Kläger, der ab 30.06.2000 eine
Erwerbsminderungsrente der Deutschen Rentenversicherung bezog, geschilderten Beschwerden bereits im Rahmen der Anerkennung
der PTBS ausreichend berücksichtigt worden seien. Für die ab Juni 2000 bestehende Erwerbsunfähigkeit seien die Schädigungsfolgen
der Haft keine mindestens gleichwertige Mitursache gewesen.
Am 16.08.2010 erließ der Beklagte einen Bescheid nach dem HHG, in dem er eine Neufeststellung im Sinne von § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) bezüglich des Bescheids vom 01.10.2001, somit eine Neufeststellung von Schädigungsfolgen und eine Höherbewertung des GdS,
ablehnte. Der rein medizinische GdS, so der Beklagte, betrage 30. Eine Verschlimmerung sei nicht eingetreten. Zum BSA enthielt
der Bescheid keine Regelungen. Hiergegen erhob der Kläger am 07.09.2010 Widerspruch. Nach der Durchführung medizinischer Ermittlungen
kam die Neurologin und Psychiaterin Dr. A. am 23.05.2011 zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass eine Verschlimmerung der anerkannten
psychischen Schädigungsfolgen weiterhin nicht zu begründen sei. Es sei anzunehmen, dass für die bestehende Rente wegen Erwerbsunfähigkeit
die anerkannten Schädigungsfolgen eine zumindest annähernd gleichwertige Bedingung für den Eintritt gewesen seien.
In einem Aktenvermerk vom 24.05.2011 wurde vom Beklagten intern darauf hingewiesen, dass ein BSA-Anspruch wie auch eine besondere
berufliche Betroffenheit bislang nicht geprüft worden seien. Der am 09.02.2010 eingegangene Neufeststellungsantrag sei auf
alle in Betracht kommenden Leistungen gerichtet gewesen. Das schädigungsbedingte vorzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben
begründe einen Anspruch auf eine GdS-Erhöhung von 30 auf 40.
Mit Teilabhilfebescheid vom 26.05.2011 wurde ab 01.02.2010 ein GdS unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit
von 40 festgesetzt. Über den BSA werde gesondert entschieden. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.08.2011 wies der Beklagte den
Widerspruch, soweit ihm nicht abgeholfen worden sei, als unbegründet zurück. Eine höhere GdS-Einstufung ergebe sich nicht;
der rein medizinische GdS betrage 30.
Auch gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage zum SG Landshut (S 15 VH 2/11). Mit Gerichtsbescheid vom 28.03.2013 wies das SG die Klage ab, da nach Überzeugung des Gerichts im Vergleich zu den Verhältnissen, die dem Bescheid vom 01.10.2001 zugrunde
gelegen hätten, keine wesentliche Änderung hinsichtlich der Gesundheitsstörungen des Klägers eingetreten sei. Die daraufhin
zum Senat erhobene Berufung (L 15 VH 2/13) wurde zurückgenommen.
Im Folgenden führte der Beklagte Ermittlungen zum BSA durch. In einem internen Vermerk vom 08.11.2011 wurde u.a. die Angabe
des Klägers wiedergegeben, dass er im Westen eigentlich mit Antiquitäten handeln habe wollen, seine Waren von der DDR jedoch
beschlagnahmt worden seien. Für die Einstufung beim BSA sei dies aber unbeachtlich, da hier nur maßgebend sei, welcher Beruf
ohne die Schädigungsfolgen ausgeübt worden wäre. Im Hinblick auf das wechselhafte Berufsleben sei keine Einschätzung möglich,
welcher Beruf ohne Schädigungsfolgen vor dem Eintritt der Erwerbsunfähigkeit ausgeübt worden wäre.
Mit Bescheid vom 14.11.2011 "nach dem HHG" stellte der Beklagte auf den Antrag vom 09.02.2010 und im Anschluss an den (Teilabhilfe-)Bescheid vom 26.05.2011 gem. §
48 SGB X unter Aufhebung der bisherigen Entscheidung den Versorgungsanspruch wegen der Bewilligung von BSA neu fest. Für die Zeit
vor 01.02.2010 würden die Versorgungsbezüge nicht neu berechnet. BSA stehe zu, da der Kläger schädigungsbedingt vorzeitig
aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei. Vergleichseinkommen sei das Durchschnittseinkommen eines Facharbeiters im Wirtschaftsbereich
Produzierendes Gewerbe insgesamt; maßgeblich sei die Einstufung als Beschäftigter der Leistungsgruppe 3. Hiergegen erhob der
Kläger am 14.12.2011 Widerspruch, da die Leistungen des BSA mit Blick auf die Antragstellung am 09.02.2010 und im Hinblick
auf die Regelung von § 44 SGB X bereits ab 01.01.2006 zustünden.
Mit Bescheid vom 10.06.2013 nahm der Beklagte unter Anwendung von § 48 SGB X eine Neufeststellung bzgl. der Höhe der Versorgung wegen Änderungen des Bundesversorgungsgesetzes und der Erhöhung der Renteneinkünfte vor.
In einem Aktenvermerk vom 11.06.2013 wurde vom Beklagten festgestellt, dass noch ein Antrag vom 10.04.2013 offen geblieben
sei. BSA sei im Wege einer Rücknahme nach § 44 SGB X rückwirkend ab 01.01.2006 zu erbringen, weil sich dessen Ablehnung mit Bescheid vom 01.10.2001 nachträglich als rechtswidrig
herausgestellt habe. Der Verschlimmerungsantrag vom 09.02.2010 sei deshalb auch als Rücknahmeantrag nach § 44 SGB X zu werten. Sinngemäß müsse dies dann auch für die GdS-Erhöhung gelten. Die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit sei (von der Deutschen
Rentenversicherung) mit Bescheid vom 02.04.2001 bereits ab 30.06.2000 bewilligt worden; bis 30.04.1993 seien im Versicherungsverlauf
Pflichtbeiträge aufgeführt. Bei der Prüfung hätte man, so der Vermerk, bereits damals zumindest für die Zeit ab 30.06.2000
(Beginn der Rente) einen Anspruch auf GdS-Erhöhung nach § 30 Abs. 2 BVG und BSA anerkennen müssen. Der Bescheid vom 01.10.2001 sei daher bereits im Zeitpunkt seines Erlasses hinsichtlich der Ablehnung
des BSA rechtswidrig gewesen; auch die unterbliebene GdS-Erhöhung nach § 30 Abs. 2 BVG sei rechtswidrig gewesen, auch wenn im genannten Bescheid keine ausdrückliche Ablehnung erfolgt sei. Es lägen daher die Voraussetzungen
des § 44 SGB X vor, da der Bescheid vom 01.10.2001 bereits im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig gewesen sei. Der Verschlimmerungsantrag
vom 09.02.2010 sei daher auch als Antrag auf Rücknahme nach § 44 SGB X zu werten. Die GdS-Erhöhung nach § 30 Abs. 2 und der BSA seien gem. § 44 Abs. 4 SGB X ab 01.01.2006 zu bewilligen.
Mit Bescheid vom 17.06.2013 wurden der Bescheid vom 01.10.2011 sowie die entsprechenden Folgebescheide mit Wirkung ab 01.01.1993
insoweit zurückgenommen, als der GdS nicht auf 40 erhöht und als kein BSA gewährt worden sei. Es werde der GdS gem. § 30 Abs. 2 BVG von 30 auf 40 erhöht und BSA bewilligt. Die Berechnung der Versorgungsbezüge erfolge durch einen gesonderten Bescheid. Die
Leistungen, so die Begründung des Bescheids, würden mit Wirkung vom 01.01.2006 erbracht, also für oben erwähnten Vierjahreszeitraum,
gerechnet vom Beginn des Jahres an, in dem der Kläger den Antrag auf Rücknahme gestellt habe. Die späteren Ermittlungen hätten
ergeben, dass das vorzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben als schädigungsbedingt anzusehen sei.
Mit Bescheid vom 05.07.2013 wurden im Anschluss an den Bescheid vom 17.06.2013 gem. § 48 SGB X unter Aufhebung der bisherigen Entscheidung der Anspruch auf Versorgung wegen der Umstellung des Vergleichseinkommens und
der dazu gehörigen Bezeichnung des Wirtschaftsbereichs zum 01.07.2009 neu festgestellt. Im Fall des Klägers sei das neue Vergleichseinkommen
ab 01.07.2009 niedriger als das bisherige (in Höhe von 2.930,00 EUR). Der Beklagte lege daher zum Schutz des Besitzstandes
der Berechnung des BSA nach wie vor das alte Vergleichseinkommen zugrunde. Ab dem Zeitpunkt, zu dem das neue Vergleichseinkommen
die Höhe des alten erreiche oder sogar übersteige, entfalle der Besitzstand. Der Kläger sei nun in Leistungsgruppe 3 einzuordnen.
In dem Bescheid wurden die BSA-Beträge ab 1/2006 festgesetzt. Für die Zeit ab 01.02.2010 traf der Bescheid keine Feststellung.
Mit dem Begehren, es sei ein höherer BSA und ein solcher sei bereits ab 01.01.1993 zu leisten, erhob der Kläger sodann gegen
den Bescheid vom 10.06.2013 Widerspruch. Am 02.08.2013 erhob der Kläger gegen den Bescheid vom 05.07.2013 Widerspruch: Der
BSA sei bereits ab 01.01.1993 zu leisten.
In einem weiteren Schreiben hob der Kläger hervor, dass er ohne die rechtsstaatswidrigen Bedingungen in der DDR Sportlehrer
geworden wäre.
In einem internen Vermerk des Beklagten vom 09.08.2013 wurde festgehalten, dass der Verschlimmerungsantrag vom 09.02.2010
(s. oben) unter großzügiger Auslegung als Antrag auf Rücknahme nach § 44 SGB X gewertet worden sei. Der nun angefochtene Berechnungsbescheid (05.07.2013) beruhe auf dem Rücknahmebescheid vom 17.06.2013.
Mit Teilabhilfebescheid vom 31.10.2013 hob der Beklagte den Bescheid vom 14.11.2011 mit Wirkung ab 01.02.2010 sowie den Bescheid
vom 10.06.2013 mit Wirkung ab 01.07.2013 insoweit auf, als ein zu niedriger BSA gezahlt worden sei. Der Bescheid vom 06.06.2012
wurde aus demselben Grund für die Zeit ab 01.07.2012 gem. § 44 SGB X teilweise zurückgenommen. Ab 01.02.2010 werde ein höherer BSA gezahlt. Ab diesem Zeitpunkt werde unter Beachtung des Besitzstandes
weiterhin das bis 30.06.2009 maßgebende höhere Vergleichseinkommen bei der Berechnung des BSA berücksichtigt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.11.2013 wies der Beklagte den Widerspruch vom 17.06.2013 gegen den Bescheid vom 10.06.2013
insoweit zurück, als ihm nicht mit Teilabhilfebescheid vom 31.10.2013 abgeholfen worden sei. Der Widerspruch vom 03.08.2013
wurde ebenfalls zurückgewiesen. Zudem wurde festgestellt, dass der Bescheid vom 17.06.2013 der Sach- und Rechtslage entspreche
und nicht zu beanstanden sei. In der Begründung wurde hervorgehoben, dass angesichts der Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X keine Möglichkeit bestehe, Leistungen für die Zeit vor dem 01.01.2006 zu gewähren. Obwohl der Kläger in seinem Schreiben
vom 09.02.2010 mit keiner Silbe auf den Rentenbezug eingegangen sei, sondern ausschließlich gesundheitliche Aspekte erwähnt
habe, sei dieser Antrag sehr großzügig zu seinen Gunsten als Antrag nach § 44 SGB X gewertet worden. Mit dieser Wertung sei dem Kläger bereits sehr weit entgegengekommen worden. Der Bescheid vom 17.06.2013
und der Berechnungsbescheid vom 05.07.2013 seien daher nicht zu beanstanden. Bei der Berechnung des BSA sei als maßgebliches
Vergleichseinkommen das Durchschnittseinkommen eines Beschäftigten der Leistungsgruppe 3 im Wirtschaftsbereich Produzierendes
Gewerbe etc. zugrunde gelegt worden. Bei dieser Einstufung sei berücksichtigt worden, dass der Kläger über eine abgeschlossene
Berufsausbildung als Glasveredler verfüge und in verschiedenen Bereichen tätig gewesen sei. In diesem Zusammenhang sei zu
beachten, dass zum 01.07.2009 eine Umstellung des Vergleichseinkommens auf die Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe
2003, erfolgt sei. Ab diesem Zeitpunkt sei die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten aufgegeben worden. Die Arbeiter
der Leistungsgruppe 1 seien nach der neuen Systematik in die Leistungsgruppe 3 übernommen worden. Bei der Festlegung des Vergleichseinkommens
sei allein maßgeblich, welcher Beruf ohne die gesundheitliche Schädigung ausgeübt worden wäre und nicht, welcher Beschäftigung
vom Kläger ohne die Beschlagnahme von Antiquitäten nachgegangen worden wäre. Bei der Bearbeitung der Widersprüche sei aufgefallen,
dass vor der Umstellung der Vergleichseinkommen ein höheres Vergleichseinkommen im Fall des Klägers gegolten habe und dass
dieses im Rahmen des Besitzstandes bei der Berechnung weiterhin zugrunde zu legen gewesen sei; dies sei nunmehr im Bescheid
vom 31.10.2013 nachgeholt worden. Der BSA sei in den Bescheiden vom 05.07.2013 und 31.10.2013 richtig berechnet worden.
Am 12.12.2013 hat der Kläger Klage zum SG Landshut erhoben und sich gegen die Bescheide vom 17.06.2013 und 05.07.2013 gewandt.
Zur Begründung der Klage hat der Bevollmächtigte des Klägers im Wesentlichen darauf hingewiesen, dass der GdS bereits ab 1993
wegen der Berücksichtigung der besonderen beruflichen Betroffenheit auf 40 zu erhöhen und bereits ab 1993 BSA zu gewähren
sei. Hilfsweise begehre der Kläger die ihm zustehenden Leistungen ab dem Zeitpunkt der Rentengewährung durch die Deutsche
Rentenversicherung. Über den Antrag auf besondere berufliche Betroffenheit und BSA sei durch den Ausführungsbescheid im Jahr
2001 gar nicht entschieden worden. Dieser nehme lediglich in den Gründen hierauf Bezug. Auch der Beklagte selbst gehe davon
aus, dass die Frage des BSA und der besonderen beruflichen Betroffenheit gar nicht geprüft worden sei. Er sei daher zu verurteilen,
den Antrag vom Januar 1993 neu zu verbescheiden. Erst in der mündlichen Verhandlung am 22.09.2014 hat der Kläger dann beantragt,
dass der Beklagte einen höheren BSA bewilligen solle.
Mit Urteil vom 22.09.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Es wurde davon ausgegangen, dass auch der Bescheid vom 17.06.2013 angefochten worden sei und dass das
StrRehaG anwendbar sei. Der Kläger habe weder einen Anspruch darauf, dass rückwirkend bereits ab 01.01.1993 ein BSA und eine GdS-Erhöhung
nach § 30 Abs. 2 BVG zuerkannt würden, noch darauf, dass er im Rahmen der Berechnung des BSA nach einem höheren Vergleichseinkommen eingestuft
werde. - Der Kläger habe gegen den bestandskräftigen Bescheid vom 01.10.2001 keinen Rechtsbehelf eingelegt und auch nicht
vorgebracht, dass er bereits seit dem 01.06.2000 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erhalte. Nur auf diesem Weg hätte der
Beklagte, so das SG, eine Möglichkeit gehabt, die Frage nach der besonderen beruflichen Betroffenheit oder des BSA früher zu klären. Der Beklagte
habe aber erst im März 2010 erfahren, dass der Kläger eine Erwerbsunfähigkeitsrente beziehe, nachdem auf den Antrag des Klägers
vom 02.01.2010 entsprechende Ermittlungen eingeleitet worden seien. Es gebe keine Anhaltspunkte, dass der Beklagte früher
davon Kenntnis erlangt habe oder erlangen hätte müssen. Der Beklagte habe nicht ins Blaue hinein von sich aus in regelmäßigen
Abständen beim Rentenversicherungsträger nachfragen müssen, ob der Kläger von dort eine Rente beziehe. Im Übrigen treffe es
nicht zu, dass der klägerische Antrag vom 24.01.1993, der auf Versorgungsleistungen im Allgemeinen abgezielt habe, nicht verbeschieden
worden sei. In den Gründen des Bescheids vom 01.10.2001 habe der Beklagte explizit festgestellt, dass die Voraussetzungen
für die sonstigen Versorgungsbezüge (BSA etc.) nicht vorliegen würden. Auch sei im Tenor dieses Bescheids verbindlich erklärt
worden, dass die Haftschädigungsfolgen eine MdE von 30 bedingen würden, im Umkehrschluss also keine Erhöhung wegen besonderer
beruflicher Betroffenheit auf 40 vorzunehmen sei. Bei § 44 Abs. 4 SGB X handele es sich um eine materiellrechtliche Ausschlussfrist, die von den Leistungsträgern von Amts wegen zu beachten sei.
- Für das SG sei es u.a. mit Blick auf die berufliche Biographe des Klägers, die dieser selbst angegeben habe, nachvollziehbar, dass der
Beklagte den Kläger als Beschäftigten der Leistungsgruppe 3 im Produzierenden Gewerbe eingestuft habe. Der Kläger sei gelernter
Facharbeiter (Hohlglasveredler) und damit eindeutig dieser Gruppe zuzuordnen. Über seinen Ausbildungsberuf hinaus habe der
Kläger zahlreiche verschiedene Tätigkeiten durchgeführt (Straßen- und Tiefbauarbeiter, Zeitsoldat, Lager- und Transportarbeiter,
Gerüstbauer, Sportstättenarbeiter, Schwimmmeister, Qualitätsprüfer, Fahrer/Zolldeklarant etc.). Bei all diesen Berufen handele
es sich aber um angelernte Tätigkeiten, die selbst im Falle ihrer Zugrundelegung nicht zu einem höheren Vergleichseinkommen
führen würden. Darüber hinaus gebe es keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger ohne die Haftschädigungsfolgen
mit seinem Abschluss der Mittleren Reife ein Studium hätte aufnehmen können. Dazu hätte er sowohl in der DDR, als auch in
der Bundesrepublik "irgendeine Art von Hochschul- bzw. Fachhochschulreife benötigt". Im Übrigen würden nach dem StrRehaG nur die Folgen der rechtsstaatswidrigen Inhaftierungen entschädigt, dagegen nicht die sonstigen Einschränkungen, die mit
dem DDR-Regime verbunden gewesen seien.
Am 12.11.2014 hat der Kläger hiergegen Berufung zum BayLSG erhoben. Zur Begründung ist erneut hervorgehoben worden, dass der
BSA und der höhere GdS unter Berücksichtigung der besonderen beruflichen Betroffenheit von 40 bereits ab 01.01.1993 zu gewähren
sei. Der Mitarbeiter des Beklagten Herr F. habe bereits vor 2010 von der Rente des Klägers gewusst. Der Kläger hat beantragt,
den Genannten als Zeugen einzuvernehmen. Der neue Feststellungsantrag vom 08.02.2004, auf den der Bescheid vom 23.09.2004
im Verfahren nach dem
SGB IX ergangen sei, könne als maßgeblich für die Vierjahresfrist herangezogen werden. Hinsichtlich der Höhe des BSA hat der Kläger
hervorgehoben, dass er nicht nur Glasschleifer, sondern Bleikristalldekorveredler gewesen sei. Diese Tätigkeit sei eine wesentlich
anspruchsvollere und auch künstlerisch hochwertigere; sie sei die Tätigkeit eines Kunsthandwerkers. In der DDR sei er in die
höchste Lohngruppe (8) eingestuft gewesen und er habe damals mehr verdient als etwa ein Arzt oder Apotheker. Als Antiquitätenhändler
habe er dann nochmals ein deutlich höheres Einkommen (mindestens 10.000,00 bis 15.000,00 DM pro Monat) erzielt. Die späteren
Tätigkeiten, die als angelernte Tätigkeiten bezeichnet worden seien, seien lediglich aufgrund der Repressalien des Regimes
ausgeführt worden. Im Übrigen sei die Annahme unzutreffend, dass der Kläger lediglich als Facharbeiter Einnahmen hätte erzielen
können, wenn das Haftereignis nicht stattgefunden hätte. In den 1990er Jahren wäre der Kläger, so der Vortrag, von der Agentur
für Arbeit beinahe als Vertreter für die Firma B. vermittelt worden.
Mit Schriftsatz vom 28.06.2017 hat der Beklagte detailliert Stellung genommen. Obwohl im Bescheid vom 01.10.2001 ausdrücklich
dargelegt worden sei, dass die besonderen Voraussetzungen für die sonstigen Versorgungsbezüge (BSA etc.) nicht vorliegen würden,
sei vom Kläger nicht gegen die Ablehnung des BSA vorgegangen worden. Ein Hinweis auf den Bewilligungsbescheid der Rentenversicherung
vom 02.04.2001 sei seitens des Klägers weder im anhängigen Klageverfahren vor dem SG Landshut (S 9 VU 1/93) noch im Anschluss an den Bescheid vom 01.10.2001 erfolgt. Der Bezug der EU-Rente sei dem Beklagten erstmals im März 2010
bekannt geworden. Da der Kläger vor dem 01.07.2011 einen Anspruch auf BSA gehabt habe, sei für die Feststellung des Einkommensverlusts
die Berufsschadenausgleichsverordnung (BSchAV) in der Fassung vom 29.06.1984 einschlägig. Hinsichtlich der Höhe des maßgeblichen
Vergleichseinkommens seien §§ 2 ff BSchAV maßgeblich. Mit Blick auf die aus dem Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung
(s.o.) hervorgehenden unterschiedlichen Tätigkeiten und insbesondere mit Blick auf die Ausbildung zum Glasveredler habe der
Beklagte die Leistungsgruppe 1 bei Arbeitern im Wirtschaftsbereich produzierendes Gewerbe zugrunde gelegt. Für die Eingruppierung
in die Leistungsgruppen 1, 2 oder 3 (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 BSchAV alte Fassung - a.F.) seien die Gliederungsmerkmale maßgebend,
die das Statistische Bundesamt der Ermittlung der erfassten durchschnittlichen Bruttoverdienste zugrunde gelegt habe. Spätestens
ab März 1974 sei der Kläger nicht mehr in der Glasverarbeitung tätig geworden, sondern habe unterschiedliche Tätigkeiten in
verschiedenen Bereichen ausgeübt. Es lasse sich sonach nicht feststellen, in welchem Wirtschaftsbereich er ohne Schädigungsfolgen
tätig geworden wäre, so dass gem. § 3 Abs. 3 i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 1 BAV a.F. die Durchschnittsverdienste "Produzierendes Gewerbe" als Vergleichseinkommen gelten würden. Wie den beiliegenden (alten)
VE-Tabellen entnommen werden könne, betrage das Vergleichseinkommen eines Arbeiters der Leistungsgruppe 1 des Wirtschaftsbereichs
Produzierendes Gewerbe (zum 01.01.2006) mehr als bei einer Zuordnung zum Wirtschaftsbereich Herstellung und Verarbeitung von
Glas. Die Zuordnung in die Leistungsgruppe 1 als Arbeiter im Wirtschaftsbereich Produzierendes Gewerbe sei für den Kläger
die höchstmögliche Einstufung. Da das Vergleichseinkommen nach der alten Systematik im Monat vor der Umstellung beim Kläger
über dem ab Juli 2009 nach neuer Systematik geltenden Vergleichseinkommen gelegen habe, sei wegen des Besitzstandes der BSA-Berechnung
das höhere Einkommen solange zugrunde gelegt worden, bis das neue Vergleichseinkommen die Höhe des bisherigen erreicht habe;
dies sei ab Juli 2016 der Fall gewesen (s.o.). Weiter hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass die Beendigung des Antiquitätenhandels
mit den anerkannten Schädigungsfolgen, also mit der gesundheitlichen Verfassung des Klägers, nichts zu tun habe, sondern mit
der Beschlagnahme der Waren durch die DDR. Hierum gehe es aber bei der Festlegung des Vergleichseinkommens nicht.
Im Bescheid vom 05.12.2017 ist wegen einer Minderung des Vergleichseinkommens der bisherige Anspruch auf Versorgung neu festgestellt
worden. Dabei ist weiterhin von der Leistungsgruppe 3 ausgegangen worden. In dem Bescheid ist festgehalten worden, dass dieser
eine Ergänzung des Bescheids vom 17.06.2013 darstelle. Der Bescheid hat eine Rechtsbehelfsbelehrung erhalten. Dieser entsprechend
hat der Kläger am 20.12.2017 beim Beklagten Widerspruch erhoben. Der Kläger könne, so der Vortrag im Berufungsverfahren, nicht
nachvollziehen, weshalb er bei gleicher Sachlage jetzt "nochmals weniger" Rente bekomme.
Am 11.01.2018 fand ein Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage des Senats statt. In dem Termin hat die Klägerseite
u.a. hervorgehoben, dass in der DDR im Rahmen solcher Ausbildungsverhältnisse wie bei der Berufsfachschule für Kunsthandwerk
in E. - wie heute in dualen Ausbildungen an Fachhochschulen - qualitativ sehr anspruchsvolle Leistungen im Bereich der praktischen
und der theoretischen Ausbildung verlangt worden seien, die durchaus einem dualen Hochschulabschluss (in Theorie und Praxis)
gleichzustellen seien. Im Erörterungstermin hat die Klägerseite hinsichtlich des beruflichen Werdegangs ausdrücklich auf das
Gutachten von Dr. V. (im Verfahren L 5 AR 208/95) und auf seinen Lebenslauf verwiesen. Der Beklagte hat betont, dass er sich bei der Tätigkeit des Klägers auf jeden Fall
um eine handwerkliche gehandelt habe.
Im weiteren Verlauf hat der Kläger vorgetragen, dass der Beruf des Bleikristalldekorveredlers in der DDR unter der Rubrik
Kunsthandwerker eingestuft worden sei und dass er zum Kreis der anerkannten Dopinggeschädigten der DDR zähle. Wegen der besonderen
Leistungen im Beruf habe der Kläger seinerzeit mehrere Monate früher als seine Alterskollegen und Mitgesellen zur entsprechenden
Prüfung zugelassen werden können. Für diese Prüfung habe er ein neues Dekor für einen großen Kuchenteller aus Bleikristall
entworfen, gezeichnet und später geschliffen und kariert. Dieser sei auf der Meistermesse in L. ausgestellt worden und habe
eine Auszeichnung und den ersten Platz erhalten. Bei der NVA habe er mehrere DDR-NVA-Rekorde erzielt, u.a. Gewichtstoßen vor
der Brust. Er habe grandiose sportliche Leistungen gezeigt, sei aber aus politischen Gründen abgelehnt und diskriminiert sowie
politisch verfolgt worden.
Mit Schriftsatz vom 27.03.2018 hat der Beklagte zur Frage der Einstufung des Klägers in die nächsthöhere Leistungsgruppe 2
(neue Systematik) und am 12.10.2018 zum Bescheid vom 05.12.2017 Stellung genommen.
Am 08.05.2018 hat der Kläger darauf hingewiesen, dass aus seiner Sicht ein sozialrechtlicher Wiederherstellungsanspruch bestehe.
Er sei der Meinung, dass ihm ab 1993 die begehrte Leistung zugestanden habe und alle Voraussetzungen der Beklagtenseite auch
bekannt gewesen seien. Hinsichtlich der Einstufung sei noch zu ermitteln.
Mit Beschluss vom 14.05.2018 hat der Senat PKH bewilligt und den Bevollmächtigten beigeordnet.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 22.09.2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung der Bescheide
vom 17.06.2013 und 05.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.11.2013 und des Bescheids vom 05.12.2017 ab
01.01.1993 Versorgungsrente nach einem GdS von 40 (inklusive einer besonderen beruflichen Betroffenheit) und höhere Leistungen
des Berufsschadensausgleichs (nach der Leistungsgruppe 1 bzw. I) zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage abzuweisen
Der Senat hat die Verwaltungsakten zu den Verfahren nach dem HHG und dem StrRehaG sowie die Akten des SG Landshut beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der
beigezogenen Akten Bezug genommen, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Das Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Leistungen bereits ab 01.01.1993 noch auf einen höheren
BSA. Die angefochtenen Verwaltungsakte des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Gegenstand des Verfahrens sind die Bescheide vom 17.06.2013 und 05.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.11.2013
und der Bescheid vom 05.12.2017. Letzterer ist gem. §
96 SGG Gegenstand geworden.
1. Früherer Leistungsbeginn
Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Versorgungsrente (GdS 40) und BSA bereits ab 01.01.1993.
a. Ein solcher Leistungsbeginn ergibt sich nicht, weil, wie die Klägerseite annimmt, der - umfassende - Antrag vom 24.01.1993
hinsichtlich des BSA noch nicht verbeschieden worden wäre; ein früherer Beginn der Versorgungsrente nach dem begehrten GdS
lässt sich im Hinblick auf die ergangenen Entscheidungen (Bescheid vom 07.05.1993 bzw. 01.10.2001) mit einer solchen Argumentation
ohnehin nicht begründen.
Denn im Bescheid vom 01.10.2001 hat der Beklagte auch entschieden, dass kein BSA zustehe.
aa. Zwar ist die Verwaltungsaktqualität von Ausführungsbescheiden umstritten. Das BSG misst einem ohne eigenen Entscheidungsspielraum lediglich eine (auf einem Vergleich basierende) Verpflichtung nachvollziehenden
Ausführungsbescheid in der Regel keinen Regelungscharakter und damit keine Verwaltungsaktqualität im Sinne von § 31 SGB X zu (vgl. BSG vom 18.09.2003 - B 9 V 82/02 B). Eine Ausnahme soll dann gelten, wenn weitere Merkmale oder Leistungen in dem Ausführungsbescheid festgesetzt, also weitere
Regelungen getroffen werden (vgl. BSG vom 06.05.2010 - B 13 R 16/09 R). So ist es vorliegend der Fall, da der Beklagte in dem Bescheid vom 01.10.2001 nicht nur lediglich den Vergleich nachvollzogen,
sondern eben mit der Regelung zum BSA eine eigenständige Entscheidung getroffen hat. Zudem ist nach zutreffender Auffassung
des LSG Baden-Württemberg (29.04.2014 - L 6 VK 934/12) eine Regelung im Sinne des § 31 SGB X auch darin zu sehen, dass der Ausführungsbescheid einen gerichtlichen Vergleich richtig umsetzt mit der Folge, dass jeder
Ausführungsbescheid Regelungscharakter hat (so auch Schlegel/Voelzke, juris PK, SGB X, 2. Aufl. 2017, § 31, Rdnr. 56).
bb. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass - worauf der Kläger hingewiesen hat - der Bescheid den BSA explizit
nur in den Gründen nennt, nicht jedoch im Verfügungssatz. Davon abgesehen, dass der Regelungscharakter eines Bescheids nicht
an der lokalen Verortung in einem Textdokument festgemacht werden kann, sondern sich aufgrund materieller Überlegungen bestimmen
lässt, ergibt sich vorliegend der Regelungswille des Beklagten ohne Weiteres daraus, dass der Bescheid im Verfügungssatz eine
abschließende Aufzählung der dem Kläger zustehenden Leistungen enthält, so dass durch die Nichtnennung des BSA die Festlegung
ersichtlich ist, dass ein solcher nicht zu gewähren ist. Dies folgt auch aus der ausdrücklichen Regelung in den Gründen.
cc. Zudem ist es auch treuwidrig, dass sich der Kläger erst viele Jahre nach dem Bescheid vom 01.10.2001 - auch im Antrag
vom 09.02.2010 ist von einem BSA-Anspruch nicht die Rede (die Beantragung eines BSA wird entsprechend dem Vermerk vom 24.05.2011
nur fingiert) und im Widerspruch vom 14.12.2011 ist ein BSA erst ab 01.01.2006 verlangt worden - auf die unterbliebene Verbescheidung
eines angeblichen (1993 ebenfalls nicht ausdrücklich gestellten) Antrags auf BSA berufen hat. Richtiger Rechtsbehelf wäre
hier dann schon längst eine Untätigkeitsklage gewesen.
b. Ein Anspruch auf frühere Leistungen ergibt sich auch nicht daraus, weil der Beklagte mit Bescheiden vom 17.06.2013 und
05.07.2013 einen zu späten Leistungsbeginn festgesetzt hätte. Die genannten Bescheide in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 12.11.2013 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
(aa) Gegenstand des Gerichtsverfahrens sind wie oben erwähnt, wovon das SG zutreffend ausgegangen ist, die genannten Bescheide. Dagegen steht auch nicht, dass der Kläger den Bescheid vom 17.06.2013
jedenfalls nicht ausdrücklich angefochten hat. Denn der Widerspruch vom 02.08.2013 hat sich jedenfalls auch gegen den Bescheid
vom 17.06.2013 gerichtet, auch wenn dieser nicht genannt wurde. Vor allem hat der Beklagte (auch trotz Verfristung des Widerspruchs)
über den Bescheid vom 17.06.2013 im Widerspruchsbescheid eine Regelung getroffen: Nach der aus der maßgeblichen Sicht des
Klägers (Empfängerhorizont) anzunehmenden Regelung hat der Beklagte im Widerspruchsbescheid über den Widerspruch entschieden,
nämlich diesen Bescheid bestätigt. Zudem trifft auch der Bescheid vom 05.07.2013 eine eigenständige Regelung über den Beginn
der Versorgung des Klägers.
(bb) Ein Anspruch auf höhere Versorgungsrente (GdS 40) und BSA bereits ab 01.01.1993 folgt auch nicht etwa daraus, dass die
Voraussetzungen des Verlängerungstatbestands des § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG gegeben wären.
Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 BVG beginnen die Leistungen der Beschädigtenversorgung mit dem Antragsmonat, wenn die sonstigen materiell-rechtlichen Voraussetzungen,
insbesondere das Vorliegen einer Schädigung und der Eintritt der Schädigungsfolgen, erfüllt sind. Der Antrag ist im sozialen
Entschädigungsrecht materiell-rechtliche Voraussetzung des Anspruchs auf Leistungen der Beschädigtenversorgung (§ 1 BVG). Nach Satz 2 der genannten Vorschrift erfolgt im Sinne eines Ausnahmetatbestands eine rückwirkende Leistungsgewährung, wenn
der Antrag innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Schädigung gestellt wird. Der Gesetzgeber wollte damit den Versorgungsberechtigten
eine Überlegensfrist einräumen (vgl. Knörr, in: Knickrehm, Gesamtes soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl. 2012, § 60 BVG, Rdnr. 6). § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG verlängert als weiterer Ausnahmetatbestand den Zeitraum der rückwirkenden Leistungsgewährung bei unverschuldeter Verhinderung
der Antragstellung. Die Vorschrift ist vorliegend jedoch nicht einschlägig. § 60 Abs. 1 BVG regelt den Beginn der Leistungen der Beschädigtenversorgung nur beim Erstantrag (vgl. das Urteil des Senats vom 27.06.2017
- L 15 VG 16/11; Knörr, a.a.O., Rdnr. 3). Vorliegend handelt es sich jedoch gerade nicht um die erstmalige Antragstellung, sondern um einen
- zugunsten des Klägers - "fingierten" Überprüfungsantrag, wobei offen bleiben kann, welcher Antrag vor Februar 2010 als Erstantrag
anzusehen ist.
(cc) Der oben genannte Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 60 Abs. 2 BVG. Nach Abs. 2 der Vorschrift gilt Abs. 1 Satz 1 entsprechend, wenn eine höhere Leistung beantragt wird; war der Beschädigte ohne sein Verschulden
an der Antragstellung verhindert, so beginnt die höhere Leistung mit dem Monat, von dem an die Verhinderung nachgewiesen ist,
wenn der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrunds gestellt wird. Auch diese Vorschrift ist jedoch
nicht einschlägig, da sie hinsichtlich des Leistungsbeginns eine abweichende spezialgesetzliche Regelung (nur) zu § 48 SGB X enthält (vgl. Knörr, a.a.O., Rdnr. 10).
(dd) Maßgeblich ist somit § 44 SGB X. Nach § 44 Abs. 4 SGB X werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der Besonderen Teile des SGB, wozu auch das BVG zählt (§
68 Nr. 7 f Sozialgesetzbuch Erstes Buch -
SGB I), längstens bis zu einem Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von
Beginn des Jahres an angerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt wie hier die Rücknahme auf ("fingierten")
Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der
Antrag.
Danach beginnt die Versorgung vorliegend nicht vor dem 01.01.2006. Daran ändert auch nichts der Vortrag, dass für den Beklagten
- das Ausscheiden des Klägers aus dem Erwerbsleben kennend - eine Pflicht zum früheren Handeln, nämlich der Leistungsgewährung,
bestanden hätte. Davon abgesehen, dass die positive Kenntnis des Beklagten in keiner Weise nachgewiesen ist, ist die Verwaltung
auch nicht verpflichtet, den Aktenbestand auf Fehler durchzuforsten (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X: "im Einzelfall"). Vor allem ist die Unterlassung einer an sich gebotenen Fehlerkorrektur sanktionslos und verlängert die
Rückwirkung über Abs. 4 hinaus nicht (ausdrücklich z.B. Steinwedel, in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 96.
EL, 9/2017, § 44 SGB X, Rdnr. 24).
(ee) Schließlich besteht ein Anspruch auf höhere Versorgungsrente (GdS 40) und BSA bereits ab 01.01.1993 auch nicht aufgrund
eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Der Kläger kann auch unter diesem Gesichtspunkt nicht so gestellt werden, als
sei der Antrag auf einen höheren GdS und auf BSA früher gestellt worden.
Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung
des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Leistungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder des konkreten Sozialrechtsverhältnisses
gegenüber dem Berechtigten obliegenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§
14,
15 SGB I), ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Demnach ist eine dem Sozialleistungsträger zurechenbare behördliche Pflichtverletzung,
die (als wesentliche Bedingung) kausal zu einem sozialrechtlichen Nachteil des Berechtigten geworden ist, Anspruchsvoraussetzung.
Zudem ist erforderlich, dass durch Vornahme einer zulässigen Amtshandlung der Zustand hergestellt werden kann, der bestehen
würde, wenn die Behörde ihre Verpflichtungen gegenüber dem Berechtigten nicht verletzt hätte (z.B. BSG, Urteil vom 16.03.2016 - B 9 V 6/15 R, m.w.N.). Nach der Rspr. des BSG (a.a.O.) schließt die Regelung des § 60 Abs. 1 BVG die Begründung eines früheren Leistungsbeginns im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht aus, insbesondere
wenn feststeht, dass eine Behörde pflichtwidrig eine gebotene Beratung über bestehende Antragsmöglichkeiten unterlassen hat.
Die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch liegen hier jedoch offensichtlich nicht vor. So fehlt
es an einer nachgewiesenen Pflichtverletzung des Beklagten; der Kläger hat (in seiner Berufungsbegründung) lediglich vorgetragen,
dass er sich "zu 100 % sicher" sei, dass er dem Sachbearbeiter Herrn F., von dem er sich im Übrigen stets gut betreut gefühlt
habe, erzählt habe, dass er Erwerbsminderungsrente bekommen würde. Der Kläger hat aber nicht im Ansatz dargelegt, wann dies
ungefähr gewesen sei (nur: "vor 2010"). Auch hat der Beklagte erst durch die nervenärztliche Stellungnahme von Dr. A. am 10.01.2011
festgestellt, dass bzgl. der bestehenden Rente der Gesetzlichen Rentenversicherung die anerkannten Schädigungsfolgen eine
zumindest annähernd gleichwertige Bedingung für den Eintritt der Erwerbsminderung gewesen seien.
Vor allem aber ergäbe sich selbst bei einer unterstellten Pflichtverletzung kein Anspruch des Klägers für die Zeit vor dem
Jahr 2006. Denn auch wenn ein Berechtigter Anspruch auf rückwirkende Leistungen aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
hat, werden diese nach der Rechtsprechung längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren rückwirkend erbracht, weil die Vorschrift
von § 44 Abs. 4 SGB X insoweit entsprechend anzuwenden ist (vgl. z.B. Urteil des BSG vom 24.04.2014 - B 13 R 23/13 R; Urteil des Senats vom 27.06.2017, a.a.O.; Kreikebohm/von Koch, in: Sozialrechtshandbuch, 5. Aufl. 2012, § 6, Rdnr. 122
ff., m.w.N.). Ansprüche könnten somit allerlängstens bis 2006 zurückwirken, wenn man zugunsten des Klägers auch von der Geltendmachung
des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs im Antrag vom 09.02.2010 ausgehen würde. Aus Sicht des Senats ist dieser Anspruch
jedoch erstmals im Berufungsverfahren, nämlich erst im Jahr 2018 geltend gemacht worden.
2. Höherer BSA
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf einen höheren BSA.
Streitgegenstand des Verfahrens ist ausschließlich die Einstufung in die zutreffende Leistungsgruppe im Wirtschaftsbereich
Produzierendes Gewerbe, Handel, Dienstleistungsgewerbe gemäß der Bekanntmachung der Vergleichseinkommen für die Feststellung
der Berufsschadens- und Schadensausgleiche nach dem BVG für die Zeit vom 01.07.2009 gem. BMAS-Schreiben vom 19.06.2009 (AZ: IV c 2-61080/27) im Rahmen der Berechnung des Einkommensverlusts
gem. § 30 Abs. 4 Satz 1 BVG a.F., d.h. der Ermittlung des Vergleichseinkommens gem. § 3 Abs. 1 BSchAV i.d.F. vom 29.06.1984, zuletzt geändert durch Art. 17 des Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13.12.2007 (BGBl. I 2904) (a.F.).
Der Kläger ist in die Leistungsgruppe 3 zutreffend eingestuft.
Berufsschadensausgleich erhalten nach § 30 Abs. 3 BVG rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert
ist. Einkommensverlust - oder die "Einkommensminderung" im Sinn von Absatz 3 - ist gem. §§ 30 Abs. 6 Satz 1, 10 BVG vorliegend der Nettobetrag des Vergleichseinkommens abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit.
Letztlich verkörpert der Berufsschadensausgleich einen stark pauschalierten Kompensationsmodus, bei dem das tatsächlich erzielte
Einkommen mit einem fiktiven, ohne die Schädigung bei typisierender Betrachtungsweise zu erreichenden Einkommen verglichen
wird. Das Problem des hier vorliegenden Falls besteht ausschließlich in der Bestimmung des Einkommensverlustes, und zwar in
der Bemessung des Vergleichseinkommens.
Zum Vergleichseinkommen bestimmt § 30 Abs. 5 Satz 1 BVG in der hier maßgebenden bis 30.06.2011 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13.12.2007 (a.a.O.) (a.F.), dass sich dieses nach näherer
Ausgestaltung der Sätze 2 bis 6 aus dem monatlichen Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe errechnet, der
der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten
Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte. Dazu ergänzt § 30 Abs. 5 Satz 2 BVG a.F., dass zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens die jeweils am 31. Dezember bekannten Werte der amtlichen Erhebungen
des Statistischen Bundesamts für das Bundesgebiet und die beamten- oder tarifrechtlichen Besoldungs-, Vergütungs- oder Lohngruppen
des Bundes aus den drei letzten der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen sind (so genannte Vergleichsgrundlage,
vgl. z.B. das Urteil des Senats vom 26.04.2012 - L 15 VS 2/06, m.w.N.). § 30 Abs. 5 Satz 1 und 2 BVG ist für den gesamten maßgebenden Zeitraum anwendbar. Das gilt, obwohl zum 01.07.2011 das Recht zur Ermittlung des Vergleichseinkommens
grundlegend geändert worden ist. Jedoch bewirkt die Übergangsvorschrift des § 87 Abs. 1 Satz 1 BVG, dass für den Kläger das unmittelbar vor dieser Rechtsänderung maßgebende Vergleichseinkommen weiterhin Bemessungsgrundlage
ist und nur dessen Anpassung von der tatsächlichen Entwicklung der Vergleichseinkommen abgekoppelt ist (vgl. dazu im Einzelnen
Dau, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl. 2012, § 87, Rdnr. 4). Auch für Leistungen des Berufsschadensausgleichs
ab Juli 2011 kommt es daher beim Kläger auf die Taxierung des Vergleichseinkommens an, wie sie am 30.06.2011 festzustellen
war.
Bei der Berechnung des BSA geht das Gesetz von dem Regelfall aus, dass ein rentenberechtigter Beschädigter ohne die Schädigungsfolgen
in einem anderen Beruf gearbeitet und dort ein höheres Einkommen erzielt hätte, als er es aus tatsächlicher Erwerbstätigkeit
in seinem jetzigen Beruf oder als Folgeeinkommen einer aufgegebenen früheren Tätigkeit (jeweils unter Hinzurechnung von Ausgleichsrente)
erhält. Anspruch auf BSA besteht aber auch dann, wenn der Beschädigte ohne Berufswechsel in seinem bisherigen oder im angestrebten
und erreichten Beruf wegen der Schädigung nicht das Einkommen erzielt, das er als Gesunder hätte (vgl. Dau, a.a.O., § 30,
Rdnr. 27, m.w.N.).
Für die Kausalität zwischen den Schädigungsfolgen und der Berufsaufgabe bzw. der mangelnden Fähigkeit, einen sozial gleichwertigen
Beruf auszuüben, gilt im sozialen Entschädigungsrecht die Theorie der wesentlichen Bedingung. Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen
Ursachenzusammenhang zwischen der Freiheitsentziehung als schädigendem Vorgang und dem Gesundheitsschaden voraus sowie, dass
die Freiheitsentziehung für den Gesundheitsschaden und dieser für die berufliche Beeinträchtigung wesentlich war. Denn als
im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen
Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (vgl. z.B. das Urteil des Senats vom 23.05.2017 - L 15 VU 1/13, m.w.N.). Gab es neben den Schädigungsfolgen noch konkurrierende Ursachen für die berufliche Beeinträchtigung, z.B. schädigungsfremde
Gesundheitsstörungen, Insolvenz o.ä., so waren die Schädigungsfolgen wesentlich, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite
für den Eintritt des Erfolges im o.g. Sinn - verglichen mit den mehreren übrigen Umständen - annähernd gleichwertig waren.
Das ist dann der Fall, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges mindestens so viel Gewicht
hatten wie die übrigen Umstände zusammen (vgl. das Urteil des BSG zur Kausalität bzgl. der Schädigungsfolgen vom 16.12.2014 - B 9 V 6/13 R). Für den o.g. Ursachenzusammenhang genügt der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit. Wahrscheinlichkeit ist - auch im Sinne
des BSA (und auch der besonderen beruflichen Betroffenheit) - zu bejahen, wenn mehr Gesichtspunkte für als gegen einen bestimmten
Umstand - hier vor allem die behauptete berufliche Entwicklung - sprechen, so dass sich darauf die Überzeugung der Verwaltung
oder des entscheidenden Gerichts gründen kann (BSG, a.a.O.). Es genügt nicht, dass ein Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden kann oder nur möglich ist; auch die "gute Möglichkeit"
genügt nicht (BSG, Urteil vom 19.03.1986 - 9a RV 2/84). Die Wahrscheinlichkeit erstreckt sich allerdings nicht auf die Beurteilung der zugrunde
zu legenden Tatsachen. Diese müssen erwiesen sein (BSG, a.a.O.). Der hypothetische Berufsweg wird danach aufgrund festgestellter Tatsachen durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen
als hypothetischer Berufsweg für den Fall, dass die Schädigung nicht stattgefunden hätte, prognostiziert (vgl. BSG, Urteil vom 08.08.1984 - 9a RV 43/83).
a. Ausgehend von diesen Grundsätzen steht aus Sicht des Senats nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest, dass der Kläger
ohne die anerkannten haftbedingten Schädigungsfolgen in seinem erlernten Beruf als Glas- bzw. Bleikristalldekorveredler gearbeitet
und dort ein höheres Einkommen erzielt hätte, als er es aus tatsächlicher Erwerbstätigkeit in seinem nach der Haft ausgeübten
Beruf erhalten hat, bzw. dass bei der Ermittlung einer Einkommensminderung in irgendeiner Weise diese Tätigkeit zu unterstellen
wäre. Denn der Kläger hat sich bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt von seinem erlernten Beruf gelöst. Bereits vor der ersten
Haft, nämlich, wie aus dem Sozialversicherungsausweis zweifelsfrei hervorgeht, bereits ab 1973/1974, hat der Kläger andere
Tätigkeiten als die des Glasschleifers, Glasveredelers bzw. Bleikristalldekorveredlers ausgeübt. Der Kläger war damals bereits
als Straßenbauarbeiter, Lager- und Transportarbeiter, Gerüstbauerhelfer und Sportstättenarbeiter tätig, worauf auch der Beklagte
zu Recht hingewiesen hat. Dafür, dass die Eintragungen im Sozialversicherungsausweis unzutreffend sein könnten, gegebenenfalls
gefälscht o.ä., bestehen keine Anhaltspunkte; die Klägerseite hat Derartiges auch nicht behauptet. Soweit der Kläger im Berufungsverfahren
vorgetragen hat, dass die späteren Tätigkeiten (auch vor der ersten Haft) lediglich aufgrund der Repressalien des DDR-Regimes
ausgeführt worden seien, kann er damit nicht durchdringen. Denn - auch hierauf hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung
des Senats hingewiesen - diese Umstände können in dem vorliegenden Verfahren nicht berücksichtigt werden. Abzustellen ist
vielmehr ausschließlich auf den konkreten Rehabilitierungsgrund, vorliegend die Haft. Wie der Senat bereits zum Verwaltungsrechtlichen
Rehabilitierungsgesetz aufgezeigt hat (Urteil vom 19.11.2014 - L 15 VU 1/10) kommt eine Erweiterung des Rehabilitierungsgrundes nicht in Betracht. Inwieweit in diesem Zusammenhang Ansprüche nach dem
Beruflichen Rehabilitierungsgesetz bestehen, ist nicht Gegenstand des Verfahrens. Vor allem aber kann der Vortrag des Klägers
den Senat auch nicht überzeugen, weil er in deutlichem Widerspruch zu früheren eigenen Angaben steht: Der Kläger hat gegenüber
dem Gutachter Dr. V. (siehe oben) "mehrfach sehr vehement" darauf hingewiesen, ab 1975 vom DDR-Regime "politisch verfolgt"
worden zu sein (S. 7 des Gutachtens). Wie eben gezeigt, hat der Kläger jedoch bereits vorher nicht mehr in seinem erlernten
Beruf gearbeitet. Soweit der Beklagte bei der Berechnung des BSA dennoch den erlernten Beruf des Klägers zu Grunde gelegt
hat und eine Einstufung des Klägers in die höchste Leistungsgruppe 1 (nach der bis 30.06.2009 geltenden Rechtslage) erfolgt
ist, hat es damit wegen des im vorliegenden Rechtsstreit geltenden Verbots der reformatio in peius sein Bewenden. Zu einer
für den Kläger noch günstigeren Regelung führt jedoch bei weitem kein Weg.
b. Selbst wenn aber der erlernte Beruf des Klägers als Glas- bzw. Bleikristalldekorveredeler maßgeblich wäre, wovon der Senat
- wie eben ausführlich dargelegt - nicht ausgeht, bestünde für eine Höhergruppierung in die vom Kläger begehrte Leistungsgruppe
1 kein Raum. Bei Zugrundelegung der beruflichen Tätigkeit des Klägers als Glas- bzw. Bleikristalldekorveredler im Rahmen der
Ermittlung des Vergleichseinkommens gem. § 3 Abs. 1 BSchAV a.F. erweist sich die Einstufung in die Leistungsgruppe 3 im Wirtschaftsbereich
Produzierendes Gewerbe, Handel, Dienstleistungsgewerbe gemäß der Bekanntmachung der Vergleichseinkommen für die Feststellung
der Berufsschadens- und Schadensausgleiche nach dem BVG für die Zeit vom 01.07.2009 gem. BMAS-Schreiben vom 19.06.2009 (s.o.) aufgrund der tatsächlichen Feststellungen als zutreffend.
* Die Leistungsgruppe 1 kommt bereits mangels einer (früheren) leitenden Stellung des Klägers mit Aufsichts- und Dispositionsfunktion
in keiner Weise in Betracht. Eine solche ist vom Kläger zu keiner Zeit vorgetragen worden und ist auch nirgends ersichtlich.
* Unter die für den Kläger nächsthöhere Leistungsgruppe 2 fallen Arbeitnehmer mit sehr schwierigen bis komplexen oder vielgestaltigen
Tätigkeiten, für die regelmäßig nicht nur eine abgeschlossene Berufsausbildung, sondern darüber hinaus mehrjährige Berufserfahrung
und spezielle Fachkenntnisse erforderlich sind. Der Kläger hat ein Facharbeiterzeugnis vorgelegt, demzufolge er den Beruf
des Glasveredelers gelernt hat. Für den Vortrag des Klägers, die Qualität seiner Ausbildung entspreche dem heutigen Fachhochschulstudium
im Rahmen von dualen Studiengängen, bestehen aus Sicht des Senats keinerlei Anhaltspunkte. Die Darlegungen der Klägerseite
hinsichtlich des dualen Studiums sind nicht überzeugend. Zudem hat der Kläger die Tätigkeit des Glas- bzw. Bleikristalldekorveredelers
- bezogen auf das gesamte Berufsleben - nicht lange ausgeübt. Auch wenn die Leistungen, die von ihm selbst hervorgehobenen
"hervorragenden Kenntnisse in Theorie und Praxis" und die "mit Bravour" bestandene Prüfung zugunsten des Klägers unterstellt
werden sollen, geht daraus noch nicht - und schon gar nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - hervor, dass
die Voraussetzungen für die Eingruppierung in die Leistungsgruppe 2 erfüllt wären, wie auch der Beklagte in seinem Schriftsatz
vom 27.03.2018 nachvollziehbar dargelegt hat.
c. Schließlich folgt ein anderes Ergebnis auch nicht im Hinblick auf den Bescheid des Beklagten vom 05.12.2017. Der Bescheid
ist, wie oben bereits erwähnt, Gegenstand des Verfahrens geworden, §
96 SGG. Da er erst im Berufungsverfahren erlassen worden ist, entscheidet der Senat jedoch auf Klage, nicht auf Berufung (vgl. BSG vom 25.02.2010 - B 13 R 61/09 R; Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Ders.,
SGG, 12. Aufl. 2017, §
96, Rdnr. 7). Der Bescheid begegnet inhaltlich keinen Bedenken. Er setzt lediglich die geltenden Vorschriften, nämlich in allererster
Linie § 65 Abs. 7 Satz 2 BVG im Hinblick auf das Erreichen der Altersgrenze von 65 Jahren des Klägers um. Die Klägerseite hat - über die streitgegenständliche
Einstufung des Klägers hinaus - auch keine inhaltlichen Rügen vorgebracht. Die Klage ist daher abzuweisen.
d. Ferner hat das SG zutreffend dargestellt, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Kläger ohne die Haft (mit seinem Abschluss der mittleren
Reife) ein Studium hätte aufnehmen können. Dazu hätte er nämlich eine Hochschul- bzw. Fachhochschulreife benötigt. Insoweit
ist denn auch nichts Näheres vorgetragen worden. Im Übrigen ist dem Beklagten Recht zu geben, dass der Umstand, dass der Kläger
ggf. zum Kreis der anerkannten Doping-Geschädigten der DDR gehört, in diesem Verfahren keine Rolle spielt. Ebenfalls gilt,
dass die Hinderung durch Maßnahmen der DDR, den Beruf des Antiquitätenhändlers auszuüben etc., für die vorliegende Entscheidung
nicht relevant ist. Wie das SG bereits zutreffend hervorgehoben hat, geht es vorliegend nicht um einen allgemeinen Unrechtsausgleich. Entschädigt werden
nur die Folgen der rechtsstaatswidrigen Inhaftierungen, dagegen nicht die sonstigen Einschränkungen, die mit dem DDR-Regime
verbunden gewesen sind (vgl. das Senatsurteil vom 19.11.2014 - L 15 VU 1/10).
Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 05.12.2017 (s.o. Ziff. 2.c.) abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§
160 Abs.
2 Rdnr. 1 und 2
SGG).