Anspruch auf Hepatitis-A-Schutzimpfung wegen kachexiebedingter Infektionsanfälligkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung
Tatbestand:
Streitig ist eine Hepatitis-A-Schutzimpfung.
Der 1966 geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Kläger leidet an Kachexie. Bei dieser krankhaften, extremen
Abmagerung wird nicht nur das Speicherfett abgebaut, sondern auch die Muskulatur einschließlich des Herzmuskels. Zusätzlich
wandelt sich das Knochenmark in Gallertmasse um, schließlich kommt es zu Auszehrungen der Organe mit Funktionsausfällen und
schließlich zur terminalen Kachexie. Der Kläger nimmt lediglich Nahrungsmittel mit 351 Kalorien pro Tag zu sich.
Mit Bescheid vom 07.02.2008/Widerspruchsbescheid vom 02.06.2008 lehnte die Beklagte den auf ein Attest des Allgemeinarztes
Dr. L. vom 05.05.2008 gestützten Antrag des Klägers ab, ihm eine Impfung gegen Hepatitis A und Hepatitis B zu gewähren. Die
gesetzlichen Krankenkassen dürften nur Schutzimpfungen nach den besonderen Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes, wegen
erhöhter Gesundheitsrisiken sowie Impfungen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit übernehmen. Die Einzelheiten hierzu seien
vom gemeinsamen Bundesausschuss nach näheren Vorgaben festgelegt. Die begehrte Impfung gegen Hepatitis A und Hepatitis B für
den Kläger unterfalle keiner dieser gesetzlichen Voraussetzungen.
Die dagegen zum Sozialgericht München erhobene Klage ist mit Gerichtsbescheid vom 25.05.2009 abgewiesen worden. Zur Begründung
hat das Sozialgericht auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und wiederholend geltend gemacht, dass er zu den Risikogruppen zähle, die dringend
eine Hepatitis-Impfung brauchen, weil er als Hartz-IV-Empfänger nur unzureichende Ernährung erlangen könne. Im Termin zur
mündlichen Verhandlung vom 27.10.2009 hat der Kläger angegeben, dass er mittlerweile mit Hepatitis B infiziert sei.
Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 25.05.2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom
07.02.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Impfung
gegen Hepatitis A als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2009 waren die Verwaltungsakten der Beklagten. Darauf sowie
auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die Akten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zur Gewährung der Hepatitisimpfung
wird als Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Zu Recht hat die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 07.02.2008/Widerspruchsbescheid vom 02.06.2008 einen
Anspruch des Klägers auf die begehrte Impfleistung verneint. Dies hat das Sozialgericht München im angefochtenen Gerichtsbescheid
vom 25.05.2009 zu Recht bestätigt.
Gesetzlich Krankenversicherte haben gemäß §
20 d SGB V Anspruch auf Schutzimpfungen des § 2 Nr. 9 Infektionsschutzgesetz, d.h. die Gabe eines Impfstoffes mit dem Ziel, vor einer übertragbaren Krankheit zu schützen. Dieser Anspruch besteht jedoch
nicht uneingeschränkt, vielmehr sind Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistungen durch den Gemeinsamen
Bundesausschuss in Richtlinien festgelegt. Die entsprechende Schutzimpfungsrichtlinie datiert vom 21.06.2007/18.10.2007 und
wurde im Bundesanzeiger Nr. 224 vom 30.11.2007 (S. 8 154) veröffentlicht. Sie enthält in Anlage 1 das Nähere zu Krankheiten,
Indikationen sowie Hinweise zu den Schutzimpfungen.
In Anwendung dieser Rechtsgrundlagen ist festzustellen, dass die vom Kläger wegen seiner kachexiebedingten Infektionsanfälligkeit
begehrte Impfung gegen Hepatitis A den genannten gesetzlichen Regelungen nicht unterfällt. In der Anlage 1 der formell ordnungsgemäß
im Rahmen der Ermächtigungsnorm ergangenen Schutzimpfungsrichtlinien nach §
20 d Abs.
1 SGB V ist zur Indikation Hepatitis A bestimmt, dass diese als Indikationsimpfung indiziert ist für homosexuell aktive Männer, Personen
mit substitutionspflichtiger Hämophilie, Personen in psychiatrischen Einrichtungen oder vergleichbaren Fürsorgeeinrichtungen
für Cerebralgeschädigte oder Verhaltensgestörte sowie für Personen, die an einer chronischen Lebererkrankung einschließlich
chronischer Krankheiten mit Leberbeteiligung leiden. Der Kläger zählt aber zu keiner dieser Gruppe. Wie aus der ärztlichen
Dokumentation ersichtlich leidet der Kläger an Kachexie, d. h. einer krankhaften extremen Abmagerung. Bei ihm wird nicht nur
das Speicherfett, sondern auch die Muskulatur einschließlich des Herzmuskels abgebaut. Das Knochenmark verwandelt sich in
Gallertmasse, die Organe verkümmern und es kommt zu Funktionsausfällen, bis schließlich die terminale Kachexie, das Endstadium
der Krankheit zum Tode führt. Dies ist beim Kläger darauf zurückzuführen, dass er nach seinen glaubhaften Angaben in der mündlichen
Verhandlung vom 27.10.2009 des Parallelverfahrens L 5 KR 347/09 täglich maximal 351 Kalorien als Nahrung zu sich nimmt. Die weitere Indikation für Reisende in Regionen mit hoher Hepatitis-A-Prävalenz
sowie für berufliche Risikogruppen erfüllt der Kläger ebenso wenig.
Auch in verfassungskonformer Auslegung des §
20 d SGB V in Richtung auf Art.
2 Abs.
2 Satz 1
Grundgesetz ergibt sich nichts anderes. Zwar leidet der Kläger an einer Erkrankung, die bei weiter fortgesetzter Nahrungsaufnahme, wie
vom Kläger angegeben, tödlich verlaufen wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG Urteil vom 27.03.2007
- B 1 KR 30/06 R infolge des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98) wäre insoweit erforderlich, dass sich die mit der Kachexie des Klägers einhergehende tödliche Gefahr binnen Kurzem realisierte
und nicht erst in einigen Jahren. Dafür bestehen in Auswertung der ärztlichen Unterlagen und der Verwaltungsakten der Beklagten
sowie der eigenen Angaben des Klägers derzeit keine Hinweise. Es bedarf damit keiner weiteren Ausführungen, ob ein Leistungsanspruch
des Klägers gem §
52 Abs
1 SGB V daran scheitert, dass er durch die Kalorienaufnahme von 351 Kilokalorien täglich die Ursache der Kachexie setzt.
Die Berufung bleibt somit in vollem Umfange ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe zur Zulassung der Revision im Sinne des §
160 Abs.
2 SGG sind nicht ersichtlich.