Entschädigung aus einem Arbeitsunfall in der gesetzlichen Unfallversicherung; Zulässigkeit der Feststellungsklage im sozialgerichtlichen
Verfahren; Anerkennung von Unfallschäden im Bereich der Halswirbelsäule sowie psychischer Störungen als Unfallfolge; Beweis
der haftungsausfüllenden Kausalität
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Entschädigung aus einem Arbeitsunfall vom 24.8.2003 aufgrund einer vom Kläger am 20.3.2007
geltend gemachten schweren Depression streitig.
Der 1956 geborene Kläger war als Unternehmer eines Gas-Wasser-Heizungs- und Installationsbetriebs versichert. Dabei erlitt
er am 24.8.2003 (12:00 Uhr) einen Verkehrsunfall (Zusammenstoß in der Kreuzung), wozu er selbst eine Unfallanzeige am 27.8.2003
erstattete. Die Akte der Verkehrspolizei wurden Bestandteil der Verwaltungsvorgänge.
Am 24.8.2003 berichtete darüber der Durchgangsarzt im Klinikum A-Stadt. Der Kläger sei als angeschnallter Fahrer mit einem
anderen Pkw ca. 20 km/ph schnell kollidiert. Mit anliegendem Stifneck mit Schmerzen in der Halswirbelsäule (HWS) und im Rücken
sei er in die Klinik gekommen. Dort wurde eine endgradige Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäulenbeweglichkeit ohne Schmerzausstrahlung
in die Arme festgestellt. Ein neurologisches Defizit fand sich ebenso wenig wie ein Thoraxkompressionsschmerz. Infolgedessen
wurden eine Halswirbelsäulenverstauchung (-distorsion), eine Brustwirbelsäulenprellung, eine Prellung der linken clavicula,
beider Handgelenke und des Steißbeins diagnostiziert. Röntgenbilder wurden angefertigt.
In der Folgezeit stellten der Allgemeinarzt M. und der Chirurg M. W. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus. Im Nachschaubericht
vom 24.10.2003 teilte der Chirurg W. der Beklagten mit, durch die physikalischen Behandlungen sei das Gesundheitsniveau erreicht
worden, welches vor dem Unfall bestanden habe, so dass der Kläger wegen der unfallfremden Wirbelsäulenerkrankung eine stationäre
Reha-Maßnahme antreten könne, welche ihm bereits vor dem Unfall am 23.5.2003 von der LVA Schwaben genehmigt worden sei.
Vom 27.10.2003 bis 1.12.2003 wurde der Kläger in der B. Klinik in F-Stadt wegen eines chronischen Lendenwirbelsäulensyndroms
und Coccygodynie, eines Brustwirbelsäulensyndroms und Cervikocephalgien stationär behandelt. Psychische Auffälligkeiten waren
während des stationären Aufenthalts nicht zu eruieren. Der Kläger wurde für seine selbständige Tätigkeit als arbeitsfähig
entlassen.
Wegen der Fortdauer von Arbeitsunfähigkeit ergab sich Streit. Der Kläger behauptete, nur wegen Eintritts der Kurmaßnahme "gesundgeschrieben"
worden zu sein. Die Kurklinik bescheinigte, dass ihre Behandlung bis 11.12.2003 zum großen Teil wegen der Folgen des Arbeitsunfalls
durchgeführt worden sei. Auf Veranlassung der Beklagten erstellte der Chirurg Dr. K. am 29.4.2004 ein Gutachten. Danach seien
die unfallbedingte Halswirbelsäulendistorsion und die Prellungen der Brustwirbelsäule und des linken Schlüsselbeins ausgeheilt.
Großzügig beurteilt sei eine Arbeitsunfähigkeit bis 27.10.2003 anzunehmen, wie vom Chirurgen W. vorgeschlagen. Unfallbedingte
Heilbehandlung bestehe nur bis 27.10.2003. Unfallunabhängig bestünden unter anderem langanhaltende Beschwerden im unteren
Lendenwirbelsäulenbereich und im Ileosakralbereich, ein vordiagnostiziertes Cervicalsyndrom durch degenerative Veränderungen
der Halswirbelsäule sowie eine rechtsseitige Schultergelenksarthrose. Bereits 1997 seien ein Cervicalsyndrom, degenerative
Veränderungen der Halswirbelsäule und 1996 ein Hörsturz links diagnostiziert worden sowie. Dies wurde einer chronologischen
Aufstellung des Klägers über medizinische Behandlungen seit 1993 entnommen.
Mit Bescheid vom 2.6.2004 erkannte die Beklagte den Unfall vom 24.8.2003 als Arbeitsunfall sowie eine unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit
und Arbeitsunfähigkeit vom 24.8.2003 bis 26.10.2003 an. Weitere Leistungen (weitergehendes Verletztengeld und Verletztenrente)
wurden abgelehnt. Eine Anerkennung von Unfallfolgen erfolgte nicht. Diverse Erkrankungen wurden als Folgen des Unfalls verneint.
Den folgenden Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.3.2005 zurück.
Zwischenzeitlich betrieb der Kläger im Ergebnis erfolglos ein Rentenverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung Schwaben
(Bescheid vom 19.3.2007/Widerspruchsbescheid vom 29.5.2007, zuletzt bestätigt mit Urteil des LSG vom 13. Mai 2013). Dabei
wurde im März 2008 insbesondere ein Gutachten vom Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. E. eingeholt. Nach §
109 SGG erstattete der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B. ein Gutachten vom 2.12.2008. Zuvor erstellte der Dr. H.
am 5.3.2007 ein Gutachten. Das LSG bestellte Dr. S. (Internist und Neurologe) zum Sachverständigen (Gutachten vom 7.4.2012).
Dr. C. (Orthopädie) erstellte ein Gutachten gemäß §
109 SGG vom 24.1.2010.
Am 20.3.2007 machte der Kläger schwere Depressionen als Folge des Arbeitsunfalls vom 24.8.2003 geltend. Nach der stationären
Rehabilitation vom 27.10.2003 bis 1.12.2003 in der B. Klinik habe sich die finanzielle Situation seiner Firma verschlechtert
und er habe eine schwere Depression entwickelt. Zur Begründung verwies der Kläger auf die Befundberichte des Psychiaters Dr.
H. vom 4.10.2004, des Psychiaters Dr. N. vom 13.7.2004 sowie des Nervenarztes Dr. J. vom 2.5.2006, 16.5.2006 bzw. 11.9.2006,
den Bericht des Dipl.-Psych. H., die Entlassungsberichte der Klinik R. in P-Stadt und der Psychosomatischen Klinik in W-Stadt
über die stationären Aufenthalte vom 8.6.2006 bis 06.7.2006 bzw. 23.10.2006 bis 21.11.2006 sowie das Gutachten der Psychiaterin
Dr. G. vom 6.1.2007. In dem beigegebenen Fragebogen unbekannten Datums der Allianz Lebensversicherung - AG - wohl zur Erlangung
einer Berufsunfähigkeitsrente - wurden eine Verursachung der Depression durch einen Arbeitsunfall, eine Meldung bei einer
Berufsgenossenschaft und eine polizeiliche Aufnahme des Unfalls verneint. Der Beginn der Erkrankung ist dort mit 9.9.2004
bezeichnet. Die Beklagte holte vom Psychiater Dr. N. ein Gutachten vom 24.9.2007 ein. Danach leide der Kläger unter einer
mittelgradigen depressiven Episode, einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, einem Tinnitus aurium sowie einem Zustand
nach Halswirbelsäulendistorsion ohne radikuläre Ausfälle. Infolge des Unfalls sei es zu einer Halswirbelsäulendistorsion und
Prellungen der Brustwirbelsäule, der linken Clavicula, beider Handgelenke und des Steißbeins gekommen. Ursächlich für die
psychischen Störungen seien anlagebedingte Faktoren und die Insolvenz des Betriebes. Die unfallbedingten Beschwerden seien
nicht so schwerwiegend gewesen, als dass sie die später aufgetretene Depression erklären könnten.
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers vom 20.3.2007 auf Anerkennung einer Depression als Unfallfolge sowie Verletztengeld
und Verletztenrente mit streitgegenständlichem Bescheid vom 20.11.2007 ab. Den folgenden Widerspruch wies der zuständige Ausschuss
der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 27.3.2008 zurück.
Dagegen hat der Kläger am 29.4.2008 Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben.
Das SG forderte einen Leistungsauszug der AOK Bayern und der Münchner Verein Versicherungsgruppe an. Im beigezogenen Befundbericht
vom 8.10.2008 berichtete der Allgemeinarzt W. M. von einem chronischen Wirbelsäulensyndrom. Dr. J. diagnostizierte im Befundbericht
vom 20.1.2009 eine mittelgradige depressive Episode, einen linksseitigen Tinnitus, ein Wurzelreizsyndrom C7 links, ein Cervikalsyndrom
links, ein Lumbalsyndrom, eine Cervikocephalgie, einen Spannungskopfschmerz, eine atypische Migräne sowie eine resistente
Verspannung im Musculus abductor pollicis.
Im Gutachten des Psychiaters Dr. D. vom 16.3.2009 als gerichtlichem Sachverständigen ist die Einschätzung der Beklagten bestätigt
worden, dass der Kläger keine Unfallfolgen auf psychiatrischem Fachgebiet zu beklagen habe. Die Bewegungen in der Halswirbelsäule
seien in allen Richtungen schmerzhaft eingeschränkt. Ein Klopfschmerz werde über der Hals- und Lendenwirbelsäule angegeben.
Die Stimmungslage sei dysphorisch und depressiv getönt. Dabei sei die affektive Schwingungsfähigkeit noch erhalten. Bereits
vor dem Unfall habe er unter Beschwerden im Rahmen eines Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäulensyndroms gelitten. Ein Wirbelsäulensyndrom
mit Betonung der Hals- und Lendenwirbelsäule läge heute noch vor. Weiter bestünden Kopfschmerzen, die nicht auf die Distorsion
der Halswirbelsäule zurückgeführt werden könnten. Das in der LMU Klinik festgestellte Restless-legs-Syndrom und die leichte
Polyneuropathie seien unfallfremd. Die depressiven Beschwerden hätten erst 1/2 bis 3/4 Jahr nach dem Unfall eingesetzt. Eine
Persönlichkeitsstörung habe schon zum Zeitpunkt des Unfallereignisses bestanden. Zur depressiven Dekompensation sei es dann
im Zusammenhang mit dem beruflichen Scheitern ab Sommer 2004 gekommen. Das depressive Syndrom sei damit nicht durch den Unfall
verursacht. Da die Coccygodynie und der Tinnitus bereits vor dem Unfall vorgelegen hätten, könnten sie nicht unfallbedingt
sein. Für ein unfallbedingtes Sulcus-ulnaris-Syndrom gäbe es keine Anhaltspunkte.
Auf Antrag des Klägers erstellte Dr. B., Leitender Chefarzt des S. Zentrums H. in Bad S. am 10.8.2009 ein Gutachten nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Danach lägen unfallbedingt eine mittelschwere depressive Episode mit somatischem Syndrom, eine gemischte Angststörung mit
Panik sowie ein chronifiziertes Schmerzsyndrom nach Gerbershagen Stadium 3 vor. Von einer Schadensanlage könne keineswegs
ausgegangen werden. Nach Aussage des Klägers habe er sein Leben vor dem Unfall im Griff gehabt. Seit dem Unfall sei er depressiv.
Die am 1.10.2004 neu gegründete Firma könne er nicht betreiben, da er depressiv sei und keine Aufträge vorhanden seien. Die
Eigendynamik der psychischen und schmerzpsychologisch zu beurteilenden Erkrankung sei, gestützt auf die Anamnese des Klägers,
so einzuschätzen, dass in den ersten 9 Monaten nach dem Unfall eine allmähliche depressive Entwicklung eingesetzt habe, welche
durch ein Schmerzsyndrom begleitet worden sei. Nach den Angaben des Klägers sei er nach dem Unfall nicht mehr arbeitsfähig
gewesen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 100 v.H. Die Leistungseinschränkung bestehe seit 2003/2004. Der
Kläger könne zwar kurze Strecken noch mit dem Auto fahren und sei in der Lage, in minimalem Umfang seine Arbeiten an Angestellte
zu delegieren. Den Betrieb eines Handwerkers könne er aber nicht führen.
Die Beklagte teilte diese Einschätzung des Dr. B. nicht. Aus den medizinischen Unterlagen folge, dass die Depression nicht
durch den Unfall, sondern durch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Betriebes verursacht worden sei. Die Depression sei
Ausdruck einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung mit erhöhter Kränkbarkeit und Neigung zu depressiven Reaktionen. Dr.
B. gehe auf die Vorbefunde nur unzureichend ein. Letztlich widerspreche auch die MdE-Einschätzung des Sachverständigen den
in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Richtlinien.
Das SG hat am 15. Januar 2010 die Klage gegen den Bescheid vom 20.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.3.2008
mit Gerichtsbescheid abgewiesen. Dem Feststellungsbegehren des Klägers auf Anerkennung einer Depressionserkrankung als Folge
des Arbeitsunfalls vom 24.8.2003 sei nicht zu entsprechen. Dauerhafte Unfallfolgen auf nervenärztlichem/ psychiatrischem Fachgebiet
lägen nicht vor. Von den Grundsätzen zur Kausalität in der gesetzlichen Unfallversicherung ausgehend stehe fest, dass die
geltend gemachte Depression nicht auf den mit Bescheid vom 2.6.2004 anerkannten Arbeitsunfall vom 24.8.2003 zurückzuführen
sei. Das SG folge den überzeugenden Ausführungen des erfahrenen Gerichtssachverständigen Dr. D ...
Hiergegen hat der Kläger am 16.2.2010 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt.
Das LSG hat Ermittlungen angestrengt und verschiedene ärztliche Unterlagen beigezogen, so Befundberichte von Dr. E. und Dr.
A. mit zahlreichen Fremdbefunden, den Abschlussbericht der Fachklinik E. für 7 Tage im Oktober 2008 mit Ablehnung einer Weiterbehandlung
bis zur Lösung der sozialen Probleme und Vorgänge über weitere Arbeitsunfälle (insgesamt 7) zeitlich vor dem geltend gemachten
Arbeitsunfall. So zum Beispiel über einen Auffahrunfall vom Juli 1991 (Schleudertrauma Halswirbelsäule ) - mit einmonatiger
Arbeitsunfähigkeit und ein Verhebetrauma im Februar 2001.
Mit Beweisanordnung vom 4.10.2010 ist Dr. C. auf orthopädischem Fachgebiet zum Sachverständigen ernannt worden (§
118 Abs.1
SGG, §§
404 ff
ZPO). Nach dessen Gutachten vom 5.12.2010 bestehe als Unfallfolge ein chronisches myofasziales Schmerzgeschehen im Sinne eines
cervicocephalen Syndroms mit begleitenden Sekundärphänomenen (unter anderem Schlafentzug, reaktive Depression algogenes Psychosyndrom)
entsprechend Grad 3 in der Klassifikation von Gerbershagen. Am 27.5.2011 ist dazu von Dr. D. eine ergänzende Stellungnahme
eingeholt worden, in welcher dieser an seinem Gutachtensergebnis festgehalten hat.
Am 10.7.2013 hat ein Erörterungstermin stattgefunden, der sich im Wesentlichen mit der Betriebsführung nach dem angeschuldigten
Arbeitsunfall befasste. Auf dem Betrieb hätten seinerzeit auch schon Schulden gelastet. Im Dezember 2003 habe der Sohn des
Klägers eine GmbH gegründet. Nach der Satzung handle es sich um ein Unternehmen der Gas- und Wasserinstallation sowie des
Heizungs- und Lüftungsbaus. Anschließend sind weitere Ermittlungen zur finanziellen Lage des Betriebs erfolgt. Dazu sind die
Insolvenzakten des Amtsgerichts A-Stadt und die Akten des Insolvenzverwalters (insbesondere Bericht gemäß §
156 Insolvenzordnung) beigezogen worden. Nach der Darstellung der wirtschaftlichen Lage seit dem Jahre 2000 waren bei einem Verlust von 37.512
EUR die Umsatzerlöse bereits im Jahr 2002 rückläufig. Die Beklagte hat zu den wirtschaftlichen Verhältnissen Stellung genommen:
der Kläger sei nur bis 26.10.2003 arbeitsunfähig gewesen. Die betriebswirtschaftliche Auswertung der Insolvenzakten weise
einen Umsatzerlös in Höhe von 83.678,04 EUR aus. Auch im Jahre nach dem Unfall habe der Kläger 6 Mitarbeiter beschäftigt.
Am 1.10.2004 habe der Kläger selbst ein Unternehmen begründet. All dies seien eindeutige Indizien, dass der Kläger bereits
seit Oktober 2003 wieder arbeitsfähig gewesen sei. Am 7.1.2014 hat der Senat dem Kläger vorgehalten, dass nach den weiteren
Unterlagen die Umsatzerlöse bereits im Jahre 2002 gegenüber dem Vorjahr deutlich eingebrochen seien, während im Kalenderjahr
2003 die Umsatzerlöse in vergleichbarer Höhe wie 2002 erzielt worden seien. Ein Ursachenzusammenhang zwischen unfallbedingter
Arbeitsunfähigkeit und Auftragsrückgang sei daher nicht belegt, sondern es zeichne sich im Gegenteil bereits vor dem Unfall
Jahr ein deutlicher Umsatzrückgang ab.
Weiter ist über ein Betriebsdarlehen berichtet worden, welches über 1 Million DM im Jahr 1999 geschlossen worden sei und höhere
Verbindlichkeiten abgelöst habe. Die anfängliche monatliche Ratenhöhe habe 7.333 DM betragen. Erste Rückstände hätten sich
Ende 2003 abgezeichnet.
Schließlich ist noch ein Befundbericht des Psychiaters Dr. J. seit dem Behandlungsbeginn vom April 2006 eingeholt worden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids vom 15. Januar 2010 sowie des Bescheids vom 20.11.2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 27.3.2008 zu verurteilen, die beim Kläger bestehende Depressionserkrankung als Folge des Arbeitsunfalls
vom 24.8.2003 anzuerkennen und die hieraus folgenden gesetzlichen Leistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Berufung ist statthaft, da sie nach §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG wegen der begehrten Feststellung ohnehin nicht ausgeschlossen ist (§
143 SGG). Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Sie wurde am 16.2.2010 form- und fristgerecht vom Kläger gegen den am 1.2.2010
zugestellten Gerichtsbescheid eingelegt (§
151 Abs.
1 SGG).
2. Gegenstand des Verfahrens ist die Entschädigung aus einem Arbeitsunfall, dessen Anerkennung bereits durch Bescheid vom
2.6.2004 erfolgt ist. Damals erkannte die Beklagte den Unfall vom 24.8.2003 als Arbeitsunfall sowie eine unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit
und Arbeitsunfähigkeit vom 24.8.2003 bis 26.10.2003 an. Ausdrücklich nicht als Folgen des Versicherungsfalls hat die Beklagte
weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung anerkannt:
"Vertikalsyndrom durch degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule, Beschwerden im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule
und im Illeosakralbereich, Zustand nach des Epcondylitien beidseits, Schultereckgelenksarthrose rechts, Zustand nach Hörsturz
links 1996, anhaltende Hörminderung und Ohrgeräusche, Knick -, Senk -, Spreizfußbildung beidseits".
Der Bescheid vom 20.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.3.2008 ist unmittelbarer Gegenstand des Verfahrens,
denn er verbescheidet - ablehnend - den am 20.3.2007 gestellten Antrag des Klägers, zusätzlich eine schweren Depression als
Folge des Arbeitsunfalls anzuerkennen.
3. Eine erhobene Leistungsklage mit dem Antrag, die aus einer weiteren Feststellung von Unfallfolgen resultierenden gesetzlichen
Leistungen zu gewähren, ist unzulässig, weil sie nicht auf konkrete Leistungen gerichtet ist. Über sie könnte auch nicht durch
Grundurteil (§
130 Abs.
1 SGG) entschieden werden (Urteil des BSG vom 7. September 2004 - B 2 U 35/03 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 6 und [...] Rn. 12). Nicht die Leistung als solche, sondern nur ihre Höhe kann in diesem Fall vom
Gericht offen gelassen und der Berechnung durch den Sozialleistungsträger überlassen werden. Es geht dann nur um die Frage
einer Feststellung der Entschädigungspflicht dem Grunde nach und es steht im Entscheidungszeitpunkt nicht fest, welche der
in Frage kommenden Leistungen (Krankenbehandlung, Rehabilitation, Verletztengeld, Verletztenrente ua) im konkreten Fall tatsächlich
beansprucht werden können und für welchen Zeitraum sie ggf. zu erbringen sind. Auch handelt es sich nur teilweise um Geldleistungen
und im Übrigen um Sachleistungen (zum Beispiel Heilbehandlung), die einer Zuerkennung durch Grundurteil von vornherein nicht
zugänglich sind (wie hier: BSG SozR 1500 §
130 Nr. 2; Pawlak in: Hennig, Kommentar zum
SGG, Stand 2003, §
130 RdNr 34 ff; anders zum Teil noch BSGE 65, 138, 144 = SozR 2200 § 539 Nr. 133 S 399; BSG SozR 3-1500 § 145 Nr. 2 S 3).
Der Kläger kann aber einen Anspruch auf die Feststellung der Folgen eines Arbeitsunfalls durch Feststellungsklage nach §
55 Abs.
1 Nr.
3 SGG unabhängig von dem Begehren nach Entschädigung geltend machen. Er verfolgt insoweit sein Begehren zulässig mit einer kombinierten
Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß §
54 Abs.
1 und §
55 Abs.1 Nr.
1 SGG (Urteil des BSG vom 7. September 2004 - B 2 U 46/03 R -, SozR4-2700 § 2 Nr. 3 und [...] Rn. 11).
Jede vom Versicherungsträger als Unfallfolge anerkannte Gesundheitsstörung stellt zugleich eine anspruchsbegründende Tatsache
dar, da der Rentenanspruch selbst von der Anerkennung einer oder auch mehrerer Gesundheitsstörungen abhängig ist. Zu dem Grunde
des Rentenanspruchs gehört die Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Unfall und der Körperbeschädigung, durch
welche die Erwerbsfähigkeit als gemindert angesehen wird, da ein Versicherungsträger eine Rente nicht bewilligen kann, ohne
diese Frage zu bejahen. Der Versicherungsträger hat danach die Frage des ursächlichen Zusammenhangs im Einzelnen zu prüfen
und im Bescheid anzugeben, ob und in welcher Art sowie in welchem Umfang ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall
und den Gesundheitsstörungen besteht. Im vorliegenden Streitfall wird die Abhängigkeit des Rentenanspruchs von der Anerkennung
einer Depression besonders deutlich (vgl. Urteil des BSG vom 30.10.1962, Aktenzeichen: 2 RU 225/59).
5. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine andere Feststellung von Unfallfolgen als im förmlichen Bescheid im Sinne von §
102 SGB VII vom 2.6.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.3.2005 geschehen.
Bisher als Folgen des Versicherungsfalls anerkannte Gesundheitsstörungen kann der Unfallversicherungsträger nur anders festsetzen,
wenn sich bei diesen eine wesentliche Änderung ergeben hat. Insoweit stehen dem Anspruch des Klägers - mangels Feststellung
von Unfallfolgen - vorangehende Feststellungen nicht entgegen. Ebenso wenig wurde spezifisch eine Depression als Unfallfolge
abgelehnt. Nur soweit als Bestandskraft eingetreten ist, muss eine Überprüfung nach § 44 SGB X oder wenn der Schaden später eingetreten ist, gemäß § 48 Abs. 1 SGB X (hier allerdings nur beim Vorliegen von Dauerverwaltungsakten) verlangt werden. Die Beklagte hat nach ihrer Entscheidung
die Ablehnung ausdrücklich nach § 44 SGB X ausgesprochen.
Die vom Kläger nunmehr geltend gemachte mittelbare schwere Depression war weder eine unmittelbare Folge des Wegeunfalles (später
unter 6), noch dessen mittelbare Folge (unten unter 7).
6. Der Entschädigungstatbestand der gesetzlichen Unfallversicherung setzt unter anderem ein Unfallereignis und einen daraus
resultierenden Körperschaden voraus. Beides muss zur vollen Überzeugungen des entscheidenden Richters vorliegen (Vollbeweis);
der darüber hinaus erforderlichen Kausalzusammenhang der haftungsausfüllenden Kausalität muss dem Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit
genügen. Dies entspricht der herrschenden Meinung und Rechtsprechung, wenn es auch ungenügend im Gesetz zum Ausdruck kommt.
Denn gemäß §
8 Abs.
1 SGB VII sind "Arbeitsunfälle" Unfälle von Versicherten "infolge" einer den Versicherungsschutz nach §
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).
Zur vollen Überzeugung des Senats trug sich ein Unfall zu, bei dem der Kläger mit mäßiger Geschwindigkeit in seinem Fahrzeug
sitzend seitlich angestoßen worden ist. Die unmittelbaren Gesundheitsschäden sind vom Beklagten im Bescheid vom 2.6.2004 richtig
erkannt und entschädigt worden. Danach bestand auf Dauer kein Unfallschaden im Bereich der Halswirbelsäule. Ein Vertikalsyndrom
durch degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule fand keine Anerkennung und wurde abgelehnt.
Diese Überzeugung vom Fehlen irgendwelcher unmittelbarer Unfallfolgen beruht auf fast allen in dieser Sache eingeholten Gutachten
sowie den unmittelbar vom Durchgangsarzt erhobenen ersten Befunden und den polizeilichen Ermittlungen zum Unfallgeschehen.
Zwar bestehen im Bereich der Unfallversicherung für den Kausalzusammenhang zwischen Tätigkeit und Unfall sowie zwischen Unfall
und Gesundheitsstörung geringere Beweisanforderungen im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dennoch muss die Überzeugung
überwiegend wahrscheinlich sein. Überwiegend wahrscheinlich ist ein Zusammenhang, wenn nach der geltenden Lehrmeinung mehr
für als gegen ihn spricht. Diese Reduzierung gilt jedoch nur für den Zusammenhang; das schädigende Ereignis selbst, die Primärschädigung
sowie die Schädigungsfolge als solche müssen mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließende Wahrscheinlichkeit
erwiesen sei.
Gerade aber die Vielzahl von Sachverständigen, die unmittelbare Folgen des Unfalls verneint (unter a), lässt es wenig wahrscheinlich
sein, dass der Sachverständige Dr. C. mit seiner Einschätzung der herrschenden Meinung folgt. Darüber hinaus überzeugt dieses
Gutachten auch für sich nicht (unter b). Damit lässt sich weder eine Überzeugung im Sinne der Wahrscheinlichkeit für den Zusammenhang
bilden, noch für das Vorliegen eines psychischen Erstschadens. Denn die Zweifel am von Dr. C. behaupteten Erstschaden sowie
einem haftungsausfüllenden Kausalzusammenhang sind zu groß.
a) Nach dem Gutachten von Dr. K. vom 29.4.2004 sind die unfallbedingte Halswirbelsäulendistorsion und die Prellungen der Brustwirbelsäule
und des linken Schlüsselbeins ausgeheilt und die Arbeitsunfähigkeit bis zum 27.10.2003 beendet. Auch nach dem Gutachten von
Dr. N. vom 24.9.2007 lagen nur eine Halswirbelsäulendistorsion und Prellungen der Brustwirbelsäule vor. Laut dem Gutachten
von Dr. D. vom 16.3.2009 haben bereits vor dem Unfall Beschwerden im Rahmen eines Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäulensyndroms
bestanden. Ein Wirbelsäulensyndrom mit Betonung der Hals- und Lendenwirbelsäule lag zum Zeitpunkt der Begutachtung immer noch
vor. Weiter bestehende Kopfschmerzen sind nicht auf die Distorsion der Halswirbelsäule zurückzuführen. Auch nach dem Gutachten
des Dr. B. hat erst allmählich in den ersten 9 Monaten nach dem Unfall eine depressive Entwicklung eingesetzt, welche durch
ein Schmerzsyndrom begleitet wurde. Die Erstbefunde waren alle dokumentiert und in den Akten vorhanden. So zum Beispiel der
Durchgangsarztbericht, die Vorgänge der Polizei und der berufsgenossenschaftlich begleitete Heilverlauf. Als Erstbefund wurde
danach allein ein lokaler Befund an der Halswirbelsäule festgestellt, der mit Schmerzmitteln und Ruhigstellung behandelt worden
ist. Als Geschwindigkeit war eine solche von 20 km/h zum Unfallhergang angegeben (mit anliegendem Stifneck mit Schmerzen in
der HWS und im Rücken in die Klinik gekommen, Durchgangsarzt Prof. M. - DA Bericht vom 24.8.2003). Eine endgradige Bewegungseinschränkung
der Halswirbelsäulen ohne Schmerzausstrahlung in die Arme und ein neurologisches Defizit lag vor, aber kein Thoraxkompressionsschmerz.
Auch die gründliche Anamnese der zwei Monate später angetreten Rehabilitation in der Klinik B. zeigt keine psychischen bzw.
seelischen Folgen eines Unfalls auf.
b) Lediglich Dr. C. führt auf Seite 61 seines erst am 24.1.2010 erstellten schriftlichen Gutachtens aus, dass der Unfall zu
einem Primärschaden geführt habe. Das sei aktenkundig durch Anerkennung einer mehrwöchigen, unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit
zweifelsfrei gegeben. Seit dem Wegeunfall sei dem Kläger schmerzbedingt eine wettbewerbsfähige Erwerbstätigkeit in seinem
Beruf nicht mehr möglich gewesen, was ohne die "geringsten Zweifel" einem gesundheitlichen Unvermögen zugeordnet werden müsse.
Der sozialmedizinische Vorbefund sei nach diesem Gutachten, dass der Kläger bis zum Unfall seine Berufstätigkeit erfolgreich
gestalten habe können. Diese Chronologie hat nach Dr. C. seit dem Unfall einen eindeutig anderen Verlauf genommen. Andere
Gutachter hätten hierfür keine erklärenden Diagnosen gefunden. Ohne triftigen Grund sind nach Ansicht dieses Sachverständigen
keine Änderungen an den stabilen Grundlagen dieser individuellen Lebensführung zu erwarten. Ohne den Unfall als wesentliche
Bedingung fehlte eine medizinische Erklärung für den Abbruch der bis dahin tadellosen und erfolgreichen Erwerbs- und Sozialbiografie.
Seit dem Unfall sei der Schlaf des Klägers gestört gewesen, was ein wichtiger Baustein sei, um medizinisch gutachterlich einen
anhaltenden Unfallschaden als hinreichend wahrscheinlich zu betrachten.
All diese Schlussfolgerungen sind nicht überzeugend. Wenn sich Dr. C. keine andere Ursache der bestehenden Erkrankung vorstellen
kann, führt dies nicht zwingend zur Annahme eines Kausalzusammenhangs mit dem Unfall. Gerade die Gutachten der fachlich zur
Beurteilung derartiger Krankheitsbilder befähigten, sachverständigen Psychiater zeigen andere Ursachen auf, die in der Vorgeschichte
des Klägers begründet sind. Der Kausalzusammenhang der haftungsausfüllenden Kausalität muss positiv belegt sein und darf sich
nicht auf Vermutungen stützen. Es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache
die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen
zu einer Beweislastumkehr führen würde (BSGE 19, 52 = SozR Nr. 62 zu § 542a.F.
RVO; Urteil des BSG vom September - B 2 U 34/03 R; zu Berufskrankheiten vgl. §
9 III
SGB VII).
Weiter spricht gegen einen Primärschaden ein Vergleich mit Unfallgeschehen, die sich mit psychischen Traumatisierungen ereignen.
Ein solcher Vergleich ist angebracht. Medizinische Diagnosen und Krankheitsbilder sind bei psychischen Störungen als Unfallfolge
(wie hier eine Depression) ebenso Ausgangspunkt für die Feststellung von MdE-relevanten Funktionseinschränkungen wie bei Unfällen
mit psychischen Traumatisierungen. Bei beiden Krankheitsbildern stellt auch die Feststellung eines Erstschadens ein besonderes
Problem dar (posttraumatische Belastungsstörung im Sinne der Diagnoseschlüssel ICD-10 F 43.1 bzw. DSM-IV-TR 309.81). Sowohl
neurotische und somatoforme Störungen als auch Belastungsstörungen können nach Unfällen auftreten (vgl. Venzlaff, Foerster,
Dreßing, Habermeyer, Psychiatrische Begutachtung, 6. Auflage, Seite 562). Bei posttraumatischer Belastungsstörung werden definitionsgemäß
besondere Anforderungen an die Erlebnisqualität des Ereignisses gestellt. Typische Beispiele dafür sind, wenn ein Triebfahrzeugführer
sieht, wie ein Selbstmörder vom Bahnsteig vor den einlaufenden Zug springt, oder eine Geiselnahme oder ein Raubüberfall auf
einen Schalterbeamten (vergleiche Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB VII, 2. Aufl. 2014, §
8 SGB VII. Rn 152). Macht ein Verletzter Ansprüche wegen der Folgen einer sich nach dem angeschuldigten Ereignis entwickelnden derartigen
Belastungsreaktion geltend, dann stellt sich mit Blick auf die Diagnoseleitlinien des ICD-10 bzw. des DSM-IV-TR die Frage,
ob das für diese Diagnose erforderliche (Ausgangs-)Trauma, also die existenzielle seelische Beeindruckung, welche von beiden
Diagnosesystemen gefordert wird (ICD-10: belastendes Ereignis mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes,
DSM-IV-TR: Konfrontation mit einem extrem traumatischen Ereignis) und dem die Störung regelmäßig erst mit einer gewissen Latenz
folgt, auch tatsächlich stattgefunden hat.
Typische Erstdiagnosen hierzu sind ein Schockzustand des Verletzten, Hilflosigkeit, Verwirrtheit oder Ähnliches. Handelt es
sich aber lediglich um ein vergleichsweise harmloses Ereignis wie etwa einen städtischen Auffahrunfall, dann wird sich bei
fehlender Dokumentation eher nicht eine Überzeugung bilden, dass ein Erstschaden in dem von §
8 Abs.
1 SGB VII geforderten Sinne überhaupt vorgelegen hat und die beklagten Gesundheitsstörungen, deren Entschädigung nun begehrt wird,
Folge hiervon - also posttraumatisch - sind (G. Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB VII, 2. Aufl. 2014, §
8 SGB VII. Rn 364).
Ähnliche Erwägungen gelten für somatoforme Störungen. Psychoreaktive Symptome nach einem äußeren Ereignis entstehen immer
aus einem Geflecht verschiedener Ursachen. Folgende Einflussvariablen sind zu bedenken: Persönlichkeitsstruktur, Art und Schwere
des äußeren Ereignisses, Copingmechanismen, subjektive Krankheitstheorien und positive oder negative Äußerungen von ärztlicher
oder anwaltlicher Seite (vergleiche Venzlaff und andere aaO, Seite 562, mit weiteren Nachweisen ua auf Foerster und Widder).
Mit derartigen Überlegungen hat sich der Sachverständige Dr. C. nicht auseinandergesetzt, sondern immer betont, dass beim
Kläger kein regulärer Heilungsverlauf vorliege. Beim Kläger liegt nach den Aussagen der Sachverständigen eine indirekte Belastung
der Halswirbelsäule als Folge des Unfalls vor, die ein gewisses Risiko in sich berge, schmerzhafte Verletzungen zu verursachen.
Vorliegend wäre aber der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der vom Beklagten als unmittelbar durch den
Arbeitsunfall verursacht festgestellte Zerrung, hin zu einer Depression als Ursachenkette nach den Maßstäben der wesentlichen
Bedingung herauszuarbeiten und festzustellen gewesen. Insoweit begnügt sich Dr. C. aber mit bloßen Behauptungen ständiger
weiter andauernder Schmerzen und würdigt die Erstbefunde unzureichend. Darüber hinaus stützt sich Dr. C. weitgehend auf die
eigenen Angaben des Klägers. Deren Glaubwürdigkeit ist aber zweifelhaft, wenn man die Angaben des Klägers berücksichtigt,
die er gegenüber seiner privaten Berufsunfähigkeitsbeziehung gemacht hat. In diesem Fragebogen unbekannten Datums gegenüber
der Allianz Lebensversicherung AG verneinte der Kläger eine Verursachung der Depression durch einen Arbeitsunfall, eine Meldung
bei einer Berufsgenossenschaft und eine polizeiliche Aufnahme des Unfalls. Den Beginn der Erkrankung gab er mit dem 9.9.2004
an.
Schließlich ist aber auch am 27.5.2011 von Dr. D. eine ergänzende Stellungnahme zum Gutachten des Dr. C. eingeholt worden,
wonach dieser die Ausführungen auf psychiatrischem Gebiet nicht teilt.
Ein gewichtiges Indiz gegen das Vorliegen eines messbaren Primärschaden ist im Übrigen auch die Akzeptanz seitens des Klägers
der Verwaltungsentscheidung vom 2.6.2004, in der keinerlei Unfallfolgen und weitergehende Leistungen anerkannt worden sind.
Der Kläger hat den Bescheid vom 2.6.2004 bestandskräftig werden lassen und erst am 20.3.2007 die Anerkennung der Depression
als Unfallfolge gelten gemacht. Ein ebenso gewichtiges Indiz sind auch die Angaben des Klägers in Fragebogen an die Allianz
Lebensversicherung - AG, wonach eine Verursachung der Depression durch einen Arbeitsunfall, eine Meldung bei einer Berufsgenossenschaft
und eine polizeiliche Aufnahme des Unfalls verneint wurden.
7. Zwischen Unfallfolgen und der festgestellten Depression liegt auch keine Kausalität im mittelbaren Sinne vor. Jeder Teil
der Ursachenkette muss nach den Maßstäben der wesentlichen Bedingung herausgearbeitet und festgestellt werden. Vorliegend
wären dies der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der vom Beklagten als unmittelbar durch den Arbeitsunfall
verursacht festgestellte Zerrung, hin zu einer Depression. Deren weitere Aufrechterhaltung müsste dann unfallbedingt sei und
die Konkurrenzursachen ausschließen.
Davon ist der Senat nicht überzeugt. Dies beruht auf den schlüssigen Ausführungen der Sachverständigen, die vom Fachgebiet
her zur Beurteilung einer Depression befähigt sind. Die sind besonders die Gutachter Dr. N. und Dr. D ...
a) Die Ausführungen von Dr. B. und Dr. C. hingegen überzeugen nicht. Deren größter Mangel in der Argumentation ist die Annahme
der "Insolvenz" als Unfallfolge bzw. weiteren Teil der Ursachenkette.
Nach §
8 Abs.
1 Satz 2
SGB VII muss das Unfallereignis bei dem Versicherten zu einem Körperschaden geführt haben entweder in Gestalt eines Gesundheitsschadens
oder des Todes. Damit gehört die Körperschädigung (Primärschaden) in der gesetzlichen Unfallversicherung zur Definition des
Unfalls. Dies gilt auch für mittelbare Folgen, wozu §
11 Abs.1
SGB VII bestimmt: "Folgen eines Versicherungsfalls sind auch Gesundheitsschäden oder der Tod von Versicherten infolge 1. der Durchführung
einer Rehabilitationsmaßnahme, 2. die Wiederherstellung oder Erneuerung eines Hilfsmittels, 3. eine Untersuchung zur Aufklärung
des Sachverhalts". Lediglich eine Ausnahme ist in §
8 Abs.
3 SGB VII geregelt, wonach als Gesundheitsschaden auch die Beschädigung oder der Verlust eines Hilfsmittels gilt.
Eine Gesundheitsstörung, die nicht durch einen Gesundheitserstschaden oder eine Unfallfolge verursacht ist, sondern allein
wesentlich auf Auswirkungen einer durch das Unfallereignis verursachten Gesundheitsstörung auf die Lebensumstände zurückgeht,
ist nicht als Unfallfolge anzuerkennen (vgl. Feddern, MedSach 2010, S. 30 ff.; zu psychischen Reaktionen auf einen Strafprozess
wegen der unmittelbaren Unfallfolgen vgl. SG Hamburg, 15. 4. 2005, S 40 U 517/03). Denn rechtlich relevante Glieder der Kausalkette sind, wie aus §
26 Abs.
2 Nr.
1 SGB VII zu folgern ist, neben dem Versicherungsfall nur Gesundheitsschäden. Als Beispiele werden dazu angeführt (vgl. Feddern aaO):
"Der Versicherte hat bei einem Arbeitsunfall schwere Beinverletzungen erlitten. Durch den Verlust seines Arbeitsplatzes als
deren Folge - nicht durch die Beinverletzungen als solche, entwickelt sich bei ihm eine Depression. Diese Gesundheitsstörung
ist keine Unfallfolge".
Ein Konkurs bzw. genauer der Antrag des Schuldners oder ein Beschluss des Amtsgerichts kann daher aus rechtlichen Gründen
keine Unfallfolge sein, noch weniger im Übrigen ein Unfallereignis- auch wenn es sich beim Antrag an das Konkursgericht um
ein betriebliches Geschehen handelt.
Insgesamt gilt die Anwendbarkeit der unfallversicherungsrechtlichen Haftung nur für Personenschäden. Nur insoweit gilt der
Haftungsausschluss nach §§
102 SGB VII. Schäden für den "Erwerb oder das Fortkommen des Verletzten" unterliegen weiterhin dem Deliktsrecht (vgl. §
842 BGB). Im Fall des Klägers bestehen insoweit allerdings zivilrechtlich offensichtlich keine Ansprüche, da er selbst der Unfallverursacher
war.
b) Aber auch die Annahme einer depressiven Entwicklung vor dem angeschuldigten Konkursereignis führt nicht zu einer weiteren
Anerkennung der geltend gemachten Erkrankung. Auch bei vorhandenen Gesundheitsschäden ist zwar im Einzelfall zu prüfen, ob
nicht auch die vorhandenen Gesundheitsschäden infolge des Unfallereignisses eine wesentliche Mitursache der weiteren Gesundheitsstörungen
im Sinne einer wesentlichen Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens sind (Keller in: Hauck/Noftz, SGB, 05/15, §
8 SGB VII, Randnummer 307a).
Schäden, die sich aus dem Erstschaden heraus erst nach dem Unfall entwickeln, gehören zwar nicht mehr zu den tatbestandlichen
Voraussetzungen des Unfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung, können aber gleichwohl als mittelbare Unfallfolgen bzw.
Folgeschäden zu einem (weiteren) Entschädigungsanspruch zum Beispiel einer Verletztenrente führen. In diesem Sinne könnte
die zweifelsohne bestehende Depression des Klägers Mitursache des Insolvenzereignisses gewesen sein. Eine umgekehrte Kausalität,
die aber vom Kläger im Wesentlichen angeführt wird, ist, wie oben ausgeführt, nicht denkbar.
Aber auch eine dementsprechende haftungsausfüllende Kausalität iS mittelbarer Unfallfolgen bzw. Folgeschäden liegen zur Überzeugung
des Senats nicht vor. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass der anerkannte Unfall wesentlich eine Schadensanlage zum Vorschein
gebracht oder verschlimmert hat. Die Frage, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem schädigenden Ereignis und einem
Gesundheitsschaden besteht, ist in erster Linie nach medizinischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Im Rahmen seiner richterlichen
Überzeugungsbildung hat das Gericht alles Erforderliche zu tun, um diese Frage zu klären (§§
103,
128 SGG), wobei es sich des Urteils fachkundiger Sachverständiger zu bedienen hat, um mit deren Hilfe festzustellen, ob nach den
einschlägigen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen das angeschuldigte Ereignis die wahrscheinliche Ursache des bestehenden
Gesundheitsschadens ist. Maßgebend ist hierfür grundsätzlich die herrschende medizinische Lehrmeinung, soweit sie sich auf
gesicherte Erkenntnisse stützen kann.
Zur Anerkennung einer psychischen Störung als Unfallfolge -unabhängig davon, ob als Primärschaden oder im Sinne der Verschlimmerung
- ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme (ICD-10; DSM IV) erforderlich.
Ein Kausalzusammenhang zwischen einem Arbeitsunfall und einer seelischen Krankheit kann nur bejaht werden, wenn nach dem aktuellen
medizinischen Erkenntnisstand ein Unfallereignis oder Unfallfolgen der in Rede stehenden Art allgemein geeignet sind, die
betreffende Störung hervorzurufen (BSG Urteil vom 9.5.2006, Az.: B 2 U 1/05 R). Maßstab für die objektive Kausalitätsbeurteilung ist der neueste anerkannte Stand des Erfahrungswissens (vgl. hierzu zuletzt
auch BSG Urteil vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4111 Nr. 3 RdNr 23 f "in der Regel 100 Feinstaubjahre"). Als Maßstäbe sind jeweils, soweit vorhanden,
die aktuell anerkannten Erfahrungssätze festzustellen und anzuwenden. Dies ist eine Tatsachenfeststellung, bei der der Richter
der Hilfe des Sachverständigen bedarf. Hinsichtlich der richterlichen Feststellung des Inhalts der Erfahrungssätze genügt
der richterliche Beweisgrad der juristischen Wahrscheinlichkeit. Der Sachverständige muss bei seiner Begutachtung also gerade
verdeutlichen, welche Erfahrungssätze er seiner Begutachtung zugrunde legt und dass dieses Erfahrungswissen in der einschlägigen
Wissenschaft (oder Fachkunde) aktuell als neuester Stand anerkannt ist (Urteil des BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R: 67dd).
Dr. N. und Dr. D. gelangten übereinstimmend zur Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode (ICD 10:F32.1) sowie einer
narzisstischen Persönlichkeitsstörung (ICD 10:F60.8). Die Diagnose des Dr. B. - die der Senat nicht für im ursächlichen Zusammenhang
mit dem Unfall bewiesen ansieht - lautet zT anders (mittelschwere depressive Episode mit somatischem Syndrom, eine gemischte
Angststörung mit Panik sowie ein chronifiziertes Schmerzsyndrom nach Gerbershagen Stadium 3). Eine "Krankheitsanlage" bzw.
ein "Vorschaden" im Sinne einer bereits bestehenden psychischen Erkrankung vor dem Unfallereignis war in (nur) geringem Umfang
feststellbar (von Dr. B. ganz in Abrede gestellt). Dies bedeutet aber nicht, dass damit automatisch das Unfallereignis als
wesentliche Ursache der psychogenen Störung zu werten ist. Vielmehr muss bei psychischen Störungen der Schweregrad des Unfallereignisses,
der Schweregrad des Unfallerlebens, der zeitliche Zusammenhang zwischen Unfall und psychischen Folgen, die Persönlichkeit
des betroffenen Menschen in seinem sozialen Gefüge und seiner jeweiligen Lebenssituation sowie mögliche sekundäre Motive und
psychosoziale Faktoren aus dem persönlichen Umfeld berücksichtigt werden (Zeit/Jung, Psychiatrische Anamnesen im Gutachten,
2.Aufl., 2004, S.123 m.w.N.). Ebenso spielen daneben Faktoren eine Rolle wie die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkung
gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse, konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes,
der zeitliche Ablauf des Geschehens, Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, Befunde und Diagnosen
des erstbehandelnden Arztes und die gesamte Krankengeschichte. Insoweit gilt das gleiche, wie oben zum Primärschaden ausgeführt
(Seite 14 des Urteils). Darüber hinaus gibt es im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache
die versicherte, naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen
zu einer Beweislastumkehr führen würde (BSGE 19, 52 = SozR Nr. 62 zu § 542a.F.
RVO; Urteil des BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R; zu Berufskrankheiten vgl. §
9 III
SGB VII).
In diesem Sinne - eine Schadensanlage zum Vorschein gebracht und verschlimmert - besteht keine Kausalität. Es fehlen Erstschädigungen
(Kriterium der Schwere des Unfallereignisses) beziehungsweise dramatische Ereignisse, die - insbesondere- erst nach späterer
Zeit (fast 1 Jahr) einen Zusammenhang zur erstmals diagnostizierten Depression bewirkten (Kriterium des zeitlichen Zusammenhangs).
Diese Überzeugung beruht auf den Gutachten der Ärzte für Neurologie und Psychiatrie Dr. N. (verwertbar im Wege des Urkundsbeweises)
und Dr. D. im gerichtlichen Gutachten vom 16.3.2009.
Dr. N. legt dar, dass die Depression im gleichen Maße auch außerhalb einer beruflichen Arbeit ohne Ursachenzusammenhang mit
der versicherten Tätigkeit aufgetreten wäre. Die Depression ist nach Ansicht dieses Sachverständigen aber nicht wegen bei
dem Unfall aufgetretener körperlicher Beschwerden, die nicht so schwerwiegend waren, dass eine stationäre Behandlung hätte
erfolgen müssen, hervorgerufen worden. So enthält der Entlassungsbericht der Kur in F-Stadt vom 1.12.2003 noch keine Hinweise
auf eine depressive Symptomatik. Der Abschlussbericht enthält einen psychischen Status, der unauffällig war. Allerdings weist
die Beschreibung des Arbeitsplatzes eine hohe Stressbelastung auf (tägliche Arbeitszeit 16 h). Diese Vorgeschichte verwertet
der Sachverständige zutreffend.
Besonders gründlich setzt sich damit Dr. D. auf Blatt 20 seines Gutachtens auseinander. Die Diagnose einer depressiven Erkrankung
wird laut Dr. D. im Oktober 2004 erstmals durch den Nervenarzt Dr. H. gestellt. Der Sachverständige führt dazu aus, dass schon
vor dem Unfall eine Persönlichkeitsstörung bestanden hat, was er aus den anamnestischen Schilderungen des Dr. H. vom Oktober
2004 schließt. Ebenso aus den späteren Schilderungen beim Nervenarzt Dr. J. vom Mai 2006. Damit wird auch die Diagnose von
Dr. N. mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung (F60.80) bestätigt. Diese stellt eine Prädisposition für die Entwicklung
psychischer Erkrankung dar. So hat der Kläger nach eigenen Aussagen in der Klinik R. in August 2006 schon im Jahre 1999 nach
seiner Scheidung psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen. Diese Befundtatsache entspricht der Wiedergabe des Abschlussberichtes
vom 3.8.2006 (Gliederungsüberschrift: "Symptomatik und Anlass der Aufnahme"). Zur Verschlimmerung führt der Sachverständige
Dr. D. überzeugend aus, dass eine prädisponierende Persönlichkeitsstörung die Anerkennung des Unfalls vom 24.8.2003 zumindest
als wesentliche Ursache nicht ausschließen würde; sie war auch nicht so ausgeprägt, dass deswegen die Auslösung der akuten
Erkrankungen aufgrund jedes andere alltäglich vorkommenden ähnlich gelagerte Ereignis hätte erfolgen können. Dr. D. sieht
den Zusammenhang aber mit dem beruflichen Scheitern. Danach ist für die Beurteilung der Unfallabhängigkeit der depressiven
Entwicklung ausschlaggebend die Frage, ob das berufliche Scheitern selbst eine direkte Unfallfolge darstelle, die hieraus
entstehende Depression dann eine mittelbare Unfallfolge. Damit sieht Dr. D. die wesentliche Ursache der Depression im beruflichen
Scheitern. Dieses Scheitern kann nach Ansicht des Sachverständigen Dr. D. nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf Unfallfolgen
zurückgeführt werden. Insoweit unterliegt der Sachverständige zwar auch dem (rechtlichen) Irrtum, dass die Insolvenz dem Unfall
zugerechnet werden könnte, erkennt aber deren wesentliche Mitwirkung für die Depression.
Auch Dr. N. führt aus, dass sich für die Annahme des Klägers, dass seine Depression eine Folge des Unfalls sei, aus den Akten
und Untersuchungen nichts ableiten lasse. Der Unfall ist keine Ursache oder wesentliche Teilursache. Für die Entwicklung der
depressiven Symptomatik sind nach Dr. N. anlagebedingte Faktoren und die Insolvenz des Betriebes infolge einer unerwarteten
Kündigung des Kredits durch die Hypobank (als Konkurrenzursache) verantwortlich.
Dr. D. hat zusätzlich am 27.5.2011 eine ergänzende Stellungnahme nach Aktenlage zum Gutachten vom 5.12.2010 des Dr. C. erstellt
und darin nochmals ausgeführt, dass beim Kläger eine psychische Vorerkrankung anzunehmen ist, nämlich eine Persönlichkeitsstörung.
Der Sachverständige sieht darin durchaus eine Mitursache der später ab Sommer 2004 auftretenden depressiven Erkrankung. Dr.
D. sieht - wie schon in seinem ersten Gutachten - in der Existenz der fortbestehen Persönlichkeitsstörung (theoretisch) kein
Argument gegen die Anerkennung des Unfalls als wesentliche Mitursache der späteren depressiven Erkrankung. Die Argumente gegen
die Anerkennung des Unfalls als wesentliche Mitursache ergeben sich vielmehr aus den in seinem Gutachten dargestellten Hinweisen
auf deren entscheidende Verursachung durch das berufliche Scheitern. So führt der Sachverständige weiter aus, dass von den
Rechtsanwälten und dem Gutachter Dr. C. das berufliche Scheitern als Folge körperlicher Unfallschäden, insbesondere eine Unfallverletzung
der Halswirbelsäule mit anhaltender Schmerzsymptomatik angesehen wird. Würde man dieser Annahme folgen, wäre in der Tat auch
die depressive Erkrankung als mittelbare Unfallfolgen zu interpretieren, der Unfall daher als wesentliche Mitursache anzuerkennen.
Diese Sicht habe er sich aber nicht angeschlossen, nachdem im chirurgischen Gutachten von Dr. K. dargestellt worden sei, dass
körperliche Unfallfolgen zum Zeitpunkt des beruflichen Scheiterns nicht mehr anzunehmen seien. Dr. D. führt dann überzeugend
weiter aus, dass er "jedoch davon ausgeht, dass man sich bei gutachterlicher Beurteilung geschilderte Beschwerden letztlich
doch auf objektivierbare Befunde berufen muss."
Bei dieser einzelfallbezogenen Bewertung kann nach Ansicht des Senats entgegen der Auffassung des Klägers nur auf das individuelle
Ausmaß der Beeinträchtigung des Versicherten abgestellt werden, aber nicht so, wie er es subjektiv bewertet, sondern wie es
objektiv ist. Die Aussage, der Versicherte ist so geschützt, wie er die Arbeit antritt, ist ebenfalls diesem Verhältnis von
individueller Bewertung auf objektiver, wissenschaftlicher Grundlage zuzuordnen: Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall hat
"anhand" des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen, aber
auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes (Urteil des BSG vom 9. Mai 2006, Az.: B 2 U 26/04 R, Rn 29). Nach den zutreffenden Ausführungen des BSG (aaO Rn 40) liegt es andererseits auf der Hand, dass wunschbedingte Vorstellungen seitens des Versicherten nach einem Unfall,
z.B. allgemein nach einem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ("Unfall als Regressionsangebot") oder konkret auf eine Verletztenrente,
einen wesentlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und nun bestehenden psychischen Gesundheitsstörungen nicht
zu begründen vermögen. Soweit diese Vorstellungen neben das als naturwissenschaftliche Ursache der bestehenden psychischen
Gesundheitsstörungen anzusehende Unfallereignis treten, sind sie als konkurrierende Ursache zu würdigen und können nach dem
oben Gesagten der Bejahung eines wesentlichen Ursachenzusammenhangs zwischen der versicherten Ursache Unfallereignis und den
psychischen Gesundheitsstörungen entgegenstehen (BSGE 18, 173, 176 = SozR Nr. 61 zu § 542
RVO; Urteil des BSG vom 29. Januar 1986 - 9b RU 56/84; BSG vom 5. 8. 1987 - 9b RU 36/86 - SozR 2200 § 581 Nr. 26; vgl. zum sozialen Entschädigungsrecht BSGE 19, 275, 278 = Nr. 174 zu §
162 SGG; zum Zivilrecht: BGHZ 137, 142, 148ff.).
Es zeigt sich damit, dass die Insolvenz und der Rentenwunsch des Klägers, wie er bei der Maßnahme in E. vom Oktober 2008 zum
Abbruch geführt hat bzw. zu einem langandauernden Gerichtsverfahren in der Sozialgerichtsbarkeit, als konkurrierende Ursache
zum Auftreten der Depression zu Recht von den Sachverständigen Dr. D. Dr. N. gewürdigt worden ist.
c) Dr. B. überzeugt den Senat gerade auch aus den oben angeführten Gründen (Diskussion von Konkurrenzursachen und irrtümlicher
Annahme der Insolvenz als Unfallfolge sowie unkritische Übernahme von anamnestischen Angaben des Klägers) mit seinem Gutachten
vom 10.8.2009 nicht. Dr. B. wäre zwar vom Fachgebiet her als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie zur Beurteilung der
Kausalitätsfrage geeignet. Methodisch beschränkt er sich aber auf eine Diagnosestellung. Insoweit sind auch seine umfassenden
Erhebungen mittels Fragebogen zu verstehen. Diese dienen im Übrigen anderen (therapeutischen) Zwecken. Insoweit macht sich
der Senat die Stellungnahme des Beratungsarztes Dr. B. vom 10.12.2009 zu Eigen. Dr. B. weist darauf hin, dass derartige Untersuchungen
die sich überwiegend auf Selbstbeurteilungsfragebögen stützen, bei gutachtlichen Untersuchungen nur einen geringen Stellenwert
haben. Dr. B. geht danach in seinem Gutachten auf die zahlreichen Vorbefunde nicht bzw. nur unzureichend ein. Er unterlässt
es, sowohl die Auswirkungen der Persönlichkeitsstörung bei der Generierung des Krankheitsbildes zu diskutieren, als auch zu
diskutieren, dass laut den Vorbefunden der überwiegend andere Ursachen für die Depression bestanden haben als das Unfallereignis.
Der Unfall stellt außerdem kein so schweres Ereignis dar, dass daraus zwingend abzuleiten ist, dass es dadurch zu einer anhaltend
depressiven Symptomatik kommt.
Ein weiteres Manko und Hinweis auf mangelnde Sorgfalt des Gutachtens Dr. B. ist es, dass der Sachverständige den Schadensumfang
nach den Grundsätzen der Rentenversicherung (Erwerbsvermögen von weniger als 3 h täglich) beschreibt, wohl weil dieser am
11.12.2008 ein Gutachten für das SG in seinem Streitverfahren wegen die Deutsche Rentenversicherung erstellt hatte. Eine Auseinandersetzung mit den allgemeinen
Erfahrungswerten zur Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit in der gesetzlichen Unfallversicherung fehlt. Lediglich
bei den Literaturangaben wird ein Zitat ohne genaue Fundstelle (einzige Angaben: Schönberger und andere) angeführt, wonach
psychosoziale Belastungen in einem außergewöhnlichen Ausmaß für depressive Symptome verantwortlich sein können.
Ebenso wenig überzeugt das Gutachten des Dr. C., C-Stadt, auf orthopädischem Fachgebiet. Es zeigt sich schon deswegen, weil
es nicht von einem Sachverständigen auf psyiatrischem Gebiet erstattet worden ist und es deswegen die überzeugenden Schlussfolgerungen
des Dr. N. und Dr. D. nicht überzeugend entkräften kann. Insbesondere ist aber auch am 27.05.2011 von Dr. D. eine ergänzende
Stellungnahme nach Aktenlage zum Gutachten vom 05.12.2010 des Dr. C. dazu eingeholt worden. In seinem Gutachten vom 15.12.2010
geht der Orthopäde Dr. C. vom Vorliegen eines chronischen myofaszialen Schmerzgeschehens im Sinne eines cervicocephalen Syndroms
mit begleitenden Sekundärphänomenen aus, unter anderem auch einer reaktiven Depression. Zur Begründung führt er an, dass der
Kläger nach einem Arbeitsunfall seine vormalige Berufstätigkeit nie wieder konkurrenzfähig habe aufnehmen können. Es handele
sich um eine chronische Schmerzstörung (F 45.41). Dabei sei zu berücksichtigt, dass der Kläger ohne gravierende externe Belastungen
nicht zu psychischen Auffälligkeiten neige, wie zum Beispiel mit dem Ende der externen Belastung im Jahr 1999 die Depression
sehr rasch und vollständig abgeklungen sei und es außerdem epidemiologische bewiesen sei, dass auch Personen ohne eine derart
persönliche Reaktionskette nach solchen Unfällen anhalten erkranken können. Seit 2003 habe der Kläger seine Schmerzen ausgehalten
und seine dadurch bewirkte Insolvenz verkraften müssen. Mit dem formalen Ende der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit werde
die unfallbedingte MdE auf 100 geschätzt.
Hier gilt auch wieder die Kritik am Gutachten des Dr. B ... Es wird die Insolvenz als Unfallereignis angenommen. Es wird keine
saubere Kausalitätskette dargelegt und es werden die Vorschäden bagatellisiert. So hatte der Kläger bereits am 1.7.1991 ein
Schleudertrauma der Halswirbelsäule erlitten. Ebenso werden die Bewertungsmaßstäbe in der gesetzlichen Unfallversicherung
verkannt (Annahme einer MdE von 100) und die Kriterien der Gutachtensliteratur nicht diskutiert (vgl. oben, Venzlaff ua.,
Seite 562ff.). Dagegen spricht auch die Einschätzung des zeitnahen Gutachters Dr. K. am 29.4.2004, der als Chirurg ebenso
befähigt ist, Erkrankungen der Wirbelsäulen und des Skeletts zu beurteilen wie Dr. C ... Danach seien die unfallbedingte Halswirbelsäulendistorsion
und die Prellungen der Brustwirbelsäule und des linken Schlüsselbeins ausgeheilt. Großzügig beurteilt sei eine Arbeitsunfähigkeit
bis 27.10.2003 anzunehmen, wie vom Chirurgen W. vorgeschlagen. Allein damit kann schon kein Vollbeweis für die von Dr. C.
angenommenen Primärschäden erfolgen, aber auch nicht der Nachweis der Kausalität im Sinne der Wahrscheinlichkeit geführt werden.
Denn die durch Dr. K. und Dr. W. aufgeworfenen Zweifel sind zu konkret und maßgeblich.
Im Ergebnis erweist sich das bisherige Anerkenntnis des Arbeitsunfalles mit folgenlos ausgehalten Unfallfolgen als richtig.
Damit stellt sich weder die Frage, ob bislang zu Unrecht keine Depression anerkannt worden ist, noch ob diese später als wesentliche
Änderung (mittelbare Unfallfolge) zu den anerkannten Unfallfolgen hinzu getreten ist. Mangels einer neuen Feststellung erübrigen
sich auch weitere Ausführungen zum Vorliegen von Leistungen. Diese hätten allenfalls in der Bewilligung einer Verletztenrente
liegen können, wenn die Depression als Unfallfolge mindestens eine MdE von 20 vom 100 bewirkt hätte. Nach §
56 Abs.
1 Satz 1, Abs.
3 S. 2
SGB VII haben Versicherte Anspruch auf Verletztenrente in der Höhe des Vom-Hundert-Satzes der Vollrente, der dem Grad der Minderung
der Erwerbsfähigkeit (MdE) entspricht, solange die Erwerbsfähigkeit des Verletzten durch die Folgen des Arbeitsunfalls über
die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus um wenigstens 20 % gemindert ist. Die Frage des Verletztengeldes stellt sich nicht
mehr. Die Voraussetzungen der §§
45 SGB VII fehlen. Insbesondere hat die Arbeitsunfähigkeit gemäß § 46 Abs. 3 Nr. 1 SBG VII bereits am 26.10.2003 geendet. Weitere Unfallfolgen haben sich nicht feststellen lassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung
des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht
und auf dieser Abweichung beruht (§
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG).