Tatbestand:
Der Kläger begehrt zuletzt noch für die Zeit von Februar 2015 bis April 2016 im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach §
44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) die Gewährung höherer Leistungen durch den Beklagten nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung für die von ihm in dieser Zeit allein genutzte Eigentumswohnung
der seinerzeit dauernd getrennt lebenden beziehungsweise geschiedenen Ehefrau.
Die 2015 rechtkräftig geschiedene Ehefrau des 1986 geborenen Klägers türkischer Staatsangehörigkeit, der eine Niederlassungserlaubnis
besitzt, ist Alleineigentümerin einer während der Ehezeit erworbenen 87m2 großen Dreizimmerwohnung in der Gstraße in B. Mit
Anwaltsschriftsatz vom 28. Januar 2014 teilte die damalige Ehefrau des Klägers, die seit August 2014 aufgrund geltend gemachter
Unzumutbarkeit nicht mehr in der Ehewohnung, sondern bei ihrer Schwester lebte, und im Dezember 2014 den Scheidungsantrag
stellte, dem Kläger mit, die bisherige Ehewohnung künftig allein nutzen zu wollen und forderte diesen auf auszuziehen. Unter
dem 5. Mai 2015 forderte sie den Kläger mit weiterem Anwaltsschriftsatz auf, rückwirkend ab Februar 2015 eine Nutzungsentschädigung
in Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete von 739,50 Euro zuzüglich Betriebskosten von 180,00 Euro, mithin in Höhe von 919,50
Euro im Monat zu zahlen und aus der Wohnung auszuziehen. Diese Aufforderung erneuerte die dauernd getrennt lebende Ehefrau
des Klägers mit Anwaltsschriftsatz vom 8. Juni 2015 unter Fristsetzung von 14 Tagen und kündigte die Einleitung eines gerichtlichen
Verfahrens ein. Eine Regelung im Scheidungsverfahren oder anderweitige Titulierung der Forderung, die die geschiedene Ehefrau
des Klägers zuletzt noch für die Zeit von Mai 2015 bis Mai 2016 aufrecht erhält, erfolgte jedoch nicht. Zahlungen leistete
der Kläger weder in noch für diesen Zeitraum. Er zog am 2. Mai 2016 aus der Wohnung aus.
Mit Bescheiden vom 4. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2015 sowie vom 5. Februar 2016
bewilligte der Beklagte dem einkommens- und vermögenslosen Kläger erstmals für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis zum 31. Januar
2016 sowie nachfolgend für die Zeit vom 1. Februar 2016 bis zum 31. Januar 2017 Leistungen nach dem SGB II in Form des Regelsatzes und lehnte die Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung ab. Die Kosten der Eigentumswohnung
habe deren Eigentümerin zu tragen, gegenüber der der Kläger sich nicht vertraglich zu einer Mietzahlung verpflichtet habe.
Diese sei nicht bereit, dem Kläger die Wohnung zu überlassen, sondern habe ihn wiederholt zum Auszug aufgefordert.
Aufgrund des am 18. April 2016 mit dem Ziel der Berücksichtigung einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 919,19 Euro monatlich
ab Februar 2015 als Bedarf für Unterkunft und Heizung gestellten Überprüfungsantrags des Klägers lehnte der Beklagte eine
Änderung der Bescheide vom 4. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2015 sowie vom 5. Februar
2016 mit der Begründung ab, diese seien rechtmäßig (Bescheid vom 27. Januar 2017, Widerspruchsbescheid vom 4. April 2017).
Die nachfolgend am 21. April 2017 erhobene und nach Auslegung durch das Sozialgericht (SG) Berlin auf den Zeitraum vom 1. Februar 2015 bis zum 31. Mai 2016 bezogene Klage hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 17. Oktober 2018 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Voraussetzungen von § 44 SGB X lägen nicht vor. Die zur Überprüfung gestellten Bescheide des Beklagten seien rechtmäßig, weil der Kläger keinen Anspruch
auf Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung in der streitgegenständlichen Zeit habe. Dieser sei seiner geschiedenen
Ehefrau weder mietrechtlich noch vindikationsrechtlich noch trennungsrechtlich zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung verpflichtet.
Mit der am 5. November 2018 eingegangenen Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis
zum 30. April 2016 weiter.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des SG Berlin vom 17. Oktober 2018 und den Bescheid des Beklagten vom 21. Januar 2017 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 4. April 2017 zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 4. August 2015
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2015 und den Bescheid vom 5. Februar 2016 zu ändern und dem Kläger
für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis zum 30. April 2016 Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich
919,19 Euro zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten, auf die wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes
sowie des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen wird, sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige - insbesondere statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte - Berufung, mit der der Kläger seine erstinstanzlich
erhobene, statthafte kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage im Sinne vom §
54 Absatz
1 Satz 1 und Absatz
4 in Verbindung mit §
56 SGG bezogen auf die Zeit von Februar 2015 bis April 2016 weiterverfolgt, ist nicht begründet.
Das SG hat die Klage insoweit zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 27. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 4. April 2017 ist rechtmäßig. Der Kläger hat für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis zum 30. April 2016 keinen Anspruch auf
Verpflichtung des Beklagten zur Änderung der Bescheide vom 4. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.
September 2015 sowie vom 5. Februar 2016 und Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 919,19 Euro. Der Kläger hat den Streitgegenstand dabei zulässigerweise
auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung begrenzt; bei diesen handelt es sich um abtrennbare Verfügungen der streitgegenständlichen
Bescheide (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 4. Juni 2014 - B 14 AS 47/13 R, Rn.10 ff. - juris).
Gemäß § 44 Absatz 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit
sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen
worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Dies
ist hier nicht der Fall. Die Bescheide des Beklagten vom 4. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.
September 2015 sowie vom 5. Februar 2016, mit denen es der Beklagte abgelehnt hat, für die Zeit von Februar 2015 bis April
2016 Kosten der Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen, sind rechtmäßig. Die Voraussetzungen für die Anerkennung eines
derartigen Bedarfs im Rahmen der Anspruchsberechnung nach dem SGB II liegen nicht vor.
Nach § 22 Absatz 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.
Anzuerkennen sind danach diejenigen Kosten, die dem Grundbedürfnis des Wohnens und der Aufrechterhaltung eines räumlichen
Lebensmittelpunktes dienen. Sind mit den Kosten weitere Zwecke verbunden, wie etwa die Auseinandersetzung von Eheleuten im
Scheidungsverfahren, kommt eine Berücksichtigung nach § 22 Absatz 1 Satz 1 SGB II nicht in Betracht (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 19. August 2015 - B 14 AS 13/14 R, Rn.19 - juris). Eine vertragliche oder gesetzliche Verpflichtung des Klägers gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau zur
Zahlung einer Vergütung für die Nutzung der Wohnung als solche besteht jedoch nicht.
Eine vertragliche Vereinbarung haben die früheren Ehegatten vorliegend weder in Form eines Mietvertrages noch in Form einer
Übereinkunft über eine trennungsrechtliche Nutzungsentschädigung getroffen. Mangels Abschlusses eines Mietvertrages ist der
Anwendungsbereich des §
546a Absatz
1 des
Bürgerlichen Gesetzbuches (
BGB) von vornherein nicht eröffnet.
Als gesetzliche Anspruchsgrundlage für eine Nutzungsvergütung der geschiedenen Ehefrau des Klägers kommt zwar §
1361b Absatz
3 Satz 2
BGB in Betracht. Danach kann der Ehegatte, der dem anderen die Ehewohnung während des Getrenntlebens ganz oder zum Teil überlassen
hat, von dem nutzungsberechtigten Ehegatten eine Vergütung für die Nutzung verlangen, soweit dies der Billigkeit entspricht.
Die Vorschrift ermöglicht einen an familienrechtlichen Billigkeitskriterien orientierten Ausgleich für die Zeit des Getrenntlebens
dafür, dass nur noch der Verbliebene allein diejenigen Nutzungen zieht, die nach der ursprünglichen ehelichen Lebensplanung
beiden Ehegatten gemeinsam zustehen sollten. Dabei sind unter anderem die räumlichen Möglichkeiten für ein Getrenntleben in
der Ehewohnung ebenso zu berücksichtigen wie die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten und der Umstand, dass der in
der Wohnung verbleibende Ehegatte, der nicht deren Eigentümer ist, selbst weiterhin ein Nutzungsrecht an der Ehewohnung hat
(Bundesgerichtshof, (BGH), Urteil vom 15. Februar 2006 - XII ZR 202/03, Rn.15 - juris m.w.N.), das er trotz Trennung weiterhin unentgeltlich ausüben darf (vgl. zu den im Rahmen der Billigkeitsbemessung
zu berücksichtigenden Aspekten im Einzelnen nur Vöppel, in: Staudinger, Neubearbeitung 2018, Rn.76 ff. zu §
1361b BGB). Allerdings entsteht der Anspruch erst mit einem deutlichen Zahlungsverlangen, das dem in der Wohnung verbliebenen Ehegatten
die Überlegung ermöglicht, in der Wohnung gegen eine Vergütung weiterhin zu verbleiben oder aber sich eine Ersatzwohnung zu
suchen (vgl. Weber-Monecke, in: Münchener Kommentar zum
BGB, 8. Auflage 2019, Rn.18 zu §
1361b BGB m.w.N.; a.A. Vöppel, a.a.O., Rn.75), kommt vorliegend also überhaupt erst ab Zugang des Anwaltsschriftsatzes vom 5. Mai 2015
beim Kläger in Betracht, und ist zeitlich begrenzt auf die Zeit des Getrenntlebens, so dass diese Anspruchsgrundlage nach
Rechtskraft der Scheidung am 15. Oktober 2015 ausscheidet.
Aber auch für die Zeit von Mai 2015 bis Mitte Oktober 2015 scheitert eine Anerkennung einer auf §
1361b Absatz
3 Satz 2
BGB gestützten Nutzungsentschädigung als Bedarf des Klägers daran, dass dieser weder in dieser Zeit noch darüber hinaus vom 16.
Oktober 2015 bis zum 30. April 2016 einem ernstlichen Zahlungsverlangen seiner geschiedenen Ehefrau ausgesetzt war. Für die
Zeit nach Rechtskraft der Scheidung käme dabei allenfalls bereicherungsrechtlich §
812 Absatz
1 Satz 1 2. Alternative in Verbindung mit §
818 Absatz
1 BGB als Anspruchsgrundlage in Betracht. §
987 BGB dürfte mit Blick auf die die dafür vorausgesetzte Vindikationslage verdrängende Spezialregelung des §
1568a BGB bereits nicht anwendbar sein (vgl. insoweit die Übersicht zum Streitstand bei Fritzsche, in: BeckOK
BGB, 55. Edition, Stand 1. August 2020, Rn.61 zu §
985 BGB); ein darauf gestützter Anspruch entsteht jedenfalls erst ab Rechtshängigkeit einer entsprechenden Klage, die die geschiedene
Ehefrau des Klägers jedoch nicht erhoben hat.
Nach § 22 Absatz 1 Satz 1 SGB II sind nur solche Kosten zu übernehmen, die dem Leistungsberechtigten tatsächlich entstanden sind und für deren Deckung ein
Bedarf besteht (vgl. BSG, Urteil vom 3. März 2009 - B 4 AS 37/08 R, Rn.24 - juris). Der Kläger hat für die gesamte streitgegenständliche Zeit weder Zahlungen an seine geschiedene Ehefrau
geleistet, noch war er einer begründeten Forderung ausgesetzt, bei deren Nichtbegleichung ihm der Verlust der Wohnung drohte.
Dieser drohte ihm vielmehr unabhängig von der Zahlung oder Nichtzahlung einer etwaigen Nutzungsvergütung, weil die geschiedene
Ehefrau des Klägers die in ihrem Alleineigentum stehende Wohnung bereits ab dem Zeitpunkt des Beginns des dauernden Getrenntlebens
im Januar 2014 selbst allein nutzen wollte. Auch wenn die geschiedene Ehefrau des Klägers diesen mehrfach zur Zahlung einer
Nutzungsentschädigung aufgefordert hat, so hat sie diesen von ihr geltend gemachten Anspruch trotz Einschaltung einer Rechtsanwältin
- möglicherweise wegen des damit auch vor dem Hintergrund der Billigkeitsprüfung verbundenen Prozessrisikos - weder dem Grunde
noch der Höhe nach ernsthaft durchzusetzen versucht (vgl. zu dieser Notwendigkeit BSG, a.a.O., Rn.25). Dies zeigt sich deutlich auch daran, dass der Kläger erst mehr als ein halbes Jahr nach Rechtskraft der
Scheidung aus der Wohnung tatsächlich ausgezogen ist. Das Vorgehen der geschiedenen Ehefrau des Klägers diente danach allein
dem Zweck, dass der Kläger die von ihr geltend gemachten Kosten als Bedarf gegenüber dem Beklagten durchsetzen sollte, ohne
dass damit die Absicht verknüpft gewesen wäre, den Kläger selbst auf Zahlung in Anspruch zu nehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Absatz
1 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß §
160 Absatz
2 Nrn.1 oder 2
SGG liegen nicht vor.