Vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II
EU-Ausländer
Minderjährige Unionsbürger und ihre Eltern
Gleichbehandlungsgrundsatz
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 30. Mai 2016 wird als unzulässig verworfen,
soweit er die Zahlung von Leistungen für den Zeitraum vom 1. bis 30. Juni 2016 betrifft, und im Übrigen zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller dessen außergerichtliche Kosten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten. Im
Übrigen haben die Beteiligten einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Der Antrag des Antragstellers, ihm für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin
..., zu bewilligen, wird abgelehnt.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragsgegners, mit der er sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts wendet, mit dem er im Wege der
einstweiligen Anordnung dazu verpflichtet worden ist, den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. Juni bis 30. November 2016, längstens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren,
in Höhe von monatlich 464,26 Euro zu gewähren, ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.
Die Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen, soweit der Antragsgegner zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats der einstweiligen
Anordnung des Sozialgerichts bereits nachgekommen ist. Insoweit fehlt dem Antragsgegner das erforderliche Rechtsschutzinteresse.
Denn die (einstweilige) Anordnung des Sozialgerichts hat sich insoweit erledigt. Der Antragsgegner hat kein rechtlich schützenswertes
Interesse an seiner Aufhebung. Er war aufgrund dieser Anordnung verpflichtet, vorläufig Leistungen zu erbringen. Soweit es
dem Antragsgegner darum gehen sollte, die von ihm ausgezahlten Beträge zurückzuerhalten und festgestellt zu wissen, dass er
- endgültig - nicht zur Gewährung dieser Leistung verpflichtet sei, steht das gerichtliche Eilverfahren dafür nicht zur Verfügung.
Eine einstweilige Anordnung ist stets nur ein Rechtsgrund für das vorläufige Behaltendürfen einer daraufhin erbrachten Leistung.
Ob dem von der einstweiligen Anordnung Begünstigten diese Leistung endgültig zusteht, ist gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren
zu klären, sofern die Entscheidung der Behörde nicht ohnehin bestandskräftig wird (vgl. Beschluss des Senats vom 22. Februar
2010 - L 25 AS 2159/09 B ER - juris).
Die im Übrigen zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet. Der Antragsteller hat insoweit sowohl einen Anordnungsgrund
als auch einen Anordnungsanspruch mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft
gemacht (§
86b Abs.
2 Satz 2 bis
4 des
Sozialgerichtsgesetzes [SGG] in Verbindung mit §
920 Abs.
2 der
Zivilprozessordnung [ZPO]).
Der Antragsteller ist erwerbsfähig und hilfebedürftig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
In Betracht kommt, dass er, da er die rumänische Staatsangehörigkeit besitzt, nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist, wenn sich sein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergeben sollte. In diesem Fall käme
möglicherweise ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen gegen den Beigeladenen in Betracht (vgl. Beschluss des Senats vom 21.
Dezember 2015 - L 25 AS 3035/15 B ER - juris).
Gegen wen der Antragsteller einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen hat, ist im vorliegenden Eilverfahren nicht abschließend
zu entscheiden. Hier ist es aber nicht zu beanstanden, dass das Sozialgericht den Antragsgegner zur vorläufigen Leistungserbringung
verpflichtet hat. Denn nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen vorläufigen Einschätzung ist er nicht gemäß
§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, weil sich sein Aufenthaltsrecht nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Denn zwar dürfte er entgegen
der Einschätzung des Sozialgerichts sein Aufenthaltsrecht nicht aus einem etwaigen Aufenthaltsrecht der ältesten Tochter seiner
Lebenspartnerin aus ihrem Schulbesuch gemäß Artikel 10 der Verordnung Nr. 492/2011 ableiten können, weil er nach derzeitiger
Einschätzung nicht Vater dieser Tochter ist und wohl auch kein Sorgerecht insoweit haben dürfte. Der Antragsteller und seine
Lebenspartnerin sind aber Eltern der 2015 geborenen Tochter. Beide üben insoweit die elterliche Sorge gemeinsam aus. Da die
2015 geborene Tochter nach dem Beschluss des 10. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Juni 2016 (L 10 AS 1334/16 B ER) gemäß § 3 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) über ihre Mutter (und Lebenspartnerin des Antragstellers) aufenthaltsberechtigt ist, die nach der summarischen Einschätzung
des 10. Senats ihrerseits ein materielles Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU hat, dürfte der Antragsteller sein Aufenthaltsrecht jedenfalls auch aus der Personensorge über seine 2015 geborene aufenthaltsberechtigte
Tochter ableiten. Rechtlicher Anknüpfungspunkt hierfür ist nach summarischer Einschätzung § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Nach letztgenannter Vorschrift ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen
zur Ausübung der Personensorge zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Dass die
2015 geborene Tochter des Antragstellers ebenso wie dieser nicht die deutsche, sondern die rumänische Staatsbürgerschaft besitzt,
verkennt der Senat zwar nicht, doch wird insoweit vertreten, § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG finde aufgrund des in Artikel 18 des Vertrages über die Arbeitsweise in der Europäischen Union statuierten Gleichbehandlungsgrundsatzes auf minderjährige
Unionsbürger und ihre Eltern Anwendung (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. November 2015 - L
19 AS 1713/15 - juris). Dem ist im vorliegenden Eilverfahren auch unter Beachtung von Artikel
6 Abs.
1 des
Grundgesetzes zu folgen.
Bei dieser Sachlage kann hier offen bleiben, ob der Antragsteller ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU als Arbeitnehmer hat.
Die Leistungshöhe ergibt sich aus dem Regelbedarf (364,- Euro monatlich) und den anteiligen Kosten der Unterkunft und Heizung
(196,64 Euro monatlich) und darauf anzurechnendem Einkommen aus Elterngeld. Einkommen aus der nach seinen Angaben aufgenommenen
(Probe)Arbeit hat der Antragsteller nicht erzielt. Da ein Einkommenszufluss insoweit derzeit auch nicht absehbar ist, war
Erwerbseinkommen nicht anzurechnen. Auf den Bedarf des Antragstellers anzurechnendes Einkommen der übrigen Mitglieder der
Bedarfsgemeinschaft ist für die Zeit ab Juli 2016 nicht vorhanden. Elterngeld hat das Sozialgericht der Höhe nach im für das
Eilverfahren zutreffenden Umfang berücksichtigt. Dass Elterngeld nach Aktenlage nur für die Zeit bis zum 5. September 2016
bewilligt worden ist, war vom Senat nicht zu berücksichtigen, da nur der Antragsgegner Beschwerde eingelegt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG in analoger Anwendung.
Der Antrag des Antragstellers, ihm für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der aus
dem Tenor ersichtlichen Verfahrensbevollmächtigten zu bewilligen, war abzulehnen, weil er mit Blick auf die getroffene Kostenentscheidung
der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nicht mehr bedarf (§
73a Abs.
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit §§
114 ff.
ZPO).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).