Verrechnung eines Rückzahlungsanspruchs aus einem Mietkautionsdarlehen
Aufrechnung als Ermessensentscheidung
Entschließungsermessen des Leistungsträgers
Gründe:
Der Kläger wendet sich gegen einen Rückzahlungsanspruch aus einem Mietkautionsdarlehen durch monatliche Aufrechnung gegen
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Dem im Juni 1978 geborenen Kläger hatte der Beklagte mit Bescheid vom 4. Juni 2013 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1. Mai 2013 bis 31. Oktober 2013, ab 1. Juni 2013 in Höhe von 768,80 Euro monatlich bewilligt.
Mit Bescheid vom 27. Juni 2013 gewährte der Beklagte dem Kläger im Hinblick auf die ihm erteilte Zusicherung zu den Aufwendungen
für die neue Wohnung und die Zusicherung für die Übernahme einer Mietkaution ein Darlehen in Höhe von 801,90 Euro gemäß §
22 Abs. 6 SGB II. Im Bescheid ist darauf hingewiesen, dass gemäß § 42 a Abs. 2 SGB II Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folge, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10
v. H. des maßgeblichen Regelsatzes getilgt würden, solange der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes beziehe.
Bestandteil dieses Bescheides seien die Vereinbarungen im Darlehensvertrag und in der Abtretungserklärung vom 27. Juni 2013.
In diesem zwischen dem Kläger und dem Beklagten geschlossenen Darlehensvertrag vom 27. Juni 2013 wird geregelt, dass der Kläger
vom Beklagten ein Darlehen für die Zahlung einer Mietkaution an seinen Vermieter in Höhe von 801,90 Euro erhält. Das Darlehen
wird gemäß § 42 a Abs. 2 SGB II, solange der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezieht, ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch
monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 v. H. des maßgeblichen Regelsatzes getilgt. Zur Sicherung der Ansprüche des Beklagten
tritt der Kläger die dem Vermieter überwiesene, noch nicht getilgte, Mietkaution einschließlich der anfallenden Zinsen unwiderruflich
ab.
Mit der Abtretungserklärung zum Darlehensvertrag ebenfalls vom 27. Juni 2013 erklärte der Kläger, dass er den Anspruch auf
Rückzahlung sowie die auflaufenden Zinsen/Dividenden hiermit unwiderruflich an das Land Berlin, vertreten durch den Beklagten,
zur Sicherung der Ansprüche aus dem Darlehensvertrag abtrete.
Mit Änderungsbescheid vom 27. Juni 2013 setzte der Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 6. Juni 2013
die Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. August 2013 bis 31. Oktober 2013 in Höhe von 768,80 Euro monatlich fest. Zugleich verfügte er, dass gemäß
§ 42 a Abs. 2 SGB II ab dem 1. August 2013 monatlich 38,20 Euro einbehalten und zur Tilgung der offenen Forderung bezüglich der Mietkaution an
die Regionaldirektion Berlin-Brandenburg überwiesen werden.
Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, dieser Bescheid sei rechtswidrig, da er mit den Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts aufrechne, ohne die Unbilligkeit dieser Verfahrensweise gemäß § 44 SGB II geprüft zu haben. Die Aufrechnung an sich sei zudem verfassungsrechtlich höchstbedenklich, da sie dem Kläger über einen Zeitraum
von über einem Jahr einen nicht unerheblichen Betrag der Regelleistung entziehe. Völlig unberücksichtigt bleibe der Umstand,
dass dem Beklagten ein Ermessen über die Regelung des § 22 Abs. 6 SGB II eröffnet sei, so dass zu prüfen wäre, ob für den Kläger in einer Maßnahme nach den §§ 67 ff. SGB XII, der sich in einer misslichen finanziellen Situation befinde, die Kaution, zumindest teilweise als Zuschuss zu gewähren sein
könnte. Darüber hinaus dürfte es dem Bescheid an Bestimmtheit mangeln, da dieser in entscheidenden Punkten, hier die Aufrechnungsverfügung,
pauschal auf den Darlehensvertrag verweise.
Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück: Durch die "Soll"-Formulierung in §
22 Abs. 6 Satz 3 SGB II sei dem Beklagten die Befugnis eingeräumt, für außergewöhnliche Sachverhalte (atypische Fallgestaltungen) die vom Vermieter
geforderte Mietsicherheit auch auf andere Weise als durch ein Mietkautionsdarlehen - etwa durch einen Zuschuss mit Rückerstattungsverpflichtung
und Abtretungserklärung - an den Kläger zu erbringen. Ein solcher atypischer Fall folge nicht bereits aus der bloßen auf §
42 a Abs. 2 SGB II basierenden Kürzung des Regelbedarfs über einen längeren Zeitraum, weil es sich insoweit um eine zwingende Rechtsfolge der
Darlehensgewährung und somit um den gesetzlichen Regelfall handele. Die Höhe der Mietkaution betrage eine überschaubare Summe
in Höhe von 801,90 Euro. Ein atypischer Fall sei nicht zu erkennen. Eine verfassungswidrige Bedarfsunterdeckung liege nicht
vor.
Dagegen hat der Kläger am 8. November 2013 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben und am 4. Dezember 2013 unter Vorlage der
Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.
Er begehrt die Aufhebung des Bescheides vom 27. Juni 2013 im Hinblick auf die Aufrechnungsverfügung. Er meint, dem Beklagten
stehe für die Aufrechnung keine Rechtsgrundlage zur Verfügung. Zunächst könne er diese nicht auf den Darlehensvertrag stützen,
da der Kläger diesen durch seinen Widerspruch, als auslegungsfähiger Willenserklärung, gemäß §
46 SGB I widerrufen habe. Er sei zu einem solchen Widerruf auch berechtigt gewesen, da ihm bei Würdigung der Gesamtumstände ein Darlehen
als Zuschuss oder auf sonstige, den laufenden Regelbedarf unberührt lassende Weise hätte gewährt werden können. Die Regelung
des § 22 Abs. 6 SGB II - "soll als Darlehen erbracht werden" - ermögliche es dem Beklagten, in Abweichung vom Regelfall so zu verfahren. Dies sei
aus verfassungsrechtlichen Überlegungen geboten, denn nach den zum Vergabezeitpunkt des Darlehens überschaubaren Umständen
sei nicht erkennbar, dass dem Kläger in einem angemessenen Zeitraum die Darlehensrückzahlung ohne Gefährdung seines Existenzminimums
möglich sein werde. Diese Argumentation ergebe sich aus der Überlegung, dass vor In-Kraft-Treten der Regelung des § 42 a SGB II einhellig anerkannt gewesen sei, das Kautionsdarlehen nicht mit der laufenden Regelleistung getilgt werden dürften. Das Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) habe im Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09 unter anderem ausgeführt, dass in Anbetracht der Ansparkonzeption des Gesetzgebers diese (nur) vorübergehende monatliche
Kürzung der Regelleistung im Grundsatz nicht zu beanstanden sei.
Mit Beschluss vom 20. Januar 2015 hat das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt: Der Kläger
habe offensichtlich keinen Anspruch auf Aufhebung der Aufrechnungsverfügung vom 27. Juni 2013. Der Beklagte habe im Bescheid
vom 27. Juni 2013 eine Aufrechnungserklärung abgegeben und entsprechend der gesetzlichen Regelung die Aufrechnung ab dem auf
die Auszahlung folgenden Monat (August) in der gesetzlich vorgeschriebenen Höhe von 38,20 Euro vorgenommen. Unabhängig von
einem etwaigen Widerruf einer Erklärung zum Darlehensvertrag habe der Beklagte jedenfalls mit diesem Bescheid ein Darlehen
an den Kläger gewährt. Der Kläger habe gegen den Beklagten auch keinen Anspruch auf die Erbringung der Leistungen zur Begleichung
der Mietkaution als (teilweisen) Zuschuss. Gemäß § 22 Abs. 6 SGB II solle die Mietkaution als Darlehen erbracht werden. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines atypischen Falles seien weder vorgetragen
noch ersichtlich. Insbesondere könne in der auf § 42 a Abs. 2 SGB II basierenden Kürzung des Regelbedarfs über einen längeren Zeitraum kein atypischer Fall erblickt werden, denn die Aufrechnung
nach § 42 a Abs. 2 SGB II sei eine zwingende Rechtsfolge. Dass es sich aufgrund der Höhe einer Mietkaution dabei grundsätzlich auch um eine Kürzung
des Regelbedarfs für einen nicht nur vorübergehenden Zeitraum handele, könne einen atypischen Fall nicht begründen, sondern
es handele sich dabei um den gesetzlich vorgegebenen Regelfall. Ein Anspruch des Klägers auf Erlass der Forderung gemäß §
44 SGB II sei nicht erkennbar. Der Kläger habe nicht vorgetragen, was in seinem Fall die Forderungseinziehung unbillig mache.
Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten am 26. Januar 2015 zugestellten Beschluss richtet sich die am 23. Februar 2015 eingelegte
Beschwerde des Klägers.
Er ist der Ansicht, zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife seines Prozesskostenhilfeantrages habe seine Rechtsverfolgung
eine hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten. Stehe eine höchstrichterliche Klärung von im Hauptsacheverfahren noch entscheidungserheblichen
Fragen aus, so laufe es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht seines
Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten. Danach habe der Bewilligung von Prozesskostenhilfe die fehlende Erfolgsaussicht
der Klage schon deshalb nicht entgegengestanden, weil die zu entscheidende Rechtsfrage beim Bundessozialgericht (BSG) anhängig sei.
Der Beklagte hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte
und die Verwaltungsakte des Beklagten (...), die bei der Entscheidung vorgelegen haben, verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht abgelehnt, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung
bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Nach §
73 a Abs.
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) in Verbindung mit §
114 Abs.
1 Satz 1
Zivilprozessordnung (
ZPO) erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die
Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig (§
114 Abs.
2 ZPO) erscheint.
Hinreichende Erfolgsaussicht ist, soweit die Entscheidung des Rechtsstreits allein von der Beantwortung einer Rechtsfrage
abhängt, anzunehmen, wenn zum maßgebenden Zeitpunkt der Erfolgsprüfung der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich
hat. Dies ist der Fall, wenn der Rechtsstandpunkt des Prozesskostenhilfe beantragenden Beteiligten für zutreffend oder zumindest
für vertretbar gehalten werden kann und somit die Möglichkeit seines Obsiegens ebenso wahrscheinlich wie sein Unterliegen
ist (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 11. Auflage, §
73a Rdnrn. 7a und 7d). Ist eine Rechtsfrage aufgeworfen, die in der Rechtsprechung noch nicht geklärt ist, aber klärungsbedürftig
ist, muss Prozesskostenhilfe bewilligt werden. Ebenso gilt dies, wenn das Gericht von Rechtsprechung oder der herrschenden
Meinung im Schrifttum abweichen will. Schließlich darf Prozesskostenhilfe nicht abgelehnt werden, wenn eine schwierige Rechtsfrage
zu beantworten ist (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO., § 73a Rdnr. 7b m.w.N.).
Dieser maßgebende Zeitpunkt der Erfolgsprüfung liegt nicht vor dem Tag des Eingangs der Erklärung über die persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse. Ein vollständiger und damit bewilligungsreifer Antrag auf Prozesskostenhilfe erfordert außerdem
die Darstellung des Streitverhältnisses unter Angabe der Beweismittel, denn zu den zu prüfenden Bewilligungsvoraussetzungen
gehören auch die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung. Eine solche Prüfung ist nur möglich, wenn dem Gericht
eine substantiierte Darstellung des Streitverhältnisses vorgelegt worden ist. §
117 Abs.
1 Satz 2
ZPO setzt daher voraus, dass derjenige, der Prozesskostenhilfe begehrt, den Sachverhalt schildert und wenigstens im Kern deutlich
macht, auf welche rechtliche Beanstandung er seine Klage stützt (Bundesverfassungsgericht - BVerfG, Beschluss vom 14. April
2010 - 1 BvR 362/10, zitiert nach juris, m. w. N.).
Bei summarischer Prüfung in tatsächlicher Hinsicht unter Zugrundelegung der maßgebenden Rechtsgrundlagen ist eine gewisse
Wahrscheinlichkeit dafür, dass der geltend gemachte Anspruch zusteht, im Hinblick auf die ungeklärte Rechtsfrage zur Durchführung
der Aufrechnung im Rahmen des § 42 a Abs. 2 SGB II zu bejahen.
Nach § 42 a Abs. 2 SGB II gilt: Solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen, werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen
ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs
getilgt. Die Aufrechnung ist gegenüber den Darlehensnehmern schriftlich durch Verwaltungsakt zu erklären. Satz 1 gilt nicht,
soweit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 24 Abs. 5 SGB II oder § 27 Abs. 4 SGB II erbracht werden.
Die Voraussetzungen des § 42 a Abs. 2 Satz 1 SGB II liegen vor.
Der Kläger bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auch ab 1. August 2013 weiter.
Es besteht ein Rückzahlungsanspruch aus einem Darlehen. Ein solches Darlehen wurde dem Kläger mit Bescheid vom 27. Juni 2013
gewährt. Dieser Bescheid dürfte bestandskräftig sein, denn es wurde dagegen weder Widerspruch eingelegt, noch erstreckte sich
der gegen den angefochtenen Bescheid eingelegte Widerspruch zugleich auch gegen diesen Bescheid, da damit lediglich die Aufrechnung
angegriffen wurde. Nichts anderes folgt aus der Klage, die sich ebenfalls ausschließlich gegen die Aufrechnungsverfügung richtet.
Es kann daher dahinstehen, ob von der Regelung des § 22 Abs. 6 Satz 3 SGB II, wonach eine Mietkaution als Darlehen erbracht werden soll, zugunsten des Klägers wegen Vorliegens eines atypischen Sachverhaltes
hätte abgewichen werden können. Gleichfalls kann dahinstehen, ob der Kläger zugleich mit dem Widerspruch gegen den angefochtenen
Bescheid den geschlossenen Darlehensvertrag insbesondere wirksam widerrufen hat. Die vom Kläger dazu angesprochene Vorschrift
des §
46 SGB I regelt allerdings den Verzicht auf Ansprüche auf Sozialleistungen. Ein solcher Widerruf oder Verzicht würde nämlich nichts
daran ändern, dass der Betrag von 801,90 Euro als Darlehen hingegeben wurde. Selbst wenn danach kein Darlehen, sondern möglicherweise
ganz oder teilweise ein Zuschuss zu erbringen gewesen wäre, würde dies an der tatsächlich erfolgten Bewilligung und Auszahlung
als Darlehen nichts ändern. Schließlich liegt keine Entscheidung dazu vor, dass dieses Darlehen ganz oder teilweise in einen
Zuschuss umgewandelt wurde. Ein solcher Antrag auf Umwandlung wurde vom Kläger beim Beklagten bisher nicht gestellt (und entschieden).
Mit Bescheid vom 27. Juni 2013wurde dem Kläger lediglich antragsgemäß ein Darlehen gewährt.
Der Rückzahlungsanspruch aus dem Darlehen ist auch teilweise fällig, denn die Fälligkeit tritt zu dem Monat ein, der auf die
Auszahlung des Darlehens folgt, also zum 1. August 2013.
Der jeweils zur Rückzahlung fällige Betrag ist mit 38,20 Euro monatlich zutreffend ermittelt, denn nach Ziffer 1 Bekanntmachung
über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Abs. 5 SGB II für die Zeit ab 1. Januar 2013 vom 18. Oktober 2012 (BGBl I 2012, 2175) - Regelbedarf-Bek 2013 - in Verbindung mit § 20 Abs. 2 Satz 1 1. Alt. SGB II beträgt der Regelbedarf für eine Person, die alleinstehend oder alleinerziehend ist, 382 Euro monatlich.
Der Beklagte war mithin befugt, die Aufrechnung in dieser Höhe ab 1. August 2013 gegenüber dem Kläger schriftlich durch Verwaltungsakt
zu erklären.
Allerdings wäre diese vom Beklagten so auch erklärte Aufrechnung rechtswidrig, wenn der Beklagte zu einer Ermessensentscheidung
verpflichtet gewesen wäre, bei der zugunsten des Klägers zu berücksichtigende Gesichtspunkte zu Unrecht außer Betracht gelassen
worden wären.
Weder § 42 a Abs. 2 Satz 2 SGB II noch § 43 SGB II enthalten nähere Bestimmungen zur Aufrechnung. Allerdings sieht § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB II vor, dass die Träger von Leistungen nach dem SGB II gegen Ansprüche von Leistungsberechtigten auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufrechnen "können". Dies
entspricht §
51 Abs.
1 SGB I, wonach gegen Ansprüche auf Geldleistungen der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen
"kann". Bei diesem Ermessen handelt es sich um ein Entschließungsermessen. Das heißt, ob der Leistungsträger aufrechnet, ist
in sein Ermessen gestellt. Die Formulierung "kann" bedeutet insofern nicht nur ein Dürfen im Sinne einer Kompetenz, sondern
gewährt einen Entscheidungsfreiraum, ob die Aufrechnungserklärung überhaupt abgegeben wird (zu § 43 SGB II: Greiser in Eicher, SGB II, Grundsicherung für Arbeitsuchende, Kommentar, 3. Auflage §
43 Rdnr. 39; zu §
51 Abs.
1 SGB I: Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht 87. EL September 2015,
SGB I, §
51 Rdnr. 13a; Gutzler Beck'scher Online-Kommentar Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching 39. Edition Stand: 01.09.2015,
SGB I, §
51 Rdnr. 11).
Im Gesetzgebungsverlauf zu § 42 a Abs. 2 SGB II hat lediglich die Frage, ob die Aufrechnung durch Verwaltungsakt zu erklären ist, im Hinblick auf die ursprünglich vorgesehene
Informationspflicht eine Rolle gespielt. Der Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP vom 26. Oktober 2010 (Bundestag-Drucksache
17/3404, S. 24) sah in § 42 a Abs. 2 Satz 2 SGB II-Entwurf noch vor, dass die Darlehensnehmer hierüber (d.h. über die Regelung des § 42 a Abs. 2 Satz 1 SGB) zu informieren
sind. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung - Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des
Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 29. November 2010 (Bundestag-Drucksache 17/3958, S. 19) wurde vorgeschlagen, § 42 a Abs. 2 Satz 2 SGB II wie dann auch Gesetz geworden zu fassen. Als Begründung wurde angegeben: In der Begründung zu § 43 Abs. 3 SGB II-Entwurf wird ausgeführt, dass es sich bei der Aufrechnungserklärung zur Tilgung eines Darlehens nach § 42 a Abs. 2 SGB II-Entwurf um einen Verwaltungsakt handeln soll. Dies wird vom Wortlaut des Gesetzentwurfs zu § 42 a Abs. 2 Satz 2 SGB II-Entwurf jedoch nicht gedeckt. Dieser legt eher die Auslegung nahe, dass lediglich eine formfreie Informationspflicht der
Darlehensnehmer ohne Verwaltungsaktscharakter besteht. Die Regelung der Aufrechnung durch Verwaltungsakt ist im Hinblick auf
einen Gleichlauf mit § 43 SGB II-Entwurf erforderlich; eine Klarstellung in Anlehnung an § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II-Entwurf ist daher notwendig und gegeben. Die Bundesregierung griff außerdem in ihrer Gegenäußerung zu der Stellungnahme des
Bundesrates vom 30. November 2010 (Bundestag-Drucksache 17/3982 S. 10 und 11) den Vorschlag des Bundesrates auf, auch im Rahmen
der Darlehensregelung zu normieren, dass eine Aufrechnung nur durch schriftlichen Verwaltungsakt gegenüber dem Darlehensnehmer
erklärt werden kann. Eine entsprechende Regelung sei zwar bereits in § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II bei der Regelung zur Aufrechnung normiert. Um klarzustellen, dass die Aufrechnung auch gegenüber dem Darlehensnehmer schriftlich
durch Verwaltungsakt zu erklären sei, könne dies nochmals in § 42 a Abs. 2 Satz 2 SGB II des Gesetzentwurfes festgeschrieben werden.
Dem Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens sind hingegen keinerlei Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass abweichend gegenüber
§ 43 Abs. 1 Satz 1 SGB II und §
51 Abs.
1 SGB I eine Aufrechnung nach § 42 a Abs. 2 Satz 3 SGB II als bindende und nicht als Ermessensentscheidung zu ergehen haben könnte. In der Gesetzesbegründung (Bundestag-Drucksache
17/3404, S. 116) wird zu § 42 a Abs. 2 SGB II lediglich ausgeführt: Die Vorschrift regelt Beginn und Höhe der Rückzahlungsverpflichtung während des Leistungsbezuges. Sie
ist hinsichtlich der Höhe der Rückzahlungsverpflichtung inhaltlich an die früheren Vorgaben des § 23 Absatz 1 Satz 3 angelehnt.
Dabei ist das bisher eingeräumte Ermessen hinsichtlich der Höhe der Aufrechnung aus Vereinfachungsgründen entfallen. Darüber
hinaus wird eine Informationspflicht normiert.
Daraus lässt sich mithin lediglich entnehmen, dass hinsichtlich der Höhe der Aufrechnung kein Ermessen auszuüben ist. Demgegenüber
ist nicht ersichtlich, dass abweichend von den o. g. Vorschriften auch kein Entschließungsermessen besteht (so auch Greiser
in Eicher, SGB II, aaO., § 42 a Rdnr. 29, m. w. N., der allerdings gleichwohl im Hinblick auf Vereinfachungsgründe wegen der Höhe der Aufrechnung ein solches
Entschließungsermessen verneint). Nach alledem dürfte die in § 42 a Abs. 2 Satz 2 SGB II genannte Aufrechnung grundsätzlich die Ausübung von Ermessen erfordern.
Eine rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidung verlangt nach §
39 Abs.
1 Satz 1
SGB I, dass die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausübt und dabei die gesetzlichen Grenzen des Ermessens
einhält. Der von der Ermessensentscheidung Betroffene hat dementsprechend einen Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung fehlerfreien
Ermessens (§
39 Abs.
1 Satz 2
SGB I). In diesem eingeschränkten Umfang unterliegt die Ermessensentscheidung der richterlichen Kontrolle (§
54 Abs.
2 Satz 2
SGG). Rechtswidrig können demnach Verwaltungsakte bei Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung und Ermessensfehlgebrauch
sein.
Ermessen braucht jedoch nur insoweit ausgeübt zu werden, als hierfür geeignete Tatsachen vorhanden sind. Diese sind, soweit
sie nicht aktenkundig sind, vom Betroffenen bis zum Ablauf des Widerspruchsverfahrens geltend zu machen (BSG, Urteil vom 26. September 1990 - 9b/7 RAr 30/89, Rdnr. 14, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 67, 232 = SozR 3-4100 § 155 Nr. 2; Greiser in Eicher, SGB II, aaO., § 43 Rdnr. 40).
Dem Bescheid vom 27. Juni 2013 sind Ermessenserwägungen nicht zu entnehmen. Der Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2013 geht
davon aus, dass es sich bei der auf § 42 a Abs. 2 SGB II basierenden Kürzung des Regelbedarfes um eine zwingende Rechtsfolge handelt. Lediglich in Zusammenhang mit § 22 Abs. 6 Satz 3 SGB II wird für einen atypischen Fall, der vorliegend allerdings verneint wird, eine besondere Prüfung durch den Beklagten für erforderlich
gehalten. Die angefochtenen Bescheide lassen mithin erkennen, dass sich der Beklagte einer über atypische Sachverhalte hinausgehenden
Ermessensentscheidung nicht bewusst war. Es könnte damit der Sachverhalt des Ermessensnichtgebrauchs vorliegen.
Der Kläger trug mit seinem Widerspruch vor, dass mit der sofortigen ratenweisen Tilgung des Darlehens über einen unzumutbar
langen Zeitraum hinweg eine Unterdeckung seiner Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts eintritt. Ausgehend von einem
Darlehensrückzahlungsbetrag von 801,90 Euro und einer monatlichen Tilgung von 38,20 Euro würde eine solche Unterdeckung ca.
21 Monate andauern.
Eine solche Zeitdauer könnte unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten bedenklich sein. Der Kläger weist in diesem Zusammenhang
durchaus nachvollziehbar auf die Entscheidung des BVerfG vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09 (Rdnr. 150, zitiert nach juris; abgedruckt in BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 12) hin, in der ausgeführt worden ist: Eine verfassungswidrige Unterdeckung einmaligen Bedarfs hat
der Gesetzgeber mit § 23 Abs. 1 SGB II zu vermeiden versucht. Danach können Hilfebedürftige ein Darlehen erhalten, wenn ein unvermutet eintretender und unabweisbarer
einmaliger Bedarf durch angesparte Mittel nicht gedeckt werden kann. Das Darlehen wird zwar in den nachfolgenden Monaten dadurch
getilgt, dass der Grundsicherungsträger 10 v. H. von der Regelleistung einbehält. In Anbetracht der Ansparkonzeption des Gesetzgebers
ist die vorübergehende monatliche Kürzung der Regelleistung jedoch im Grundsatz nicht zu beanstanden.
Es bleibt nach dem Urteil des BVerfG offen, welcher Zeitraum als "vorübergehend" anzusehen ist. Eine höchstrichterliche Rechtsprechung
dazu besteht ebenfalls noch nicht.
Sollte sich nach einer zu erwartenden Entscheidung zum beim BSG anhängigen Verfahren B 4 AS 14/15 R (zum Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. März 2015 - L 20 AS 261/13) erweisen, dass eine Zeitdauer von ca. 21 Monaten ein wesentlicher Gesichtspunkt im Rahmen einer erforderlichen Ermessensentscheidung
des Beklagten darstellt, so wäre der Bescheid vom 27. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2013
mangels Ermessensbetätigung des Beklagten rechtswidrig.
Mithin kann die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht wegen mangelnder Aussicht auf Erfolg abgelehnt werden.
Die Vertretung des Klägers durch einen Rechtsanwalt erscheint geboten (§
121 Abs.
2 ZPO).
Ob der Kläger die Kosten der Prozessführung nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht aufbringen kann,
kann der Senat hingegen nicht entscheiden, weil keine entsprechende aktuelle Erklärung dazu vorliegt. Der Senat hat daher
dem Sozialgericht insoweit die entsprechenden weiteren Anordnungen übertragen (§
202 SGG i. V. m. §
572 Abs.
3 ZPO).
Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§
73 a Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
127 Abs.
4 ZPO).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).