Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung weiterer Gesundheitsschäden und eines höheren Grades der Schädigungsfolgen (GdS) als Folge
zu Unrecht erlittener Inhaftierung und Gewaltanwendung durch die Polizei der ehemaligen DDR in der Zeit vom 7. bis 10. Oktober
1989.
Auf Antrag des Klägers vom 21. Januar 2001 erkannte das Versorgungsamt Stralsund mit Bescheid vom 31. Mai 2002 eine chronifizierte
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) als Schädigungsfolge an und stellte eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von
30 fest. Die Anerkennung der weiter geltend gemachten Rückenleiden lehnte es hingegen ab und bezog sich insofern auf ein Gutachten
des Dr. F, wonach die erlittenen Bandscheibenvorfälle nicht kausal auf die Haft und die dabei erlittene Misshandlung zurückzuführen
seien. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2002 zurück.
Mit der am 17. September 2002 erhobenen Klage hat der Kläger vorgebracht, sein Rückenleiden müsse haftbedingt sein, denn er
sei zuvor gesund gewesen, habe in der Schule im Sportunterricht stets die Note sehr gut erhalten und entgegen dem Gutachten
des Dr. F in der Kindheit auch nicht an einer Wirbelsäulenerkrankung "Morbus Scheuermann" gelitten. Die Beschwerden bestünden
seit Oktober 1989 und seien daher klar auf die Haft zurückzuführen, in deren Verlauf er mehrfach auch Tritte in den Rücken
erhalten habe.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. W und des Facharztes
für Neurologie und Psychiatrie Dr. B und den Beklagten mit Urteil vom 26. Juni 2007 unter Abänderung des Bescheides vom 31.
Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2002 verurteilt, bei dem Kläger eine "Posttraumatische Störung
mit daraus resultierender Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung" im Sinne der Entstehung ab Antragstellung anzuerkennen
und Versorgung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz auf der Grundlage der Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. ab dem 1. Januar 2001 zu gewähren. Im Übrigen
hat es die Klage abgewiesen und sich zur Begründung im Wesentlichen die Ausführungen der gerichtlich beauftragten Gutachter
zueigen gemacht. So sei insbesondere die Ursächlichkeit der Haft für das Wirbelsäulenleiden nicht als wahrscheinlich anzusehen,
da das Fehlen von Verletzungen im knöchernen Bereich deutlich gegen eine durch Misshandlung zu erwartende traumatische Verletzung
spreche. Es sei daher von einem degenerativen Leiden auszugehen.
Mit der am 21. August 2007 eingelegten Berufung gegen das dem Kläger am 9. August 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger geltend
gemacht, es ergebe sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. B, dass neben der PTBS auch eine Somatisierungsstörung
vorliege, die ihn neben der PTBS in einer solchen Weise beeinträchtige, dass die Wirbelsäulenleiden stärker wahrgenommen würden
und ihn daher verstärkt beeinträchtigten. Dies habe auch der Sachverständige Dr. W festgestellt. Er gehe davon aus, dass der
anzusetzende Einzel-GdS hierfür 30 betrage. Nachdem er ursprünglich noch die Berechnung nach einem Gesamt-GdS von 70 begehrt
hat, beantragt der Kläger nun noch,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juni 2007 zu ändern und den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 31.
Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2002 zu verurteilen, bei ihm eine "ausgeprägte Somatisierungsstörung"
als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen und ihm ab dem 1. Januar 2001 eine Beschädigtengrundrente nach einer MdE/einem GdS
von 60 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auf Antrag des Klägers nach §
109 SGG hat der Senat ein Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Ruth E eingeholt. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 27. November 2009 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des
Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, allerdings nur insoweit begründet, als der Kläger die Feststellung der Somatisierungsstörung als
weitere Schädigungsfolge begehrt.
1. Insoweit besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers. Zwar hat das Versorgungsamt ... im Bescheid vom 31. Mai 2002
wörtlich ausgeführt:
"Die während der Haft erlittenen Misshandlungen führten zu einer Schmerzverstärkung und infolge der psychischen Störung auch
zu einer Schmerzfehlverarbeitung. Traumatische Veränderungen oder ein akuter Bandscheibenvorfall mit Nervenkompression konnten
im Anschluss an die Haft nicht festgestellt werden. Die verstärkte Schmerzsymptomatik ist im Rahmen ihrer psychischen Störung
als Somatisierungsstörung aufzufassen."
Dies ist nach Ansicht des Senates durchaus so zu verstehen, dass das Vorliegen einer schädigungsbedingten Somatisierungsstörung
auch von Seiten des Beklagten nicht in Abrede gestellt werden soll, doch ist der Passus nur in dem ausdrücklich als Begründung
bezeichneten Teil des Bescheides enthalten. Er findet keine Entsprechung in der Tenorierung, und der Vertreter des Beklagten
hat sich in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage gesehen, eine entsprechende Klarstellung zu Protokoll zu erklären.
2. Soweit der Kläger die Feststellung der Somatisierungsstörung als weitere Schädigungsfolge begehrt, ist die Berufung begründet
und das mit ihr angegriffene Urteil des Sozialgerichts zu ändern.
Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) erhält ein Betroffener, der infolge einer Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen
und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes
(BVG). Nach § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.
Es steht im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme durch Einholung fachärztlicher Gutachten zur Überzeugung des Senates
fest, dass der Kläger an einer Somatisierungsstörung leidet, die jedenfalls im Sinne einer signifikanten Verschlimmerung Folge
der in der DDR erlittenen Inhaftierung ist. Die Einschätzungen des Sachverständigen Dr. B und der Sachverständige Dr. E stimmen
insofern überein. Wie bereits ausgeführt, ist auch der Beklagte in der Begründung des Bescheides vom 31. Mai 2002 vom Vorliegen
einer derartigen Störung ausgegangen, so dass der Senat insofern von weiteren Ausführungen absieht.
Die Somatisierungsstörung ist auch neben der PTBS als eigenständige Schädigungsfolge festzustellen, denn es handelt sich nach
dem Diagnoseklassifizierungssystem der Weltgesundheitsorganisation ICD 10 um eine eigenständige Diagnose (ICD 10 F 45.0).
3. Nicht begründet ist die Berufung hingegen, soweit der Kläger unter Bezugnahme auf die festzustellende Somatisierungsstörung
die Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach einer MdE/einem GdS von 60 begehrt. Rechtsgrundlage für die Rentengewährung
ist § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG i.V.m. §§ 30, 31 BVG. Gem. § 31 Abs. 1 BVG ist der Grad der Schädigungsfolgen nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge
anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen.
Für die Zeit seit dem 1. Januar 2009 sind insoweit die auf der Grundlage von § 30 Abs. 17 BVG als Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) erlassenen sog. Versorgungsmedizinischen Grundsätze maßgeblich.
Liegen - wie hier - mehrere Schädigungsfolgen vor, ist der GdS gemäß Teil A Ziffer 3. lit. a) der Versorgungsmedizinischen
Grundsätze nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen
zueinander festzustellen. Hierbei ist nach Ziffer 3. lit. c) bei der Beurteilung des Gesamt-GdS von der Funktionsstörung auszugehen,
die den höchsten Einzel-GdS bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und
inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.
Zutreffend ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass die beim Kläger als Schädigungsfolge festgestellte PTBS mit einem
Einzel-GdS von 50 anzusetzen ist. Dies entspricht der in Teil B Ziffer 3.7 vorgesehenen Bewertung der Folgen psychischer Traumen
als schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten. Der Senat folgt insofern den überzeugenden Ausführungen
beider auf diesem Fachgebiet herangezogenen Sachverständigen. Die zusätzliche Somatisierungsstörung ist nach den ebenfalls
im Wesentlichen übereinstimmenden und überzeugenden Darlegungen beider Gutachter eher leichterer Natur und daher als leichte
psychische Störung mit einem Einzel-GdS von maximal 20 zu bewerten.
Aus diesen beiden Einzel-GdS ist ein Gesamt-GdS von 50 zu bilden. Nach Teil A Ziffer 3. lit. d) der Anlage zu § 2 VersMedV
ist es bei zusätzlichen leichten Gesundheitsstörungen, die nur einen GdS von 20 bedingen, vielfach nicht gerechtfertigt, auf
eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. So liegt es hier, denn die den Kläger in besonderer Weise
belastenden Schmerzen sind in Gestalt einer verminderten Kompensationsfähigkeit bereits als ein Teilsymptom der PTBS in deren
Bewertung eingeflossen, so dass eine Anhebung des für die PTBS anzusetzenden GdS unter erneuter Heranziehung der somatoformen
Schmerzstörung nicht angezeigt ist. Nichts anders gilt für die Zeit vor Inkrafttreten der VersMedV, denn die von ihr abgelösten,
als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehenden vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen
Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) unterscheiden sich in ihrer Bewertung insoweit nicht von den Versorgungsmedizinischen
Grundsätzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Die dem Kläger zuzusprechende Kostenerstattung entspricht dem teilweisen Erfolg des Klagebegehrens und trägt dessen Einschränkung
im Verlauf des Berufungsverfahrens Rechnung.