Anspruch auf Verlegung eines Vertragsarztsitzes im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes; Vorliegen eines Anordnungsgrundes
Gründe:
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23.September 2013 ist gemäß §§
172 Abs.
1,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat den Beschluss des Antragsgegners vom 07. August 2013 zu Unrecht aufgehoben
und ihn rechtsfehlerhaft verpflichtet, über den Antrag der Antragstellerin auf Sitzverlegung vom S Ring, B nach B, Bstraße
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Die Beschwerde der Antragstellerin, ihr unter Änderung
der sozialgerichtlichen Entscheidung die Verlegung ihres Vertragsarztsitzes zu genehmigen, musste erfolglos bleiben.
1.) Die Antragstellerin hat weder für ihr Begehren auf Genehmigung der Sitzverlegung noch für die vom Sozialgericht beschlossene
Neubescheidung ihres Verlegungsantrages einen Anordnungsgrund gemäß §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht. Sie hat auch nicht
plausibel machen können, dass die Abwägung der beiderseitigen Interessen der Beteiligten zu ihren Gunsten ausfallen muss.
2.) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Beschlüsse vom 11. Dezember 2009, L 7 KA 143/09 ER, vom 27. Januar 2010, L 7 KA 139/09 B ER, vom 18. März 2011, L 7 KA 39/11 B ER sowie vom 27. Januar 2012, L 7 KA 87/11 B ER jeweils zitiert nach juris) besteht in aller Regel kein eiliges Regelungsbedürfnis und damit kein Anordnungsgrund für
eine einstweilige Anordnung, mit der einem Antragsteller ein vertragsärztlicher Status - z. B. eine Zulassung oder Ermächtigung
- zugesprochen werden soll. Denn ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zielt darauf ab, vorläufige Regelungen herbeizuführen,
während Statusentscheidungen stets endgültigen Charakter haben und damit die Hauptsache vorwegnehmen; zumindest die während
der Dauer ihrer vorübergehenden Geltung erbrachten Leistungen können nachträglich nicht vollständig rückabgewickelt werden.
Dasselbe gilt auch in anderen Fällen, in denen die Hauptsache durch die sozialgerichtliche Entscheidung endgültig oder zumindest
vorübergehend vorweggenommen werden soll. Auch in diesen Fällen ist eine stattgebende Entscheidung nur auf eng zu begrenzende
Ausnahmefälle zu beschränken (vgl. hierzu zuletzt Beschluss des Senats vom 19. September 2013, L 7 KA 71/13 B ER m.w.N.)
3.) Mit seiner Entscheidung, den Beschluss des Antragsgegners vom 07. August 2013 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege
einstweiliger Anordnung zur Neubescheidung des Verlegungsantrages der Antragstellerin zu verpflichten, hat das Sozialgericht
die Hauptsache endgültig vorweggenommen. Die Aufhebung des von der Antragstellerin angefochtenen Bescheides wäre nicht mehr
rückgängig zu machen. Nach einer Neubescheidung des Verlegungsantrages der Antragstellerin durch den Antragsgegner würde sich
die Hauptsache im Falle einer stattgebenden Entscheidung durch den Antragsgegner erledigen; im Falle einer neuerlichen Ablehnung
durch den Antragsgegner auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Sozialgerichts würde der neue Ablehnungsbescheid gemäß
§
96 SGG an die Stelle des aufgehobenen Bescheides vom 07. August 2013 treten und damit nicht nur den Streitgegenstand (endgültig)
ändern, sondern auch dem Antragsgegner jede Möglichkeit nehmen, die seinem Bescheid vom 07. August 2013 zu Grunde liegende
Rechtsauffassung in einem Hauptsacheverfahren überprüfen lassen zu können. Der Senat hat im Hinblick darauf einen in einem
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sicherungsfähigen Anspruch auf Bescheidung nur dann bejaht, wenn die Zulassungsgremien
ihre Entscheidung nachweislich rechtswidrig verzögern und dadurch dem betroffenen Arzt ein durch das Hauptsacheverfahren nicht
wieder gutzumachender Nachteil entstehen würde. Ausschließlich in einem solchen Fall können die Betroffenen vor einer Entscheidung
der Zulassungsgremien vorläufigen Rechtsschutz dadurch erhalten, dass diese im Wege einstweiliger Anordnung zu einer Entscheidung
bis zu einem von den Sozialgerichten zu bestimmenden Zeitpunkt verpflichtet werden (Beschluss des Senats vom 28. Dezember
2011, L 7 KA 153/11 B ER, zitiert nach juris); Im Übrigen ist die Verpflichtung der Zulassungsgremien zur Neubescheidung in den Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes ausgeschlossen.
4.) Zur Wahrung des Verbotes der Vorwegnahme der Hauptsache käme allenfalls die sozialgerichtliche Entscheidung in Betracht,
der Antragstellerin vorübergehend die Ausübung ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit in der Bstraße zu gestatten. Dann könnte
die zwischen den Beteiligten streitige Rechtsfrage, ob die Sitzverlegung gemäß § 24 Abs. 7 Ärzte-ZV allein wegen des schlechteren Versorgungsgrades der Versicherten in B im Bereich der Psychiatrie und der Psychotherapie versagt
werden durfte oder sich die Entscheidung des Antragsgegners an der konkreten Versorgungslage und der Versorgungsstruktur in
den beiden betroffenen Verwaltungsbezirken hätte orientieren müssen, in einem Hauptsacheverfahren überprüft werden. Denn die
ablehnende Entscheidung des Antragsgegners bliebe durch eine solche Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes unberührt. Selbst
wenn man davon ausginge, dass ein solcher Antrag in dem Begehren der Antragstellerin als "Minus" mit enthalten wäre, käme
eine entsprechende Entscheidung zu ihren Gunsten nicht in Betracht. Auch insoweit fehlt ein hinreichender Grund für die -
vorübergehende - Vorwegnahme der Hauptsache.
5.) Ein Ausnahmefall, der die Vorwegnahme der Hauptsache gestattet, liegt immer nur dann vor, wenn der geltend gemachte materiell-rechtliche
Anspruch völlig unzweifelhaft besteht (Fallkonstellation 1) oder die Interessenlage zu Gunsten eines Antragstellers so eindeutig
ist, dass eine Vorwegnahme der Hauptsache geboten erscheint (Fallkonstellation 2). Die Fallkon- stellation 1 ist nur dann
gegeben, wenn sich der vom Antragsteller zur Begründung seines Begehrens geltend gemachte Anordnungsanspruch sowohl in tatsächlicher
als auch rechtlicher Hinsicht ohne aufwändige Prüfung feststellen lässt. Dies setzt auf der Tatsachenebene voraus, dass sämtliche
tatsächlichen Voraussetzungen des Anspruchs zwischen den Beteiligten unstreitig sind oder sich aus dem Vortrag der Beteiligten
oder den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners ohne weiteres feststellen lassen, so dass an ihrem Vorliegen kein vernünftiger
Zweifel bestehen kann. In rechtlicher Hinsicht ist zu verlangen, dass die entscheidungserheblichen Rechtsfragen geklärt sind
oder die Einwände des Antragsgegners nach der bisherigen Rechtsprechung so wenig Substanz haben, dass sie ohne weiteres widerlegt
werden können. Die Fallkonstellation 2 ist nur dann gegeben, wenn die Interessenlage jede andere Entscheidung als die zugunsten
des Antragstellers als sachwidrig und damit willkürlich erscheinen ließe. Denn nur bei Vorliegen so gearteter Fallkonstellationen
erscheint eine Berufung auf ein Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache als bloße Förmelei und würde den verfahrensrechtlichen
Wirkungen der Art.
12, Art.
19 Abs.
4 und Art.
3 Grundgesetz widersprechen.
6.) Hieran fehlt es im vorliegenden Fall jedoch. Es ist sozialgerichtlich noch ungeklärt, von welchen tatsächlichen und rechtlichen
Voraussetzungen nach der seit dem 01. Januar 2013 geltenden Rechtslage ein Anspruch eines Vertragsarztes auf Genehmigung der
Verlegung seines Sitzes von einem Verwaltungsbezirk im Zulassungsbezirk Berlin in einen anderen abhängt. Zwar mag einiges
dafür sprechen, dass der Antragsgegner die vom LSG Niedersachsen-Bremen in seinem Beschluss vom 15. Oktober 2009 (L 3 KA 73/09 B ER, zitiert nach juris) genannte Gesichtspunkte berücksichtigen muss. Das Sozialgericht hat aber selbst unter Bezugnahme
auf das Urteil des BSG vom 10. Mai 2000 (B 6 KA 67/98 R, zitiert nach juris) darauf hingewiesen, dass es auch beachtliche Gründe für den Rechtsstandpunkt des Antragsgegners gebe.
Deshalb haben die Einwände des Antragsgegners, im Hinblick auf die Sitzverlegung von einem überversorgten Planungsbereich
in einen noch stärker überversorgten nach der bisherigen Rechtsprechung so viel Substanz, dass sie nicht ohne weiteres im
vorläufigen Rechtsschutzverfahren widerlegt werden können; dies lässt sich nicht zuletzt daran erkennen, dass das Sozialgericht
in dem angefochtenen Beschluss mehr als fünf Seiten benötigt, um seine Rechtsauffassung zu begründen.
7.) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass die Interessenlage jede andere Entscheidung als die zugunsten der Antragstellerin
als sachwidrig und damit willkürlich erscheinen ließe. Vielmehr begegnet eine Interessenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin
begründeten Zweifeln. Denn die Antragstellerin ist erst seit Januar 2013 im Rahmen der Praxisnachfolge des Dr. T an ihrem
jetzigen Praxisstandort in B zugelassen. Zu Recht haben die Zulassungsgremien bei der Zulassungsentscheidung auch die Kontinuität
der Patientenversorgung am Vertragsarztsitz der Antragstellerin berücksichtigt, die durch seine Verlegung nur wenige Monate
nach der Zulassung nicht zu gewährleisten wäre. Außerdem ist es der Antragstellerin zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens
abzuwarten. Selbst wenn ihr bei einer Entscheidung des Sozialgerichts über ihre Klage die Praxisräume in der Bstraße, für
die sie jetzt über eine Mietoption verfügt, nicht mehr zur Verfügung stehen sollten, würde es zur gerichtlichen Überprüfung
ihres Antrages auf Sitzverlegung ausreichen, wenn sie zu diesem Zeitpunkt auf geeignete Praxisräume in der näheren Umgebung
zurückgreifen könnte, ohne dass sie ein neues Verwaltungsverfahren durchführen müsste. Auch wenn darin eine Klageänderung
liegen sollte, wäre diese zur Vermeidung eines neuen Rechtsstreits sachdienlich im Sinne des §
99 Abs.
1 SGG.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §
197a SGG i.V.m. §
154 Abs.
2 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) sowie aus §§ 52 und 53 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Senat hat der Wertfestsetzung den mutmaßlichen Streitwert des Hauptsacheverfahrens (15.000 €) zu Grunde gelegt, weil
die Antragstellerin mit ihrem Antrag eine vollständige Vorwegnahme der Hauptsache begehrt hat, die auch Gegenstand des Beschwerdeverfahrens
geworden ist.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).