Vergütung von Rechtsanwälten im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren; Einordnung der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe erstattungsfähiger Anwaltskosten.
Der Kläger ist Vertragsarzt im Bezirk der Beklagten. Mit Bescheid vom 15. November 2006 änderte die Beklagte die Honorarbescheide
des Klägers für die Quartale III/2005 bis I/2006 und verfügte eine Honorarrückforderung in Höhe von 22.741,40 Euro. Bei der
Abrechnung der Leistungen des fahrenden ärztlichen Bereitschaftsdienstes (ÄBD) sei es in den betreffenden Quartalen zu einem
Fehler gekommen, der dazu geführt habe, dass an die ÄBD-Ärzte insgesamt 3,4 Mio. Euro zuviel Honorar ausgezahlt worden sei.
Irrtümlich sei die Vergütung nach dem bis 30. Juni 2005 geltenden Honorarverteilungsmaßstab und nicht nach dem seit 1. Juli
2005 geltenden bemessen worden. Der zuviel geleistete Betrag müsse zurückfließen und dem haus- sowie dem fachärztlichen Vergütungsanteil
zugeführt werden.
Der hiergegen von den Prozessbevollmächtigten des Klägers eingelegte Widerspruch machte geltend, der Rückforderung mangele
es an einer Rechtsgrundlage, die Honorarbescheide der fraglichen Quartale seien bestandskräftig geworden, sämtliche ÄBD-Leistungen
habe der Kläger ordnungsgemäß abgerechnet. Auf die Richtigkeit der Honorarberechnung habe er sich verlassen dürfen; letztere
sei so kompliziert, dass sie von einem normalen Menschen gar nicht nachvollzogen werden könne. Zugleich beantragte der Kläger
die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides; eine Rückforderung in so eklatanter Höhe werfe erhebliche Finanzierungsprobleme
für den laufenden Praxisbetrieb auf.
Mit Bescheid vom 28. Dezember 2006 lehnte die Beklagte die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides ab. Die
Voraussetzungen aus §
86 a Abs.
3 SGG lägen nicht vor. Die Entstehung irreparabler Schäden für den Fall der sofortigen Vollziehung des Bescheides habe der Kläger
nicht näher substantiiert; der allgemeine Hinweis auf Finanzierungsprobleme sei nicht ausreichend. Es müsse daher bei der
Entscheidung des Gesetzgebers in §
85 Abs.
4 Satz 9
SGB V bleiben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2007 hob die Widerspruchsstelle der Beklagten den angefochtenen Bescheid vom 15.
November 2006 auf. Der Kläger habe auf den Bestand der Honorarbescheide für die fraglichen Quartale vertrauen dürfen, zumal
der Abrechnungsfehler nicht ohne Weiteres erkennbar gewesen sei. Die Aufwendungen des Klägers seien zu erstatten; die Hinzuziehung
eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren sei notwendig gewesen.
Mit Schreiben vom 7. März 2007 beantragte der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten Kostenerstattung in Höhe von insgesamt
2.396,66 Euro. Als Gegenstandwert wurde für die Hauptsache 22.741,40 Euro und für den Aussetzungsantrag 4.548,28 Euro (ein
Fünftel) angegeben.
Die Forderung setze sich wie folgt zusammen:
1.372,00 Euro
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2,0 Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG (Hauptsache)
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20,00 Euro
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P-T-Pauschale, Nr. 7002 VV RVG
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602,00 Euro
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2,0 Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG (Aussetzung)
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20,00 Euro
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P-T-Pauschale, Nr. 7002 VV RVG
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2.014,00 Euro
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Zwischensumme
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382,66 Euro
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19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG
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2.396,66 Euro
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Gesamtbetrag
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Die Gebühren des Aussetzungsverfahrens gehörten zu den erstattungsfähigen Aufwendungen, weil dem Aussetzungsantrag hätte stattgegeben
werden müssen. Die Überschreitung der Mittelgebühr von 1,5 sei gerechtfertigt, da der Umfang und die Schwierigkeit der Bearbeitung
sowie die Bedeutung der Sache überdurchschnittlich gewesen seien.
Mit Bescheid vom 24. April 2007, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 28. August 2007, setzte die Beklagte die erstattungsfähigen
Kosten auf insgesamt 1.248,31 Euro fest und legte dabei einen Gegenstandswert von 22.161,06 Euro zugrunde. Anzusetzen seien:
1.029,00 Euro
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1,5 Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG (Hauptsache)
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20,00 Euro
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P-T-Pauschale, Nr. 7002 VV RVG
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1.049,00 Euro
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Zwischensumme
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199,31Euro
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19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG
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1.248,31 Euro
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Gesamtbetrag
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Der Ansatz der vom Mittelwert abweichenden Geschäftsgebühr sei nicht gerechtfertigt, da es sich um keinen Fall überdurchschnittlicher
Schwierigkeit gehandelt habe. Eine Geschäftsgebühr für das erfolglose Aussetzungsverfahren könne nicht gewährt werden, da
es sich um ein eigenständiges Verfahren handele, das erfolglos betrieben worden sei.
Mit der hiergegen erhobenen Klage verfolgt der Kläger das Ziel, die Festsetzung zu erstattender Aufwendungen in Höhe von insgesamt
2.396,66 Euro und damit weiterer 1.148,35 Euro zu erreichen. Die Überschreitung der Mittelgebühr sei angesichts der Schwierigkeit
der Sache statthaft. Es handele sich um ein vergleichsweise abgelegenes Rechtsgebiet, das erheblichen Rechercheaufwand mit
sich bringe; der Zugang sei dem Unkundigen nahezu vollständig verschlossen. Wegen des Erfolgs des Widerspruchs seien auch
die Kosten des Aussetzungsverfahrens zu erstatten.
Mit Gerichtsbescheid vom 28. Mai 2009 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen
ausgeführt: Soweit der Kläger im Klageverfahren beantragt habe, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für
notwendig zu erklären, fehle es am Rechtsschutzbedürfnis, denn dieser Ausspruch sei bereits im stattgebenden Widerspruchsbescheid
vom 27. Februar 2007 enthalten. Auch soweit der Kläger rüge, dass die Beklagte einen Gegenstandswert von nur 22.161,06 Euro
zugrunde gelegt habe, sei dies nicht zu beanstanden, denn gegenüber dem Wert von 22.741,40 Euro ergebe sich kein Gebührensprung.
Die von der Beklagten vorgenommene Gebührenfestsetzung sei der Höhe nach zutreffend. Die Mittelgebühr von 1,5 sei nicht zu
überschreiten, da es sich um keinen Fall mit (deutlich) überdurchschnittlicher Schwierigkeit gehandelt habe. Die Begründung
des Widerspruchs lasse keine besonders intensive Auseinandersetzung mit den Honorarverteilungsregelungen erkennen. Sie umfasse
nicht einmal drei Seiten. Damit sei das Verfahren eher noch als unterdurchschnittlich anzusehen. Recherchearbeit gehöre zudem
zur typischen anwaltlichen Tätigkeit. Allein aus dem Erfolg des Widerspruchs dürfe nicht auf überdurchschnittliche Schwierigkeit
geschlossen werden. Auch führe allein die streitige Summe nicht zur Überschreitung der Mittelgebühr, da eine Existenzbedrohung
des Klägers in keiner Weise dargetan worden sei. Aufgrund der Eigenständigkeit des Aussetzungsverfahrens schließlich verbiete
sich eine hierauf bezogene Kostenerstattung. Der Erfolg des Hauptsacheverfahrens könne nicht zur Erstattung der Kosten des
erfolglosen Aussetzungsverfahrens führen.
Am 18. Juni 2009 hat der Kläger Berufung eingelegt. Er verfolgt sein Begehren weiter. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines
Bevollmächtigten werde (auch) in Bezug auf das vorliegende Streitverfahren geltend gemacht. Die Erhöhung der Mittelgebühr
sei nach allen Regelkriterien des § 14 RVG gerechtfertigt. Abzustellen sei auf einen "Normalanwalt", nicht auf einen Fachanwalt. Für ersteren sei das vertragsärztliche
Honorarrecht stets überdurchschnittlich schwierig und umfangreich. Anzusetzen seien auch die Gebühren des Aussetzungsverfahrens,
denn der stattgebende Widerspruchsbescheid habe zur Erledigung der Vollziehungsangelegenheit geführt.
Der Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 28. Mai 2009 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 24. April 2007
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2007 zu ändern und die Beklagten zu verpflichten, die für das Widerspruchsverfahren
zu erstattenden Aufwendungen auf insgesamt 2.396,66 Euro festzusetzen.
Die Beklagte hält den mit der Berufung angegriffenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der
Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen
ist.
Entscheidungsgründe:
Im schriftlich erklärten Einverständnis der Beteiligten durfte der Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung und an Stelle
des Senats entscheiden, §
124 Abs.
2 SGG i.V.m. §
153 Abs.
1 SGG sowie §
155 Abs.
3 und Abs.
4 SGG.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch
auf weiter gehende Kostenerstattung. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat nach eigener Sachprüfung Bezug auf
die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe (§
153 Abs.
2 SGG). Sie würdigen die aufgeworfenen Rechtsfragen hinlänglich und überzeugend. Hinzuzufügen bleibt in Würdigung der Berufungsbegründung:
Die Überschreitung des Mittelwerts von 1,5 erscheint auch dem Senat angesichts der verhältnismäßig lapidaren Widerspruchsbegründung
nicht gerechtfertigt; sie wäre unbillig zu Lasten der Beklagten (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Mit keinem Wort wurden im Schriftsatz etwa die Regelungen in den Berliner Honorarverteilungsmaßstäben aufgegriffen, mit
denen die Beklagte ihre Rückforderung rechtfertigte; Rechtsprechung oder Literatur waren nicht eingearbeitet. Stattdessen
wurde einzig mit dem Gedanken des Vertrauensschutzes argumentiert. Akteneinsicht wurde weder beantragt noch vorgenommen. Der
zeitliche Aufwand, den der Prozessbevollmächtigte des Klägers auf den (einzigen) im Widerspruchsverfahren gefertigten Schriftsatz
verwendet hat, erscheint zur Überzeugung auch des Senats bestenfalls durchschnittlich; für besonderen Zeitaufwand etwa in
Form besonders langer Besprechungen, besonders aufwändiger Recherchearbeit, besonders umfangreichen Aktenstudiums, besonders
umfangreicher Anfertigung von Notizen oder komplexen Schriftverkehrs ist nichts von Substanz vorgetragen, geschweige denn
Beweis angetreten (vgl. hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 29).
Zudem ist die Annahme, allein der Regelungszusammenhang des Vertragsarztrechts bringe praktisch die besondere Schwierigkeit
mit sich, nicht tragfähig; bei der Einordnung, ob die rechtliche Schwierigkeit durchschnittlich bzw. über- oder unterdurchschnittlich
ist, ist es nicht angebracht, nach einzelnen Rechtsgebieten bzw. Teilrechtsgebieten zu differenzieren. Abzustellen ist vielmehr
in jedem Rechtsgebiet auf den konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände (vgl. Bundessozialgericht, Urteil
vom 5. Mai 2010, B 11 AL 14/09 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 19). Diese Umstände ergeben hier kein anderes Bild als das einer bestenfalls durchschnittlichen
Vergütungsstreitigkeit, in der der tatsächliche anwaltliche Aufwand noch verhältnismäßig gering war.
Ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer nach § 14 Abs. 2 RVG hatte das Gericht im hier gegebenen Streit zwischen Rechtsanwalt und erstattungspflichtigem Dritten nicht einzuholen (vgl.
Bundessozialgericht, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 13 sowie Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl. 2008, Rdnr. 35 zu § 14).
Die Eigenständigkeit des hier erfolglos durchgeführten Aussetzungsverfahrens nach §
86 a Abs.
3 SGG sieht der Kläger selbst; dem liegt § 17 Nr. 1 RVG zugrunde. Die insoweit entstehenden Gebühren sind unabhängig vom Hauptsacheverfahren. Fehl geht der Kläger aber in der Annahme,
das erfolgreich durchgeführte Widerspruchsverfahren habe zur Erledigung des Aussetzungsantrages geführt. Erledigt war der
Aussetzungsantrag mit seiner Bescheidung vom 28. Dezember 2006. Insoweit hätte dem Kläger dann das gerichtliche Eilverfahren
nach §
86 b Abs.
1 Nr.
2 SGG offen gestanden. Diesen Weg parallel zum Hauptsacheverfahren hat der Kläger indessen nicht beschritten. Er kann nun nicht
verlangen, gleichsam über den Umweg des erfolgreichen Hauptsacheverfahrens die Kostenlast des Aussetzungsverfahrens abzuwälzen.
Auch im gerichtlichen Verfahren ist ein unterschiedlicher Ausgang von parallel geführten Eil- und Hauptsacheverfahren denkbar.
Keinesfalls führt aber ein Erfolg im Hauptsacheverfahren dazu, die Kostenfolge eines zuvor gegebenenfalls ohne Erfolg betriebenen
Eilverfahrens zu ändern. Das hat angesichts der unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe auch seinen guten Grund (vgl. zum Prüfungsmaßstab
im Eilverfahren in Zusammenhang mit §
85 Abs.
4 Satz 9
SGB V: Beschluss des Senats vom 6. Februar 2008, L 7 B 170/07 KA ER, zitiert nach juris, dort Rdnr. 49). Ohne dass es hier darauf ankommt, sieht der Senat sich zu der Anmerkung veranlasst,
dass das Vorbringen des Klägers zur Begründung seines Aussetzungsantrages im Schreiben vom 20. November 2006 außerordentlich
oberflächlich war und von daher fast zwingend dazu führen musste, dass die Beklagte zunächst die gesetzgeberische Grundentscheidung
in §
85 Abs.
4 Satz 9
SGB V beachtete und an der sofortigen Vollziehung festhielt. Der Erfolg im Hauptsacheverfahren, der sich zwei Monate später in
der vor der Widerspruchsstelle getroffenen Entscheidung zeigte, stand auf einem anderen Blatt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197 a Abs.
1 SGG i.V.m. §§
154 Abs.
2 VwGO und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache. Angesichts der Erfolglosigkeit von Klage- und Berufungsverfahren und der damit
einhergehenden Kostenlast erübrigt sich ein Ausspruch zur Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren
nach § 63 Abs. 2 SGB X.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil hierfür kein Grund nach §
160 Abs.
2 SGG vorlag.