Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren; Bedürftigkeitsprüfung; Begriff der Erwerbstätigkeit bei
Mehraufwandsentschädigung aus einem sogenannten 1-Euro-Job
Gründe:
Die zulässige Beschwerde, die sich gegen die Festsetzung einer Ratenzahlungspflicht in Höhe von 15,00 EUR im Beschluss des
Sozialgerichtes vom 19. Februar 2007 wendet, ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht Prozesskostenhilfe mit der
Maßgabe einer monatlichen Ratenzahlung in Höhe von 15,00 EUR bewilligt.
Gemäß §
73a Abs.
1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) i. V. m. §
114 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe
erfolgt für jeden Rechtszug besonders (§
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
119 Abs.
1 Satz 1
ZPO).
Hieran gemessen war Prozesskostenhilfe mit einer Ratenzahlungsverpflichtung in der festgelegten Höhe zu bewilligen.
Gemäß §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
115 Abs.
1 Satz 1
ZPO hat die Partei ihr Einkommen einzusetzen. Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert (§
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
115 Abs.
1 Satz 1
ZPO). Die Klägerin bezieht Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 588,61 EUR. Sie erhält ferner eine Mehraufwandsentschädigung
aus einem sogenannten 1-Euro-Job gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung
für Arbeitsuchende - (SGB II) in Höhe von durchschnittlich 120,00 EUR im Monat. Insgesamt erzielt sie danach Einkommen in
Höhe von 708,61 EUR.
Von diesem Einkommen sind Beträge nach §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
115 Abs.
1 Satz 3
ZPO abzusetzen, wobei die Beträge, die zum Zeitpunkt der Bewilligung der Prozesskostenhilfe gelten, maßgebend sind (§
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
115 Abs.
1 Satz 4
ZPO). Dies sind vorliegend der eigene Unterhaltsfreibetrag in Höhe von 380,00 EUR (§
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
115 Abs.
1 Satz 3 Nr.
2 Buchst. a
ZPO i. V. m. Nr.
2 der Bekanntmachung des Bundesministeriums der Justiz zu §
115 der
Zivilprozessordnung (Prozesskostenhilfebekanntmachung 2006 - PKHB 2006) vom 6. Juni 2006 [BGBl I S. 1292]) sowie die tatsächlichen Kosten für
Unterkunft und Heizung in Höhe von 295,28 EUR (§
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
115 Abs.
1 Satz 3 Nr.
3 ZPO). Dies ergibt einen Gesamtabzugsbetrag in Höhe von 675,28 EUR.
Hingegen war vom Einkommen der Klägerin nicht gemäß §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
115 Abs.
1 Satz 3 Nr.
1 Buchst. b
ZPO i.V.m. §
28 Abs.
2 Satz 1 des Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) der Erwerbstätigkeitsbonus in Höhe von damals 173,00
EUR (vgl. Nummer 1 PKHB 2006) abzusetzen. Denn §
115 Abs.
1 Satz 3 Nr.
1 Buchst. b
ZPO stellt auf "Parteien, die ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielen," ab. Die Klägerin, die auf Grund ihres sogenannten
1-Euro-Jobs eine Mehraufwandsentschädigungen gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II erhält, ist nicht im Sinne dieser
Vorschrift erwerbstätig.
Der Bergriff der Erwerbstätigkeit ist weder in §
115 ZPO noch an anderer Stelle in der
Zivilprozessordnung definiert. Es ist deshalb auf den Sprachgebrauch, wie er in anderen Normen seinen Niederschlag gefunden hat, abzustellen.
Weil die Prozesskostenhilfe eine Form der Sozialhilfe ist (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann,
ZPO (67. Aufl., 2009), Übers. §
114 Rdnr. 1, m. w. N.), ist zur Auslegung des Erwerbstätigkeitsbegriffes in erster Linie auf das Sozialhilferecht zurückzugreifen,
Unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) wurde der Begriff der Erwerbstätigkeit weit verstanden. Das Bundesverwaltungsgericht beschrieb sie als Tätigkeit, "die zu
Erträgen zur Bestreitung des Lebensunterhalts führt" (so zu § 88 Abs. 2 Nr. 4 BSHG: BVerwG, Urteil vom 19. November 1992 - BVerwG 5 C 15.84 - BVerwGE 91, 173 [175]; BVerwG, Urteil vom 21. Juli 1994 - 5 C 32/91 - BVerwGE 96, 246 [248]). Unter einem Erwerbstätigen verstand es demzufolge "jemanden, der - sei es als Selbständiger, sei es als unselbständig
Beschäftigter - eine wirtschaftlich verwertbare Leistung gegen Entgelt erbringt, um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen"
(BVerwG, Urteil vom 21. Juli 1994 - 5 C 32/91, aaO.). Hiervon ausgehend wurden zu den Erwerbstätigen auch Personen gerechnet, die einer nicht sozialversicherungspflichtigen
Tätigkeit nachgehen wie Freiberufler, solche, die nur geringfügig, kurz, oder unregelmäßig arbeiten, Auszubildende mit Ausbildungsvergütung
oder behinderte Menschen, die vom Werkstattträger eine Vergütung erhalten (vgl. Brühl, in: LPK-BSHG [6. Aufl., 2003], § 76 Rdnr. 84 ff., m. w. N.; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG [15. Aufl., 1997], § 76 Rdnr. 44, m. w. N.). Hingegen wurden Personen ausgenommen, die sich in einer Schul-, Aus- oder Fortbildung ohne Vergütung
vom Arbeitgeber befanden; die Behandlung von Personen in einer Umschulung war streitig (vgl. Brühl, aaO., Schellhorn/Jirasek/Seipp,
aaO.). Bei Beschäftigte in gemeinnütziger Arbeit (§§ 19, 20 BSHG) wurde differenziert: Wenn sie Arbeitsentgelt bezogen, wurden die Erwerbstätigkeit bejaht, wenn sie Hilfe zum Lebensunterhalt
zuzüglich einer angemessenen Entschädigung für Mehraufwendungen erhielten, wurde dies verneint (vgl. Brühl, aaO., § 76 Rdnr.
86).
Dieser Verständnis der Erwerbstätigkeit, dem die eingangs beschriebene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zugrunde
liegt, blieb nach dem In-Kraft-Treten des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) unverändert (vgl. zu
§ 90 Abs. 2 Nr. 5 SGB XII: Brühl, in: LPK-SGB XII [7. Aufl., 2005], § 90 Rdnr. 38; Schellhorn, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm,
SGB XII [17. Aufl., 2006], § 90 Rdnr. 49).
Auch die Erwerbstätigkeitsbegriffe im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, insbesondere in § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 SGB II und §
30 SGB II, werden in diesem Sinne verstanden (vgl. Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II [2. Aufl., 2008], § 11 Rdnr. 126 und
§ 30 Rdnr. 11 ff.; Hasske, in: Estelmann [Hrsg.], SGB II [Stand: 16. Erg.-Lfg., Dezember 2008], § 11 Rdnr. 89; Löschau, in:
Estelmann, SGB II [Stand: 16. Erg.-Lfg., Dezember 2008], § 30 Rdnr. 11: anders Birk, in: LPK-SGB II [2. Aufl., 2007], § 30
Rdnr. 5, der die Abgrenzung von Erwerbseinkommen zu sonstigem Einkommen nach Maßgabe der Einkunftsarten des Steuerrechts vornehmen
will.
Auf der Grundlage dieser sozialrechtlichen Terminologie übt die Klägerin im Rahmen ihres 1-Euro-Jobs, für den sie eine Mehraufwandsentschädigung
nach § 16 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II erhält, keine Erwerbstätigkeit im Sinne von §
115 Abs.
1 Satz 3 Nr.
1 Buchst. b
ZPO aus (vgl. Mecke, aaO., §
11 Rdnr. 126; im Ergebnis ebenso zum Erwerbstätigkeitsbegriff in § 17 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen,
Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen
Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten [Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz - JVEG]: OLG Dresden, Beschluss vom 29.
Mai 2006 - 3 Ws 17/06 -, das u. a. auf den Erwerbstätigkeitsbegriff in § 2 Abs. 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die
Integration von Ausländern im Bundesgebiet [Aufenthaltsgesetz - AufenthG] abstellt).
Die Regelung betreffend den Erwerbstätigkeitsbonus ist auch nicht in analoger Anwendung des §
115 Abs.
1 Satz 3 Nr.
1 Buchst. b
ZPO auf Personen, die im Rahmen eines 1-Euro-Jobs eine Mehraufwandsentschädigung erhalten, entsprechend anzuwenden. Denn es liegt
keine einer Analogie zugängliche Regelungslücke vor.
Mit der Regelung in §
115 Abs.
1 Satz 3 Nr.
1 Buchst. b
ZPO über den Erwerbstätigkeitsbonus wird der Zweck verfolgt, das für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Grunde zu legende
Einkommen der Partei um diese anfallenden "Unkosten" der Berufstätigkeit zu vermindern (LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom
27. Juni 2007 - 9 Ta 8/07 - JURIS-Dokument Rdnr. 19). Dem liegt zugrunde, dass ein Erwerbstätiger aus seinem Einkommen seine sämtlichen Ausgaben zu
bestreiten hat, das heißt seinen Lebensunterhalt, seine Unterkunftskosten, aber auch seine mit der Einkommenserzielung verbundenen
Aufwendungen. Demgegenüber stellen sich die finanziellen Rahmenbedingungen bei einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, der
einem 1-Euro-Job nachgeht, grundlegend anders dar. Dessen Aufwendungen für den Lebensunterhalt und die Unterkunftskosten werden
über das Arbeitslosengeld II gedeckt (vgl. § 19 Satz 1 SGB II). Hinzu kommt die Mehraufwandsentschädigung nach § 16 Abs. 3
Satz 2 Halbsatz 1 SGB II. Mit dieser Entschädigung soll nicht ein Anreiz zur Aufnahme der Tätigkeit geschaffen werden, sondern
es soll auch der Mehrbedarf für Fahrkosten, Arbeitskleidung, und Ernährung berücksichtigt werden (vgl. Eicher, in: Eicher/Spellbrink,
SGB II [2. Aufl., 2008], § 16 Rdnr. 230). Diese wird nicht auf das Arbeitslosengeld II angerechnet, sondern wird "zuzüglich"
geleistet.
Da die Klägerin ihre mit dem 1-Euro-Job verbundenen Mehraufwendungen bereits direkt über finanzielle Leistungen abgedeckt
erhält, bedarf es somit bei ihr im Gegensatz zu Erwerbstätigen nicht des Umweges über Regelungen zur Absetzbarkeit von Ausgaben
vom Einkommen. Eine analoge Anwendung der Regelung über den Erwerbstätigkeitsbonus auf 1-Euro-Job-Fälle würde vielmehr zu
einer doppelten Begünstigung führen, weil für dieselben Aufwendungen nicht nur finanzielle Leistungen in Form der Mehraufwandsentschädigung
erbracht würden, sondern die Aufwendungen auch nochmals vom Einkommen abgesetzt werden könnten. Dies wäre gegenüber Erwerbstätigen
eine nicht mit Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes zu vereinbarende Besserstellung.
Soweit die Klägerin höhere Aufwendungen geltend macht, die ihr im Zusammenhang mit dem 1-Euro-Job entstünden, ist dies nicht
im prozesskostenhilferechtlichen Verfahren zu verfolgen. Vielmehr ist sie insoweit darauf zu verweisen, dass die Angemessenheit
der Mehraufwandsentschädigung, mithin auch ein etwaiger Anspruch auf eine höhere Entschädigung, in einer Klage vor dem Sozialgericht
geltend gemacht werden kann (vgl. Eicher, aaO.; Niewald, in: LPK-SGB II [2. Aufl., 2007], § 16 Rdnr. 57).
Entsprechend den vorstehenden Ausführungen sind vom Einkommen der Klägerin auch nicht gemäß §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
115 Abs.
1 Satz 3 Nr.
1 Buchst. a
ZPO die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen Ausgaben im Sinne von §
82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII, mithin auch nicht die Pauschbeträge aus § 3 Abs. 4 bis 6 der Verordnung zur Durchführung des § 82 des
Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, abzusetzen. Denn diese Ausgaben werden über die Mehraufwandsentschädigung nach § 16 Abs.
3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II abgedeckt.
Ausgehend von einem monatlichen Einkommen in Höhe von 708,61 EUR verbleibt nach Abzug des Gesamtabzugsbetrages in Höhe von
675,28 EUR ein Betrag in Höhe von 33,33 EUR. Aus diesem auf 33,00 EUR abzurundenden, einzusetzenden Einkommen hat die Klägerin
gemäß §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
115 Abs.
2 ZPO Monatsraten in Höhe von 15,00 EUR aufzubringen.
Dieser Beschluss ergeht gerichtskostenfrei (§
183 SGG). Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§
202 SGG i. V. m. §
127 Abs.
4 ZPO)
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).