Tatbestand:
Im Streit ist die Rechtmäßigkeit von Arzneimittelregressen weit überwiegend mit Blick auf die Verordnung des Medikaments LeukoNorm
C.® (im Folgenden: LeukoNorm) für die Quartale II/2002, IV/2002, I/2003, II/2003, III/2003 und IV/2003.
In zwei Behandlungsfällen geht es zudem um Verordnungen (auch) anderer Arzneimittel im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Herbeiführung
einer Schwangerschaft (künstliche Befruchtung) bei Versicherten, die im Verordnungszeitpunkt das 40. Lebensjahr bereits vollendet
hatten.
Der Kläger hat seine medizinische Ausbildung in der Türkei absolviert und an der Universität I. im Bereich der Medizin promoviert
("TIP Dr. Univ. Ist."). Er nimmt als Facharzt für Frauenheilkunde an der vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der beigeladenen
Kassenärztlichen Vereinigung teil. Er hat sich auf die Reproduktionsmedizin spezialisiert und ist Gründer und Leiter des K.-Zentrums
"K.". Der Kläger erbringt insbesondere ärztliche Leistungen in Form von IVF- und ICSI-Behandlungen.
Das Arzneimittel LeukoNorm der C. AG ist ein zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel in der Darreichungsform Trockensubstanz
und Lösungsmittel. Es ist ein verschreibungspflichtiges Pulver zur Herstellung einer Injektionslösung (Auflösung in isotonischer
Natriumchloridlösung), die intramuskulär zu injizieren und vom Hersteller zur Anwendung bei Erwachsenen gedacht ist. Der Wirkstoff
ist humanes Leukozyten-Ultrafiltrat, das aus den weißen Blutkörperchen gesunder Blutspender gewonnen wird. LeukoNorm wird
als Immuntherapeutikum eingesetzt bei Erkrankungen der körpereigenen Abwehr. Durch LeukoNorm wird ein immunologischer Impuls
gesetzt, der eine Normalisierung unzureichender oder überschießender immunologischer Reaktionen ermöglicht. Das Arzneimittel
wird nach der Gebrauchsinformation des pharmazeutischen Unternehmers angewendet bei Erkrankungen, bei denen eine eingeschränkte
Funktionsfähigkeit der körpereigenen Abwehr (Immunsystem) nachgewiesen wurde oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu vermuten
ist. Hierzu gehören nach der Gebrauchsinformation als sonstige Indikationen auch immunologisch bedingte habituelle Aborte
und die Verbesserung der Ergebnisse bei immunologisch bedingten, mehrfachen, frustranen Behandlungszyklen bei künstlicher
Befruchtung (IVF oder ICSI).
Das Arzneimittel war in der DDR entwickelt und dort 1986 zugelassen worden und aufgrund dieser Zulassung dort verkehrsfähig.
Aufgrund des Einigungsvertrages vom 3. Oktober 1990 in Verbindung mit § 2 Nr. 2 und Anlage 3 Kapitel II Nr. 1 § 4 Abs. 1 der
Verordnung zur Überleitung des Rechts der Europäischen Gemeinschaften auf das in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannte
Gebiet vom 18. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2915) - eine dem § 105 des Arzneimittelgesetzes (AMG) vergleichbare Übergangsnorm - galt es als sog. DDR-Altarzneimittel auch im Gebiet der alten Bundesrepublik als zugelassen
(sog. fiktive Zulassung) und war bei Stellung eines Verlängerungsantrags verkehrsfähig. Ein Wirksamkeitsnachweis nach den
Regeln des AMG liegt einer fiktiven Zulassung nicht zugrunde. Eine Arzneimittelzulassung nach §§ 21 und 25 AMG liegt mit ihr nicht vor. Erst mit der Verlängerung des Arzneimittels - vgl. § 4 Abs. 2 der oben genannten Verordnung und § 105 AMG - ist die Prüfung der Wirksamkeit nach dem AMG abgeschlossen und hat das Arzneimittel eine Zulassung nach dem geltenden AMG. Ein Antrag auf Verlängerung der - fiktiven - Zulassung (sog. Nachzulassung) war im Juni 1991 durch die C. AG gestellt worden.
Bei LeukoNorm handelte es sich danach um ein Arzneimittel im Nachzulassungsverfahren, ohne dass der Nachzulassungsantrag in
den streitbefangenen Quartalen abschließend bearbeitet war, und das bis zum Abschluss dieses Verfahrens arzneimittelrechtlich
weiter in den Verkehr gebracht werden durfte, ohne dass dem eine Entscheidung des zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts über
seine Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit zugrunde lag. Mit Änderungsanzeige vom 4. Februar 2003 meldete der Hersteller
als weiteres Indikationsbeispiel einer Erkrankung, bei der eine eingeschränkte Funktion des Immunsystems entweder nachgewiesen
wurde oder mit hoher Wahrscheinlichkeit vermutet werden kann, die Anwendung zur Verbesserung der Ergebnisse bei immunologisch
bedingten, mehrfachen, frustranen IVF- oder ICSI-Behandlungszyklen nach. Durch Bescheid des Paul-Ehrlich-Instituts vom 22.
Dezember 2006 ist die vom Hersteller C. AG für das Arzneimittel LeukoNorm beantragte Nachzulassung abgelehnt worden, weil
die Wirksamkeit des Arzneimittels in keiner der beantragten Indikationen in einer wissenschaftlich fundierten Weise nachgewiesen
worden sei. Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage des Herstellers hat das Verwaltungsgericht Darmstadt durch Urteil vom
16. Dezember 2010 abgewiesen.
Am 9. April 2002 verordnete der Kläger der bei der Beigeladenen zu 1 versicherten M. H., am 3. Juni 2002 der bei der Beigeladenen
zu 1 versicherten Z. Y., am selben Tag der bei der Beigeladenen zu 1 versicherten Y1 I1 und am 12. Juni 2002 der bei der Beigeladenen
zu 1 versicherten B. A. das Arzneimittel LeukoNorm. Am 9. Dezember 2002 verordnete der Kläger der bei der Beigeladenen zu
1 versicherten C1 Z1 das Arzneimittel LeukoNorm. Am 24. Januar 2003 und 8. März 2003 verordnete der Kläger der bei der Beigeladenen
zu 1 versicherten S. Y2 das Arzneimittel LeukoNorm. Zwischen dem 7. Januar 2003 und dem 21. März 2003 verordnete der Kläger
der bei der Beigeladenen zu 1 versicherten und zu diesem Zeitpunkt 46jährigen N. S1 verschiedene Arzneimittel - nicht LeukoNorm
- im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung. Am 19. Mai 2003 verordnete der Kläger der bei der Beigeladenen zu 1 versicherten
A1 D. das Arzneimittel LeukoNorm. Am 21. August 2003 und 29. August 2003 verordnete der Kläger der bei der Beigeladenen zu
1 versicherten S2 A2 das Arzneimittel LeukoNorm. Zwischen dem 10. September 2003 und 30. September 2003 sowie zwischen dem
20. Oktober 2003 und 10. November 2003 verordnete der Kläger der bei der Beigeladenen zu 1 versicherten und zu diesem Zeitpunkt
41jährigen S3 Y. verschiedene Arzneimittel im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung, darunter am 10. September 2003 und am 10.
November 2003 auch LeukoNorm. Am 4. Dezember 2003 verordnete der Kläger der bei der Beigeladenen zu 1 versicherten N1 M1 und
am 8. Dezember 2003 der bei der Beigeladenen zu 1 versicherten S. Y2 das Arzneimittel LeukoNorm.
Mit am 27. März 2003 eingegangenem Schreiben vom 24. März 2003 beantragte die Beigeladene zu 1 beim Prüfungsausschuss der
Beigeladenen zu 2 für das Quartal II/2002, mit am 9. Juli 2003 eingegangenem Schreiben vom 30. Juni 2003 für das Quartal IV/2002,
mit am 19. Dezember 2003 eingegangenem Schreiben vom 11. Dezember 2003 für das Quartal I/2003, mit am selben Tag eingegangenem
Schreiben vom 31. März 2004 für das Quartal II/2003, mit am 26. Mai 2004 eingegangenem Schreiben vom 24. Mai 2004 für das
Quartal III/2003 und mit am 27. August 2004 eingegangenem Schreiben vom 24. August 2004 für das Quartal IV/2003 die Prüfung
in besonderen Fällen nach § 20 Abs. 1 der Prüfungsvereinbarung. Anlass hierfür war weit überwiegend die Verordnung des Medikaments
LeukoNorm durch den Kläger, teilweise Verordnungen im Rahmen von Kinderwunschbehandlungen bei Versicherten, die bereits das
40. Lebensjahr vollendet hatten. Die Verordnungen verstießen gegen die Arzneimittel-Richtlinien und gegen die Richtlinien
über künstliche Befruchtung. LeukoNorm verfüge nur über eine fiktive Zulassung, für die ein therapeutischer Nutzen nach den
Richtlinien einer auf Evidenz basierenden Medizin nicht dokumentiert sei. Damit seien die Voraussetzungen des Wirtschaftlichkeitsgebots
des
SGB V, wie sie auch durch die aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bestätigt seien (28.3.2000 - B 1 KR 11/98 R, SozR 3-2500 § 135 Nr. 14), nicht erfüllt.
Der Prüfungsausschuss bei der Beigeladenen zu 2 hörte den Kläger zur Prüfung der Verordnungsweise in besonderen Fällen an.
Der Kläger trug vor, dass es sich bei dem Arzneimittel LeukoNorm im Zeitpunkt der Verordnungen um ein nach § 105 AMG fiktiv zugelassenes Arzneimittel gehandelt habe, welches sich rechtmäßig unter anderem zur Verbesserung der Ergebnisse bei
immunologisch bedingten, mehrfachen, frustranen IVF- oder ICSI-Behandlungszyklen im Verkehr befunden habe. In den insoweit
streitigen Behandlungsfällen sei das Medikament innerhalb der zugelassenen Indikation und nachdem alle anderen therapeutischen
Maßnahmen fehlgeschlagen gewesen seien, verordnet worden. Jeweils habe wegen zuvor gescheiterter Behandlungszyklen davon ausgegangen
werden können, dass eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit des Immunsystems vorgelegen habe. Hinsichtlich der Verordnung auch
von anderen Arzneimitteln als LeukoNorm an die seinerzeit 46jährige N. S1 und 41jährige S3 Y. machte der Kläger geltend, diese
seien indikationsgerecht und entsprechend dem endokrinologischen Schwerpunkt seiner Praxis eingesetzt worden. Der Kläger verwies
zudem unter anderem auf die Entscheidung des Sozialgerichts Freiburg vom 16. Juni 2003 (S 11 KR 736/03 ER) und die abweichende Praxis anderer Prüfgremien.
Auf der Grundlage der Prüfberichte setzte der Prüfungsausschuss Regresse aufgrund Prüfung der Verordnungsweise in besonderen
Fällen durch Beschlüsse vom 14. Dezember 2005, zur Post aufgegeben am 29. Dezember 2005, für die Quartale II/2002, IV/2002,
I/2003, II/2003, III/2003 und IV/2003 wie beantragt in Höhe der Nettokosten der Verordnungen (d. h. abzüglich Zuzahlungen
und Rabatten) in einer Gesamthöhe von 30.809 EUR fest. Der Einsatz des Arzneimittels LeukoNorm im Rahmen einer IVF-Behandlung
sei von der ohnehin nur fiktiven Zulassung schon nicht umfasst. Soweit die Patientinnen im Zeitpunkt der streitigen Verordnungen
das 40. Lebensjahr vollendet hatten, folge der Regress wegen der Verordnung anderer Arzneimittel als LeukoNorm aus den Richtlinien
des Bundesausschusses, nach denen kein Anspruch auf Leistungen zur künstlichen Befruchtung für weibliche Versicherte bestehe,
die das 40. Lebensjahr vollendet hätten.
Der Kläger legte hiergegen am 11. Januar 2006 jeweils fristgerecht Widerspruch ein. Er trug unter anderem vor, die Verordnungen
von LeukoNorm seien innerhalb des dem zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts nachgemeldeten Indikationsbeispiels zur Verbesserung
der Ergebnisse bei immunologisch bedingten, mehrfachen, frustranen IVF- oder ICSI-Behandlungszyklen erfolgt. Hierfür nahm
er Bezug auch auf die konkreten Behandlungsfälle.
Durch Beschlüsse vom 17. Mai 2006 wies der Beklagte die Widersprüche als unbegründet zurück. LeukoNorm sei arzneimittelrechtlich
ein sog. Altpräparat, das seine Verkehrsfähigkeit dem Übergangsrecht des AMG 1976 verdanke und dessen Status sich nicht auf eine arzneimittelrechtliche Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit
gründe. Nach der "Wobe Mugos E"-Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (27.9.2005 - B 1 KR 6/04 R, SozR 4-2500 § 31 Nr. 3) begründe die Verkehrsfähigkeit eines Medikaments allein noch keinen Anspruch auf Versorgung mit
diesem Mittel. Dieser Anspruch setze vielmehr voraus, dass es zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne
gebe, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen
belegt sei. Derartige Belege gäbe es für LeukoNorm nicht. Dementsprechend dürfe der Arzt diese Leistung nicht bewirken und
die Kasse sie nicht bewilligen. Soweit die betroffenen Patientinnen bereits das 40. Lebensjahr vollendet hätten, sei schon
der Anspruchsausschluss in den Richtlinien des Bundesausschusses über künstliche Befruchtung nicht beachtet worden und betreffe
dies neben der Verordnung von LeukoNorm auch die Verordnung anderer Arzneimittel.
Hiergegen hat der Kläger jeweils fristgerecht Klage erhoben und unter anderem vorgetragen, das Arzneimittel LeukoNorm habe
sich im Verordnungszeitpunkt ordnungsgemäß im gesetzlich vorgegebenen Nachzulassungsverfahren befunden, weshalb die Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts in den "Wobe Mugos E"-Fällen vorliegend auch nicht einschlägig sei. Selbst wenn man dies anders sähe,
dürfe diese überraschende Rechtsprechung aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht rückwirkend auf den Fall des Klägers Anwendung
finden. Zudem habe er das Arzneimittel indikationsgerecht eingesetzt. Bei den behandelten Patientinnen seien vorherige IVF-
bzw. ICSI-Behandlungszyklen erfolglos geblieben und habe von einer eingeschränkten Funktionsfähigkeit des Immunsystems ausgegangen
werden müssen. Zum Beleg hierfür hat er auf Aufforderung des Sozialgerichts nähere Angaben zu den Behandlungsfällen gemacht
und die Patientenakten sowie ein Gutachten von Prof. Dr. Dr. W. vom 25. Januar 2001 vorgelegt. Der Kläger hat zur Untermauerung
seines Vortrags unter anderem auf die Entscheidung des Sozialgerichts Freiburg vom 16. Juni 2003 (S 11 KR 736/03 ER) und auf Schreiben des Paul-Ehrlich-Instituts hingewiesen. Soweit LeukoNorm bei über 40jährigen Versicherten eingesetzt
worden sei, habe dies nicht zum Behandlungsplan der künstlichen Befruchtung gehört, sondern der Behandlung der Grunderkrankung
gedient. Die Begrenzungen des Anspruchs auf Leistungen der künstlichen Befruchtung seien daher nicht einschlägig. Soweit der
im Verordnungszeitpunkt 46jährigen Versicherten N. S1 andere Arzneimittel als LeukoNorm verordnet worden seien, sie dies im
Anschluss an eine im Ausland durchgeführte Kinderwunschbehandlung wegen der bestehenden Risikoschwangerschaft erfolgt.
Der Beklagte hat auf die völlig unzureichenden Darlegungen zu den konkreten Behandlungsfällen hingewiesen, aus denen sich
das Vorliegen einer in der fiktiven Zulassung genannten Indikation nicht ergebe, und unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts
vom 27. September 2005 (B 1 KR 6/04 R, SozR 4-2500 § 31 Nr. 3) die fehlende Verordnungsfähigkeit von LeukoNorm geltend gemacht.
Das Sozialgericht hat die Verfahren S 3 KA 416/06 (Quartal I/2003), S 3 KA 418/06 (Quartal IV/2002), S 3 KA 419/06 (Quartal II/2002), S 3 KA 420/06 (Quartal IV/2003), S 3 KA 423/06 (Quartal II/2003) und S 3 KA 424/06 (Quartale III/2003) im Termin am 28. März 2007 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen S 3 KA 416/06 verbunden und die Klage durch Urteil vom 28. März 2007 abgewiesen. Rechtsgrundlage der Regresse sei §
106 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V) in Verbindung mit §
20 Abs.
1 der Prüfungsvereinbarung zwischen der beigeladenen und weiteren Hamburger Krankenkassen und der beigeladenen Kassenärztlichen
Vereinigung Hamburg vom 3. Februar 1994 in der Fassung vom 21. Juni 1999. Danach werde auf Antrag einer Krankenkasse unter
anderem geprüft, ob ein Arzt durch Verordnung von Arzneimitteln im Einzelfall gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot oder Verordnungsausschlussregeln
verstoßen habe. Die hierbei zu beachtenden Bagatellgrenzen und Prüffristen seien eingehalten worden. Die Festsetzung eines
Regresses bei Feststellung eines Verstoßes stehe im Ermessen. Der Beklagte sei danach berechtigt gewesen, die Verordnung von
LeukoNorm in den streitigen Quartalen mit Regressen zu ahnden. Das Bundessozialgericht habe in seiner Entscheidung vom 27.
September 2005 zum Altpräparat Wobe Mugos E (B 1 KR 6/04 R, SozR 4-2500 § 31 Nr. 3) in einem Kostenerstattungsstreit herausgestellt, dass die bloße arzneimittelrechtliche Verkehrsfähigkeit
noch keinen krankenversicherungsrechtlichen Anspruch begründe. Die Konsequenzen dieser Entscheidung für den ein Altpräparat
verordnenden Vertragsarzt im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach §
106 SGB V seien zwar umstritten. Während der Beklagte die Auffassung vertrete, dass auch für Quartale vor der Entscheidung des Bundessozialgerichts
der Vertragsarzt bei nachträglich festgestellter fehlender Verordnungsfähigkeit einem Arzneimittelregress ausgesetzt sein
müsse, habe die Kammer in ihren Entscheidungen vom 18. Oktober 2006 (S 3 KA 200/05, S 3 KA 11/06 und S 3 KA 26/06) die Auffassung vertreten, dass aus Gründen des Vertrauensschutzes jedenfalls die Quartale vor der Entscheidung des Bundessozialgerichts
von einem Regress ausgenommen sein müssten, weil der Vertragsarzt aus der arzneimittelrechtlichen Verkehrsfähigkeit in den
streitigen Fällen auf eine Verordnungsfähigkeit habe schließen dürfen. Ob diese Kammerrechtsprechung auch auf den vorliegenden
Sachverhalt anzuwenden sei, könne jedoch offen bleiben. Denn es fehle bei den hier streitigen Verordnungen anders als in den
entschiedenen Fällen bereits an einem dokumentierten Nachweis, dass sich der Kläger überhaupt im Rahmen der zugelassenen Indikation
bewegt habe. Zwar werde LeukoNorm immer dann indikationsgerecht eingesetzt, wenn eine Erkrankung vorgelegen habe, bei der
eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit des Immunsystems nachgewiesen worden oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu vermuten
gewesen sei, seien die vom Hersteller aufgeführten konkreten Krankheitsbilder nur als Beispiele genannt und seien andere Erkrankungen,
die infolge einer eingeschränkten Funktion des Immunsystems auftreten können, nicht ausgeschlossen. Dies sei auch die Auffassung
des zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts gewesen. Der LeukoNorm verordnende Arzt müsse aber ein mit hoher Wahrscheinlichkeit
eingeschränktes Immunsystem grundsätzlich aus seiner ärztlichen Dokumentation erkennen lassen. Idealerweise geschehe dies
durch eine labormedizinische Untersuchung, im Einzelfall könne auch eine dahingehende Anamnese genügen. Grundsätzlich aber
müsse sich der Befund eines eingeschränkten Immunsystems in der Behandlungsdokumentation wiederfinden, um eine Rechtfertigung
für die Verordnung des Medikaments zu besitzen. Derartige Feststellungen fänden sich in den vom Kläger übersandten Krankenunterlagen
komplett nicht. Und auch aus den auf Anfrage des Gerichts nachträglich gefertigten Übersichten habe die Kammer eine Einschränkung
des Immunsystems nicht dergestalt nachzuvollziehen vermocht, dass es geboten gewesen wäre, ein entsprechendes Sachverständigengutachten
in Auftrag zu geben. Da es damit aber an einem Nachweis eines indikationsgerechten Einsatzes von LeukoNorm fehle, seien die
Regresse schon aus diesem Grund nicht zu beanstanden gewesen. Soweit der Kläger Verordnungen von Medikamenten zur hormonellen
Stimulationsbehandlung bei über 40jährigen Versicherten vorgenommen habe, stünden die Einschränkungen des §
27a SGB V in Verbindung mit den Richtlinien des Bundesausschusses der Verordnungsfähigkeit dieser anderen Medikamente als LeukoNorm
entgegen, das nicht selbst dieser Stimulationsbehandlung, sondern der allgemeinen Stärkung des Immunsystems diene.
Gegen das am 1. August 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29. August 2007 Berufung eingelegt. Mit ihr hat er unter
anderem vorgetragen, er wende sich gegen die Feststellung im angefochtenen Urteil, aus den Krankenunterlagen ergebe sich nicht,
dass eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit des Immunsystems nachgewiesen oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu vermuten gewesen
sei und deshalb die LeukoNorm-Verordnungen indikationsgerecht gewesen sein könnten. Der Kläger hat mit der Berufungsbegründung
für die streitigen Behandlungsfälle die vollständige Behandlungs-, Verordnungs- und Diagnosehistorie überreicht. Aus dieser
ergebe sich jeweils die Befundlage zum eingeschränkten Immunsystem und sei die Richtigkeit und Zulässigkeit der klägerischen
Behandlungsweise nachvollziehbar nachgewiesen. In allen Fällen seien die nötigen diagnostischen, unter anderem auch immunologischen,
Untersuchungen durchgeführt worden und habe sich aus ihnen am Ende als ultima ratio eine LeukoNorm-Indikation ergeben. Zur
Frage der Verordnungsfähigkeit des Medikaments hat der Kläger zunächst auf den erstinstanzlichen Vortrag Bezug genommen. Mit
Bezug auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 27. September 2005 (B 1 KR 6/04 R, SozR 4-2500 § 31 Nr. 3), durch das für Arzneimittel im Nachzulassungsverfahren das Fehlen der krankenversicherungsrechtlichen
Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit festgestellt worden sei, hat er geltend gemacht, aus Gründen des Vertrauensschutzes
könne diese Entscheidung keine Auswirkungen auf solche Verschreibungen haben, die zeitlich vor dem Urteil erfolgt seien, da
der Kläger als Vertragsarzt aus der arzneimittelrechtlichen Verkehrsfähigkeit auf die Verordnungsfähigkeit des Arzneimittels
habe schließen dürfen. Anderes ergebe sich auch nicht aus der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 6. Mai 2009 (B 6 KA 3/08 R, MedR 2010, 276). Hinsichtlich LeukoNorm habe zum Zeitpunkt der hier streitigen Verordnungen auf einen langen Zeitraum zurückgeblickt werden
können, während dessen das Arzneimittel in täglicher Verwendung gewesen sei und durchaus seinen therapeutischen Erfolg im
Einzelfall belegt haben würde. Es habe in der DDR das Zulassungsverfahren durchlaufen und sei dort ein gebräuchliches Medikament
gewesen, was die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Wiedervereinigungsprozesses gegen sich gelten lassen müsse. Das
Arzneimittel habe insoweit auch seinen Nutzen in Qualität, Wirtschaftlichkeit und Unbedenklichkeit belegt; neben der Verkehrsfähigkeit
habe daher auch Verordnungsfähigkeit vorgelegen. Eben hierin liege auch der Unterschied zu den vom Bundessozialgericht entschiedenen
Fällen. Ausweislich der vorgelegten Schreiben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 5. Juli 2007 und des BKK Bundesverbandes
vom 2. Juli 2007 sei die Ärzteschaft zudem erst zu diesem Zeitpunkt über den die Nachzulassung ablehnenden Bescheid des Paul-Ehrlich-Instituts
vom 22. Dezember 2006 und damit den Stand der Verordnungsfähigkeit von LeukoNorm informiert worden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. März 2007 und die Beschlüsse des Beklagten vom 17. Mai 2006 (P 50/06, P 51/06,
P 53/06, P 55/06, P 57/06 und P 59/06) aufzuheben, hilfsweise das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. März 2007 und
die Beschlüsse des Beklagten vom 17. Mai 2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, über die Widersprüche des Klägers
betreffend die Quartale II/2002, IV/2002, I/2003, II/2003, III/2003 und IV/2003 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts
neu zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
Der Beklagte hat vorgetragen, die Regresse seien bereits deshalb berechtigt gewesen, weil LeukoNorm grundsätzlich zulasten
der gesetzlichen Krankenversicherung nicht hätte verordnet werden dürfen. Dies folge bereits aus Nr. 1 der Arzneimittel-Richtlinien,
wonach der Versicherte grundsätzlich einen Anspruch auf die Versorgung mit allen nach dem AMG verkehrsfähigen Arzneimitteln habe, sofern sie nicht aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen
seien oder soweit sie nicht nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot, wie es in den Richtlinien konkretisiert sei, nur eingeschränkt
verordnet werden könnten. Ergänzend sei in Nr. 13 der Arzneimittel-Richtlinien bestimmt, dass der Vertragsarzt Arzneimittel
mit nicht ausreichend gesichertem therapeutischem Nutzen nicht verordnen dürfe. Therapeutischer Nutzen setze eine Nutzen-Risiko-Abwägung
mit günstigem Ergebnis voraus; er bestehe in einem nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse relevanten
Ausmaß der Wirksamkeit bei einer definierten Indikation. Diesen Anforderungen habe die Verordnung von LeukoNorm nicht genügt.
Dem stehe nicht entgegen, dass das Arzneimittel zum Zeitpunkt der Verordnungen das Nachzulassungsverfahren durchlaufen habe
und insoweit nach dem AMG vorläufig als verkehrsfähig anzusehen gewesen sei. Ein laufendes Nachzulassungsverfahren berechtige noch nicht zur Verordnung
im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung. Allein der Umstand, dass ein Nachzulassungsverfahren erforderlich gewesen
sei, zeige, dass die Unbedenklichkeit nach den vom AMG aufgestellten Anforderungen noch nicht abschließend geklärt gewesen sei. Das Bundessozialgericht habe in seiner Entscheidung
vom 27. September 2005 (B 1 KR 6/04 R, SozR 4-2500 § 31 Nr. 3) festgestellt, dass eine allein die Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels betreffende arzneimittelrechtliche
Entscheidung im Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung noch keinen Anspruch auf Versorgung mit diesem Arzneimittel
begründe. Vielmehr müsse im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung bereits zum Zeitpunkt der Behandlung zweifelsfrei
geklärt sein, ob die erhofften Vorteile einer Therapie die möglicherweise zu befürchtenden Nachteile überwögen. Danach könne
gerade nicht davon ausgegangen werden, dass LeukoNorm als nur vorübergehend nach dem AMG verkehrsfähiges Arzneimittel im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig gewesen sei. Die geforderte
Nutzen-Risiko-Abwägung habe eben gerade noch nicht stattgefunden. Der therapeutische Nutzen sei zum Zeitpunkt der Verordnungen
im Sinne von Nr. 13 der Arzneimittel-Richtlinien nicht ausreichend gesichert gewesen. Die Einhaltung der Richtlinien sei notwendig
und stellten diese auch für den Vertragsarzt verbindliches Recht dar. Die Pflicht zur Einhaltung der Richtlinien bestehe auch
unabhängig von Vertrauensschutzerwägungen. Im Übrigen werde auf das angefochtene Urteil des Sozialgerichts verwiesen. Das
Vorliegen der vom Kläger genannten Indikation einer eingeschränkten Funktionsfähigkeit des Immunsystems, für die das Arzneimittel
eingesetzt worden sein soll, sei weder nachgewiesen noch mit hoher Wahrscheinlichkeit zu vermuten gewesen. Aus den vorgelegten
Unterlagen gehe an keiner Stelle nachvollziehbar das Vorliegen einer Immunstörung hervor. Der Beklagte hat insoweit auf eine
Auswertung der medizinischen Daten und die Stellungnahme von Dr. Horst Bezug genommen. Danach lasse sich den Unterlagen nicht
entnehmen, dass eine Störung des Immunsystems vorgelegen habe; auch seien die Gründe, warum eine LeukoNorm-Therapie durchgeführt
worden sei, aus der Dokumentation des Klägers nicht zu entnehmen. Allerdings sei die Frage, ob der Kläger sich im Rahmen der
genannten Indikation bewegt habe, entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht entscheidungserheblich. Entscheidend bleibe,
dass LeukoNorm zwar verkehrsfähig, jedoch zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnungsfähig gewesen sei
und die Urteile des Bundessozialgerichts zu "Wobe Mugos E" Geltung auch für die in den Quartalen vor der Entscheidung vom
27. September 2005 vorgenommenen LeukoNorm-Verordnungen hätten.
Die beigeladene Krankenkasse hat dahin Stellung genommen, dass der Kläger sich nicht mit Erfolg auf Vertrauensschutz berufen
könne. Denn das Bundessozialgericht habe in seinem Urteil vom 27. September 2005 (B 1 KR 6/04 R, SozR 4-2500 § 31 Nr. 3) keine völlig neuen, vorher unbekannten Rechtsgrundsätze aufgestellt, sondern lediglich frühere Entscheidungen
fortgeführt. Bereits zum Zeitpunkt der streitbefangenen Verordnungen habe in Anbetracht dieser Rechtsprechung kein Vertragsarzt
davon ausgehen können, dass ein arzneimittelrechtlich verkehrsfähiges Präparat in jedem Fall auch zulasten der gesetzlichen
Krankenkassen verordnet werden dürfte. Im Übrigen habe das Sozialgericht seine Entscheidung zu Recht auch darauf gestützt,
dass der Kläger das Arzneimittel außerhalb der fiktiven Zulassung eingesetzt habe.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte, der Prüfakten des Beklagten (10 Bände), der Akten des
Sozialgerichts Hamburg zu den Aktenzeichen S 3 KA 200/05, S 3 KA 27/06, S 3 KA 28/06, S 3 KA 29/06, S 3 KA 30/06, S 3 KA 418/06, S 3 KA 419/06, S 3 KA 420/06, S 3 KA 422/06, S 3 KA 423/06, S 3 KA 424/06, S 3 KA 525/06, der Akten des Sozial- und Landessozialgerichts Hamburg zu den Aktenzeichen S 3 KA 11/06 = L 2 KA 15/07, S 3 KA 58/06 = L 2 KA 16/07, S 3 KA 26/06 = L 2 KA 17/07, S 3 KA 69/05 = L 1 KA 21/07 und S 3 KA 421/06 = L 1 KA 22/07 sowie der Patientenakten mit Auszügen der medizinischen Daten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind
Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft (§§
143,
144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§
151 SGG) erhoben.
Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Gegenstand des Berufungsverfahrens sind nur die Beschlüsse des Beklagten, nicht auch des Prüfungsausschusses. In Verfahren
der Wirtschaftlichkeitsprüfung beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle auf die das Verwaltungsverfahren abschließende Entscheidung
des Beschwerdeausschusses. Dieser wird mit seiner Anrufung für das weitere Prüfverfahren ausschließlich und endgültig zuständig
(BSG 19.6.1996 - 6 RKa 40/95, SozR 3-2500 § 106 Nr. 35; BSG 14.5.1997 - 6 RKa 63/95, SozR 3-2500 § 106 Nr. 39; BSG 28.6.2000 - B 6 KA 36/98 R, juris).
Rechtsgrundlage der streitbefangenen Arzneikostenregresse ist §
106 Abs.
2 SGB V (in der Fassung des Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetzes vom 19.12.2001, BGBl. I S. 3773). Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unter anderem durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter
Leistungen, und zwar entweder im Rahmen von Auffälligkeitsprüfungen und bzw. oder auf der Grundlage von Stichproben in Zufälligkeitsprüfungen
geprüft. Über diese Prüfungsarten hinaus können die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen mit
den Kassenärztlichen Vereinigungen nach §
106 Abs.
2 Satz 4
SGB V andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren. Diese Prüfvereinbarungen ermächtigen regelmäßig auch zu Einzelfallprüfungen
(BSG 27.6.2007 - B 6 KA 44/06 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 17).
In Ausfüllung dieser Ermächtigung haben die beigeladene Kassenärztliche Vereinigung Hamburg und die Hamburger Krankenkassenverbände
die ab 1. Januar 1994 geltende Prüfungsvereinbarung vom 3. Februar 1994 geschlossen, welche in der hier maßgeblichen Fassung
des 3. Nachtrags vom 21. Juni 1999 in § 20 Abs. 1 Satz 1 bestimmt, dass auf Antrag unter anderem einer Krankenkasse oder ihres
Verbandes auch geprüft wird, ob ein Arzt durch Verordnung insbesondere von Arzneimitteln, von Heilmitteln, von Hilfsmitteln,
von Krankenhausbehandlung, Veranlassung von Auftragsleistungen oder bei der Beurteilung von Arbeitsunfähigkeit im Einzelfall
gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot oder Verordnungsausschlussregelungen verstoßen hat. Anträge wegen einzelner Arznei-, Heil-
oder Hilfsmittel sind danach nur zulässig, wenn die Nettokosten der beanstandeten Mittel insgesamt mehr als 50 DM betragen
(§ 20 Abs. 1 Satz 2 Prüfungsvereinbarung). Ferner muss der Antrag dem Prüfungsausschuss innerhalb einer Frist von neun Monaten
nach Abschluss des Quartals vorliegen, in dem der Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot oder Verordnungsausschlussregelungen
vermutet wird (§ 20 Abs. 1 Satz 3 Prüfungsvereinbarung).
Einzelfallprüfungen der Behandlungsweise (§ 19 Prüfungsvereinbarung) und - wie hier - der Verordnungsweise (§ 20 Prüfungsvereinbarung)
sind nach dem Bundessozialgericht insbesondere dann sachgerecht - und ihre Auswahl als Prüfmethode daher rechtmäßig -, wenn
das individuelle Vorgehen eines Arztes in bestimmten einzelnen Behandlungsfällen hinsichtlich des Behandlungs- oder Verordnungsumfangs
am Maßstab des Wirtschaftlichkeitsgebots überprüft werden soll (BSG 27.6.2007 - B 6 KA 44/06 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 17; zuletzt BSG 13.10.2010 - B 6 KA 48/09 R).
Bei der vorliegenden Streitigkeit über die vertragsarztrechtliche Zulässigkeit von Arzneimittelverordnungen handelt es sich
auch um einen Fall des §
106 SGB V und nicht um einen Regress "wegen sonstigen Schadens" im Sinne des §
48 des Bundesmantelvertrags-Ärzte. Denn jeweils steht ein Fehler der Verordnung selbst in Frage, wie dies bei Verstößen gegen
die Arzneimittel-Richtlinien bzw. bei Verordnungen nicht verordnungsfähiger Arzneimittel und auch bei Verordnungen außerhalb
der nach dem AMG erteilten Zulassung der Fall ist (BSG 13.10.2010 - B 6 KA 48/09 R, mit weiteren Nachweisen).
Das Verfahren der Prüfung ist in §
106 Abs.
5 SGB V geregelt. Danach entscheiden die Prüfgremien, ob der Vertragsarzt gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche
Maßnahmen zu treffen sind. Nach §
106 Abs.
5 Satz 2
SGB V sollen dabei gezielte Beratungen weiteren Maßnahmen in der Regel vorangehen. Nach §
20 Abs. 3 Satz 1 der Prüfungsvereinbarung kann der Prüfungsausschuss einen Regress festsetzen, soweit er feststellt, dass der
Arzt im Einzelfall gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot oder Verordnungsausschlussregelungen verstoßen hat. Die Höhe des Regresses
richtet sich nach dem tatsächlich festgestellten oder dem geschätzten Mehraufwand (§ 20 Abs. 3 Satz 2 Prüfungsvereinbarung).
Für die Prüfung, ob Arzneimittelverordnungen gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot oder Verordnungsausschlussregelungen verstoßen
haben, bedarf es der Zusammenschau von Arzneimittelrecht und Krankenversicherungsrecht.
Die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung im Sinne von §
27 Abs.
1 Satz 2 Nr.
3, §
31 SGB V setzt voraus, dass dieses vor seiner Anwendung anerkannt worden ist.
Für Fertigarzneimittel richtet sich diese Anerkennung nach dem Arzneimittelrecht. Fertigarzneimittel sind nach § 4 Abs. 1 AMG Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht
werden oder andere zur Abgabe an Verbraucher bestimmte Arzneimittel, bei deren Zubereitung in sonstiger Weise ein industrielles
Verfahren zur Anwendung kommt oder die, ausgenommen in Apotheken, gewerblich hergestellt werden. Fertigarzneimittel sind nicht
Zwischenprodukte, die für eine weitere Verarbeitung durch einen Hersteller bestimmt sind.
Ein Fertigarzneimittel muss im Arzneimittelzulassungsverfahren nach dem AMG eine deutsche Arzneimittelzulassung oder eine europäische Arzneimittelzulassung erlangt haben. Für diese Anerkennung müssen
- neben weiteren Voraussetzungen - Eignung und Unbedenklichkeit fundiert belegt sein; aus den zugrunde gelegten Studien muss
sich eine Aussicht auf einen Behandlungserfolg und die Verträglichkeit der Nebenwirkungen und Risiken ergeben (zuletzt BSG
8.12.2010 - B 6 KA 38/10 B, unter Hinweis auf BSG 28.2.2008 - B 1 KR 15/07 R, SozR 4-2500 § 13 Nr. 16).
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der Senat folgt, fehlt es an der krankenversicherungsrechtlichen Zweckmäßigkeit
und Wirtschaftlichkeit (§
2 Abs.
1 Satz 1, §
12 Abs.
1 SGB V) einer Arzneimitteltherapie, wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf
und diese Zulassung nicht erteilt worden ist. Der Gesichtspunkt der Gewährleistung optimaler Arzneimittelsicherheit gebietet,
dass Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel im Sinne von § 1 AMG, d. h. die Einhaltung der Mindestsicherheits- und Qualitätsstandards, in einem dafür vorgesehenen fundierten Verfahren nachgewiesen
worden sind. Das gilt auch, wenn eine Entscheidung der zuständigen Behörde über die arzneimittelrechtliche Zulassung nicht
ergangen ist, weil das Zulassungsverfahren zwar eingeleitet, aber noch nicht abgeschlossen wurde (BSG 27.9.2005 - B 1 KR 6/04 R, SozR 4-2500 § 31 Nr. 3, unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung).
Verfügt ein Arzneimittel aufgrund von Übergangs- oder Verfahrensrecht über einen arzneimittelrechtlichen Zulassungsstatus,
aufgrund dessen es arzneimittelrechtlich vorläufig in den Verkehr gebracht werden darf, folgt hieraus noch nicht automatisch
die krankenversicherungsrechtliche Verordnungsfähigkeit. Diese setzt nach den spezifischen Kriterien des Rechts der gesetzlichen
Krankenversicherung vielmehr voraus, dass sich die arzneimittelrechtliche Verkehrsfähigkeit auf eine arzneimittelrechtliche
fundierte Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Mittels im Sinne von § 1 AMG gründet und nicht allein auf arzneimittelrechtliches Übergangs- und Verfahrensrecht (BSG 27.9.2005 - B 1 KR 6/04 R, SozR 4-2500 § 31 Nr. 3).
Die arzneimittelrechtliche Verkehrsfähigkeit bewirkt danach nicht automatisch die krankenversicherungsrechtliche Verordnungsfähigkeit.
Denn eine rechtsgebietsübergreifende Bindung in dem Sinne, dass all dasjenige, was arzneimittelrechtlich zulässig ist, zwingend
auch zur krankenversicherungsrechtlichen Leistungspflicht der Krankenkassen führen müsste, ist gesetzlich nicht angeordnet
worden. Die Bindungswirkung von Entscheidungen aufgrund des Arzneimittelrechts bezieht sich allein auf die arzneimittelrechtliche
Beurteilung der Rechtslage. Ausgeschlossen ist es demgegenüber nicht, sondern prägend und typisch, dass das Krankenversicherungsrecht
zusätzliche, über das Arzneimittelrecht hinausgehende Anspruchsvoraussetzungen für die Pflicht zur Leistungsgewährung aufstellt.
Die arzneimittelrechtliche Zulässigkeit einer Arzneimittelanwendung stellt in diesem Sinne für die gesetzliche Krankenversicherung
immer nur ein "Mindestsicherheits- und Qualitätserfordernis" dar und ist nur "negativ vorgreiflich", weil eine erforderliche,
aber nicht vorhandene Zulassung auch die Verordnungsfähigkeit stets ausschließt. Entscheidungen nach dem AMG sind deshalb zwar auch im Rahmen des
SGB V "zu berücksichtigen", aus ihnen lässt sich jedoch nicht eine umfassende Bindung für das Krankenversicherungsrecht herleiten
(so ausdrücklich BSG 27.9.2005 - B 1 KR 6/04 R, SozR 4-2500 § 31 Nr. 3).
Der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln setzt mithin nach dem
SGB V mehr voraus als die bloße Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels nach dem Arzneimittelrecht. Insbesondere mit Rücksicht auf
die einschränkenden Kriterien der §
2 Abs.
1 und §
12 Abs.
1 SGB V gilt, dass nicht alles, was arzneimittelrechtlich erlaubt und statthaft ist, auch zur Leistungspflicht unter dem Blickwinkel
des Krankenversicherungsrechts führt. Dies erhellt schon aus der Existenz eigener gesetzlicher Leistungskonkretisierungen
und -be-schränkungen (z. B. § 2, § 12 Abs. 1, § 31, §§ 34 bis 35a, §
84 Abs.
1, §
92 Abs.
1 Satz 2 Nr.
6 und Abs.
2 SGB V) und den diese ausfüllenden untergesetzlichen Regelungen (insbesondere Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses).
Der Versorgungsanspruch eines Versicherten umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind
und deren Qualität dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht. Hierzu genügt es nicht,
dass die Arzneimitteltherapie bei einem Versicherten nach Ansicht seiner Ärzte positiv gewirkt haben soll und ggf. herkömmlichen
Arzneimitteln vorzuziehen sei. Zu Qualität und Wirksamkeit eines Arzneimittels muss es vielmehr grundsätzlich zuverlässige
wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben, dass der Erfolg der Behandlung mit ihm in einer für die sichere
Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Nur wenn im Arzneimittelzulassungsverfahren in ähnlicher
Weise wie im Überprüfungsverfahren durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nach §
135 Abs.
1 SGB V für Behandlungsmethoden eine fundierte Prüfung des Arzneimittels auf Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit stattgefunden
hat und somit die erfolgreiche Anwendung des Arzneimittels anhand zuverlässiger wissenschaftlich nachprüfbarer Aussagen in
einer ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist und dementsprechend für das Arzneimittel die Zulassung einschließlich
der darin enthaltenen Ausweisung der Anwendungsgebiete erteilt worden ist, ist es in diesem Umfang auch verordnungsfähig im
Sinne des
SGB V. Nur in solchen Fällen ist also mit der Zulassung und der damit gegebenen Verkehrsfähigkeit im Sinne des AMG zugleich die Verordnungsfähigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gegeben. Das Bundessozialgericht hat dies
wiederholt zum Ausdruck gebracht und der Senat folgt dieser Rechtsprechung (BSG 27.9.2005 - B 1 KR 6/04 R, SozR 4-2500 § 31 Nr. 3, unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung; BSG 5.11.2008 - B 6 KA 63/07 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 21; BSG 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 26).
Diese Restriktionen gelten zumal, wenn die Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels nur auf einer übergangsrechtlichen Position
beruht, nach der es ohne hinreichend gesicherte Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit weiterhin in den Verkehr gebracht
werden darf. Danach kann es für den Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln nach §
31 Abs.
1 SGB V nicht genügen, dass der arzneimittelrechtliche Status nur aus der Inanspruchnahme einer bloßen übergangsrechtlichen Position
resultiert, ohne dass eine eingehende arzneimittelrechtliche Prüfung mit einem für den Hersteller positiven Ergebnis stattgefunden
hat. Denn selbst arzneimittelrechtlich handelt es sich in dieser Situation nicht um einen gesicherten Status, sondern um einen
unklaren, weil nicht endgültig behobenen zulassungsrechtlichen Schwebezustand, ohne dass eine arzneimittelrechtliche Prüfung
positiv das Vorliegen der Kriterien für eine Zulassung im Sinne von § 1 AMG ergeben hatte, und der durch eine Entscheidung im Nachzulassungsverfahren jederzeit beseitigt werden kann (vgl. BSG 27.9.2005
- B 1 KR 6/04 R, SozR 4-2500 § 31 Nr. 3). Stellt man in Rechnung, dass im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung bereits zum Zeitpunkt
der Behandlung zweifelsfrei geklärt sein muss, ob die erhofften Vorteile einer Therapie die möglicherweise zu befürchtenden
Nachteile überwiegen, würde die Anerkennung der Leistungspflicht für im Nachzulassungsverfahren befindliche, aber dort im
Leistungszeitpunkt nicht positiv beurteilte Alt-Arzneimittel darauf hinauslaufen, den Krankenkassen die Kosten einer grundsätzlich
ausgeschlossenen Therapie aufzuerlegen. Das aber steht im Gegensatz zu Sinn und Zweck der Regelungen über die Wirtschaftlichkeit
im Sinne von §
2 Abs.
1 und §
12 SGB V und zum Wissenschaftlichkeitsgebot des §
2 Abs.
1 Satz 3
SGB V (vgl. BSG, aaO.). Das Bundessozialgericht hat diese Sichtweise des Ineinandergreifens von arzneimittelrechtlichem Zulassungsrecht
und krankenversicherungsrechtlichem Leistungsrecht zudem in ständiger Rechtsprechung nicht nur auf die leistungsrechtliche
Seite beschränkt. Mit Blick auf das Leistungserbringungsrecht und im Zusammenhang mit der Wirtschaftlichkeitsprüfung von Arzneimittelverordnungen
und mit Arzneimittelregressen wegen unwirtschaftlicher Verordnung nach §
106 SGB V hat es vielmehr betont, ein strikter Zusammenhang zwischen arzneimittelrechtlicher Verkehrsfähigkeit und Verordnungsfähigkeit
im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung "hat niemals bestanden" (so ausdrücklich BSG 5.11.2008 - B 6 KA 63/07 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 21, Rn. 30). Auch dieser Rechtsprechung folgt der Senat.
Für eine Schlussfolgerung von der arzneimittelrechtlichen Zulassung auf die Verordnungsfähigkeit fehlt daher die Grundlage
dann, wenn der Zulassung keine oder eine strukturell nur unzureichende Überprüfung der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit
zugrunde liegt. Soweit ein Arzneimittel ohne Durchlaufen des Arzneimittelzulassungsverfahrens mit Gewähr für Qualität, Wirksamkeit
und Unbedenklichkeit aufgrund Übergangsrechts die Zulassung behält oder diese verlängert wird, fehlt es an den inhaltlichen
Merkmalen, die es rechtfertigen können, die Arzneimittelzulassung als ausreichend auch für die Verordnungsfähigkeit im Rahmen
der gesetzlichen Krankenversicherung zu akzeptieren (BSG 27.9.2005 - B 1 KR 6/04 R, SozR 4-2500 § 31 Nr. 3; BSG 5.11.2008 - B 6 KA 63/07 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 21).
Fehlt die Verordnungsfähigkeit und wird das Arzneimittel dennoch verordnet, so ist Unwirtschaftlichkeit gegeben und dem Vertragsarzt
eine unwirtschaftliche Verordnungsweise anzulasten (BSG 5.11.2008 - B 6 KA 63/07 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 21). Das Bundessozialgericht hat auch wiederholt ausgesprochen, dass bei Fehlen der Verordnungsfähigkeit
eines Arzneimittels ein sog. Basismangel vorliegt, in dem eine vorgängige Beratung im Regelfall nicht erforderlich ist, und
hieraus gefolgert, dass die Auferlegung nur einer Beratung statt der Festsetzung eines Regresses keine ausreichende Sanktion
wäre. Nach dieser Rechtsprechung dürfen die Prüfgremien im Falle einer widerrechtlichen und systemwidrigen Behandlungsweise
dem Arzt nicht die Früchte daraus belassen. In Fällen des Fehlens der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels ist das Ermessen,
das die Ermächtigung des §
106 Abs.
5 Satz 1
SGB V bei der Auswahl einräumt, welche Maßnahmen zu treffen sind, mithin darauf reduziert, dass die Prüfgremien die im Vergleich
zur bloßen Beratung belastendere Sanktion eines Regresses wählen müssen und Ermessen nur noch bei der Festlegung der Höhe
des Regresses haben. Diese Einengung des Ermessens betrifft Fälle, die schwer wiegen und in denen deshalb eine Beratung keine
ausreichend schwere Sanktion darstellt. In allen übrigen besteht indessen regelmäßig das durch §
106 Abs.
5 Satz 1
SGB V eingeräumte Ermessen in vollem Umfang (BSG 5.11.2008 - B 6 KA 63/07 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 21; zuletzt BSG 8.12.2010 - B 6 KA 38/10 B, unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung).
In Anwendung dieser Rechtsprechung sind die vorliegend streitigen Einzelfallprüfungen und festgesetzten Arzneimittelregresse
wegen Unwirtschaftlichkeit weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht zu beanstanden.
Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass die Prüfgremien im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung in mehrfacher Hinsicht Beurteilungs-,
Schätzungs- und Ermessensspielräume haben, die dazu führen, dass die Prüfbescheide im Hinblick auf das Erfordernis fachkundiger
Beurteilung der zugrunde liegenden Gegebenheiten nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Diese beschränkt
sich auf die Prüfung, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung ein
richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die Verwaltung die durch Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs
ermittelten Grenzen eingehalten und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht und begründet hat, dass im Rahmen des
Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist. Die angestellten Erwägungen
müssen, damit sie auf ihre sachliche Richtigkeit und auf ihre Plausibilität und Vertretbarkeit hin geprüft werden können,
im Bescheid genannt werden oder jedenfalls für die Beteiligten und das Gericht erkennbar sein (vgl. BSG 30.11.1994 - 6 RKa 16/93, SozR 3-2500 § 106 Nr. 25). Diesen Anforderungen genügen die durchgeführten Verfahren und ihr Ergebnis.
Zu Recht ist der Beklagte von der Zulässigkeit der Prüfbegehren ausgegangen. Die beigeladene Krankenkasse hat jeweils im Rahmen
des ihr eingeräumten Antragsrechts, unter Beachtung der Bagatellgrenzenregelung und unter Einhaltung der Neunmonatsfrist zulässigerweise
die Prüfung der streitigen Verordnungen beantragt.
Zutreffend ist der Beklagte auch davon ausgegangen, dass das Verordnungsverhalten des Klägers in Widerspruch zum Wirtschaftlichkeitsgebot
stand. Dies folgt, soweit es die LeukoNorm-Verordnungen betrifft, schon daraus, dass der Kläger ein Arzneimittel zulasten
der beigeladenen Krankenkasse verordnet hat, welches im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnet werden
durfte.
Bei LeukoNorm handelt es sich um ein Fertigarzneimittel im Sinne von § 4 Abs. 1 AMG. Es erfüllte im Zeitpunkt der streitbefangenen Verordnungen nicht die spezifischen Anforderungen an ein zulasten der gesetzlichen
Krankenversicherung verordnungsfähiges Arzneimittel. Denn es bot nicht die Gewähr für Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit
nach Maßgabe des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse.
Zwar durfte LeukoNorm im Zeitpunkt der Verordnungen arzneimittelrechtlich in den Verkehr gebracht werden. Das beruhte jedoch
darauf, dass dies das Übergangsrecht im Zusammenhang mit dem Einigungsvertrag so vorsah. Dieses Übergangsrechts mit Zulassungsfiktion und Nachzulassungs-Status bedurfte es, um für in der DDR zugelassene
Arzneimittel bis zum Ablauf des Übergangszeitraums sicherzustellen, dass diese bis zur Erteilung einer Zulassung nach dem
AMG weiterhin zum Verkehr zugelassen sind. Während des Übergangszeitraums sollten diese Arzneimittel nach den Kriterien des AMG überprüft werden und an dessem Ende nur die Arzneimittel zugelassen sein, die den Kriterien des AMG genügen. Diese arzneimittelrechtliche Übergangsregelung, nach der die erfassten Arzneimittel als zugelassen galten, begünstigte
Arzneimittelhersteller, denen es hierdurch ermöglicht wurde, die Arzneimittel während des Nachzulassungsverfahrens weiterhin
in den Verkehr zu bringen.
Die arzneimittelrechtliche Verkehrsfähigkeit von LeukoNorm im Zeitpunkt der Verordnungen beruhte also auf arzneimittelrechtlichem
Übergangsrecht, nicht aber auf einer fundierten arzneimittelrechtlichen Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit
des Arzneimittels, für die eine Überprüfung durch Auswertung sogenannter randomisierter, doppelblind durchgeführter und placebokontrollierter
Studien vorgesehen ist (dazu BSG 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 26). Aus dieser Übergangsregelung zur arzneimittelrechtlichen Verkehrsfähigkeit ist aber nicht ohne
Weiteres der Schluss auf eine auch nur übergangsweise bestehende krankenversicherungsrechtliche Verordnungsfähigkeit zulasten
der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem
SGB V erlaubt. Denn zum einen ist der Schluss von der arzneimittelrechtlichen Verkehrsfähigkeit auf die krankenversicherungsrechtliche
Verordnungsfähigkeit ohnehin unzulässig. Zum anderen war zwar im Arzneimittelrecht - wie dargestellt - ein übergangsweiser
Bestandsschutz des Verkehrs mit in der DDR zugelassenen Arzneimitteln geschaffen worden, hatte das
SGB V aber keinen solchen oder vergleichbaren Bestandsschutz von DDR-Altarzneimitteln geschaffen, sondern an der Geltung seiner
schärferen Anspruchsvoraussetzungen uneingeschränkt festgehalten. Die vorläufige arzneimittelrechtliche Verkehrsfähigkeit
bewirkte danach nicht die krankenversicherungsrechtliche Verordnungsfähigkeit von LeukoNorm, weil die Verkehrsfähigkeit nur
auf einer übergangsrechtlichen Position beruhte, nach der es ohne hinreichend gesicherte Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit
weiterhin in den Verkehr gebracht werden durfte.
Zwar betreffen, worauf der Kläger mehrfach hingewiesen hat, die Wobe Mugos E-Entscheidungen des Bundessozialgericht (BSG 27.9.2005
- B 1 KR 6/04 R, SozR 4-2500 § 31 Nr. 3; BSG 5.11.2008 - B 6 KA 63/07 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 21), in der die hier angewendeten Maßstäbe explizit niederlegt sind, tatsächlich eine andere als die
hier vorliegende Fallkonstellation. Dort beruhte die vorläufige Verkehrsfähigkeit eines Alt-Arzneimittels auf der aufschiebenden
Wirkung der Klageerhebung eines Arzneimittelherstellers gegen die abschlägige Entscheidung der zuständigen Behörde über die
beantragte Verlängerung der Arzneimittelzulassung im Nachzulassungsverfahren und der damit einhergehenden verfahrensrechtlichen
Position, es als Alt-Arzneimittel ohne hinreichend gesicherte Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit weiterhin in Verkehr
bringen zu dürfen. Hier beruhte sie auf der übergangsrechtlichen Position im laufenden Nachzulassungsverfahren. Das aber hindert
nicht die Übertragung der vom Bundessozialgericht allgemein formulierten Maßstäbe auf die vorliegende Konstellation. Denn
in beiden Fällen bestand ein Schwebezustand zugunsten eines Arzneimittelherstellers, der bewirkte, dass die arzneimittelrechtliche
Verkehrsfähigkeit erhalten blieb. Und für beide Fälle gilt, dass diese vorläufige Verkehrsfähigkeit nach Arzneimittelrecht
nicht automatisch die Verordnungsfähigkeit nach den spezifischen Kriterien des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung
nach dem
SGB V begründete. Zudem hat das Bundessozialgericht in Anwendung seiner allgemein formulierten Maßstäbe auch deutlich gemacht,
dass für eine Schlussfolgerung von der arzneimittelrechtlichen Zulassung auf eine Verordnungsfähigkeit im Rahmen der gesetzlichen
Krankenversicherung "insbesondere" dann eine Rechtfertigung fehlt, wenn die Zulassung bzw. die Verlängerung der Zulassung
eines Arzneimittels ausdrücklich abgelehnt wurde und dieses lediglich deshalb weiterhin verkehrsfähig im Sinne des AMG war, weil die Verlängerungsversagung mangels Anordnung der Vollziehung noch nicht vollzogen wurde (BSG 5.11.2008 - B 6 KA 63/07 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 21, Rn. 22). Dies zeigt, dass die Subsumtion des vom Bundessozialgericht entschiedenen konkreten Falles
unter die allgemeinen Maßstäbe nicht die Subsumtion auch anderer Fälle unter diese Maßstäbe ausschließt. Entscheidend bleibt,
dass auch vorliegend das Arzneimittel LeukoNorm im Zeitpunkt der streitbefangenen Verordnungen nicht das Arzneimittelzulassungsverfahren
nach dem AMG mit Gewähr für Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit durchlaufen hatte und die in der DDR erteilte Zulassung nur aufgrund
Übergangsrechts im Rahmen des Einigungsvertrages behielt.
Die vom Kläger vorgenommenen Verordnungen von LeukoNorm in den streitbefangenen Quartalen waren also deshalb nicht zulässig,
weil dieses Arzneimittel in diesen Quartalen nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden durfte.
Weder bestand eine Leistungspflicht der Krankenkassen noch ein Versorgungsanspruch der Versicherten.
Fehlt aber die Verordnungsfähigkeit, so ist Unwirtschaftlichkeit gegeben (so ausdrücklich BSG 5.11.2008 - B 6 KA 63/07 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 21, Rn. 25). Dementsprechend sah der Beklagte die streitbefangenen Verordnungen von LeukoNorm zu Recht
als unwirtschaftlich an. Da dem Kläger eine unwirtschaftliche Verordnungsweise und deshalb ein sog. Basismangel anzulasten
war, war gegen ihn der vom Beklagten festgesetzte Regress berechtigt. Schon dies trägt die Entscheidungen des Beklagten, ohne
dass es insoweit auf die weiteren in ihnen oder vom Sozialgericht angestellten Erwägungen noch entscheidend ankäme.
Eine Beratung musste der Festsetzung des Regresses vorliegend nicht vorangehen. Das Erfordernis vorgängiger Beratung stellt
nach §
106 Abs.
5 Satz 2
SGB V nur eine "Soll"-Vorgabe dar, die entsprechend dem Sinn und Zweck dieser Bestimmung nicht für den Fall unzweifelhafter Unwirtschaftlichkeit
gilt, denn es kann eine Unwirtschaftlichkeit nur bejaht oder verneint werden. Dies gilt auch bei Regressen aufgrund von Einzelfallprüfungen,
wenn schon die Verordnungsfähigkeit fehlt ("Basismangel" im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts: BSG 5.11.2008
- B 6 KA 63/07 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 21, BSG, 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 26). Auf ein Verschulden oder das Erfordernis eines Erkennenkönnens der fehlenden Verordnungsfähigkeit
kommt es vorliegend nicht an. Ob der Kläger die Verordnungen gutgläubig vornahm, ist rechtlich ohne Bedeutung. Ein Verschuldenserfordernis
besteht im Rahmen von Verordnungsregressen im Rahmen des Rechtsinstituts der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach §
106 SGB V nicht (BSG 5.11.2008 - B 6 KA 63/07 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 21, unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung).
Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, dass hier die fehlende Verordnungsfähigkeit zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung
im jeweiligen Verordnungszeitpunkt offenkundig und für jeden Vertragsarzt erkennbar war. Zwar gab es Stimmen in der medizinischen
Wissenschaft, welche die Gabe von LeukoNorm im Rahmen der IVF- bzw. ICSI-Behandlung befürworteten. Dies belegt etwa die vom
Kläger im Prüf- und Klageverfahren mehrfach vorgelegte Veröffentlichung von Würfel/Fiedler/Krüssmann/Smolka/von Hertwig zur
"Verbesserung der Behandlungsergebnisse durch LeukoNorm Cytochemia® bei Patientinnen mit mehrfachen, frustranen IVF- oder
ICSI-Behandlungszyklen" im Zentralblatt für Gynäkologie 2001, 361. Bereits dieser Veröffentlichung ist aber zu entnehmen,
dass die LeukoNorm-Gabe sich nicht auf hinreichende Belege aus validen Studien stützen konnte. Denn die dort berichteten Studien
waren die ersten publizierten überhaupt, zeichneten sich durch ein geringes Patientengut aus (Studie 1 mit zehn und Studie
2 mit 30 Patientinnen; Studie 3 mit 20 Patientinnen dauerte noch an) und waren nicht placebokontrolliert. Schließlich wird
auf das Erfordernis weiterer Studien auch in dieser vom Kläger selbst in das Verfahren eingeführten Veröffentlichung hingewiesen,
da sich bislang nur eine gewisse Tendenz habe erkennen lassen, wonach LeukoNorm einen positiven Einfluss auf die behandelten
Patientinnen besitze. Zudem fand diese Veröffentlichung bereits früh in einem redaktionellen Beitrag in der Zeitschrift arznei-telegramm
2002, 23, deutliche Kritik. Denn die von Würfel et. al. vorgestellte Studie, die die einzige aufzufindende kontrollierte Studie
sei, sei wegen methodischer Mängel, wie Pseudorandomisierung, fehlende Fallzahlberechnung und fehlende statistische Auswertung,
ohne Aussagekraft.
Die Teil des den Vertragsarzt bindenden Vertragswerks bildenden Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen
über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien) bestimmten demgegenüber
in den streitbefangenen Quartalen insoweit in Abschnitt D. (Allgemeine Verordnungsmöglichkeiten auf der Grundlage von §
2 Abs.
1 Satz 3, §§
12,
70 SGB V), dass für die Verordnung von Arzneimitteln der therapeutische Nutzen gewichtiger ist als die Kosten (Nr. 12) und der Vertragsarzt
Arzneimittel mit nicht ausreichend gesichertem therapeutischen Nutzen nicht verordnen darf (Nr. 13). Therapeutischer Nutzen
setzte nach Nr. 13 eine Nutzen-Risiko-Abwägung mit günstigem Ergebnis voraus. Er war definiert mit einem nach dem allgemein
anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse relevanten Ausmaß der Wirksamkeit bei einer definierten Indikation.
Allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse aber entsprach der Einsatz von LeukoNorm im Rahmen der IVF- bzw.
ICSI-Behandlung schon ausweislich der genannten, vom Kläger selbst vorgelegten Veröffentlichung gerade nicht. Etwas anderes
ergibt sich auch nicht aus dem mehrfach in das Verfahren eingeführten Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 16. Juni 2003
(S 11 KR 736/03 ER) und den ebenfalls mehrfach eingeführten Entscheidungen anderer Prüfgremien. Zwar heißt es dort, LeukoNorm sei verkehrsfähig
und könne deshalb zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden. Jedoch ist schon mit Blick auf die Entscheidung
des Bundessozialgerichts vom 23. Juli 1998 (B 1 KR 19/96 R, SozR 3-2500 § 31 Nr. 5) fraglich gewesen, ob diese Sicht seinerzeit rechtlich zutreffend war. Spätestens nachdem das Bundessozialgericht
seine im Urteil vom 23. Juli 1998 begründete Rechtsprechung zu den Arzneitherapien durch die Entscheidung vom 28. März 2000
(B 1 KR 11/98 R, SozR 3-2500 § 135 Nr. 14, Rn. 16) bestätigt hatte, konnte kein Vertragsarzt mit Blick auf die Arzneimittel-Richtlinien mehr
davon ausgehen, dass LeukoNorm ohne Weiteres in der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig ist. Jedenfalls seither
hat es für einen Vertragsarzt erkennbar keine hinreichende Sicherheit mehr gegeben, nach eigener Einschätzung Verordnungen
mit Blick auf nicht aufgrund arzneimittelrechtlicher Prüfungen von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit zugelassener
Arzneimittel ausstellen zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, insoweit in Regress genommen zu werden (vgl. zur Situation bei Off-Label-Use-Verordnungen
BSG 5.5.2010 - B 6 KA 6/09 R, juris).
In einer solchen Situation war der Vertragsarzt gehalten, bei den für ihn zuständigen vertragsärztlichen Prüfgremien anzufragen
oder eine Vorab-Prüfung der betroffenen Krankenkasse zu veranlassen, ob die Verordnung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung
erfolgen kann. Keinesfalls reichte hierfür die vom Kläger vorgelegte Information des Bundesverbandes Reproduktionsmedizinischer
Zentren Deutschlands e. V. an seine Mitglieder, nach dem Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 16. Juni 2003 sei die Verordnung
von LeukoNorm innerhalb der zugelassenen Indikationen auch in der vertragsärztlichen Versorgung rechtens. Alternativ hätte
den Patientinnen auch ein Privatrezept ausgestellt und es diesen überlassen werden können, sich bei ihrer Krankenkasse um
Kostenerstattung zu bemühen. Durch die Ausstellung der Verordnungen zulasten der beigeladenen Krankenkasse und die Einlösung
der Rezepte aber war die Krankenkasse auf den Regress verwiesen. Denn wenn ein Vertragsarzt Verordnungen ohne gesicherten
Nachweis von Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels ausstellt, muss zwingend nachträglich geprüft werden dürfen, ob die
jeweilige Verordnung den Regeln des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Wenn der Vertragsarzt davon absieht,
in solchen Fällen die Krankenkasse vor Ausstellung der Verordnung einzuschalten, muss er hinnehmen, dass die Einhaltung der
Vorgaben der vertragsärztlichen Versorgung im Nachhinein geprüft wird, und übernimmt er in einem solchen Fall das Risiko,
dass im Nachhinein eine Leistungspflicht der Krankenkasse verneint wird (vgl. BSG v. 31.05.2006 - B 6 KA 53/05 B, MedR 2007, 557; BSG 5.5.2010 - B 6 KA 6/09 R, juris; zuletzt BSG 13.10.2010 - B 6 KA 48/09 R).
Zu einer Ermessensausübung durch den Beklagten im Sinne der Prüfung, ob ein Regress festgesetzt wird oder unterbleiben kann,
war bei den Verordnungsregressen im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach §
106 SGB V mithin kein Raum. Denn weil die Frage der Unwirtschaftlichkeit einer Verordnungsweise regelmäßig nur bejaht oder verneint
werden kann, kommt insoweit allein die Ausübung von Ermessen hinsichtlich der Höhe des Regresses im Sinne eines Kürzungsermessens
in Betracht. Doch ist vorliegend kein Grund ersichtlich, mit den Regressen lediglich einen Teil der Unwirtschaftlichkeit abzuschöpfen.
Das kann nur in anders gelagerten Fällen in Betracht kommen, z. B. im Rahmen eines Regresses aufgrund einer sog. Durchschnittsprüfung
bei insgesamt deutlich höherem Verordnungsvolumen als im Durchschnitt der Arztgruppe und bzw. oder bei einer Anfängerpraxis,
evtl. auch bei der Belassung von Restüberschreitungen (BSG 5.11.2008 - B 6 KA 63/07 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 21; BSG 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 26).
Vertrauensschutz steht dem Kläger nicht zur Seite. Es hat eben nicht erst das Urteil des 1. Senats des Bundessozialgerichts
vom 27. September 2005 den Zusammenhang zwischen arzneimittelrechtlicher Verkehrsfähigkeit und Verordnungsfähigkeit im Rahmen
der gesetzlichen Krankenversicherung relativiert und so Zweifel an der Verordnungsfähigkeit von LeukoNorm begründen können.
Vielmehr hat ein strikter Zusammenhang zwischen arzneimittelrechtlicher Verkehrsfähigkeit und Verordnungsfähigkeit im Rahmen
der gesetzlichen Krankenversicherung niemals bestanden (BSG 5.11.2008 - B 6 KA 63/07 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 21). Der Kläger hat dafür, dass er auf einen solchen Zusammenhang habe vertrauen dürfen und vertraut
habe, auch keine entsprechenden schriftlichen Verlautbarungen der beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung oder der für ihn
zuständigen vertragsärztlichen Prüfgremien oder der beigeladenen Krankenkasse anführen können. Zudem ergibt sich schon aus
dem Sinngefüge des
SGB V, dass nur solche Behandlungen und Verordnungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung gestattet sind, bei denen aufgrund
eingehender Prüfung die Gewähr von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit besteht. In diesem Sinne haben auch bereits
vor den hier streitbefangenen Quartalen Gerichte entschieden, auch zweitinstanzlich, so z. B. das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz
in einem Urteil von 1998 unter Anwendung der vom Bundessozialgericht formulierten Grundsätze (BSG 23.7.1998 - B 1 KR 19/96 R, SozR 3-2500 § 31 Nr. 5) in einem konkreten Fall (LSG Rheinland-Pfalz 22.10.1998 - L 5 K 22/97, juris). Zwar war diese Rechtsprechung nicht einhellig (vgl. dazu BSG 5.11.2008 - B 6 KA 63/07 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 21, Rn. 30). Bei einer solchen Lage, in der unterschiedliche Ansichten vertreten wurden, gab es aber
keine tragfähige Grundlage für die Bildung eines Vertrauenstatbestandes in dem vom Kläger geltend gemachten Sinn. Von vornherein
als belastbare Vertrauensgrundlage nicht in Betracht kam das Schreiben des Herstellers von LeukoNorm, der C. AG, in dem dieser
dem Kläger garantierte, "dass Sie bei der Verordnung von LeukoNorm C.® im Rahmen der zugelassenen Indikation und der Fachinformation
keine Nachteile haben werden." Der Hersteller ist gewiss nicht der, der dem Vertragsarzt Garantien zur Verordnungsfähigkeit
von Arzneimitteln zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung geben kann. Und auch der Bundesverband Reproduktionsmedizinischer
Zentren Deutschlands e. V., der ein Interessenverband ist, konnte mit seinen Auskünften, auf die der Kläger hingewiesen hat,
nicht einen zu beachtenden Vertrauensschutztatbestand begründen. Wollte der Kläger sich Gewissheit verschaffen, hätte er sich
vor den Verordnungen an die für ihn zuständigen Prüfgremien und die betroffene Krankenkasse wenden müssen; dann auch wäre
schnell deutlich geworden, dass dort die Frage der Verordnungsfähigkeit von LeukoNorm anders gesehen wurde.
Inwieweit nach der bereits vorstehend umfänglich vorgenommenen Prüfung noch Raum für eine Heranziehung auch des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
sein kann, hat das Bundessozialgericht offen gelassen (BSG 5.11.2008 - B 6 KA 63/07 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 21). Selbst wenn man hierfür aber Raum sähe, könnte dies nicht zu einem Erfolg für den Kläger führen.
Denn mit LeukoNorm ist ein Arzneimittel betroffen, bei dem Zweifel an der Verordnungsfähigkeit auf der Hand lagen, besaß es
doch nur eine fiktive Zulassung, ohne dass eine fundierte Überprüfung der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit in einem
Zulassungsverfahren stattgefunden hatte, war dem Arzneimittel auch nach jahrelangem Nachzulassungsverfahren im Zeitpunkt seiner
Verordnung durch den Kläger noch keine Zulassung nach dem AMG erteilt worden und war die Studienlage zu seiner Anwendung bei immunologisch bedingten, mehrfachen, frustranen IVF- oder
ICSI-Behandlungen ausgesprochen dünn. Dass es mit Blick auf LeukoNorm bundesweit eine uneinheitliche Praxis der Prüfgremien
und auch gerichtliche Entscheidungen gab, die seine Verordnungsfähigkeit annahmen (SG Freiburg 16.6.2003 - S 11 KR 736/03 ER), führt nicht zur Unverhältnismäßigkeit der gegenüber dem Kläger festgesetzten Regresse. Denn dieser Gesichtspunkt hat
Eingang bereits in die Vertrauensschutzprüfung gefunden.
Schließlich ist ein dem Kläger günstigeres Ergebnis auch nicht mit Blick auf die Grundsätze des Off-Label-Use und des Bundesverfassungsgerichts
in seiner Entscheidung vom 6. Dezember 2005 (BVerfGE 115, 25) veranlasst. Ein die Indikationen der fiktiven Zulassung überschreitender Einsatz des Arzneimittels LeukoNorm steht vorliegend
nicht im Raum, sondern will der Kläger das Arzneimittel ja gerade indikationsgerecht verordnet haben. Nur liegt der Fehlschluss
von der Verkehrsfähigkeit auf die Verordnungsfähigkeit vor. Und um lebensbedrohliche Erkrankungen im Sinne der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts ging es vorliegend mit der vorgetragenen Behandlung von Immunstörungen zur Unterstützung künstlicher
Befruchtungen auch von vornherein nicht.
Anlass zur Festsetzung eines Regresses gab der Kläger vorliegend auch mit Blick auf die Verordnung fertilitäts- und stimulationsfördernder
Arzneimittel - nicht LeukoNorm - für über 40jährige Versicherte. Dies betrifft die Verordnungen des Klägers im Quartal I/2003
für N. S1 und in den Quartalen III/2003 und IV/2003 für S3 Y ... Diese Verordnungen betrafen stimulierende Arzneimittel zur
künstlichen Befruchtung. Der krankenversicherungsrechtliche Anspruch auf Leistungen der künstlichen Befruchtung aber ist begrenzt.
Nach §
27a Abs.
4 SGB V bestimmt der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in den Richtlinien nach §
92 SGB V auch über die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen der Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung. In Nr. 9 der in den
streitbefangenen Quartalen geltenden Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über ärztliche Maßnahmen
zur künstlichen Befruchtung vom 14. August 1990 war bestimmt, dass Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung bei Frauen, die das
40. Lebensjahr vollendet haben, nicht durchgeführt werden sollen. Ausnahmen waren nach dieser Bestimmung nur zulässig bei
Frauen, die das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und sofern die Krankenkasse nach gutachterlicher Beurteilung der
Erfolgsaussichten eine Genehmigung erteilt hat.
Danach waren die Verordnungen gegenüber N. S1 von vornherein unzulässig und zu regressieren, da diese im Verordnungszeitpunkt
bereits 46 Jahre alt war. Unzulässig aber waren auch die Verordnungen gegenüber der 41jährigen S3 Y., da diesen keine Genehmigung
der Krankenkasse nach gutachterlicher Beurteilung der Erfolgsaussichten zugrunde lag.
Soweit der Kläger vorgetragen hat, der im Verordnungszeitpunkt 46jährigen Versicherten N. S1 seien andere Arzneimittel als
LeukoNorm verordnet worden, weil bei ihr im Anschluss an eine im Ausland durchgeführte Kinderwunschbehandlung eine Risikoschwangerschaft
bestanden habe, ändert dies an der sachlichen Rechtfertigung des Regresses nichts. Denn auch so begründete Verordnungen eine
Frühgravidität unterstützender Arzneimittel erfolgten im Zusammenhang mit einer künstlichen Befruchtung, mag diese selbst
auch nicht vom Kläger verantwortet worden sein. Auch insoweit gelten daher die dargestellten Begrenzungen des Leistungsanspruchs
auf ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung. Dabei ist in Rechnung zu stellen auch, dass die Verordnungen nicht durch
die die Versicherte N. S1 behandelnde Gynäkologin (Frau Dr. T.) im Rahmen der Begleitung einer Schwangerschaft, sondern durch
den reproduktionsmedizinisch tätigen Kläger erfolgten, und sie Arzneimittel betrafen, die typischerweise im Rahmen von Kinderwunschbehandlungen
eingesetzt werden (vgl. die Verordnungen von Estradot und Utrogest auch für S3 Y., bei der der Kläger selbst die Kinderwunschbehandlung
durchführte).
Die Regresse waren in Höhe des der beigeladenen Krankenkasse entstandenen Schadens festzusetzen. Denn der verschuldensunabhängige
Schadensersatzanspruch der Krankenkasse gegen einen Vertragsarzt wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen beruht im Kern
darauf, dass die Krankenkasse einen Ausgleich für die Bezahlung von Medikamenten erhält, die sie bei korrektem Verhalten des
Arztes nicht hätte finanzieren müssen (BSG 5.5.2010 - B 6 KA 6/09 R, juris). Mängel insoweit sind nicht ersichtlich. Jeweils hat der Beklagte zu berücksichtigende Rabatte und Patienteneigenanteile
abgezogen und nur die Nettobeträge festgesetzt. Eine Kürzung der Regresse im Ermessenswege war gegenüber dem Kläger, der nicht
eine Anfängerpraxis, sondern ein seit Jahren eingeführtes Kinderwunschzentrum betrieb, nicht veranlasst.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit §
154 Abs.
2 der
Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) und hat der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil diese keinen eigenen Antrag gestellt haben (vgl. §
162 Abs.
3 VwGO).
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG nicht vorliegen.