Sozialversicherungspflicht; abhängige Beschäftigung eines LKW-Fahrers; Abgrenzung zur selbständigen Tätigkeit
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger im Juni 2003 bei der Beigeladenen als Lkw-Fahrer abhängig beschäftigt
war.
Am 30. Juni 2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten zu prüfen, ob er "unter die Scheinselbstständigkeit falle". Er sei
zu ca. 80 % als Heilpraktiker tätig. Die restliche Zeit fahre er für die Spedition R. in L ... Er sei privat renten- und krankenversichert.
Mit Bescheid vom 6. September 2000 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger als Heilpraktiker selbstständig tätig sei und
nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliege.
Im Jahr 2003 führte die Beklagte bei der Firma R. eine Betriebsprüfung durch und stellte fest, dass der Kläger für diese Firma
tätig ist. Am 11. Juli 2003 faxte der Kläger der Beklagten seinen Antrag vom 30. Juni 2000 mit dem Vermerk "Achtung! Betriebsprüfung".
In dem ihm daraufhin übersandten Fragebogen führte er unter dem 25. Juli 2003 aus, dass er jeweils nach kurzfristiger Absprache
Sammelgüter transportiere. Mit Schreiben vom 12. August 2003 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Betriebsprüfung
bei der Firma R. gegenüber einer Statusfeststellung Vorrang habe. Der Kläger übersandte der Beklagten Rechnungen gegenüber
der Firma R. sowie der Beigeladenen (Rechnung vom 31. Juli 2003, Bl. 23 d. BA). In dem Betriebsprüfungsverfahren gegenüber
der Firma R. forderte die Beklagte mit Bescheid vom 4. Februar 2004 vom Inhaber der Firma Beiträge nach für die abhängige
Beschäftigung des Klägers. Mit Bescheiden vom 25. Februar 2004 gegenüber dem Kläger, der Firma R. und der Beigeladenen stellte
die Beklagte fest, dass der Kläger abhängig beschäftigt sei - für die Firma R. seit dem 30. September 1997, für die Beigeladene
im Jahr 2003.
Auf den hiergegen vom Kläger erhobenen Widerspruch nahm die Beklagte mit Teilabhilfebescheid den Bescheid vom 25. Februar
2004 hinsichtlich der Tätigkeit des Klägers für die Firma R. zurück. Der aufgrund des Betriebsprüfungsverfahrens erlassene
Bescheid vom 4. Februar 2004 sei bereits bindend geworden.
Hinsichtlich der Beschäftigung des Klägers bei der Beigeladenen wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid
vom 2. November 2004 zurück. Der Kläger sei vom 10. bis 31. Juli 2003 bei der Beigeladenen abhängig beschäftigt gewesen.
Gegen den Bescheid vom 4. Februar 2004 legte der Kläger mit Schreiben vom 17. November 2004 und 8. März 2005 Widerspruch ein.
Am 18. November 2004 hat der Kläger beim Sozialgericht Gießen Klage erhoben. Er sei hauptberuflich Heilpraktiker. Die Nebentätigkeit
als Kraftfahrer habe er zunächst von 1996 bis 2003 bei der Firma R. und - als diese ihm keine Aufträge mehr gegeben habe -
für die Beigeladene als Selbstständiger ausgeübt.
Mit Schreiben vom 23. Mai 2005 hat der Kläger Widerspruch gegen den Teilabhilfebescheid vom 21. Juli 2004 eingelegt. Den Widerspruch
hat die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. April 2005 als unbegründet zurückgewiesen. Mit Schreiben vom 10. Mai 2005
hat der Kläger seine Klage auf diesen Widerspruchsbescheid erweitert.
Mit Urteil vom 4. September 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Hinsichtlich der Firma R. habe die Beklagte zu
Recht mit Teilabhilfebescheid vom 21. Juli 2004 festgestellt, dass nach Durchführung einer Betriebsprüfung kein Raum mehr
für die Einleitung eines Statusfeststellungsverfahrens sei. In Bezug auf die Tätigkeit des Klägers für die Beigeladene hat
das Sozialgericht ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis bejaht. Der Kläger habe kein eigenes Fahrzeug eingesetzt, keine
Unternehmerhaftpflicht abgeschlossen und somit keinerlei Kapitaleinsatz gehabt. Er sei in den fraglichen drei Wochen ausschließlich
für die Beigeladene tätig gewesen und zwar in einem Umfang von 111 Stunden. Die Möglichkeit, für einen anderen Auftraggeber
tätig zu sein, sei eine rein theoretische gewesen. Eine unternehmerische Marktpositionierung des Klägers sei nicht erkennbar.
Auf seiner Homepage finde sich kein Hinweis auf seine Tätigkeit als Lkw-Fahrer. Auch sonst habe er für diese Tätigkeit keine
Werbung betrieben. Die Vergütung von 15 EUR pro Stunde sei kein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit. Schließlich habe
der Kläger auch keine Unternehmer-Haftpflichtversicherung abgeschlossen.
Der Kläger hat gegen das ihm am 4. Oktober 2006 zugestellte Urteil am 23. Oktober 2006 vor dem Hessischen Landessozialgericht
Berufung eingelegt. Der Einsatz von Kapital sei nicht maßgeblich für die Einstufung einer selbstständigen Tätigkeit. Ferner
sei er nicht in den Betrieb der Beigeladenen eingegliedert gewesen. Er habe immer selbst entscheiden können, ob er eine Fahrt
durchführe. Damit habe die Beigeladene nicht über seine Arbeitszeit verfügen können. Ferner liege es in seiner unternehmerischen
Entscheidungsfreiheit, auf eine Betriebshaftversicherung sowie auf Werbung zu verzichten.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 25. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2004 in Abänderung
des Urteils des Sozialgerichts Gießen vom 4. September 2006 aufzuheben und festzustellen, dass er während seiner Tätigkeit
bei der Beigeladenen nicht als abhängig Beschäftigter tätig gewesen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin anstelle des Senats sowie ohne
mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte durch die Berichterstatterin und ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit
einverstanden erklärt haben, §§
153 Abs.
1,
124 Abs.
2 und
155 Abs.
3 und
4 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG).
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die Beklagte zutreffend ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis des
Klägers bei der Beigeladenen festgestellt hat.
Gemäß §
7a Abs.
1 Satz 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuchs (
SGB IV) können die Beteiligten eine Entscheidung über den Beschäftigungsstatus beantragen, solange die Einzugsstelle oder ein anderer
Versicherungsträger zum Zeitpunkt der Antragstellung noch kein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet
hat. Hinsichtlich der Tätigkeit des Klägers für die Beigeladene war ein solches Verfahren zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht
anhängig. Die Entscheidung nach §
7a Abs.
2 SGB IV erfolgt aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls.
Nach §
7 Abs.
1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung
sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich
abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert
ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese
Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt sein. Demgegenüber ist eine selbstständige
Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit
über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig
beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der
Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben letztere den Ausschlag (BSG, Urteil
vom 22. Juni 2005 - B 12 KR 28/03 R = SozR 4-2400 § 7 Nr. 5 m.w.N.; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom
20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96 -). Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich
zulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2005, aaO.).
Mangels schriftlicher Vertragsvereinbarung zwischen dem Kläger und der Beigeladenen ist die Beurteilung der Tätigkeit des
Klägers nach der zwischen ihnen praktizierten Beziehung zu berücksichtigen.
Die Tätigkeit als Lkw-Fahrer kann zwar sowohl im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses (vgl. allg. hierzu BSG,
Urteil vom 19. August 2003 - B 2 U 38/02 R = SozR 4-2700 § 2 Nr. 1 und Urteil vom 22. Juni 2005, aaO.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. November 2008 - L 4 KR 4098/06 - juris - m.w.N.; Hess. LSG, Urteile vom 18. September 2003 - L 14 KR 360/02 und 13. Juli 2006 - L 8/14 KR 369/04) als auch im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses als selbstständige Tätigkeit (vgl. zu Fahrertätigkeiten BSG,
Urteil vom 27. November 1980 - 8a RU 26/80 = SozSich 1981, 220; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13. September 2007 - L 5 R 5/06 - juris; Bayerisches LSG, Urteil vom 17. November 2006 - L 5 KR 293/05 - juris; zu Flugzeugführern BSG, Urteil vom 28. Mai 2008 - B 12 KR 13/07 R = SGb 2008, 401) ausgeübt werden. Vorliegend überwiegen allerdings die Merkmale, die für eine abhängige Beschäftigung sprechen.
Der Kläger trug im Rahmen seiner Tätigkeit für die Beigeladene kein Unternehmerrisiko und erfüllte damit gerade dieses Kriterium
nicht, das im Regelfall maßgeblich für eine selbstständige Tätigkeit spricht. Wesentliches Kriterium für ein Unternehmerrisiko
ist, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch unter Gefahr des Verlustes eingesetzt wird und der Erfolg des Einsatzes
der sächlichen und persönlichen Mittel ungewiss ist (vgl. BSG, Urteil vom 28. Mai 2008, aaO.).
Der Kläger setzte nur seine Arbeitskraft ein. Er stellte keine Arbeitsmittel mit der ungewissen Aussicht darauf, Einnahmen
zu erzielen, zur Verfügung. Anders als bei einem Unternehmer regelmäßig der Fall, bot der Kläger mithin neben seiner Arbeitskraft
nicht den Einsatz an Sachmitteln, sondern nur - wie andere abhängig Beschäftigte auch - seine Arbeitskraft an. Die Belastung
mit Risiken gerade im Zusammenhang mit der Verwertung der Arbeitskraft spricht jedoch nur dann für Selbstständigkeit, wenn
ihr auch eine größere Freiheit bei der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs des Einsatzes der eigenen Arbeitskraft gegenüber
steht (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juni 1998 - B 12 KR 5/97 R = SozR 3-2400 § 7 Nr. 13 m.w.N.). Dies war hier aber nicht der Fall.
Insbesondere kann der Kläger nicht erfolgreich einwenden, es habe keine persönliche Abhängigkeit, und kein umfassendes Weisungsrecht
der Beigeladenen hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung und auch keine Eingliederung in den Betrieb der Beigeladenen
gegeben. Für eine Einbindung in den Betrieb spricht bereits die Tatsache, dass der Kläger nicht mit einem eigenen Lastkraftwagen
tätig geworden ist. Hierdurch war die Verfügungsmöglichkeit des Klägers über seine eigene Arbeitskraft deutlich eingeschränkt.
Die Möglichkeit, Aufträge anzunehmen oder abzulehnen, gilt zwar grundsätzlich als Indiz für das Vorliegen einer selbstständigen
Tätigkeit. Doch sind auch im Rahmen abhängiger Beschäftigungsverhältnisse Vertragsgestaltungen nicht unüblich, die es weitgehend
dem Arbeitnehmer überlassen, ob er im Anforderungsfall tätig werden will oder ob er ein konkretes Angebot ablehnt. Denn auch
in solchen Fällen, in denen auf Abruf oder in Vertretungssituationen beispielsweise wegen Erkrankung ständiger Mitarbeiter
lediglich im Bedarfsfall auf bestimmte Kräfte zurückgegriffen wird, kann dem Arbeitnehmer die Möglichkeit eingeräumt sein,
ein konkretes Arbeitsangebot abzulehnen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Februar 2008, aaO.). Nimmt der Betroffene
das Angebot jedoch an, übt er die Tätigkeit in persönlicher Abhängigkeit in einem fremden Betrieb und damit im Rahmen einer
abhängigen Beschäftigung aus und wird nicht allein wegen der grundsätzlich bestehenden Ablehnungsmöglichkeit zum selbstständig
Tätigen.
Ferner erhielt der Kläger als Gegenleistung für seine Tätigkeit einen festen Stundensatz bzw. eine feste Pauschale entsprechend
seinem Zeitaufwand. Dabei ist ein fester Stundenlohn von 15 EUR keine untypische Entlohnung eines abhängigen Beschäftigten.
Im Ergebnis stellt sich die Vergütung mithin als Lohnzahlung dar (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 19. August 2003, aaO.; LSG Baden-Württemberg,
Urteil vom 21. Februar 2008, aaO.).
Dass der Kläger für seine Fahrten eine Rechnung mit ausgewiesener Mehrwertsteuer ausstellte, kann ebenfalls nicht als wesentliches
Indiz für eine selbstständige Tätigkeit herangezogen werden. Da offensichtlich keine dauerhafte Anstellung beabsichtigt war,
oblag es dem Kläger, eine entsprechende Rechnung zu stellen, um die von ihm erbrachten Arbeitsleistungen geltend zu machen.
Diese Rechnung wies folgerichtig gegenüber dem Auftraggeber die Mehrwertsteuer aus. Für die Statusfeststellung kann dies allenfalls
nachrangig von Bedeutung sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.