Zulässigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs der Entziehung einer vertragsärztlichen Zulassung wegen Alkoholabhängigkeit
im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
I
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Entziehung seiner Zulassung als Vertragsarzt.
Der 1963 geborene Antragsteller ist Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Nephrologie und seit April 1999 zur Teilnahme
an der vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er ist in einer nephrologischen Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) mit Dialysebetrieb
in F. niedergelassen.
Im Juli 2005 erließ das Amtsgericht (AG) G. (rechtskräftig) einen Strafbefehl gegen den Antragsteller, weil dieser mit einem
Blutalkoholgehalt von mindestens 1,39 ‰ im Straßenverkehr ein Fahrzeug geführt hatte. Nachdem es im Jahr 2009 wiederholt (zum
Teil anonyme) Hinweise von Patienten und Praxismitarbeitern darauf gegeben hatte, dass der Antragsteller während des Dienstes
angetrunken gewesen sein soll, nahm die Leiterin des Gesundheitsamts des Landkreises F. am 18. Juli 2009 einen Alkoholtest
bei dem in seiner Praxis arbeitenden Antragsteller vor, der im Atem einen Blutalkoholgehalt von 2,02 ‰ ergab. Auf Aufforderung
des Niedersächsischen Zweckverbands zur Approbationserteilung (NiZzA) ließ sich der Antragsteller fachärztlich-psychiatrisch
untersuchen. Das daraufhin erstellte Gutachten des Facharztes für Psychiatrie H. ergab die Diagnose des Alkoholmissbrauchs
bei gleichzeitigem Verdacht auf eine Alkoholabhängigkeit. Auf Anordnung des NiZzA ließ sich der Antragsteller in der Folgezeit
ambulant psychotherapeutisch behandeln und stellte sich laborchemischen Kontrolluntersuchungen im Gesundheitsamt F ... Letztere
ergaben eine über ein Jahr dauernde Alkoholabstinenz (Bericht des Gesundheitsamts vom 25. August 2010).
Am 7. Dezember 2012 wurde er frühmorgens im Landkreis I. mit einem Blutalkoholgehalt von mindestens 2,38 ‰ in seinem Kraftfahrzeug
angetroffen (rechtskräftiger Strafbefehl des AG I. vom Februar 2012). Auf erneute Initiative des NiZzA wurde ein Sachverständigengutachten
des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie J. (vom 4. September 2013) eingeholt, der nach Untersuchung des Antragstellers
zum Ergebnis kam, dieser habe den Alkoholkonsum wieder aufgenommen und dies sei mit hoher Wahrscheinlichkeit Zeichen einer
nicht überwundenen Alkoholabhängigkeit. Die von Mitte November 2013 bis April 2014 durchgeführten laborchemischen Kontrolluntersuchungen
von Blut und Urin in Hinblick auf die für vorangegangenen Alkoholkonsum sprechenden Parameter CDT bzw ETG und ETS ergaben
schwankende Werte. Die Kontrolluntersuchung am 20. Mai 2014 ergab schließlich wieder Messwerte, die weit über der Norm lagen.
Mit Bescheid vom 19. Juni 2014 ordnete der NiZzA daraufhin das Ruhen der Approbation als Arzt an. Hiergegen erhob der Antragsteller
Klage vor dem Verwaltungsgericht (VG) K ...
Mit Beschluss vom 25. Februar 2015 entzog der Zulassungsausschuss K. für die Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit dem
Antragsteller die Zulassung als Vertragsarzt und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Entscheidung an. Gegen diese ihm
am 24. März 2015 zugestellte Entscheidung legte der Antragsteller am 20. April 2015 Widerspruch ein.
Am 28. April 2015 hat er außerdem vor dem Sozialgericht (SG) Hannover beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs wiederherzustellen. Zur Begründung hat er darauf hingewiesen,
dass er sich nach der Anordnung des Ruhens seiner Approbation weiterhin zu Urin- und Blutuntersuchungen beim Gesundheitsamt
F. eingefunden habe und sich die CDT-Werte zuletzt im Normbereich befunden hätten. Außerdem habe er sich im Dezember 2014
in stationäre Therapie in der L. in M. befunden, wo er vollständig entgiftet und in deutlich stabilisiertem Zustand entlassen
worden sei (auszugsweise vorgelegter Entlassungsbericht vom 23. Januar 2015). Dem Beschluss des Zulassungsausschusses liege
eine fehlerhafte Sachverhaltsermittlung zugrunde, wobei insbesondere die Gesichtspunkte nicht berücksichtigt worden seien,
die nach Auffassung des NiZzA gegen einen Approbationsentzug und eine Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Ruhensanordnung
gesprochen hätten. Außerdem habe der Ausschuss keine Berichte über ambulante und stationäre psychotherapeutische Behandlungen
angefordert und die aktuellen Laborwerte nicht gewürdigt. Diese zeigten, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Entscheidung
des Zulassungsausschusses nicht zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ungeeignet gewesen sei. Zudem habe er sich
entsprechend der Anregung des NiZzA in eine stationäre Entgiftungsbehandlung begeben. Als milderes Mittel hätte der Ausschuss
außerdem ein zeitlich befristetes Ruhen der Zulassung anordnen können. Zumindest im Rahmen der Interessenabwägung hätte der
Zulassungsausschuss sein Verhalten entsprechend den Auflagen des NiZzA berücksichtigen müssen, ferner den Umstand, dass keine
einzige konkrete Gefährdung von Patienten benannt werden könne und den Umstand, dass die aktuellen Laboruntersuchungen seine
Abstinenz belegen würden.
Mit Beschluss vom 1. Juli 2015 hat der Antragsgegner den Widerspruch des Antragstellers zurückgewiesen, diesem die Zulassung
zur vertragsärztlichen Versorgung entzogen und die sofortige Vollziehung angeordnet. Aufgrund des Sachverständigengutachtens
von J., der Blut- und Urinuntersuchungen von Mitte November 2013 bis Mitte 2014 sowie der Epikrise der L. stehe fest, dass
der Antragsteller alkoholabhängig und deshalb nicht nur vorübergehend unfähig sei, die vertragsärztliche Tätigkeit ordnungsgemäß
auszuüben. Mildere Mittel, wie etwa die Anordnung des Ruhens der Zulassung, kämen nicht in Betracht. Aufgrund des gewichtigen
Gefährdungspotentials der Patienten sei die Anordnung des Sofortvollzugs unumgänglich, um diese vor einem nicht geeigneten
Arzt zu schützen.
Der Antragsteller hat gegen den ihn am 10. August 2015 zugestellten Beschluss am 25. August 2015 Klage vor dem SG Hannover
erhoben und nunmehr beantragt, die aufschiebende Wirkung dieser Klage wiederherzustellen. Außerdem hat er einen Vergleich
vom 12. August 2015 vorgelegt, der in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren über die Anordnung des Ruhens der Approbation
geschlossen worden ist. Darin hat er sich verpflichtet, bis zum 31. März 2016 durch das Gesundheitsamt F. in unregelmäßigen
Abständen auf kurzfristige Einladungen hin Kontrolluntersuchungen zum Nachweis einer stabilen und dauerhaften Alkoholabstinenz
vornehmen zu lassen, sich einer ambulanten suchttherapeutischen Behandlung zu unterziehen und regelmäßige Berichte des Suchttherapeuten
dem NiZzA zukommen zu lassen sowie regelmäßig an einer Selbsthilfegruppe teilzunehmen; die Approbationsbehörde hat sich verpflichtet,
ihren Ruhensbescheid bei Einhaltung der vom Antragsteller übernommenen Verpflichtungen unverzüglich nach dem 31. März 2016
aufzuheben.
Mit Beschluss vom 11. September 2015 hat das SG Hannover die aufschiebende Wirkung der gegen den Beschluss des Antragsgegners
erhobenen Klage angeordnet. Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem VG K. auferlegten Verpflichtungen ließen eine Alkoholabstinenz
des Antragstellers zukünftig erwarten; eine Gefährdung des Patientenwohls sei unter diesen Umständen bis zur Entscheidung
in der Hauptsache nicht zu erwarten. Außerdem habe der Antragsgegner nicht dargelegt, dass der Antragsteller auch nur in einem
Fall die Gesundheit und das Wohl seiner Patienten gefährdet habe.
Gegen den ihm am 14. September 2015 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 18. September 2015 Beschwerde beim Landessozialgericht
(LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Es sei nicht nachvollziehbar, wenn das SG ausführe, eine Gefährdung des Patientenwohls bis zur Entscheidung in der Hauptsache sei nicht zu erwarten, zumal bereits
nachgewiesen sei, dass der Antragsteller in alkoholisiertem Zustand Patienten behandelt habe. Unmaßgeblich sei auch, ob eine
Alkoholabstinenz zukünftig zu erwarten sei, weil diese Überlegung nur für die Wiedererlangung der Zulassung maßgeblich sein
könne. Selbst bei einer dauerhaften Alkoholabstinenz bis zum 31. März 2016 sei der Antragsteller als Vertragsarzt nach wie
vor ungeeignet. Die tatsächliche Gefährdung von Patienten, die das SG nach seinem Beschluss für nicht erwiesen gehalten habe, sei längst eingetreten und werde auch bis zur Entscheidung in der
Hauptsache, die nicht bis zum 31. März 2016 zu erwarten sei, vorliegen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 11. September 2015 aufzuheben und den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung
der aufschiebenden Wirkung seiner Klage zurückzuweisen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Einwände des Antragsgegners gegen die Entscheidung des SG Hannover seien nicht überzeugend, weil der verwaltungsgerichtlich
geschlossene Vergleich von den dortigen Parteien peinlichst vollzogen werde. Da es seitens der Approbationsbehörde und des
Gesundheitsamts keinerlei Beanstandungen gebe, stehe fest, dass von der Teilnahme des Antragstellers an der vertragsärztlichen
Versorgung keinerlei Gefährdung für Patienten bis zur Entscheidung in der Hauptsache ausgehe. Würde der Antragsteller nur
eine der ihm dort auferlegten Verpflichtungen verletzen, würde der NiZzA unverzüglich handeln, was den Verlust der Approbation
und damit auch die Möglichkeit zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zur Folge hätte. Schließlich sei die Behauptung
des Antragsgegners, er habe in der Vergangenheit Patienten in alkoholisiertem Zustand behandelt, durch nichts belegt.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
II
Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig und begründet. Das SG hat die aufschiebende Wirkung der Klage gegen dessen Beschluss vom 1. Juli 2015 zu Unrecht angeordnet. Der entsprechende
Antrag des Antragstellers ist unbegründet.
Gem §
86b Abs
1 S 1 Nr
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann das Gericht auf Antrag in Fällen, in denen die Behörde - wie vorliegend der Antragsgegner auf der Grundlage von §
97 Abs
4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) - die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung angeordnet hat, die aufschiebende Wirkung der hiergegen gerichteten Klage
wiederherstellen (Keller in: Meyer-Ladewig,
SGG, 11. Aufl, §
86b Rn 5 mwN). Welche Voraussetzungen hierfür erforderlich sind, ist im Gesetz selbst nicht geregelt. Nach allgemeiner Auffassung
(vgl zB Keller aaO., Rn 12i; Wahrendorf in: Roos/Wahrendorf,
SGG, §
86b Rn 114; dem entsprechend die ständige Senatsrechtsprechung, vgl zB Beschluss vom 16. Juli 2012 - L 3 KA 48/12 B ER - juris) ist aber anerkannt, dass zunächst - in formeller Hinsicht - zu prüfen ist, ob die behördliche Vollstreckungsanordnung
hinreichend begründet worden ist. Ist dies nicht der Fall, ist bereits aus diesem Grunde die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen
(im Folgenden: 1.). Dies gilt auch, wenn die sich anschließende summarische Prüfung der Rechtmäßigkeit des zugrunde liegenden
Verwaltungsakts ergibt, dass dieser rechtswidrig sein dürfte (2.). Ist der Bescheid dagegen voraussichtlich als rechtmäßig
anzusehen, muss weiter geprüft werden, ob übergeordnete öffentliche oder private Interessen es erfordern, den Verwaltungsakt
bereits jetzt zu vollziehen, hiermit also nicht - als Folge der grundsätzlichen aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels,
§
86a Abs
1 S 1
SGG - bis zur (rechtskräftigen) Entscheidung der Hauptsache zu warten.
1. Die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs im Beschluss des Antragsgegners vom 1. Juli 2015 ist nicht zu beanstanden.
Der Antragsgegner hat dargelegt, dass es sich bei der Anordnung des Sofortvollzugs um einen schwerwiegenden Eingriff in die
Berufsausübung des Antragstellers handelt und deshalb insoweit hohe Anforderungen zu stellen sind. Diese hat er als erfüllt
angesehen, weil ohne Anordnung des Sofortvollzugs das Patientenwohl durch das beim Antragsteller festgestellte Alkoholabhängigkeitssyndrom
gefährdet wäre. Dabei hat er die herausragende Bedeutung dieses Gemeinschaftsguts betont und hervorgehoben, dass es gerade
im sensiblen Bereich der Behandlung lebensgefährlich erkrankter Dialysepatienten nicht vorstellbar sei, die vom behandelnden
Arzt und seiner Tätigkeit im hohen Maße abhängigen Patienten durch den Antragsteller weiter betreuen zu lassen.
2. Die im genannten Beschluss ausgesprochene Entziehung der Zulassung des Antragstellers ist auch rechtmäßig.
a) Gem §
95 Abs
6 S 1
SGB V und § 27 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) ist die Zulassung als Vertragsarzt ua zu entziehen, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen. Die hier
maßgebliche Zulassungsvoraussetzung ergibt sich aus der Regelung des § 21 Ärzte-ZV (anzuwenden in der Fassung des GKV-Versorgungstrukturgesetzes - GKV-VStG - vom 22. Dezember 2011 - BGBl I 2983). Danach ist ein Arzt ungeeignet für die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit,
der aus gesundheitlichen oder sonstigen in seiner Person liegenden schwerwiegenden Gründen nicht nur vorübergehend unfähig
ist, die vertragsärztliche Tätigkeit ordnungsgemäß auszuüben (S 1). Das ist nach S 2 insbesondere zu vermuten, wenn er innerhalb
der letzten fünf Jahre vor seiner Antragstellung drogen- oder alkoholabhängig war.
Hieraus ergibt sich, dass ein Arzt, der akut alkoholabhängig ist, bereits nach § 21 S 1 Ärzte-ZV keine vertragsärztliche Zulassung erhalten kann, weil er aus gesundheitlichen Gründen auf Dauer unfähig ist, eine vertragsärztliche
Tätigkeit ordnungsgemäß auszuüben. Wegen S 2 kann aber auch ein abstinenter ("trockener") Alkoholiker nicht Vertragsarzt werden,
und zwar regelmäßig für die Dauer von fünf Jahren nach Ende der akuten Alkoholerkrankung. Grund hierfür ist die hohe Rückfallgefahr
bei Suchterkrankungen. Das Bundessozialgericht (BSG; E 28, 80) hat unter Hinweis auf diese Gefahr mit überzeugender Begründung die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift bestätigt.
Seit der Neufassung des § 21 Ärzte-ZV durch das GKV-VStG kann die auf die Fünfjahresfrist bezogene Vermutung (vgl hierzu Begründung zum Entwurf der Bundesregierung zur Änderung des
§ 21 im GKV-VStG, BT-Drucks 17/6906 S 104) widerlegt werden, etwa wenn nachgewiesen werden kann, dass sich der betroffene Arzt bereits vor
Ablauf dieses Zeitraums soweit gefestigt hat, dass von einer gravierenderen Rückfallgefahr nicht mehr ausgegangen werden kann.
Die genannte Regelung hat für bereits zugelassene Vertragsärzte zur Folge, dass einem alkoholabhängigen Arzt die Zulassung
zu entziehen und - regelmäßig - nicht vor Ablauf von fünf Jahren wieder zu erteilen ist (BSG aaO.).
Vorliegend ist zunächst durch das im Auftrag der Approbationsbehörde eingeholte Sachverständigengutachten von J. erwiesen,
dass der Antragsteller alkoholabhängig ist. Dies wird auch durch den Bericht der L. vom 23. Januar 2015 bestätigt ("Abhängigkeit
von Alkohol als Behandlungsdiagnose gesichert") und ist zwischen den Beteiligten nicht mehr streitig. Der Einholung des in
§ 21 S 3 Ärzte-ZV vorgesehenen Gutachtens durch den Zulassungsausschuss bedurfte es daher nicht. Weiterhin kann zugunsten des Antragstellers
davon ausgegangen werden, dass zurzeit keine akute Alkoholabhängigkeit besteht. Denn die in den letzten Wochen durchgeführten
(Blut-)Untersuchungen haben offensichtlich Laborwerte ergeben, die dafür sprechen, dass der Antragsteller gegenwärtig keinen
Alkoholmissbrauch betreibt (vgl den von ihm vorgelegten Laborbericht vom 3. August 2015).
Wegen § 21 S 2 Ärzte-ZV ist er aber für die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit weiterhin ungeeignet. Die entsprechende Vermutung einer fünf
Jahre andauernden, auf die Rückfallgefahr gestützten Ungeeignetheit konnte nicht widerlegt werden. Vielmehr spricht gerade
der vom Antragsteller vorgelegte Entlassungsbericht der L. vom 23. Januar 2015 dafür, dass sich sein Zustand noch nicht so
dauerhaft stabilisiert hat, dass die Gefahr eines Rückfalls ausgeschlossen wäre. Dort führen die behandelnden Ärzte Dres.
N. und O. aus, dass "nur bei Durchführung einer zwischenzeitlichen ambulanten abstinenzfokussierenden psychotherapeutischen
Weiterbehandlung im Sinne einer ambulanten Entwöhnungstherapie und kontinuierlichen Selbsthilfegruppenbesuchen für Suchtkranke
von einer positiven Abstinenzprognose auszugehen" sei. Dabei wurde außerdem angeführt, dass die Persönlichkeitsstruktur des
Antragstellers ein aufrechterhaltender Faktor der Alkoholabhängigkeit sei, sodass es wichtig sei, "authentische Kommunikation
und einen konstruktiven Umgang mit den eigenen Gedanken und Gefühlen zu erlernen" (vgl S 8 des Entlassungsberichts vom 23.
Januar 2015). Die somit erforderlichen nachhaltigen Behandlungsmaßnahmen sind aber gegenwärtig ersichtlich noch nicht abgeschlossen.
Die stationäre Behandlung in der L. beschränkte sich auf eine Entgiftungsmaßnahme. Erst im Rahmen des Vergleichsschlusses
vor dem VG K. am 12. August 2015 hat sich der Antragsteller verpflichtet, sich einer ambulanten suchttherapeutischen Behandlung
zu unterziehen. Dass diese auf einen längeren Zeitraum ausgerichtet ist, ergibt sich schon daraus, dass sich der Antragsteller
verpflichtet hat, der Approbationsbehörde alle drei Monate einen Bericht über den aktuellen Stand der Therapie zukommen zu
lassen. Auch zu einer regelmäßigen Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe - die der Sache nach ebenfalls erst nach einem längeren
Zeitraum festgestellt und wirksam werden kann - hat sich der Antragsteller erst im August 2015 verpflichtet. Die im Entlassungsbericht
vom 23. Januar 2015 angeführten Voraussetzungen für eine positive Abstinenzprognose sind deshalb gegenwärtig nicht erfüllt.
Unabhängig davon wird in Empfehlungen zur prognostischen Begutachtung von Alkoholabhängigen sogar davon ausgegangen, dass
selbst nach erfolgreicher Entwöhnungsbehandlung zu fordern ist, dass danach noch ein Jahr Alkoholabstinenz durchgehalten worden
sein muss (Lewrenz/Heinemann/Püschel, Blutalkohol 2002, 289, 304).
b) Maßnahmen mit einer geringeren Eingriffsintensität als bei der vollständigen Entziehung der Zulassung kommen nicht in Betracht.
Ein Beschluss, die Zulassung ruhen zu lassen, ist gem §
95 Abs
5 S 1 Alt 1
SGB V nur möglich, wenn der Vertragsarzt seine Tätigkeit nicht aufnimmt oder nicht ausübt, ihre Aufnahme aber in angemessener Frist
zu erwarten ist. Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass ein Arzt seine Eignung zur vertragsärztlichen Tätigkeit verliert,
der nach §
95 Abs
6 S 1
SGB V zwingend mit der Entziehung der Zulassung verbunden ist. Eine Prognose, wann der Antragsteller die im Rahmen seiner Alkoholabhängigkeit
bestehende Rückfallgefahr überwunden haben wird, wäre im Übrigen auch nicht möglich, sodass - bei unterstellter vorübergehender
Nichtausübung seiner vertragsärztlichen Tätigkeit - auch die Wiederaufnahme der Tätigkeit in angemessener Zeit nicht angenommen
werden könnte. Die hälftige Entziehung der Zulassung nach §
95 Abs
6 S 2
SGB V kommt lediglich in Betracht, wenn der Vertragsarzt die Fähigkeit verloren hat, einen vollen Versorgungsauftrag zu erfüllen,
etwa weil er zusätzlich eine Beschäftigung von mehr als 13 Wochenstunden aufnimmt (Schallen, Zulassungsverordnung, 8. Aufl,
§ 27 Rn 15). Bei Vertragsärzten, die - wie der Antragsteller - aus in seiner Person liegenden Gründen für längere Zeit unfähig
ist, die vertragsärztliche Tätigkeit ordnungsgemäß auszuüben, ist demgegenüber jegliches vertragsärztliches Tätigwerden auszuschließen
(vgl auch BSG, Beschluss vom 17. Oktober 2012 - B 6 KA 19/12 B - juris).
3. Zu Recht hat der Antragsgegner auch gem §
97 Abs
4 SGB V den Sofortvollzug der Zulassungsentziehung angeordnet.
a) Entgegen seiner im Beschwerdeverfahren vertretenen Auffassung erlaubt allerdings die offensichtliche Rechtmäßigkeit des
Grundbescheids noch nicht die sofortige Vollziehung seiner Maßnahme (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 8. April
2010 - 1 BvR 2709/09 - juris, mwN). Denn der Sofortvollzug der Zulassungsentziehung kommt angesichts des hohen Anteils der gesetzlich krankenversicherten
Patienten einem vorläufigen Berufsverbot zumindest nahe und bedeutet deshalb einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht
des Arztes aus Art
12 Abs
1 Grundgesetz (
GG; BVerfG, Beschluss vom 8. November 2010 - 1 BvR 722/10 - juris). Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Fällen der vorliegenden Art setzt deshalb voraus, dass überwiegende
öffentliche Belange es auch mit Blick auf die Berufsfreiheit des Betroffenen rechtfertigen, seinen Rechtsschutzanspruch gegen
die Grundverfügung einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig
in die Wege zu leiten. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls
und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens konkrete Gefahren
für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt (BVerfG aaO. unter Hinweis auf BVerfGE 44, 105, 117 f ua).
Diese Anforderungen sind hier erfüllt. Ob ein Vertragsarzt persönlich, insbesondere gesundheitlich, in der Lage ist, seine
Patienten ordnungsgemäß zu behandeln, ohne sie an Leib und Leben zu gefährden, berührt deren Grundrechte auf Leben und körperliche
Unversehrtheit gem Art
2 Abs
1 S 1
GG. Dem Grundrecht auf Leben kommt - als Voraussetzung aller übrigen Grundrechte (BVerfGE 39, 1, 42) - und ebenso wie dem Grundrecht auf körperliche Integrität wegen des Bezugs zur Menschenwürde (Murswiek in: Sachs,
GG, 7. Aufl, Art
2 Rn 171 ff) höchster Rang zu; im Widerstreit betroffener Grundrechte ist diesem Recht der Patienten Vorrang vor der Berufsfreiheit
des Vertragsarztes einzuräumen (Senatsbeschluss vom 16. Juli 2012 aaO.). Eine Beeinträchtigung der Grundrechte aus Art
2 Abs
2 S 1
GG liegt bereits bei einer konkreten Gefährdung der genannten Rechtsgüter vor (BVerfGE 51, 324, 346 f).
Eine solche Gefährdung ist anzunehmen, wenn ein Vertragsarzt unter erheblichem Alkoholeinfluss ärztliche Behandlungen vornimmt,
weil der damit verbundene intellektuelle und sensomotorische Kontrollverlust des Arztes zu Fehlmaßnahmen mit gravierenden
gesundheitlichen Auswirkungen bei den Patienten führen kann. Dies gilt insbesondere bei lebenserhaltenden Maßnahmen wie bei
der Versorgung chronisch-niereninsuffizienter Patienten mit Blutreinigungsverfahren (Dialyse), mit der der Antragsteller betreut
ist.
Anders als vom SG angeführt und vom Antragsteller behauptet, ist es in der Vergangenheit auch schon zu konkreten Gefährdungen gekommen. So
ist der Antragsteller ausweislich eines in der Verwaltungsakte enthaltenen Berichts von Frau P., Mitarbeiterin des Gesundheitsamts
F., am 18. Juli 2009 in seiner Praxis angetroffen worden, als er mit einem Blutalkoholgehalt von 2,02 ‰ im Atemtest eine Notfalldialyse
durchführte, ohne dass gleichzeitig ein weiterer Arzt in der Praxis anwesend war. Dabei war er nach Auskunft von Frau P. deutlich
kritikgemindert und wäre nach Angaben der Praxismitarbeiterin, die eine Intervention der Polizei angefordert hatte, vorher
fast die Treppe hinuntergestürzt.
An den weiterhin bestehenden gesundheitlichen Gefahren für die Patienten ändert nichts, dass der Antragsteller in den letzten
Monaten offensichtlich alkoholabstinent gewesen ist. Denn die mit der Alkoholabhängigkeit verbundene ständige Rückfallgefahr
lässt befürchten, dass es in Zukunft wieder zu Dialysebehandlungen unter Alkoholeinfluss kommt. Hierfür spricht gerade auch,
dass der Antragsteller in der Vergangenheit schon wiederholt rückfällig geworden ist. So war er nach Einleitung der Kontrollmaßnahmen
der Approbationsbehörde im Jahr 2009 schon ein Jahr abstinent (Mitteilung des Gesundheitsamts F. vom 25. August 2010), wurde
im Dezember 2012 aber wieder mit mindestens 2,38 ‰ im Straßenverkehr angetroffen. Den daraufhin (erneut) erteilten Auflagen
des NiZzA, sich in unregelmäßigen Abständen Kontrollmaßnahmen von Blut- und Urinproben zum Nachweis einer stabilen und dauerhaften
Alkoholabstinenz zu unterziehen, kam er zwar nach. Die Laboruntersuchungen der Proben zeigten auch Anfang 2014 verbesserte
Werte der Biomarker für vorangegangen Alkoholgenuss (ETG, ETS und CDT); im Mai 2014 ließen erheblich verschlechterte Werte
indes den Schluss auf einen erneuten schweren Rückfall zu. Letzteres zeigt, dass der Antragsteller auch unter dem Druck behördlicher
Auflagen und der Androhung gravierender beruflicher Nachteile (Anordnung des Ruhens der Approbation) nicht in der Lage gewesen
ist, dauerhaft abstinent zu bleiben. Verlässliche Anhaltspunkte dafür, dass insoweit eine durchgreifende Änderung eingetreten
ist, sind nicht erkennbar.
Schon aus diesem Grund ändert der Abschluss des Vergleichs vor dem VG K. vom 12. August 2015, mit dem sich der Antragsteller
erneut mit Kontrollmaßnahmen einverstanden erklärt, nichts an der weiterbestehenden Rückfallgefahr. Die im Vergleich vom 12.
August 2015 vereinbarte Durchführung unregelmäßiger Urin- und Blutproben ist auch nicht geeignet, die Gefährdung von Patienten
zu jeder Zeit zu verhindern, weil mit ihnen immer nur nachträglich festgestellt werden könnte, dass der Antragsteller wieder
alkoholisiert gewesen ist. So ist der in der Praxis bedeutsamste Alkoholismusmarker CDT im Blut erst dann erhöht, wenn der
Proband vorher ca 2 Wochen regelmäßig täglich 40 bis 60 g Alkohol zu sich genommen hat (Golka ua, Verkehrsmedizin - Arbeitsmedizinische
Aspekte, S 209). An der in diesem Zeitraum gegebenen Gefahr von alkoholbedingten Behandlungsfehlern können die genannten nachträglichen
Kontrollen nichts mehr ändern.
Dabei ist hervorzuheben, dass die spezifische Gefahrenlage bei der vertragsärztlichen Tätigkeit gerade auch darin besteht,
dass der Vertragsarzt in freier Praxis und damit ohne Aufsicht tätig ist, sodass die Möglichkeit einer Kontrolle durch Dienstvorgesetzte
- wie zB bei Krankenhausärzten - nicht besteht. Auch der Antragsteller war bei der unter erheblichem Alkoholeinfluss durchgeführten
Dialyse vom 18. Juli 2009 der einzige Arzt in der Praxis. Schon aus diesem Grund ist der Senat nicht an die Würdigung der
Gefahrenlage gebunden, wie sie nunmehr der für Erteilung, Ruhen und Rücknahme der ärztlichen Approbation zuständige NiZzA
vorgenommen hat. Schließlich sollen die im Vergleich vorgesehenen Kontrollen nur bis zum 31. März 2016 durchgeführt werden.
Bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Hauptsache dürfte im vorliegenden Fall aber voraussichtlich ein deutlich längerer
Zeitraum verstreichen. Eine für nur wenige Monate getroffene Vereinbarung ist deshalb schwerlich geeignet, Vorgaben für die
hier zu treffende Regelung eines uU mehrjährigen Schwebezustandes zu liefern.
b) Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit führt zu keinem anderen Ergebnis. Es sind keine geeigneten Mittel ersichtlich,
die der dargelegten Gefahr für Leben und Gesundheit von Patienten vorbeugen und gleichzeitig die Grundrechtsposition des Antragstellers
aus Art
12 Abs
1 GG weniger stark beeinträchtigen als die vorliegende Anordnung des Sofortvollzugs. Dies folgt für die Alternative einer Anordnung
von Kontrollmaßnahmen, die einer Überprüfung der Abstinenz des Antragstellers dienen könnten wie die im Vergleich vom 12.
August 2015 vereinbarten, aus dem soeben Gesagten.
Auch die Beiordnung einer ständigen Aufsichtsperson in der Praxis des Antragstellers - etwa des Partners innerhalb der BAG
- kommt als milderes Mittel nicht in Betracht. Abgesehen davon, dass fraglich wäre, ob dies praktisch umsetzbar ist, widerspräche
dies der angeführten Natur der vertragsärztlichen Tätigkeit in "freier Praxis", die neben der wirtschaftlichen Verantwortlichkeit
auch eine ausreichende Handlungsfreiheit in beruflicher und persönlicher Hinsicht voraussetzt. Unter Hinweis hierauf hat das
BSG (Beschluss vom 17. August 2011 - B 6 KA 18/11 B - juris) bereits entschieden, dass es nicht möglich ist, einen Vertragsarzt praktisch in die Obhut eines anderen approbierten
Arztes zu geben.
Die Bemessung des Streitwerts folgt aus der Anwendung von §
197a Abs
1 S 1
SGG iVm §§ 47 Abs 1, 52 Abs 1 und 53 Abs 2 Nr 4 Gerichtskostengesetz (GKG). Wird - wie hier - der Sofortvollzug einer Zulassungsentziehung angefochten, bemisst sich der Streitwert nach st Senatsrechtsprechung
nach den mutmaßlich entgangenen Honorareinnahmen aus vertragsärztlicher Tätigkeit (abzüglich der Unkosten) für ein Jahr. Anknüpfungspunkt
hierfür sind die in den letzten vier Quartalen dauerhafter vertragsärztlicher Tätigkeit erwirtschafteten Honorare; insoweit
und in Hinblick auf den Anteil von 90 % Dialysesachkosten legt der Senat die Angaben des Antragsgegners im Schriftsatz vom
29. Mai 2015 zugrunde.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).