Anspruch auf Einstellungszuschuss bei Neugründungen bei der Übernahme einer Arztpraxis
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf Einstellungszuschuss bei Neugründungen für die Beschäftigung der Arbeitnehmerin
G. ab 01. Juni 2003 streitig.
Die Klägerin zu 1. übernahm ab 01. Juli 2001 eine Zahnarztpraxis in H., I. mit den zwei dort beschäftigten Arbeitnehmern.
Später wurde mit Förderung durch die Beklagte eine dritte Arbeitskraft eingestellt. Von Oktober bis Dezember 2002 war mit
der Klägerin zu 1. eine weitere Zahnärztin befristet tätig, um eine zweite Kassenzulassung zu erlangen. Ab 01. Januar 2003
stieg der Kläger zu 2., der frühere Ehemann der Klägerin zu 1., in die Zahnarztpraxis mit ein, der eigene Patienten betreute.
Im ersten Quartal 2003 wurden zwei getrennte Einzelpraxen geführt. Ab 01. April 2003 gründeten die Kläger eine Gemeinschaftspraxis.
Beide stellten am 26. März 2003 einen Antrag auf Einstellungszuschuss bei Neugründung für die Einstellung der Zahnarzthelferin
G. ab 01. Juni 2003 zu einem Gehalt von 2.200,00 EUR brutto.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 19. Februar 2004 und Widerspruchsbescheid vom 15. März 2004 einen Einstellungszuschuss
ab, weil keine Neugründung vorliege, sondern eine Betriebsübernahme.
Das Sozialgericht (SG) Hannover hat der am 31. März 2004 erhoben Klage stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung eines Einstellungszuschusses an
die Kläger verurteilt (Urteil vom 17. Februar 2006, zugestellt am 03. April 2006). Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung
der Beklagten vom 24. April 2006.
Die Beklagte trägt vor, die Klägerin zu 1. habe am 01. Juli 2001 einen Betrieb übernommen und fortgeführt. Es habe eindeutig
ein Betriebsübergang im Sinne des §
613a Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) vorgelegen. Durch den Eintritt des Klägers zu 2. in die Gemeinschaftspraxis ab 01. April 2003 sei ebenfalls kein neuer Betrieb
gegründet worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 17. Februar 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Kläger erwidern, es sei unerheblich, ob arbeitsrechtlich ein Betriebsübergang im Sinne des §
613a BGB vorliege. Entscheidend sei lediglich, ob und dass der Arbeitgeber nicht länger als zwei Jahre selbstständig tätig sei. Ferner
sei ein neuer Arbeitsplatz geschaffen worden. Mehr verlange § 225 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III) nicht.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der
Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils. Die Klage
ist abzuweisen, weil die angegriffenen Bescheide der Beklagten rechtmäßig sind. Die Kläger haben keinen Anspruch auf einen
Einstellungszuschuss bei Neugründungen.
Gemäß §§ 225, 226
SGB III kann die Beklagte Arbeitgebern, die vor nicht mehr als zwei Jahren eine selbstständige Tätigkeit aufgenommen haben, für die
unbefristete Beschäftigung eines zuvor mindestens drei Monate lang arbeitlosen förderungsbedürftigen Arbeitnehmers auf einen
neugeschaffenen Arbeitsplatz einen Zuschuss zum Arbeitsentgelt gewähren, wenn der Arbeitnehmer ohne diese Leistung nicht oder
nicht dauerhaft in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden kann und der Arbeitgeber nicht mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt.
Diese Voraussetzungen sind nach dem Vortrag der Beteiligten bis auf das Merkmal "Neugründung" erfüllt. Entgegen der Auffassung
des SG liegt aber keine Neugründung im Sinne der genannten Bestimmungen vor.
Arbeitgeber sind nur dann förderungsfähig, wenn sie einen Betrieb führen, bei dem es sich um eine Neugründung handelt. Diese
Anspruchsvoraussetzung ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 225
SGB III, wohl aber aus dem inhaltlichen Zusammenhang mit den Förderungsvoraussetzungen in §§ 226, 227
SGB III. Auch aus der Überschrift des Zweiten Unterabschnitts kann eindeutig der gesetzgeberische Wille abgeleitet werden, dass es
um Förderleistung an Existenzgründer geht. Die Förderung soll nur "echten Existenzgründungen" zugute kommen. Das Merkmal Neugründung
wird durch die bloße Umgründung oder durch die Übernahme des Betriebes eines anderen Arbeitsgebers nicht erfüllt (Bundestagdrucksache
13/4941, S. 193, abgedruckt in Hauck/Noftz,
SGB III Kommentar, M 010, S. 111). Diese Einschränkung nach Sinn und Zweck der Förderleistung erklärt sich daraus, dass anders als
der Existenzgründungszuschuss (§
421 l
SGB III), mit dem lediglich die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit als solche gefördert wird, der Einstellungszuschuss bei
Neugründungen bezweckt, die Hemmschwelle auf Seiten der Arbeitgeber in Bezug auf die Einstellung von Arbeitslosen in der Gründungsphase
eines Unternehmens abzubauen und dadurch Arbeitsplätze zu schaffen (Voelzke in Hauck/Noftz,
SGB III Kommentar, § 225 Rdnr. 8; Heinz in: NK-
SGB III, 3. Aufl., § 225Rdnr. 38 f.). Das zusätzliche Erfordernis einer Betriebsneugründung für den Einstellungszuschuss nach § 225
SGB III unterscheidet diese Förderleistung ferner von den allgemeinen Eingliederungszuschüssen nach § 217 ff.
SGB III, die an alle Arbeitgeber gewährt werden können, wenn sie Arbeitslose mit Vermittlungshemmnissen einstellen. An diese grundsätzliche
Unterscheidung durch den Gesetzgeber ist der Senat gebunden.
Entgegen der Auffassung der Kläger genügt es für die Annahme einer Neugründung im Sinne der §§ 225 ff.
SGB III nicht, dass sich jemand für die Selbstständigkeit entschieden hat und diese Person seit nicht mehr als zwei Jahren einen
Betrieb führt. Die Frage der Neugründung eines Betriebes ist nämlich nicht am Inhaber, sondern am Betrieb oder an einer wirtschaftlichen/beruflichen
Betätigung orientiert. Denn gefördert werden soll zur Vermeidung von Mitnahmeeffekten nicht nur eine formale Neugründung,
die lediglich eine andere Benennung eines bereits vorhandenen Betriebes darstellt (Landessozialgericht Berlin vom 21.08.2003
- L 8 AL 89/01 -, veröffentlicht in Juris), sondern die Einstellungspraxis von "echten" Existenzgründern.
Die Klägerin zu 1. hat ab 01. Juli 2001 keinen neuen Betrieb gegründet, sondern eine bestehende Zahnarztpraxis mit Kassenzulassung
übernommen und im Wesentlichen fortgeführt. Sie hat sämtliche zur Praxis gehörende Einrichtungsgegenstände und Inventarstücke
einschließlich der Patientenkartei gekauft. Lediglich aus Datenschutzgründen wurde die Patientenkartei zunächst getrennt durch
die Zahnarzthelferinnen mit einem Passwort geführt und ging erst in das Eigentum der Klägerin zu 1. über, sobald ein Patient
zur zahnärztlichen Behandlung wieder vorstellig wurde. In den bisherigen Praxisräumen wurde der Betriebszweck (zahnärztliche
Ausrichtung) beibehalten. Es hat lediglich eine formale Änderung in der Person des Praxisinhabers stattgefunden, die sowohl
arbeitsrechtlich als auch arbeitsförderungsrechtlich ohne Bedeutung ist. Das gilt auch, soweit die Klägerin zu 1. in der Praxis
Modernisierungsarbeiten durchgeführt hat.
Eine Neugründung ist auch nicht feststellbar, nachdem der Kläger zu 2. ab 01. April 2003 in die Zahnarztpraxis eingetreten
ist und beide Kläger ab diesem Tage eine Gemeinschaftspraxis gegründet haben. Eine Erweiterung oder Veränderung des Unternehmensgegenstandes
hat dadurch nicht stattgefunden. Die Kontinuität des bestehenden Betriebes wurde durch die Nutzung derselben Räumlichkeiten,
personellen und organisatorischen Strukturen bestätigt. Spätestens ab 01. April 2003 wurde die Praxis durch eine einheitliche
Leitung geführt. Beide Kläger sind gemeinsam im Erscheinungsbild nach Außen aufgetreten und zwar in gewollter Fortsetzung
der früheren Zahnarztpraxis. Bei Würdigung dieser tatsächlichen Umstände kann von einer Betriebsneugründung nicht die Rede
sein.
Da die Kläger zweitinstanzlich unterliegen, müssen sie für ihre eigenen Aufwendungen beider Rechtszüge selbst aufkommen.
Die Revision bedarf der Zulassung (§
160 SGG). Diese ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und das Urteil nicht von höchstrichterlichen
Entscheidungen abweicht.