Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger für den Zeitraum von Januar bis September 2017 höhere Leistungen für Unterkunft
und Heizung beanspruchen kann.
Dem im laufenden Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II) stehenden Kläger waren vom Beklagten bis September 2015 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der dafür anfallenden
Kosten von 225 € monatlich bewilligt worden. Zum 01.10.2015 verzog der Kläger in eine andere, im selben Haus gelegene Wohnung.
Ausweislich des darüber erstellten Mietvertrags vom 15.09.2015, der dem Beklagten erstmals am 22.09.2015 vorgelegt wurde,
betrug die Gesamtmiete von Oktober 2015 an 403,76 € (Kaltmiete 270 €, Betriebskostenvorauszahlung - einschließlich Heizkostenvorauszahlung
i.H.v. 65 € - 133,76 €). Mit Änderungsbescheid vom 24.09.2015 wurden dem Kläger für Oktober 2015 bis Dezember 2015 unverändert
Bedarfe für Unterkunft und Heizung i.H.v. 225 € monatlich bewilligt. Ein dagegen gerichtetes Widerspruchsverfahren blieb ohne
Erfolg. Der Beklagte vertrat dazu die Auffassung, dem Kläger stünden nach dem ohne Zustimmung erfolgten Umzug Wohnungskosten
nur in der bisher bewilligten Höhe zu. Zwar sei auch die nunmehr zu zahlende Miete angemessen, weil sie die örtlich für Ein-Personen-Haushalte
geltende Angemessenheitsgrenze von Kaltmiete und Betriebskosten ohne Heizkosten in Höhe von 338,80 € nicht überschreite. Zu
berücksichtigen sei aber eine sich aufgrund der gesetzlichen Regelung in § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II ergebende individuelle Angemessenheitsgrenze, wenn der Hilfebedürftige von einer zuvor angemessenen in eine grundsätzlich
immer noch angemessene, aber teurere Unterkunft ohne Zustimmung umziehe. Dies diene der Vermeidung der Ausschöpfung der durch
den jeweiligen kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenze. Im dagegen gerichteten Klageverfahren wurde vom Beklagten
in der Berufungsinstanz am 29.01.2018 ein - vom Kläger angenommenes - Anerkenntnis abgegeben und erklärt, es würden Leistungen
unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung in der Zeit vom 1. 10. bis 31.12.2015 gewährt.
Weil der Beklagte dem Kläger für 2016 und 2017 (später beschränkt wegen Arbeitsaufnahme auf den Zeitraum bis zum 30.09.2017)
ebenfalls Kosten für Unterkunft und Heizung i.H.v. nur 225 € bewilligt hatte, beantragte der Kläger im Februar 2017 eine Überprüfung
der darüber erteilten Leistungsbescheide. Mit Bescheid vom 27.03.2018 gab der Beklagte diesem Antrag für 2016 statt, lehnte
ihn aber mit einem weiteren Bescheid vom selben Tage in Bezug auf die Bescheide betreffend die Leistungsbewilligung für 2017
(Bescheid vom 22.11.2016 und Folgebescheide) ab. Ein dagegen gerichtetes Widerspruchsverfahren blieb ohne Erfolg. Im Widerspruchsbescheid
vom 09.08.2018 wurde ausgeführt, aufgrund einer Änderung von § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II zum 01.08.2016 durch Streichen des Wortes "angemessenen", habe sich eine neue Rechtslage ergeben; der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts zur bisherigen Fassung sei damit die Grundlage entzogen. Nach einem nicht erforderlichen Umzug seien
damit die Wohnungskosten auf den bisherigen Leistungsbetrag begrenzt. Bei jeder Folgebewilligung erfolge eine Entscheidung
darüber, ob die Wohnungskosten aufgrund eines vorangegangenen Umzugs zu deckeln seien. Eine solche Deckelung habe hier wegen
der Gesetzesänderung für danach erfolgte Bewilligungsentscheidungen 2017 betreffend vorgenommen werden müssen. Diese Entscheidungen
stellten sich damit als rechtmäßig dar, weshalb der Überprüfungsantrag habe zurückgewiesen werden müssen.
Mit der dagegen gerichteten Klage vom 30.08.2018 hat der Kläger sein Ziel weiter verfolgt. Er hat erstinstanzlich beantragt,
ihm höhere Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe einer monatlichen Kaltmiete von 270 €
zzgl. 53,76 € an Betriebskostenvorauszahlung und 65,00 € Heizkostenvorauszahlung für den Zeitraum vom 01.01.2017 bis zum 30.09.2017
zu gewähren.
Mit Urteil vom 15.10.2019 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben. Der Beklagte habe dem Überprüfungsantrag, betreffend
die Leistungsbewilligung für 2017, zu Unrecht nicht entsprochen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei eine
Beschränkung der Wohnungskosten gemäß § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II nach einem nicht erforderlichen Umzug nur bei einer Erhöhung der "angemessenen" Aufwendungen für Unterkunft und Heizung möglich.
Sie komme deshalb nur bei zutreffend ermittelten Angemessenheitsgrenzen in Betracht. Dies setze die Erstellung eines sogenannten
schlüssigen Konzeptes voraus, an dem es hier fehle. Dies gelte nach Auffassung der Kammer auch für Zeiten nach Inkrafttreten
der Rechtsänderung zum 01.08.2016.
Gegen das ihm am 22.10.2019 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 04.11.2019 Berufung eingelegt. Entgegen der Auffassung
des Sozialgerichts liege eine rechtmäßig ermittelte Angemessenheitsgrenze (Referenzmiete) vor, denn der Beklagte richte sich
aufgrund Erkenntnisausfalls gemäß den Vorgaben des Bundessozialgerichts nach der Tabelle zu § 12 des Wohngeldgesetzes. Der Rechtsprechung des Sozialgerichts könne jedenfalls aufgrund der Rechtsänderung zum 01.08.2016 nicht gefolgt werden.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrens wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt
Bezug genommen. Die den maßgeblichen Vorgang betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten haben dem Senat vorgelegen und sind
Gegenstand der Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß §
124 Abs.
2 i.V.m. §
153 Abs.
1 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht erhoben und ist auch im Übrigen
zulässig. Die Einlegung der Berufung war auch nicht aufgrund des Wertes des Beschwerdegegenstandes gemäß §
144 Abs.
1 SGG beschränkt. Das Sozialgericht hat den Beklagten verurteilt, dem Kläger monatlich weitere 163,76 € Kosten für Unterkunft und
Heizung für einen Zeitraum von neun Monaten, mithin insgesamt 1473,84 €, zu gewähren. Damit war die vom Beklagten nicht beschränkte
Berufung kraft Gesetzes zulässig und bedurfte nicht einer Zulassung durch das Sozialgericht. Die gleichwohl vom Sozialgericht
erklärte Zulassung der Berufung geht ins Leere.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Beklagten im Ergebnis zu Recht zur Gewährung weiterer Kosten
für Unterkunft und Heizung verurteilt.
Gemäß § 22 Abs. 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung bei Vorliegen der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen (die hier im maßgeblichen
Zeitraum gegeben waren) für Leistungen nach dem SGB II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen
Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt (§ 22 Abs. 1 S. 2 SGB II in der seit dem 01.08.2016 geltenden Fassung). Bis zum 31.07.2016 lautete § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II: Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der
bisherige Bedarf anerkannt. Mit der Neufassung im Jahr 2016 entfiel mithin das Wort "angemessenen".
Der Umzug des Klägers erfolgte hier im Oktober 2015 und damit unter Geltung von § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II in der bis zum 31.07.2016 anzuwendenden Fassung. In Bezug auf diese Regelung hat das Bundessozialgericht (Urteil vom 29.04.2015
zum Az. B 14 AS 6/14 R und Urteil vom 17.02.2016 zum Az. B 4 AS 12/15 R), dem sich der 19. Senat des Landessozialgerichts NRW angeschlossen hat (Urteil vom 20.01.2018 zum Az. L 19 AS 1706/17) entschieden, eine Deckelung der Leistungen für Unterkunft und Heizung nach einem nicht erforderlichen Umzug auf die bis
dahin zu tragenden angemessenen Aufwendungen sei nur zulässig, wenn zutreffend ermittelte Angemessenheitsgrenzen für die Unterkunfts-
und Heizkosten bestünden (siehe Leitsatz sowie zur Rn. 23 der Wiedergabe der Entscheidung B 14 AS 6/14 R bei juris). Dieser Entscheidung ist auch der Beklagte, der über kein sogenanntes schlüssiges Konzept zur Ermittlung der
Angemessenheitsgrenzen verfügte, bezüglich der vor der Gesetzesänderung ergangenen Bewilligungen von Leistungen an den Kläger
wegen Kosten der Unterkunft und Heizung gefolgt und hat für den Zeitraum bis Ende 2015, der im Verfahren beim Landessozialgericht
zum Az. L 6 AS 362/17 anhängig gewesen ist, ein Anerkenntnis abgegeben und im Überprüfungsverfahren für 2016 ebenfalls Leistungen in Höhe der Miete
für die seit Oktober 2015 bewohnte Wohnung nachträglich bewilligt.
Es kann hier dahingestellt bleiben, ob der Umzug des Klägers erforderlich war oder ob mit der Rechtsänderung zum 01.08.2016
die vorgenannte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts weiterhin Gültigkeit besitzt (so das erstinstanzliche Urteil, anderer
Auffassung Landessozialgericht NRW, Urteil vom 29.10.2020 zum Az. L 7 AS 2052/18 zur Rn. 36 der Wiedergabe juris). Denn anders als in dem der vorgenannten Entscheidung des LSG NRW zugrunde liegenden Sachverhalt
hat der Umzug des Klägers im vorliegenden Verfahren vor der Gesetzesänderung stattgefunden, weshalb unter Berücksichtigung
der dazu ergangenen Rechtsprechung eine Beschränkung der Wohnkosten auf die Beträge vor dem Umzug nicht zu erfolgen hatte.
Mit der hier für den Zeitraum von Oktober 2015 bis Dezember 2016 (rechtmäßig) erfolgten Bewilligung der höheren Kosten für
die während dieser Zeit innegehabte Wohnung war der fragliche Umzug in Bezug auf nach der Gesetzesänderung erfolgte Leistungszeiträume
und Bewilligungsentscheidungen nicht mehr von Bedeutung. Der Umzug war 2015 nicht nur tatsächlich, sondern auch leistungsrechtlich
unter Anwendung der damals geltenden Rechtslage abgeschlossen. Danach und damit auch für den im vorliegenden Verfahren streitigen
Zeitraum konnte die 2016 erfolgte Änderung des Gesetzes, deren Anwendung auf im Zeitpunkt der Rechtsänderung bereits abgeschlossene
Sachverhalte vom Normgeber nicht ausdrücklich angeordnet worden ist, keine Wirkung mehr entfalten. Es ist nichts dafür ersichtlich,
dass die Gesetzesänderung Eingriffe in derart abgeschlossene Vorgänge hätte ermöglichen sollen. Dies wäre auch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten
äußerst problematisch, denn ein Leistungsempfänger konnte bis zur Gesetzesänderung in 2016 aufgrund der höchstrichterlichen
Rechtsprechung darauf vertrauen, dass in Gebieten ohne zutreffend ermittelte abstrakte Angemessenheitsgrenze bei einem Umzug
in eine höherpreisige Wohnung keine Begrenzung der Leistungen für Unterkunft und Heizung auf die zuvor gezahlten Miete, sondern
nur im Rahmen der allgemeinen Angemessenheit erfolgen kann. Eine sich durch eine Gesetzesänderung ergebende verschlechternde
Rückwirkung in bereits abgeschlossene Lebenssachverhalte ist grundsätzlich unvereinbar mit dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit
und des sich daraus ergebenden Vertrauensschutzes für den Bürger (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 31.03.1965, zum
Aktenzeichen 2 BvL 17/63). Zwingende Gründe des Gemeinwohls, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet sind und ausnahmsweise eine Rückwirkungsanordnung
rechtfertigen könnten, sind hier auch nicht ersichtlich.
Die Rechtslage ist zudem durchaus vergleichbar mit der bei einem Ausscheiden aus dem Leistungsbezug. Danach wäre eine zuvor
infolge eines Umzuges eingetretene Erhöhung der Kosten der Unterkunft, die zu einer Begrenzung des Leistungsanspruchs auf
die bisherige Höhe der Unterkunftskosten geführt haben würde, nicht mehr relevant, mit der Folge, dass mit dem neuen Leistungsfall
nunmehr die erhöhten Unterkunftskosten, gegebenenfalls begrenzt auf die Angemessenheit im allgemeinen, aber nicht mehr auf
die zuvor angefallenen Kosten, beansprucht werden können.
Die Kostenentscheidung beruht §
193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen. Das Urteil weicht nicht von einer Entscheidung der in §
160 Satz Abs.
2 Nr.
2 SGG genannten Gerichte ab. Eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG kann dem Verfahren bereits deshalb nicht zukommen, weil die maßgeblichen Rechtsvorschrift vor mehr als vier Jahren geändert
wurde und nicht ersichtlich ist, dass die Klärung der zugrunde liegenden Rechtsfrage noch für eine nicht unerhebliche Anzahl
laufender Verfahren von Bedeutung sein könnte.