Krankenversicherung
Streit um die Gewährung von Krankengeld während eines zweiwöchigen Auslandsaufenthalts in Spanien
Ermessen der Krankenkasse bei der Erteilung der Zustimmung zu dem Auslandsaufenthalt
Unstreitig vorliegende und zuvor durch einen inländischen Arzt festgestellte Arbeitsunfähigkeit des Versicherten während des
Auslandsaufenthalts
Auslegung des § 16 Abs. 4 SGB V
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Krankengeld (in Höhe von 1.116,54 Euro) während eines zweiwöchigen Auslandsaufenthalts in Spanien.
Der 1955 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Kläger arbeitete bis zum 31.8.2011 als Pharmareferent. Er war ab
dem 29.8.2011 wegen einer Angina Pectoris arbeitsunfähig und wurde vom 4.- 6.9.2011 stationär behandelt. Ab dem 10.9.2009
zahlte die Beklagte Krankengeld.
Nachdem die Mitarbeiterin der Beklagten Frau N dem Kläger in einem Telefonat vom 30.9.2011 mitgeteilt hatte, dass Krankengeld
während eines Auslandsaufenthalts nicht gezahlt werden könne, wenn der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) dem
nicht zustimme, übermittelte der Kläger der Beklagten zwei Atteste seiner behandelnden Ärzte vom selben Tag. Allgemeinmediziner
Dr. N bescheinigte Arbeitsunfähigkeit bis "auf weiteres"; Kardiologe Dr. C gab an, der Kläger leide an einer schweren koronaren
Dreigefäßerkrankung; wegen der belastenden psychischen Begleitumstände sei eine Entspannung durch Urlaub sinnvoll. In einer
Aktennotiz vermerkte Frau N, der Aufenthalt ab dem 1.10.2011 in Spanien sei "mit W abgesprochen (!?)". Der Kläger flog vom
1.10. bis 14.10.2011 in sein Ferienhaus nach Spanien.
Dr. U vom MDK führte unter dem 11.10.2011 aus, der Kläger habe den Urlaub im Status der Arbeitsfähigkeit antreten können,
da während des stationären Krankenhausaufenthalts ein gutes Ergebnis der Belastbarkeit festgestellt worden sei. Der Kläger
sei nach seinem Urlaub zur Begutachtung einzubestellen. Frau Dr. T und Frau T1 vom MDK ergänzten am 13.10.2011 und 18.10.2011,
der Urlaub sei wegen des Reisestresses und der enttäuschten Urlaubserwartung aus medizinischer Sicht nicht zu befürworten,
zumal dadurch die Therapie unterbrochen werde.
Daraufhin stellte die Beklagte das Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld nach §
16 Abs.
1 Nr.
1 i.V.m. Abs.
4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) für den Zeitraum vom 1.10. bis 14.10.2011 fest. Sie habe dem Auslandsaufenthalt vor Antritt der Urlaubsreise nicht zustimmen
können, da eine solche medizinisch nicht sinnvoll gewesen sei (Bescheid vom 13.10.2011 in der Gestalt des Bescheids vom 4.1.2012).
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, durch die Fahrt in das Ferienhaus seiner Familie seien weder Stress noch
enttäuschte Urlaubserwartung entstanden. Auch habe der Urlaub weder sportliche Betätigungen noch anderweitige Belastungen
enthalten. Das Haus liege auf der M in N, einer Region, die für ihr gesundes Klima bekannt sei. Erst seit Ende Oktober 2011
befinde er sich in psychotherapeutischer Behandlung.
Dr. C führte am 3.11.2011 aus, die Beschwerden des Klägers seien im Wesentlichen somatisch bedingt. Da er aktuell stabil sei,
finde keine tägliche ärztliche Vorstellung statt, gegen eine bedarfsweise Vorstellung bei einem Kardiologen in Spanien spreche
nichts.
Nach persönlicher Untersuchung des Klägers schrieb Frau Dr. T vom MDK am 1.12.2011, der Kläger sei weiterhin arbeitsunfähig
und nicht in der Lage, seinen Beruf als Pharmareferent auszuüben. Die Fortführung der einmal wöchentlich stattfindenden Psychotherapie,
sportliche Maßnahmen sowie die Einnahme eines ACE-Hemmers seien sinnvoll. Da die Therapiemaßnahmen kontinuierlich fortgeführt
werden sollten, sei eine Reise nach Spanien wegen der Angstzustände, Albtraume und der rezidivierenden Angina Pectoris nicht
empfehlenswert.
Gegen den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 19.6.2012 hat der Kläger am 3.7.2012 Klage erhoben und sein Vorbringen
vertieft. Er habe vor und nach seinem Urlaub medizinische Nachweise von Fachärzten darüber erbracht, dass die Urlaubsreise
medizinisch sinnvoll sei, sodass die Beklagte von einer Ermessensreduzierung auf Null habe ausgehen müssen. Er habe geglaubt,
alles Erforderliche für eine Genehmigung getan zu haben, da die Mitarbeiterin der Beklagten T ihm am 27.9.2011 telefonisch
mitgeteilt habe, dass er nur ein ärztliches Attest für einen Urlaub im Ausland vorlegen müsse. Dass Frau T und Frau N unterschiedlicher
Rechtsansicht seien, könne ihn nicht dazu zwingen, seinen Flug kostenpflichtig zu stornieren. Die Beklagte müsse sich die
Auskünfte von Frau T, auf die er habe vertrauen dürfen, zurechnen lassen.
Der Kläger hat sinngemäß beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 13.10.2011 und 4.1.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.6.2012
zu verurteilen, seinem Auslandsaufenthalt vom 1. bis 14.10.2011 zuzustimmen und für diesen Zeitraum Krankengeld zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ihrer Ansicht nach sei es befremdlich, dass der Kläger sich am 30.9.3011 bei zwei Ärzten zugleich vorgestellt habe. Darüber
hinaus enthielten die Atteste keinen Hinweis auf eine Reise ins Ausland. Der Kläger habe jedenfalls nach seinem Kontakt mit
Frau N gewusst, dass eine Zahlung von Krankengeld ohne die Zustimmung des MDK nicht möglich sei.
Im Erörterungstermin vor dem Sozialgericht vom 11.4.2013 hat die Kammervorsitzende erläutert, Kardiologe Dr. L (der zusammen
mit Dr. C in einer Praxis tätig ist) habe ihr gegenüber in einem Telefonat erklärt, dass auch eine Reise nach Spanien nicht
kontraindiziert gewesen sei. Sodann sind die Mitarbeiterinnen der Beklagten T und N als Zeuginnen vernommen worden. Hinsichtlich
der weiteren Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat (mit Zustimmung der Beteiligten) ohne mündliche Verhandlung am 27.3.2014 durch Urteil entschieden und
die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Auslandsaufenthalt des Klägers vom 1.10. bis 14.10.2011
zuzustimmen und ihm für diesen Zeitraum nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen Krankengeld zu zahlen. Der zwischen den
Beteiligten unstreitig entstandene Krankengeldanspruch habe nicht nach §
16 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB V geruht, da der Kläger die Genehmigung von der Beklagten habe beanspruchen können. Der Schutzzweck der Norm, Schwierigkeiten
bei der Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit im Ausland vorzubeugen, sei im vorliegenden Fall nicht einschlägig, da die Arbeitsunfähigkeit
rechtzeitig von Dr. N festgestellt worden und offensichtlich auch nicht während des Urlaubs entfallen sei. Da eine Flugreise
zu einem bekannten Ziel keinen Stress verursache, der Kardiologe die Sinnhaftigkeit der Urlaubsreise zur Entspannung bestätigt
und der Kläger auch keine Therapie unterbrochen habe, sei das Ermessen der Beklagten auf Null reduziert gewesen.
Gegen das ihr unter dem 10.4.2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 8.5.2014 Berufung eingelegt. Das Ruhen des Krankengeldanspruchs
während eines Auslandsaufenthalts sei der Regelfall, da der Versicherte im Interesse der Solidargemeinschaft alles zu unternehmen
habe, um seine Genesung voranzutreiben. Sie habe ihr Ermessen unter Einbezug der MDK-Gutachten nicht falsch ausgeübt, zumal
in dem vom Kläger vorgelegten Attest auf eine schwere Erkrankung hingewiesen worden sei. Dass die behandelnden Ärzte bei ihren
Attestierungen davon Kenntnis gehabt hätten, dass der Kläger ins Ausland habe reisen wollen, sei nicht ersichtlich. Die Aussage
des Dr. L, dass auch eine Reise ins Ausland nicht kontraindiziert gewesen sei, ändere nichts daran, dass der Kläger bei einer
Verschlechterung des Gesundheitszustands während der Reise wegen der besseren deutschen medizinischen Versorgungsmöglichkeiten
nach Deutschland habe zurück transportiert werden müssen. Dass eine Versagung der Genehmigung wegen der zu erwartenden Erholung
im Urlaub eine unzumutbare Härte dargestellt habe, sei nicht dargetan. Durch seinen kurzfristigen Antrag habe der Kläger ihr
überdies die Möglichkeit genommen, die näheren Umstände zu ermitteln.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 27.3.2014 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger hat sein Vorbringen im Wesentlichen wiederholt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte,
die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 13.10.2011 und 4.1.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 19.2.2012 zu Recht verurteilt, dem Auslandsaufenthalt vom 1.10. bis 14.10.2011 zuzustimmen und für diesen Zeitraum Krankengeld
zu gewähren.
Gemäß §
16 Abs.
1 Nr.
1 SGB V ruht der Anspruch auf Leistungen nach dem
SGB V, solange Versicherte sich im Ausland aufhalten und zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthaltes
erkranken, soweit in diesem Gesetzbuch nichts Abweichendes bestimmt ist. Abweichend hiervon besagt §
16 Abs.
4 SGB V, dass der Anspruch auf Krankengeld nicht ruht, solange sich Versicherte nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit mit Zustimmung
der Krankenkasse im Ausland aufhalten. Die Entscheidung über die Zustimmung liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Krankenkasse.
Eine Zustimmung im Sinne einer Zusicherung nach § 34 Abs. 1 Zehntes Buch Gesetzbuch (SGB X) kann nicht bereits in der telefonischen Auskunft der Frau T gesehen werden. Denn zum einen entspricht diese nicht den Formerfordernissen
des § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB X, zum anderen hatte Frau T auch noch keine unbedingte Zustimmung erteilt, sondern eine solche von dem Inhalt ärztlicher Atteste
abhängig gemacht.
Da die Arbeitsunfähigkeit des Klägers und deren Feststellung im fraglichen Zeitraum zwischen den Beteiligten unstreitig sind,
war das Ermessen der Beklagten bei der Erteilung der Zustimmung zu dem Auslandsaufenthalt jedoch auf Null reduziert. Denn
nach dem in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden Sinn uns Zweck des an die §§ 209a, 313 und 216
Reichsversicherungsordnung (
RVO) anknüpfenden Ruhenstatbestands ist das Ruhen des Sachleistungsanspruchs im Ausland nur vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten
bei der Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit im Ausland gerechtfertigt (BR-Drucksache 200/88, S. 164 und BT-Drucksache 11/2237,
S. 164, jeweils zu §
16 SGB V). Da die höchstrichterliche Rechtsprechung über den Wortlaut des § 216 Abs. 1 Nr. 2
RVO hinaus auch Krankengeld für die Zeit des Auslandsaufenthalts zuerkannte, in der der Versicherte nachweislich arbeitsunfähig
war (BSGE 31, S. 100ff., 101 f. und BSG SozR 3-2200 § 182
RVO Nr.12, S.49ff., 50) wurde die Regelung des § 216 Abs. 1 Nr. 2
RVO nach den Gesetzesmaterialien (a.a.O. zu §
16 Abs.
4 SGB V) mit redaktionellen Änderungen übernommen. Da somit nur eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Krankengeld in den Fällen
verhindert werden soll, in denen die Arbeitsunfähigkeit im Ausland nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen festgestellt
werden kann, bleibt in den Fallgestaltungen, in denen die Arbeitsunfähigkeit unstreitig festgestellt wurde, für eine Ermessensentscheidung
kein Raum mehr, da hier keine praktischen Schwierigkeiten bei der Feststellung bestehen (LSG NRW, Urteil vom 30.1.1996 -L 5 KR 102/95-; LSG Berlin, Urteil vom 22.3.2000 -L 9 KR 69/98-; so auch Krauskopf/Wagner
SGB V §
16 Rn. 28). In den beiden zitierten Entscheidungen wurde in Fällen, in denen die Arbeitsunfähigkeit erst während des Auslandsaufenthalts
eingetreten war, als solche aber unstreitig war, eine Ermessensentscheidung auf Null angenommen. Dies muss erst recht gelten,
wenn die Arbeitsunfähigkeit bereits im Inland festgestellt worden ist und unstreitig sogar weit über den Auslandsaufenthalt
hinaus (nämlich bis Januar 2012) angedauert hat. Dem stehen entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht die Ausführungen
des Schleswig-Holsteinischen OLG (Urteil vom 3.6.2004 -11U 7/03-) entgegen, da auch hier ausgeführt wird, dass die Zustimmung
durch die Kasse nicht versagt werden kann, wenn der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit nicht erschwert ist oder von vorneherein
feststeht, dass Arbeitsunfähigkeit für die Zeit des Auslandsaufenthalts besteht (a.a.O. Rz. 21). Unabhängig von dem hiesigen
Fall, in dem die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch einen inländischen Arzt erfolgte, weist der Senat auch auf die
Entscheidung des EuGH vom 12.3.1987 (Az.: 22/86) hin. Darin führt der EuGH zu Art. 18 Abs. 1 bis 4 der EWGV Nr. 574/72 aus, dass der zuständige Sozialversicherungsträger in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an die vom Träger
des Wohnorts getroffenen ärztlichen Feststellungen über Eintritt und Dauer der Arbeitsunfähigkeit gebunden ist, sofern er
nicht von der in Abs. 5 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, den Betroffenen durch einen Arzt seiner Wahl untersuchen
zu lassen (siehe BSG, Urteil vom 10.9.1987-8 RK 8/87-, SozR 6055 Art 18 Nr. 2).
Da es bei unzweifelhaft feststehender Arbeitsunfähigkeit nicht auf die Frage ankommt, ob der Auslandsaufenthalt der Genesung
des Versicherten förderlich ist, war das Ermessen der Beklagten auf Null reduziert. Im Übrigen hängt der Anspruch auf Krankengeld
auch im Inland nicht davon ab, ob sich der Versicherte gesundheitsfördernd verhält oder an seiner Genesung dienenden Therapien
oder Untersuchungen teilnimmt (Ausnahme: §
52 SGB V).
Anlass, die Revision zuzulassen besteht nicht (§
160 Abs.
2 SGG).