Gründe
I.
Umstritten ist, ob die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten ist, den Antragsteller mit dem
cannabishaltigen Arzneimittel Dronabinol zu versorgen.
Beim 2003 geborenen Antragsteller, der bei der Antragsgegnerin familienversichert ist, besteht ein sogenanntes Haydu-Cheney-Syndrom,
das u.a. mit komplexen Hirn- und Gesichtsschädelmissbildungen einhergeht, die zahlreiche Operationen erforderlich gemacht
haben. Er leidet an chronischen Kopfschmerzen, Übelkeit, spastischen Bewegungen und einer chronischen Obstipation. Der behandelnde
Arzt, Prof. Dr. G , Chefarzt des Zentrums für Palliativmedizin und Kinderschmerztherapie am Universitätsklinikum , beantragte
für den Antragsteller mit Schreiben vom 10.07.2017, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 19.07.2017, die Genehmigung einer
Behandlung mit Dronabinol. Es handele sich beim Antragsteller um eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne des §
31 Abs.
6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V). Die Behandlung mit Dronabinol sei notwendig, weil zur Therapie im konkreten Behandlungsfall keine allgemein anerkannten,
dem medizinischen Standard entsprechenden Leistungen zur Verfügung ständen. Verschiedenste Nicht-Opioid-Analgetika seien ohne
jedweden Erfolg eingesetzt worden. Opioid-Schmerzmittel kämen aufgrund der ohnehin schon sehr problematischen Obstipationsproblematik
nicht in Betracht. Die Kombination aus spastischen Bewegungsstörungen, Übelkeit sowie Schmerzen könne nur durch eine einzige
Monosubstanz überhaupt abgedeckt werden. Aufgrund der insgesamt komplexen Gesamtsituation verbiete sich daher eine weitere
Kombinationstherapie z.B. aus verschiedenen antineuropathisch wirksamen Schmerzmedikationen. Die Therapie mit Dronabinol sei
aufgrund des beim Antragsteller bestehenden Symptomkomplexes dringend notwendig und mangels zur Verfügung stehender weiterer
Behandlungsmethoden alternativlos. Es bestehe eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung
auf den Krankheitsverlauf bzw. auf schwerwiegende Symptome. Die Wirksamkeit von Dronabinol sei aufgrund der Ergebnisse in
klinischen Studien zu erwarten. Die möglichen Nebenwirkungen würden als geringer eingeschätzt als der zu erwartende therapeutische
Nutzen. Als behandelnder Vertragsarzt werde er die erforderlichen Daten für die Begleiterhebung dem BfArM in anonymisierter
Form zur Verfügung stellen. Die übliche wirksame Dosis liege zwischen 0,3 und 0,5 mg pro Kilogramm Körpergewicht und Tag bei
einem aktuellen Körpergewicht des Antragstellers von 40 kg.
Die Antragsgegnerin teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 19.07.2017 die in Auftrag gegebene Begutachtung durch den Medizinischen
Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit. Dieser forderte vom behandelnden Arzt unter Fristsetzung weitere medizinische Unterlagen
an und teilte der Antragsgegnerin am 31.07.2017 mit, dass diese nicht eingegangen seien. Mit Bescheid vom 18.08.2017 lehnte
die Antragsgegnerin daraufhin den Leistungsantrag ab, weil anhand der vorliegenden Unterlagen die Voraussetzungen für die
Genehmigung nicht nachvollzogen werden könnten. Eine Begutachtung sei innerhalb der gesetzlichen Bearbeitungsfrist nach §
13 Abs.
3a SGB V nicht möglich gewesen. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch. Die Antragsgegnerin veranlasste erneut eine Begutachtung
durch den MDK, nachdem zwischenzeitlich medizinische Unterlagen eingereicht worden waren. Prof. Dr. G legte ergänzend u.a.
dar, bei bisher durchgeführten frustranen Therapieversuchen und der beim Antragsteller gegebenen Kombination aus spastischen
Bewegungsstörungen, Übelkeit sowie neuropathisch imponierenden Schmerzen könne nur Dronabinol als Monosubstanz alle Symptomfelder
bedienen. Eine Opioidmedikation bzw. eine Kombinationstherapie verschiedener antineuropathisch wirksamer Schmerzmedikamente
sei aufgrund der zu erwartenden Nebenwirkungen nicht vertretbar. In seinem Gutachten vom 28.08.2017 führte demgegenüber der
Arzt im MDK Dr. A aus, dass zwar die Erkrankung des Antragstellers als schwerwiegend einzustufen sei. Auch seien Nicht-Opioid-Analgetika
nach Angaben des Behandlers bereits zum Einsatz gekommen, während Opioid-Analgetika aufgrund der Obstipations-Problematik
des Antragstellers als kontraindiziert angesehen würden. Den Unterlagen sei jedoch keine Begründung dafür zu entnehmen, weshalb
die Verabreichung von Opioid-Analgetika nicht in Kombination mit einer erhöhten Dosis an entsprechenden Laxantien möglich
sei. Den Unterlagen sei ferner nicht zu entnehmen, welche Arzneimittel im Einzelnen wie lange und mit welchem Effekt zur Anwendung
gekommen seien. Gründe für die Beendigung der jeweiligen Therapie seien ebenfalls nicht ersichtlich. Damit sei die Einschätzung
des Behandlers über die Unwirksamkeit der bislang durchgeführten Therapie nicht in ausreichendem Maße nachvollziehbar. Bestätigt
werden könne, dass nach den verfügbaren wissenschaftlichen Daten die streitgegenständliche Behandlung eine nicht ganz entfernt
liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome biete.
Insgesamt könnten anhand der vorgelegten Unterlagen die sozialmedizinischen Kriterien für die Genehmigung der Behandlung mit
Dronabinol nicht als erfüllt bewertet werden. Gestützt hierauf wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid
vom 27.11.2017 zurück. Hiergegen hat der Antragsteller in der Hauptsache fristgerecht Klage zum Sozialgericht Mainz (S 7 KR 569/17) erhoben.
Am 18.12.2017 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Mainz (SG) Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und beantragt, die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
zu verpflichten, die Kosten für eine Behandlung mit Dronabinol nach Maßgabe des Gesetzes zu übernehmen. Er hat eine Stellungnahme
von Prof. Dr. G vom 15.12.2017 vorgelegt, wonach der Antragsteller wegen der Ablehnung der Versorgung mit dem Arzneimittel
Dronabinol durch die Antragsgegnerin stationär auf die Kinder-Palliativstation des Universitätsklinikum habe aufgenommen werden
müssen, um die medikamentöse Versorgung sicherzustellen. Die Antragsgegnerin ist dem Begehren unter Hinweis auf das Ergebnis
der Begutachtung durch den MDK entgegengetreten und hat geltend gemacht, es sei schon nicht erkennbar, worin die besondere
Eilbedürftigkeit bestehe, zumal der Antragsteller offensichtlich während der Dauer des Antrags- und Widerspruchsverfahrens
nicht habe behandelt werden müssen. Zudem könne die Versorgung grundsätzlich auch über die Ausstellung von Privatrezepten
sichergestellt werden, deren Erstattung gegebenenfalls im Nachgang verlangt werden könne. Durch Beschluss vom 22.12.2017 hat
das SG den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Die begehrte einstweilige Anordnung (§
86b Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz \226
SGG ) sei nicht zu erlassen, da ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht sei. Bezüglich des Vorliegens der Voraussetzungen
des §
31 Abs.6
SGB V lägen unterschiedliche medizinische Auffassungen vor. Eine ausführliche medizinische Begründung des behandelnden Arztes,
aus welchen Gründen die von ihm selbst benannten und/oder vom MDK erwogenen Behandlungsalternativen beim Antragsteller nicht
zur Anwendung kommen könnten, ggf. verbunden mit einer konkreten Schilderung der zu erwartenden Nebenwirkungen, liege dem
Gericht gegenwärtig nicht vor. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache seien daher offen. Ungeachtet dessen scheide der Erlass
der begehrten Regelungsanordnung aus, weil kein Anordnungsanspruch (gemeint: Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht worden sei.
Zu Recht weise die Antragsgegnerin darauf hin, dass besondere Gründe, die die Notwendigkeit der beantragten Therapie im jetzigen
Zeitpunkt nachvollziehbar machen könnten, nicht dargelegt worden seien. Die bloße Behauptung des behandelnden Arztes, dass
wegen der endgültigen Leistungsablehnung durch die Antragsgegnerin eine stationäre Aufnahme mit dem Ziel einer entsprechenden
Behandlung am 15.12.2017 notwendig geworden sein solle genüge insoweit nicht.
Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller am 12.01.2018 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung verweist er im Wesentlichen
auf eine Stellungnahme von Prof. Dr. G vom 11.01.2018 und macht geltend, dieser könne als Chefarzt der Palliativmedizin und
Kinderschmerztherapie des Universitätsklinikums die medizinische Indikation zur Behandlung mit Dronabinol wohl besser beurteilen
als der Gutachter des MDK. Er, der Antragsteller, sei kurz vor Weihnachten aus der stationären Behandlung entlassen und mittels
Privatrezept für Dronabinol versorgt worden, wofür zwischenzeitlich bei monatlichen Behandlungskosten von ca. 500,00 EUR bereits
Kosten von über 1.000,00 EUR entstanden seien, was langfristig für die Familie untragbar sei. Die Entscheidung des SG sei inakzeptabel und verletze nicht nur den Amtsermittlungsgrundsatz, sondern auch den Anspruch auf rechtliches Gehör, da
seinen Prozessbevollmächtigten erst am 21.12.2017 die Erwiderung der Antragsgegnerin und die Verwaltungsakte übermittelt worden
seien und sodann bereits am 22.12.2017 entschieden worden sei, ohne dass er, der Antragsteller, sich hierzu habe äußern können.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Mainz vom 22.12.2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung
zu verpflichten, die beantragte Behandlung mit Dronabinol zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend. Unter Vorlage eines weiteren MDK-Gutachtens von Dr. A /Dr. L vom 01.02.2018
wendet sie ein, Prof. Dr. G habe seine medizinische Beurteilung nicht mit entsprechenden Befundunterlagen belegt und bisher
keinen Behandlungsbericht über die bisherige Behandlung des Antragstellers vorgelegt. Seine pauschalen Behauptungen könnten
weiterhin nicht nachvollzogen werden. Insbesondere die von ihm behaupteten Spastiken des Antragstellers gingen aus früheren
Arztberichten nicht hervor. Die Art und Intensität der Schmerzen des Antragstellers werde nicht klar aufgezeigt. Dies gelte
auch für die behauptete Zustandsverschlechterung ab Dezember 2017.
Der Antragsteller wendet hiergegen ein, zur Kernaussage von Prof. Dr. G , dass eine Therapie mit Opioiden das Risiko einer
Hirndrucksymptomatik verstärken würde, habe sich der MDK überhaupt nicht geäußert. Der Antragsteller hat Unterlagen zu den
wirtschaftlichen Verhältnissen seiner Eltern vorgelegt.
II.
Die nach §§
172,
173 SGG zulässige Beschwerde ist begründet. Die beantragte einstweilige Anordnung ist zu erlassen, wobei der Senat die Wirkung bis
längstens zum Abschluss des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens begrenzt. Der angefochtene Beschluss des SG ist aufzuheben.
Einstweilige Regelungsanordnungen nach §
86b Abs.
2 SGG können ergehen, wenn allein dadurch wesentliche Nachteile für einen Betroffenen abgewandt werden können. Diese Regelungsanordnungen
setzen einen Anordnungsanspruch, also ein materielles Recht auf die inhaltliche Entscheidung, und einen Anordnungsgrund, also
besondere Eilbedürftigkeit, voraus; beides ist glaubhaft zu machen, §
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO). Ob ein Anordnungsanspruch besteht, entscheidet sich in der Regel nach einer wegen der Eilbedürftigkeit gebotenen summarischen
Prüfung. Stehen aber existenziell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung in Streit, ist eine lediglich summarische
Prüfung der Sach- und Rechtslage verwehrt, die Sach- und Rechtslage ist abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG 22.01.2002 1 BvR 1586/02, juris). Kann die Sache im Eilverfahren nicht vollständig geprüft werden, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden.
Die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen, die Gerichte haben sich
schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen zu stellen (BVerfG 06.02.2007 \226 1 BvR 3101/06 juris).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat der Eilantrag des Antragstellers Erfolg. Der erforderliche Anordnungsanspruch ist zwar
beim gegenwärtigen Sach- und Streitstand nicht zur vollen gerichtlichen Überzeugung nachgewiesen, jedoch aufgrund der Ausführungen
des behandelnden Arztes Prof. Dr. G zuletzt in seiner im Beschwerdeverfahren vorgelegten ausführlichen Stellungnahme vom 11.01.2018
überwiegend wahrscheinlich. Anspruchsgrundlage für das Begehren des Antragstellers ist §
31 Abs.
6 SGB V. Nach dieser Bestimmung haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form
von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen
Dronabinol oder Nabilon, wenn (1.) eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung (a) nicht
zur Verfügung steht oder (b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden
Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder
des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann, (2.) eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive
Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung
für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse,
die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist. Dass vorliegend der Antragsteller an einer schwerwiegenden Erkrankung im Sinne
des §
31 Abs.
6 SGB V leidet, stellt auch die Antragsgegnerin nicht in Frage und ist von dem Arzt im MDK Dr. A ausdrücklich bestätigt worden. Der
Senat hat hieran keinen Zweifel. Ebenso ist die o.g. zweite Voraussetzung, nämlich eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht
auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome durch die Behandlung mit
dem Arzneimittel Dronabinol unter Berücksichtigung der übereinstimmenden Darlegung des behandelnden Arztes Prof. Dr. G und
des Arztes im MDK Dr. A nicht zweifelhaft. Auch das Vorliegen der o.g. ersten Voraussetzung ist wahrscheinlich. Prof. Dr.
G hat zuletzt in seiner Stellungnahme vom 11.01.2018 im Einzelnen dargelegt, dass beim Antragsteller "sämtliche sinnhaft einsetzbaren
Nicht-Opioid-Schmerzmedikamente bereits ohne hinreichende Wirkung" zur Anwendung gelangt sind, weshalb in der Zeit von Juli
2017 bis zur stationären Aufnahme des Antragstellers im Dezember 2017 wegen einer erheblichen Zustandsverschlechterung eine
Therapiefortführung aufgrund auch bestehender Nebenwirkungen mit diesen Präparaten nicht sinnvoll gewesen wäre. Wie Prof.
Dr. G dargelegt hat, bringt es nach dem erfolglosen Einsatz der für Kinder üblichen verschiedenen Nicht-Opioid-Medikamente
nichts, noch weitere Einzelsubstanzen auszuprobieren, die zu denselben Substanzfamilien gehören. Die vom MDK alternativ erwogene
Opioid-Therapie ist nach den Ausführungen von Prof Dr. G eingehend geprüft worden, wurde jedoch im Fall des Antragstellers
aufgrund des damit verbundenen Nebenwirkungsspektrums bei schon vorbestehender Obstipation des Antragstellers als ungeeignet
erachtet. Darüber hinaus ziele eine solche Therapie ausschließlich auf die Schmerzsymptomatik, nicht auf die beim Antragsteller
weiter vorliegende Spastik und die Übelkeit. Erschwerend kommt nach der Beurteilung des Prof. Dr. G hinzu, dass sich unter
einer Opioid-Therapie eine Hirndrucksymptomatik ausbilden oder verstärken kann. Dieses Risiko ist nach Einschätzung des behandelnden
Arztes beim Antragsteller, bei dem mehrfach Schädeloperationen durchgeführt wurden, nicht vertretbar. Soweit der Gutachter
des MDK eine Opioid-Therapie unter Zuhilfenahme von Laxantien vorschlage, bleibe außer Acht, dass im Rahmen einer Mechanismen
basierten Behandlung die Opioidinduzierte Obstipation lediglich durch das Medikament Naloxegol wirklich ursächlich behandelt
werden könne, welches wiederum erst ab dem 18. Lebensjahr zugelassen sei. Dies gelte ebenso für alle moderneren, besser verträglichen
Opioid-Schmerzmedikamente. Mit dieser Darlegung hat der behandelnde Arzt im Sinne des §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1 Buchstabe b
SGB V eine begründete Einschätzung im Einzelfall abgegeben, dass unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung
des Krankheitszustands des Antragstellers eine Opioid-Therapie ebenso nicht zur Anwendung gelangen kann wie sonstige Nicht-Opioid-Schmerzmedikamente.
Die gerade für den Fall des jugendlichen Antragstellers vom behandelnden Spezialisten abgegebene Beurteilung lässt damit auch
die Voraussetzungen des §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1 SGB V hinreichend wahrscheinlich erscheinen. Der Anordnungsanspruch ist damit hinreichend glaubhaft gemacht. Die Einwendungen der
Antragsgegnerin, gestützt auf das weitere Gutachten von Dr. A /Dr. L vom 01.02.2018, vermögen hieran nichts Entscheidendes
zu ändern. Die Gutachter betonen abschließend, dass insbesondere wegen des Fehlens originärer ärztlicher bzw. medizinischer
Unterlagen zur aktuellen Untersuchung und Behandlung des Antragstellers die Voraussetzungen des §
31 Abs.
6 SGB V derzeit nicht umfassend belegt seien. Sie räumen selbst aber ein, dass in der vorliegenden Fallkonstellation des schwererkrankten
Antragstellers ein Anspruch nicht auszuschließen sei. Bei dieser Sachlage gebührt nach der Konzeption des Gesetzes zunächst
der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes der Vorrang, denn §
31 Abs.
6 Satz 1 Buchst. b
SGB V stellt für die Frage, ob im Einzelfall eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung unter
Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustands des Versicherten nicht zur Anwendung
kommen kann, auf dessen Beurteilung ab. Demgegenüber darf die Krankenkasse "nur in begründeten Ausnahmefällen" die bei der
ersten Verordnung erforderliche vorherige Genehmigung ablehnen. Dass die Genehmigungsvoraussetzungen im vorliegenden Fall
nicht gegeben sind, steht auch nach den Gutachten des MDK derzeit jedenfalls nicht fest. Diesbezügliche abschließende Ermittlungen
bleiben dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Dem danach anzunehmenden Anordnungsanspruch kann nicht entgegengehalten werden, dass Prof. Dr. G bisher lediglich privatärztliche
Verordnungen für Dronabinol ausgestellt hat. In Fällen unklarer Verordnungsfähigkeit ist anerkannt, dass der Vertragsarzt
der Krankenkasse als Kostenträger eine Vorabprüfung ermöglichen kann, ob sie die Verordnungskosten übernimmt (BSG 20.03.2013 B 6 KA 27/12 R, juris Rn. 19 mwN); bei der Erstverordnung von Cannabis oder von Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon
ist zudem in §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V ausdrücklich vorgegeben, dass die Genehmigung der Kasse vorab einzuholen ist. Dass bereits für diese Prüfung eine vertragsärztliche
Verordnung vorliegen müsste, vermag der Senat nicht zu erkennen (a.A. LSG Baden-Württemberg 19.09.2017 \226 L 11 KR 3414/17 ER B, juris Rn. 25). Jedenfalls hat Prof. Dr. G in seinen verschiedenen Stellungnahmen deutlich gemacht, dass er vom Vorliegen
der Voraussetzungen für eine vertragsärztliche Verordnung nach Maßgabe des §
31 Abs.
6 SGB V überzeugt ist.
Auch wenn nach dem Dargelegten eine vollständige Aufklärung der Sachlage im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht möglich
ist, ist nach alledem ein Anordnungsanspruch jedenfalls hinreichend wahrscheinlich. Darüber hinaus liegt auch ein Anordnungsgrund
vor. Nach den Stellungnahmen des Prof. Dr. G war beim Antragsteller nach dem Abbruch der wirkungslosen Therapie mit Nicht-Opioid-Schmerzmedikamenten
zwischenzeitlich eine weitere Zustandsverschlechterung eingetreten, die sich mit Beginn der Behandlung mit Dronabinol ab Dezember
2017 wieder deutlich gebessert hat. Auch wenn weiterhin substantiierte Angaben über Art und Ausmaß der ohne die streitige
Behandlung zu befürchtenden Beeinträchtigungen des Antragstellers nicht vorliegen, ist zur Überzeugung des Senats unter Berücksichtigung
der auch von den Gutachtern des MDK bestätigten Schwere des Krankheitsbildes des Antragstellers unter Abwägung dessen grundrechtlicher
Belange mit den wirtschaftlichen Interessen der Antragsgegnerin ein Verzicht auf die Cannabinoid-Therapie bis zum Abschluss
des Hauptsacheverfahrens nicht zumutbar. Nach den Ausführungen des Prof. Dr. G ist in der Gesamtzusammenschau von Spastik,
Schmerz und Übelkeit die Behandlung mit Dronabinol genau passend für den Antragsteller. Sie kann bei Monatskosten von ca.
500,00 EUR von den Eltern des Antragstellers jedoch für die Dauer des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens angesichts ihrer
im Beschwerdeverfahren ergänzend dargelegten finanziellen Verhältnisse nicht vorfinanziert werden, ohne die Lebensgrundlage
der Familie zu gefährden.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, §
177 SGG.