Rentenversicherung - regelmäßige Arbeitslosmeldung; Beleg; Beweispflicht; Nachweis; besondere versicherungsrechtliche Voraussetzungen;
Rente wegen voller Erwerbsminderung; Pflichtbeitragszeit; 3/5-Belegung
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung nach dem
Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung -
SGB VI) ab dem 1. Juni 2007 streitig.
Die am ... 1956 geborene Klägerin war nach dem Abschluss der 8. Klasse vom 12. September bis zum 31. Dezember 1973 als ungelernte
Maschinenfahrerin tätig. Vom 18. Februar bis zum 26. Oktober 1974 arbeitete sie als Küchenhilfe, vom 1. Februar 1975 bis zum
26. April 1977 als Herdhilfe, vom 31. Mai 1977 bis zum 19. Januar 1990 als Reinigungskraft und von 1990 bis zum 31. Dezember
2001 als Reinigungskraft / technische Kraft.
Ausweislich des Versicherungsverlaufes sind für die Klägerin folgende Zeiten als Pflichtbeitragszeiten belegt: 2002 Januar
bis Dezember 12 Monate Pflichtbeitragszeiten, 2003 Januar bis Dezember 12 Monate Pflichtbeitragszeiten, 2004 Januar bis Dezember
12 Monate Pflichtbeitragszeiten, 2005 keine Pflichtbeitragszeiten, 2006 Juli bis Dezember 6 Monate Pflichtbeitragszeiten,
2007 Januar bis Mai 5 Monate Pflichtbeitragszeiten, 2008 keine Pflichtbeitragszeiten, 2009 November und Dezember 2 Monate
Pflichtbeitragszeiten.
Für 2005, Juli bis zum 6. August 2007, April bis Dezember 2008 und Januar bis Oktober 2009 sind keinerlei Zeiten im Versicherungsverlauf
gespeichert. Für Januar bis Juni 2006, für August bis Dezember 2007 und für Januar bis März 2008 sind Zeiten der Arbeitslosigkeit
ohne Leistungsbezug festgestellt. Vom 1. November 2009 bis zum 26. Dezember 2010 sind - mit Unterbrechung - Pflichtbeiträge
für eine Pflegetätigkeit gespeichert.
Die Klägerin beantragte am 21. Juni 2007 bei der Beklagten die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung unter Hinweis
auf den Verschleiß ihrer Knochen (Arm, Knie, Wirbelsäule) und eine Unterleibsoperation im Oktober 2003.
Die Beklagte holte einen Bericht des Dr. R. vom 12. September 2007 ein. Er berichtete über die letzte Untersuchung am 5. September
2007. Die Klägerin leide unter einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule, Schmerzen und Schwellungen
des linken Knies, Druckschmerz im linken Ellenbogen, Druckschmerz im Hypogastrium (Unterbauch) und Druck- und Bewegungsschmerz
im linken Handgelenk. Seit einem halben Jahr sei eine Verschlechterung eingetreten. Eine Besserung der Leistungsfähigkeit
sei durch eine medizinische Rehabilitation zu erreichen. Dr. R. legte weitere Befundberichte vor, u.a. ein ärztliches Gutachten
der Fachärztin für Allgemeinmedizin W. (Arbeitsamt M.) vom 21. Februar 2002, die das Leistungsvermögen der Klägerin mit vollschichtig
ohne einseitig monotone Belastungen der Wirbelsäule und Gelenke beschrieb und ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten vom
24. Juni 2002 von Prof. Dr. K. anlässlich eines Unfalls vom 26. November 1999, der als Unfallfolge eine leichte sensible Schädigung
des zweiten Astes des rechten Nervus trigeminus (Invaliditätsgrad 3 Prozent), eine Hypertonie und Adipositas (87 kg bei einer
Körpergröße von 158 cm) diagnostizierte.
Die Beklagte holte ein orthopädisches Gutachten der Fachärztin für Orthopädie/Chirotherapie Dr. S. vom 14. Dezember 2007 ein.
Dr. S. stellte ein chronisch rezidivierendes lumbales Pseudoradikulärsyndrom rechts, einen Restbefund nach Impingement-Syndrom
des rechten Schultergelenks, eine Tendopathie der Schulter- und Ellenbogengelenke, eine minimale Gon- und Retropatellararthrose
rechts ohne klinische Relevanz sowie eine Retropatellararthrose links ebenfalls ohne klinische Relevanz fest. Die Klägerin
könne täglich mittelschwere körperliche Arbeiten sechs Stunden und mehr im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen mit weiteren
qualitativen Leistungseinschränkungen ausüben.
Am 5. März 2008 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ab. Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben
vom 17. März 2008, zugegangen am 18. März 2008, Widerspruch.
Dr. B. erstellte für die Agentur für Arbeit M. am 6. März 2008 nach Untersuchung der Klägerin am 3. März 2008 ein Gutachten.
Er teilte mit, die Klägerin leide unter einer erheblichen Schmerzsymptomatik im Bereich des knöchernen Systems. Sie sei voraussichtlich
für länger als sechs Monate, aber nicht auf Dauer, unter drei Stunden täglich leistungsfähig. Zunächst seien eine erneute
physiotherapeutische Behandlung und eine Optimierung der Schmerztherapie anzustreben. Bei unzureichendem Erfolg, müsse über
die Notwendigkeit einer Rehabilitationsmaßnahme entschieden werden. In der Berufs- und Arbeitsanamnese ist für die Klägerin
ausgeführt: vom 1. Juni bis zum 6. August 2007 "Mangelnde Verfügbarkeit/Mitwirkung".
Die Klägerin befand sich vom 28. Januar bis 4. März 2009 in der Rehabilitationsklinik B. in stationärer Behandlung. In der
sozialmedizinischen Epikrise vom 12. März 2009 ist angegeben: Die Klägerin sei arbeitsfähig zur stationären Rehabilitation
erschienen und werde arbeitsfähig entlassen. Sie könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte körperliche Tätigkeiten in
wechselnder Körperhaltung in Tagesschicht drei bis unter sechs Stunden täglich mit weiteren qualitativen Einschränkungen verrichten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin könne täglich leichte Arbeiten
sechs Stunden und mehr verrichten. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit liege nicht
vor. Es sei von einem Hauptberuf als Reinigungskraft auszugehen, so dass die Klägerin als Ungelernte einzustufen und auf den
allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen sei.
Die Klägerin hat hiergegen am 19. April 2010 Klage beim Sozialgericht (SG) Magdeburg erhoben. Zur Begründung hat die Klägerin angegeben, dass sich der Gesundheitszustand seit der Rentenantragstellung
am 21. Juni 2007 ab 2009 infolge der Wirbelsäulenerkrankung, des Tinnitus und der Inkontinenz verschlechtert habe. Sie hat
Arztbriefe der sie behandelnden Ärzte vorgelegt. Die Fachärztin für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Dipl.-Med. G. hat am
9. Juli 2012 mitgeteilt, dass der diagnostizierte Tinnitus unverändert bei zufriedenstellender Hörgeräteversorgung bestehe.
Der Facharzt für Frauenheilkunde Dr. N. hat am 12. Juni 2012 über eine vaginale Hysterektomie mit Einsetzen einer Scheidenplastik
sowie absolute Inkontinenz seit 2008 mit der Notwendigkeit des Tragens anatomischer Vorlagen (3 - 4 Stück täglich) berichtet
und der Facharzt für Orthopädie/Chirotherapie W. hat am 12. September 2012 die orthopädischen Leiden der Klägerin seit 2005
geschildert. Am 17. Dezember 2012 hat das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 seit
dem 27. Juni 2012 festgestellt.
Das SG hat Befundberichte eingeholt. Der Facharzt für Innere Medizin Dipl.-Med. V. hat am 28. Mai 2013 mitgeteilt, die Klägerin
erstmals am 18. April 2012 untersucht zu haben. Die Klägerin könne vollschichtig leichte Tätigkeiten, wegen der Harninkontinenz
nur im Sitzen und in geschlossenen Räumen, verrichten. Er habe einen Reizhusten diagnostiziert. Vom 1. bis zum 4. Oktober
2012 habe sich die Klägerin deswegen in stationärer Behandlung befunden. Dr. R. hat am 10. Juni 2013 berichtet, die Klägerin
leide auch unter einem Diabetes mellitus Typ II und könne keinerlei Arbeiten mehr ausüben. Herr W. hat am 13. Juni 2013 über
die orthopädischen Leiden der Klägerin berichtet. Er habe sie erstmals am 22. Februar 2007 untersucht. Eine wesentliche Änderung
der Befunde sei nicht eingetreten. Der Facharzt für Orthopädie Dr. B. hat mit Befundbericht vom 20. August 2013 mitgeteilt,
die Klägerin erstmals im August 2011 untersucht zu haben und Dipl.-Med. G. hat am 21. November 2013 über einen im November
2012 erlittenen Hörsturz der Klägerin berichtet.
Das SG Magdeburg hat mit Urteil vom 25. Februar 2014 den Bescheid vom 5. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 30. März 2010 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung "von März bis November
2014" zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Ausgehend von einem Leistungsfall im August 2013 habe die Klägerin
ab dem 1. März 2014 einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung. Dies ergebe sich aus dem Befundbericht von Dr.
B. vom 20. August 2013, der erstmals eine Lumbalspinalkanalstenose mit Peroneusparese sowie eine diabetische Neuropathie nachvollziehbar
geschildert habe. Die Rente sei zu befristen gewesen, um alsbald eine neue Prüfung des Leistungsvermögens zu ermöglichen,
gegebenenfalls nach einer vorangegangenen Maßnahme der Rehabilitation.
Gegen das der Beklagten am 6. März 2014 zugestellte Urteil hat sie am 3. April 2014 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Die Entscheidung des SG Magdeburg sei fehlerhaft, da die versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen im Zeitpunkt des vom SG angenommenen Leistungsfalls nicht vorlägen. Im Zeitraum vom 1. Juli 2008 bis zum 19. August 2013 lägen nur 14 Kalendermonate
mit Pflichtbeitragszeiten vor, so dass die sog. 3/5-Belegung nicht erfüllt sei. Letztmalig seien die versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen am 31. August 2008 erfüllt. Zudem lägen auch die persönlichen Voraussetzungen nicht vor.
Gegen das der Klägerin am 5. März 2014 zugestellte Urteil hat diese am 3. Juni 2014 Anschlussberufung beim Landessozialgericht
Sachsen-Anhalt eingelegt. Sie trägt vor: Die im Versicherungsverlauf festgestellten Pflichtbeitragszeiten seien korrekt wiedergegeben.
Sie sei jedoch bereits seit Antragstellung voll in der Erwerbsfähigkeit gemindert. Dies ergebe sich aus den eingeholten Befundberichten.
Dr. B. habe im Befundbericht vom 20. August 2013 mitgeteilt, dass er sie seit August 2011 behandele und keine wesentliche
Änderung eingetreten sei. Dies bedeute, dass alle beschriebenen Leiden bereits seit mindestens August 2011 bestanden haben
müssen. Er habe zwar eine Verschlechterung diagnostiziert, aber keine Angaben zum Eintritt der vollen Erwerbsminderung getätigt.
Der von dem SG angenommene Leistungsfall im August 2013 sei daher fehlerhaft bestimmt. Zudem habe das SG unterlassen, die bestehenden Wechselwirkungen zwischen ihren verschiedenen Beschwerden zu berücksichtigen. Neben die multiplen
belastungsunabhängigen Beeinträchtigungen des Halteapparates träten eine absolute Harninkontinenz sowie ein chronischer Tinnitus.
Aufgrund der seit 2007 bestehenden Harninkontinenz habe ihr der Internist Dipl.-Med. V. mit Befundbericht vom 28. Mai 2013
ein Leistungsvermögen nur im Sitzen attestiert. Dies sei mit den Vorgaben, aufgrund der Beschwerden des Halteapparates Zwangshaltungen
zu vermeiden und nur Tätigkeiten im Wechsel von Sitzen, Gehen und Stehen auszuführen, nicht vereinbar. Sie habe sich auch
nach Ablauf des Bezuges von Arbeitslosengeld I bei der Agentur für Arbeit in Magdeburg im Januar 2005 arbeitslos gemeldet,
so dass weitere Zeiten als Anrechnungszeiten zu berücksichtigen seien. Nachfolgend habe sie sich alle drei Monate persönlich
vorstellen müssen.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Magdeburg vom 25. Februar 2014 abzuändern und die Klage gegen den Bescheid vom 5.
März 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2010 insgesamt abzuweisen sowie die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und darüber hinaus das Urteil des SG Magdeburg vom 25. Februar
2014 unter Aufhebung des Bescheides vom 5. März 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2010 abzuändern
und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Juni 2007 auf Dauer, hilfsweise über den
30. November 2014 hinaus, weiter hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu bewilligen.
Auf die Ermittlungen des Senates teilte die Bundesagentur für Arbeit M. am 4. Februar 2016 mit, dass sämtliche Daten der Klägerin
gelöscht werden mussten, da sie für eine Bearbeitung nicht mehr erforderlich waren (§ 84 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X).
Der Senat hat die Tochter der Klägerin, H. D., als Zeugin vernommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten, die sämtlich
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die Anschlussberufung der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet.
Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung vom März bis zum November 2014
zu gewähren. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 5. März 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. März
2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin deshalb nicht in ihren Rechten (§
54 Abs.
2 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG)).
Nach §
43 Abs.
1, Abs.
2 SGB VI in der ab dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente
wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren
vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt
der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Die Klägerin war bei der Beklagten versichert und hatte zum Zeitpunkt der Antragstellung am 21. Juni 2007 die allgemeine Wartezeit
nach §
50 Abs.
1 SGB VI von fünf Jahren (60 Monaten) erfüllt. Ausweislich der in der Verwaltungsakte enthaltenen Wartezeitaufstellung lagen bis zu
diesem Zeitpunkt 383 Monate mit Beitragszeiten vor. Im maßgeblichen Zeitraum von fünf Jahren vor dem Rentenantrag (21. Juni
2002 bis zum 20. Juni 2007) sind 42 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt, sodass im Zeitpunkt der Rentenantragstellung die so
genannte Drei-Fünftel-Belegung erfüllt ist. Letztmalig am 31. August 2008 hat die Klägerin die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
erfüllt. Nach der Rentenantragstellung sind für Klägerin vom 7. August 2007 bis zum 17. März 2008 Zeiten der Arbeitslosigkeit
ohne Leistungsbezug - ohne Anrechnung - im Versicherungsverlauf festgestellt. Gemäß §
43 Abs.
4 Nr.
3 SGB VI verlängert sich der Fünf-Jahres-Zeitraum um diese Aufschubzeit. Vom 18. März 2008 bis zum 31. Oktober 2009 sind keine Pflichtbeiträge
oder Aufschubzeiten im Versicherungsverlauf enthalten. Damit sind im verlängerten Zeitraum (1. Dezember 2002 bis 31. August
2008) letztmalig 36 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt. Im nachfolgenden Zeitraum (1. Januar 2003 bis 29. September
2008) sind lediglich 35 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt. Erst ab November 2009 sind wiederum Zeiten mit Pflichtbeiträgen
- wegen Pflegetätigkeit - gespeichert. Soweit die Klägerin vorträgt, sie habe sich im Januar 2005 arbeitsuchend gemeldet,
da sie alle drei Monate persönlich habe vorstellig werden müssen, ist dies nicht ausreichend nachgewiesen. Die Klägerin hat
keine Nachweise vorgelegt. Der ablehnende Bescheid des Jobcenter Arbeitsgemeinschaft Bördekreis vom 27. Juni 2005 genügt nicht
zum Beweis der tatsächlichen Meldung bei der Agentur für Arbeit, da mit diesem nur ein Anspruch auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) abgelehnt worden ist. Die zuständige Agentur für Arbeit hat keine Daten gemeldet, so dass Anhaltspunkte dafür vorliegen,
dass keine Meldung durch die Klägerin bei der Agentur für Arbeit in M. erfolgt ist. In ihrem Schreiben vom 14. März 2016 teilt
die Klägerin zudem lediglich mit, dass sie sich alle drei Monate habe melden müssen. Ob und wann eine solche Meldung erfolgt
sein soll, ist weder dargelegt noch nachgewiesen. Vielmehr enthält das Gutachten von Dr. B. in der Berufs- und Arbeitsanamnese
den Hinweis auf eine mangelnde Verfügbarkeit bzw. Mitwirkung vom 1. Juni bis zum 6. August 2007. Auch durch die Zeugenvernehmung
der Tochter der Klägerin ist eine lückenlose Meldung bei der Agentur für Arbeit nicht nachgewiesen. Die Zeugin hat zwar glaubhaft
ausgeführt, sich mit ihrer Mutter über die von der Agentur für Arbeit geforderten Bewerbungen unterhalten zu haben und darauf
hingewiesen, dass sie ihrer Mutter bei der Erstellung der Bewerbungsunterlagen geholfen habe. Damit ist jedoch nicht belegt,
dass eine Meldung bei der Agentur für Arbeit tatsächlich lückenlos im Zeitraum 2005 bis 2010 erfolgt ist. Die Zeugin war bei
den - behaupteten - Meldungen bei der Agentur für Arbeit nicht dabei und gab in der Zeugenvernehmung an, dass es auch sein
könne, dass sie während eines Quartals nicht mit ihrer Mutter, der Klägerin, über die Bewerbung bei der Agentur für Arbeit
geredet habe. Zwar gab die Zeugin an, dass die Klägerin ihr immer erzählt habe, was sie anlässlich der Meldung bei der Agentur
für Arbeit erlebt habe, an konkrete Einzelheiten solcher Gespräche konnte sie sich jedoch nicht erinnern. Da im Versicherungsverlauf
ab 2005 nur lückenhaft Zeiten als Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug erfasst sind, ist der Klägerin der Beweis für die lückenlose
Meldung bei der Agentur für Arbeit nicht gelungen.
Der Leistungsfall ist - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht bis zum 31. August 2008 eingetreten. Die Klägerin war
bis zu diesem Zeitpunkt nicht voll erwerbsgemindert. Nach §
43 Abs.
2 Satz 2
SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter
den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach §
43 Abs.
1 Satz 2
SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind,
unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert
ist nach §
43 Abs.
3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein
kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Die Klägerin war bis zum 31. August 2008 nicht voll erwerbsgemindert, weil sie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme unter
den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden täglich erwerbstätig sein konnte. Bei ihr bestanden
nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erhebliche körperliche Gesundheitsbeeinträchtigungen, die jedoch nur zu einer qualitativen
Leistungsminderung führten.
Der Senat geht von folgendem Leistungsbild bis zum 31. August 2008 aus: Die Klägerin war noch in der Lage, körperlich leichte
Arbeiten im Wechsel zwischen Gehen und Stehen bei vorwiegendem Sitzen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Arbeiten
mit Zwangshaltungen und einseitigen körperlichen Belastungen, mit Bücken und Heben waren zu vermeiden.
Dieses Leistungsbild ergibt sich für den Senat insbesondere aus der Einschätzung von Dr. S. in ihrem fachorthopädischen Gutachten
vom 14. Dezember 2007 und dem Befundbericht von Dr. R. vom 12. September 2007 sowie dem ärztlichen Gutachten vom 21. Februar
2002 von der Fachärztin für Allgemeinmedizin W ...
Die Klägerin litt vorrangig auf orthopädischem Gebiet an einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule
(chronisch rezidivierendes lumbales Pseudoradikulärsyndrom rechts), Schmerzen und Schwellungen des linken Knies (Retropatellararthrose
ohne klinische Relevanz) und einer minimalen Gon- und Retropatellararthrose des rechten Knies, einem Druckschmerz im linken
Ellenbogen (Tendopathie - degenerative Erkrankung der Sehen und Sehnenansätze) und im Hypogastrium (Unterbauch) sowie an einem
Druck- und Bewegungsschmerz im linken Handgelenk. Ferner bestanden bei der Klägerin ein Restbefund nach Impingement-Syndrom
des rechten Schultergelenks mit Tendopathie beider Schultergelenke. Daraus resultiert eine reduzierte statische Belastbarkeit
der Klägerin.
Soweit Dr. B. mit Gutachten für die Bundesagentur für Arbeit vom 6. März 2008 zu der Einschätzung gelangte, das Leistungsvermögen
der Klägerin bestehe für unter drei Stunden täglich, folgt der Senat dieser Einschätzung nicht. Zum einen teilte Dr. B. mit,
dass der Nackengriff und der Faustschluss bei geminderter Kraft möglich waren. Zugleich gab er an, die Klägerin habe den rechten
Arm oberhalb der Horizontale nur unter Schmerzen aufwärts bewegen können. Sie habe ein vorsichtiges Gangbild aufgewiesen.
Damit waren lediglich qualitative, nicht jedoch quantitative Einschränkungen belegt. Zudem regte Dr. B. zunächst eine physiotherapeutische
Behandlung und eine Optimierung der Schmerztherapie an. Soweit sich dann kein zufriedenstellender Erfolg zeige, müsse über
die Notwendigkeit einer medizinischen Rehabilitation entschieden werden. Damit sah Dr. B. im März 2008 ausreichende Behandlungsmöglichkeiten
und nahm dementsprechend keine dauerhafte Leistungsminderung der Klägerin an. Dieses Ergebnis wird von dem Bericht des Orthopäden
W. vom 13. Juni 2013 gestützt, der angab, die Klägerin seit dem 22. Februar 2007 behandelt zu haben, ohne dass eine wesentliche
Änderung in ihrem Gesundheitszustand zu verzeichnen gewesen sei. Zudem schätzte er noch im Juni 2013 ein, sie könne leichte,
vorwiegend sitzende Tätigkeiten aus orthopädischer Sicht verrichten.
Schließlich war die Klägerin durch die orthopädischen Leiden nicht an der Pflege ihres pflegebedürftigen Ehemannes von November
2009 bis Dezember 2010 gehindert.
Auch die von Dr. V. berichtete Harninkontinenz weist auf keine Gesundheitsstörung in rentenberechtigendem Ausmaß hin. Mit
Befundbericht vom 28. Mai 2013 gab Dr. V. an, die Klägerin erstmals 2012 untersucht zu haben, und schätzte die Klägerin für
vollschichtig leistungsfähig für leichte Arbeiten nur im Sitzen ein. Anhaltspunkte dafür, dass dieses Leistungsvermögen bereits
im August 2008 bestand, liegen nicht vor. Dr. N. berichtete mit von der Klägerin vorgelegtem ärztlichen Attest vom 17. November
2015 über eine vaginale Hysterektomie (Gebärmutterentfernung) mit vorderer und hinterer Scheidenplastik im September 2003.
Ab 2007 habe die Klägerin über Inkontinenzbeschwerden geklagt. Im August 2008 habe Dr. N. zu Beckenbodengymnastik geraten
und ab 2010 seien verstärkt Inkontinenzprobleme aufgetreten. Zugleich berichtete er mit Befundbericht vom 12. Juni 2012 darüber,
dass die Klägerin infolge der Harninkontinenz täglich 3-4 anatomische Vorlagen benötige. Dr. R. berichtete im Verwaltungsverfahren
lediglich über einen Zustand nach Gebärmutterentfernung und Unterleibsbeschwerden. Inkontinenzprobleme in rentenberechtigendem
Ausmaß sind bis zum 31. August 2008 nicht dokumentiert.
Darüber hinaus bestand auf neurologischem Gebiet eine Gesichtsneuralgie als Zustand nach leichter sensibler Schädigung des
rechten Nervus trigeminus im zweiten Ast als verbliebene Unfallfolge. Eine Reduzierung der quantitativen Leistungsfähigkeit
ergab sich aus dieser Beeinträchtigung nicht.
Der ärztliche Entlassungsbericht der Rehaklinik B. vom 12. März 2009 und der im gerichtlichen Verfahren eingeholte Befundbericht
von Dr. B. vom 20. August 2013 enthalten keine Anhaltspunkte, die den Gesundheitszustand der Klägerin bis zum August 2008
beschreiben. Auch der hals-, nasen- und ohrenfachärztliche Bericht von Dipl.-Med. G. vom 21. November 2013 belegt einen Hörsturz
erst im November 2012.
Eine körperlich leichte Arbeit im Wechsel von Stehen, Gehen und überwiegendem Sitzen mit weiteren Leistungseinschränkungen
war der Klägerin bis zum 31. August 2008 zumutbar. Hierfür spricht schließlich das Vorbringen der Klägerin in der mündlichen
Verhandlung, sich von 2005 bis 2009 mehrfach beworben zu haben, da sie auf eine Anstellung gehofft habe.
Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin wegen einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung oder
einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes
tätig sein konnte.
Schließlich war die Klägerin auch nicht aus gesundheitlichen Gründen gehindert, einen Arbeitsplatz aufzusuchen. Denn es besteht
kein Zweifel, dass die Klägerin viermal täglich Fußwege von mehr als 500 m in jeweils weniger als 20 Minuten zurücklegen und
zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen konnte. Dies hat Dr. S. überzeugend im Gutachten
vom 14. Dezember 2007 festgestellt.
Eine weitere Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens - entsprechend der Beweisanregung des Prozessbevollmächtigten
in der mündlichen Verhandlung am 27. Oktober 2016 - war nicht erforderlich. Der Senat folgt der Anregung zur Einholung eines
Sachverständigengutachtens im Hinblick auf den bestehenden Tinnitus und in Bezug auf die von der Klägerin angenommenen Wechselwirkungen
der orthopädischen Beeinträchtigung mit der Harninkontinenz nicht, da die erheblichen Inkontinenzprobleme und der Tinnitus
erst diagnostiziert worden sind, als die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr vorlagen.
Das Urteil des SG Magdeburg vom 25. Februar 2014 war daher aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 5. März 2008 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2010 sowie die Anschlussberufung ab- bzw. zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von
einer Entscheidung der in §
160 Abs.
2 Nr.
2 SGG genannten Gerichte abweicht.