Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts
Bindungswirkung fehlerhafter Verweisungsbeschlüsse
Unhaltbare gesetzwidrige Verweisung
Willkürliche Verweisung
1. Fehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend und nur in extremen Ausnahmefällen entsteht keine Bindungswirkung.
2. Eine gesetzwidrige Verweisung, die offensichtlich unhaltbar ist oder auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze
beruht, stellt einen extremen Ausnahmefall dar.
3. Ein solcher Fall liegt beispielsweise beim Fehlen einer rechtlichen Grundlage, also bei Willkür, oder bei Missachtung elementarer
Verfahrensgrundsätze, insbesondere bei Verletzungen des rechtlichen Gehörs und bei krassen Rechtsverletzungen vor.
4. Eine Bindungswirkung hat besteht allerdings, wenn das Gericht aufgrund ihm vorliegender Unterlagen im Ergebnis zu Unrecht
von einem Wohnsitz in einem anderem Gerichtsbezirk ausgegangen ist.
Gründe:
I.
Der Kläger hat am 12. Juni 2018 beim Sozialgericht Nordhausen eine Untätigkeitsklage erhoben. Nach Anhörung der Beteiligten
hat sich dieses mit Beschluss vom 28. Juni 2018 für unzuständig erklärt und den Rechtstreit an das Sozialgericht Gotha verwiesen.
Dabei hat es fehlerhaft B. L. als Wohnort des Klägers angenommen. Das Sozialgericht Gotha hat den Rechtstreit mit Beschluss
vom 28. November 2018 an das Sozialgericht Nordhausen zurückverwiesen. Der tatsächliche Wohnort (G.) des Klägers liege im
Zuständigkeitsbereich des Sozialgerichts Nordhausen. Die Bindungswirkung des Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Nordhausens
trete nicht ein, wenn der Verweisung eine rechtliche Grundlage fehle. Ein Verstoß gegen elementare, den Rechtsweg und seine
Bestimmung regelnde materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften - wie hier - sei geeignet, die Bindungswirkung zu durchbrechen.
Nachdem das Sozialgericht Nordhausen unter Hinweis auf die Bindungswirkung der Verweisung die Verfahrensakten an das Sozialgericht
Gotha zurückgesandt hat, hat sich das Sozialgericht Gotha mit Beschluss vom 28. Januar 2019 erneut für örtlich unzuständig
erklärt, den Rechtsstreit ausgesetzt und dem Thüringer Landessozialgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts
vorgelegt.
II.
Nach §
58 Abs.
1 Nr.
4 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) wird das zuständige Gericht innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit durch das gemeinsam nächsthöhere Gericht bestimmt, wenn
verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.
Nach §
58 Abs.
2 SGG kann zur Feststellung der Zuständigkeit jedes mit dem Rechtsstreit befasste Gericht und jeder am Rechtsstreit Beteiligte
das im Rechtszug höhere Gericht anrufen, das ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann.
Nachdem sowohl sich das Sozialgericht Nordhausen als auch das Sozialgericht Gotha für (örtlich) unzuständig erklärt haben,
hat das Thüringer Landessozialgericht als das gemeinsam nächsthöhere Gericht auf das Ersuchen des Sozialgerichts Gotha die
Zuständigkeit zu bestimmen.
Grundsätzlich gilt die Bindungswirkung der Verweisungsentscheidungen nach §
98 Satz 1
SGG i.V.m. §
17a Abs.
1, Abs.
2 Satz 3 des
Gerichtsverfassungsgesetzes (
GVG). Sofern sie von einem Gericht nicht beachtet wird, bestimmt das nächsthöhere Gericht wegen der Bin-dungswirkung das Gericht
als zuständig, an das zuerst verwiesen wurde (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl. 2017, §
58 Rn. 2f m.w.N.).
Auch fehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend (vgl. Bundesarbeitsgericht (BAG), Beschluss vom 30. März
1994 - 5 AS 6/94, nach juris). Nur in extremen Ausnahmefällen entsteht keine Bindungswirkung. Erforderlich ist eine gesetzwidrige Verweisung,
die offensichtlich unhaltbar ist oder auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze beruht (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl. 2017, §
58 Rn. 2f mit Nachweisen zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung). Bejaht wird ein Ausnahmefall beispielsweise beim Fehlen einer
rechtlichen Grundlage, also bei Willkür, oder bei Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze, insbesondere bei Verletzungen
des rechtlichen Gehörs und bei krassen Rechtsverletzungen (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 12. Aufl.
2017,
SGG §
98 Rn. 9 m.w.N.). Keine Ausnahme von der Bindungswirkung hat das Bundessozialgericht dagegen angenommen, wenn das Gericht aufgrund
ihm vorliegender Unterlagen im Ergebnis zu Unrecht von einem Wohnsitz in einem anderem Gerichtsbezirk ausgegangen ist (vgl.
Beschlüsse vom 1. Juni 2005 - B 13 SF 4/05 S und 2. April 2009 - B 12 SF 1/09 S, beide nach juris).
Ein oben beschriebener extremer Ausnahmefall liegt bei der fehlerhaften unrichtigen Annahme des zuständigen Gerichts bezüglich
des Wohnortes des Klägers nicht vor. Anhaltspunkte für Willkür oder Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze sind nicht
ersichtlich. Das Sozialgericht ist davon ausgegangen, dass als Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Klägers B. L. und damit die
Zuständigkeit des Sozialgerichts Gotha in Betracht kam. Zwar war in der Klageschrift als Wohnanschrift G. und damit ein Ort
im Zuständigkeitsbezirk Nordhausen angegeben. Ausgeführt war dort auch, dass er sich zur Zeit des Widerspruchsverfahrens hauptberuflich
in B. L. aufgehalten hatte, dort aber keine Landwirtschaftsflächen besaß. Dem beigefügten Anlagenkonvolut lassen sich verschiedene
Anschriften des Klägers entnehmen, u.a. auch für einen Nebenerwerb in B. L ... Der Prozessbevollmächtigte wird zudem in der
Klageschrift unter den Klägerdaten mit Name und Anschrift in B. L. aufgeführt. Diese Umstände lassen den Rückschluss zu, dass
das Sozialgericht Nordhausen den Wohnort des Klägers und dem folgend die eigene Unzuständigkeit nicht willkürlich, sondern
nur fehlerhaft angenommen hat. Überdies hat es die Beteiligten vor der Verweisung angehört und darauf hingewiesen, dass es
wegen des Wohnortes des Klägers in B. L. von der örtlichen Zuständigkeit des Sozialgerichts Gotha ausgehe. Diesem Irrtum ist
der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht entgegen getreten, sondern hat ausdrücklich die Verweisung an das Sozialgericht
Gotha beantragt.
Die Entscheidung ist nach §
177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar.