Unvorschriftsmäßige Gerichtsbesetzung
Willkür bei der Behandlung von Ablehnungsgesuchen
Absoluter Revisionsgrund
Gründe:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG vom 17.4.2018 ist zulässig, soweit er mit
ihr eine Verletzung von §
60 SGG und zugleich einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art
101 Abs
1 Satz 2
GG hinreichend bezeichnet hat (§
160a Abs 2 Satz 3 iVm §
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
Die Beschwerde ist insoweit auch begründet. Der gerügte Verfahrensmangel der unzulässigen Mitwirkung abgelehnter Richter liegt
vor. Das LSG war bei seinem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17.4.2018 ergangenen Urteil nicht vorschriftsmäßig besetzt
(§
547 Nr 1
ZPO iVm §
202 Satz 1
SGG). Denn an diesem Urteil haben Berufsrichter mitgewirkt, die der Kläger zuvor eingangs der mündlichen Verhandlung zwar erfolglos
abgelehnt hatte, deren Mitwirkung am Urteil aber gleichwohl das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt hat. Die Verwerfung
der den Vorsitzenden Richter und die Mitberichterstatterin betreffenden Ablehnungsgesuche als unzulässig unter Mitwirkung
beider abgelehnten Richter und die Zurückweisung des den Berichterstatter betreffenden Ablehnungsgesuchs als unbegründet ohne
dessen Mitwirkung haben jeweils Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art
101 Abs
1 Satz 2
GG grundlegend verkannt (vgl zu den Maßstäben zuletzt BVerfG [Kammer] vom 21.11.2018 - 1 BvR 436/17 - juris RdNr 19 mwN; vgl auch BSG vom 9.4.2014 - B 14 AS 363/13 B - juris; BSG vom 16.12.2015 - B 14 AS 191/15 B - juris), weshalb der Senat an die Verwerfung und Zurückweisung der Ablehnungsgesuche vorliegend entgegen §
557 Abs
2 ZPO iVm §
202 Satz 1
SGG nicht gebunden ist (vgl letztens nur BSG vom 21.9.2017 - B 13 R 230/17 B - Juris RdNr 12 unter Hinweis auf BSG vom 5.8.2003 - B 3 P 8/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 1 und BSG vom 2.11.2007 - B 1 KR 72/07 B - SozR 4-1100 Art 101 Nr 3).
Ausweislich der Verfahrensakte und insbesondere des Protokolls der mündlichen Verhandlung, zu der von den Beteiligten nur
der Kläger erschienen war, übergab nach deren Eröffnung der Kläger schriftliche, mehrseitig begründete Ablehnungsgesuche gegen
die jeweils namentlich benannten drei Berufsrichter des Senats und verließ anschließend den Saal mit der Erklärung, er habe
nun eine Prozesshandlung vorgenommen und das Ganze werde seinen Gang gehen nach dem Prozessrecht. Einen Hinweis auf das vom
LSG beabsichtigte weitere Verfahren erhielt der rechtskundig nicht vertretene Kläger zuvor nicht. Nach Unterbrechung der mündlichen
Verhandlung und Wiedereintritt in diese verkündete der Senat in der Besetzung mit dem abgelehnten Vorsitzenden, der abgelehnten
Mitberichterstatterin, einer Vertreterin für den abgelehnten Berichterstatter und den beiden ehrenamtlichen Richtern die Beschlüsse,
dass die Ablehnungsgesuche gegen den Vorsitzenden und die Mitberichterstatterin als offensichtlich unzulässig verworfen und
gegen den Berichterstatter als unbegründet zurückgewiesen werden. Anschließend wurden die Beschlüsse vom Vorsitzenden mündlich
begründet, wobei von den Beteiligten niemand anwesend war. Der Inhalt der Begründungen ist im Protokoll nicht wiedergegeben.
Nach erneuter Unterbrechung der mündlichen Verhandlung wurde diese unter Mitwirkung des Berichterstatters fortgeführt. Das
aufgrund der mündlichen Verhandlung ergangene, die Berufung des Klägers zurückweisende Urteil enthält keine Begründungen für
die Verwerfung und Zurückweisung der Ablehnungsgesuche. Die Einholung einer dienstlichen Stellungnahme vom abgelehnten Berichterstatter
lässt sich der Verfahrensakte nicht entnehmen.
Zu Recht rügt die Beschwerde, dass mangels Kenntnis der Gründe für die Entscheidungen des LSG über die Ablehnungsgesuche eine
Auseinandersetzung mit diesen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil verwehrt sei und dies nicht
zu Lasten des Klägers gehen könne. Weder die Einhaltung oder Überschreitung der Grenzen der zulässigen Selbstentscheidung
noch die Einhaltung oder Überschreitung der verfassungsrechtlichen Grenzen für die Zurückweisung von Ablehnungsgesuchen lassen
sich durch den rechtsschutzsuchenden Kläger wie das daraufhin zur Entscheidung aufgerufene BSG prüfen. Die Beachtung dieser rechtlichen Grenzen kann grundsätzlich nur durch die Begründung für die Entscheidung über ein
Ablehnungsgesuch dokumentiert und anhand dieser überprüft werden (vgl Flint in jurisPK-
SGG, §
60 RdNr 144, Stand 12.8.2019; zur Angabe von Gründen zur Ermöglichung von Kontrolle vgl auch BVerfG [Kammer] vom 30.8.2010 -
1 BvR 1631/08 - juris RdNr 49; BVerfG [Kammer] vom 7.9.2015 - 1 BvR 1863/12 - juris RdNr 14; BVerfG [Kammer] vom 8.10.2015 - 1 BvR 1320/14 - juris RdNr 16 ff).
Durch seine den Rechtsschutz erschwerende Verfahrensweise hat das LSG vorliegend entgegen den Anforderungen des Art
19 Abs
4 GG die Überprüfung seiner Entscheidungen über die Ablehnungsgesuche auf Beachtung der für diese geltenden rechtlichen Grenzen
im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BSG verhindert (zu den Gewährleistungsinhalten der Garantie eines wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutzes vgl letztens nur
BVerfG vom 24.7.2018 - 2 BvR 1961/09 - juris RdNr 33 ff mwN). Damit hat es zugleich die Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Rechts auf den gesetzlichen
Richter nach Art
101 Abs
1 Satz 2
GG grundlegend verkannt.
Bei seiner Entscheidung durch Urteil über die Berufung des Klägers war das LSG nicht vorschriftsmäßig besetzt. Denn eine grundlegende
Verkennung von Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art
101 Abs
1 Satz 2
GG führt ebenso wie Willkür bei der Behandlung von Ablehnungsgesuchen zur nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts mit
den abgelehnten Berufsrichtern und damit zum Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes (§
547 Nr 1
ZPO iVm §
202 Satz 1
SGG), bei dem eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen ist. Dieser die angefochtene Entscheidung
des LSG insgesamt betreffende absolute Revisionsgrund führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§
160a Abs
5 SGG). Die Verweisung an einen anderen Senat des LSG (§
563 Abs
1 Satz 2
ZPO iVm §
202 Satz 1
SGG) ist nicht geboten.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.