Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Leistungen für Unterkunft und Heizung, Angemessenheit der Unterkunfts- und Heizkosten bei
selbst genutzter Eigentumswohnung; Zulässigkeit der Pauschalierung der Heizkosten
Gründe:
I
Die Klägerin begehrt höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 1.7.2007 bis zum 31.3.2008.
Die Klägerin bewohnt nach dem Tod ihres Ehemanns am 8.9.2006 alleine eine 60,42 qm große 3-Zimmer-Eigentumswohnung in Oberwiesental.
Mit Schreiben vom 20.10.2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die Kosten würden nur noch bis April 2007 in voller Höhe
berücksichtigt. Danach erfolge eine Kappung auf die angemessene Höhe auf der Grundlage einer für angemessen gehaltenen Wohnfläche
von 45 qm in Höhe von 216 Euro zuzüglich Heizkosten von 1,07 Euro/Quadratmeter. Dementsprechend gewährte die Beklagte der
Klägerin Leistungen für Unterkunft und Heizung bis April 2007 in Höhe von 354,20 Euro, von Mai bis Juni 2007 in Höhe von 264,20
Euro.
Für die Zeit vom 1.7.2007 bis 31.3.2008 bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen in Höhe von 306,90 Euro, wovon 264,20
Euro auf die Unterkunftskosten entfielen (Bescheide vom 15.6.2007; Widerspruchsbescheid vom 18.7.2007).
Das Sozialgericht (SG) hat die auf Zahlung von Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 354,20 Euro gerichtete Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid
vom 8.10.2007). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 29.5.2008). Es hat
zur Begründung ausgeführt, die von der Beklagten vorgenommene Kürzung auf 264,20 Euro sei nicht zu beanstanden, weil ungeachtet
der Frage, welche Unterkunftskosten tatsächlich angefallen seien, jedenfalls die von der Klägerin geltend gemachten Kosten
von 354,20 Euro das Maß des Angemessenen überstiegen. Zur Ermittlung der angemessenen Wohnungsgröße sei die für Wohnberechtigte
im sozialen Mietwohnungsbau anerkannte Wohnraumgröße zu Grunde zu legen. Im Freistaat Sachsen sei hierzu die Verwaltungsvorschrift
des Sächsischen Innenministeriums zur Modernisierung und Instandsetzung von Mietwohnungen als Ersatzwohnraum im Rahmen des
Stadtumbaus vom 27.6.2005 ergangen. Aus der speziellen Zielrichtung dieser Verwaltungsvorschrift ergebe sich jedoch, dass
die dort zu Grunde gelegten Wohnflächenhöchstgrenzen nicht maßstäblich für die Ermittlung der Wohnverhältnisse im unteren
Segment seien könnten. Daher sei - ungeachtet ihres Außerkrafttretens zum 1.4.2004 - weiterhin auf die Verwaltungsvorschrift
vom 22.4.1996 abzustellen. Höchstgrenze seien danach 45 qm oder 1½ Wohnräume. Dass eine 45 qm große Wohnung als angemessen
anzusehen sei, stehe nicht in einem Wertungswiderspruch zum weiterreichenden Verwertungsschutz für ein selbst genutztes Hausgrundstück
oder eine Eigentumswohnung. Keine Bedenken bestünden auch hinsichtlich der in der Verwaltungsvorschrift der Beklagten als
angemessen angesehenen Kosten für eine 45 qm Wohnung in Höhe von 174,60 Euro Grundmiete bzw Zinsbelastung und 41,60 Euro kalte
Betriebskosten. Ebenso wenig sei zu beanstanden, dass als angemessene Heizkosten 1,07 Euro pro Quadratmeter und damit 48,20
Euro monatlich in Ansatz gebracht worden seien. Ob der pauschale Ansatz zulässig sei, könne dahinstehen. Vorliegend habe die
Klägerin jedenfalls in einer zu großen Wohnung gelebt. Der Vergleich mit den ihr tatsächlich entstandenen Heizkosten mache
deutlich, dass die pauschalierten Sätze die konkrete Heizsituation angemessen abbildeten.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 22 SGB II. § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II solle
die Möglichkeit eröffnen, sich innerhalb einer angemessenen Frist um anderweitigen Wohnraum zu bemühen. Für einen Eigentümer
gestalte sich dieser Vorgang schwieriger als für einen Mieter. Der Klägerin seien mit Rücksicht auf den als schlecht einzuschätzenden
Immobilienmarkt in Oberwiesental auch über den Zeitraum von sechs Monaten hinaus die zuvor anerkannten Unterkunfts- und Heizungskosten
zu gewähren. Eine Kürzung kalter Betriebskosten und der Instandhaltungsrücklage komme für Wohnungseigentümer nicht in Betracht,
weil diese zur Zahlung verpflichtet seien. Auch sei es nicht rechtens, die Heizkosten der Klägerin zu kürzen. Sie verhalte
sich angemessen und heize ein Zimmer nicht mehr.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29.5.2008 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 8.10.2007
aufzuheben sowie die Bescheide vom 15.6.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.6.2007 abzuändern und die Beklagte
zu verurteilen, ihr Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 354,20 Euro monatlich zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Ausführungen im Urteil des LSG für zutreffend und weist darauf hin, dass eine Berücksichtigung von Tilgungsleistungen
nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18.6.2008 - B 14/11b AS 67/06 R - hier nicht in Betracht komme.
II
Die Revision der Klägerin ist im Sinne einer Aufhebung des Urteils des LSG und Zurückverweisung der Sache begründet.
1. Gegenstand des Rechtsstreits sind nur noch die Bescheide vom 15.6.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.7.2007,
soweit die Beklagte mit diesen Bescheiden über den Anspruch der Klägerin auf Leistungen für Unterkunft und Heizung für den
Zeitraum vom 1.7.2007 bis zum 31.3.2008 entschieden hat. Bei den Ansprüchen auf Leistungen für Unterkunft und Heizung handelt
es sich um abtrennbare selbständige Ansprüche, sodass eine Beschränkung des Streitgegenstandes insoweit zulässig ist.
2. Auch hinsichtlich des Anspruchs auf höhere Leistungen nach § 22 SGB II gilt allerdings, dass grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen
dem Grunde und der Höhe nach unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen sind. Von einer Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen
des § 7 SGB II hat das LSG, offenbar ausgehend von seiner Auffassung, die Klägerin könne jedenfalls keinen Anspruch auf höhere
Leistungen nach § 22 SGB II geltend machen, abgesehen. Das LSG wird deshalb ggf zu prüfen haben, ob die Klägerin die Voraussetzungen
des § 7 SGB II erfüllt.
3. Auf der Grundlage der vom LSG getroffenen Feststellungen kann ferner nicht beurteilt werden, in welcher Höhe der Klägerin
Leistungen nach § 22 SGB II zustehen. Leistungen für Unterkunft und Heizung werden nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II in Höhe der
tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind. Der Klägerin stehen möglicherweise höhere als von der Beklagten
zuerkannte Unterkunftskosten bereits nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II zu.
a) Aufwendungen sind auch bei Eigenheimen oder Eigentumswohnungen angemessen, wenn das Objekt nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz
einfachen grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen Wohnungsstandard aufweist (BSG, Urteil vom 15.4.2008 - B
14/7b AS 34/06 R, SozR 4-4200 § 12 Nr 10). Da die Frage der Angemessenheit für Mieter und Eigentümer nach einheitlichen Kriterien zu beantworten
ist, ist auch hinsichtlich der im Rahmen der Produkttheorie heranzuziehenden Wohnungsgröße auf die anerkannte Wohnraumgröße
für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau abzustellen.
Nach § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung (WoFG) können die Länder im geförderten Wohnungsbau Grenzen für Wohnungsgrößen festlegen, bis zu denen eine Förderung in Betracht
kommt. Der erkennende Senat hat bereits im Einzelnen dargelegt, dass er der Rechtsprechung des 7b. und des 14. Senats (BSG,
Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R, BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3; Urteil vom 18.6.2008 - B 14/7b AS 44/06 R) folgt, wonach zur Bestimmung der in § 22 SGB II geforderten Angemessenheit auf die nach § 10 WoFG von den Ländern festgesetzten Werte zurückzugreifen ist (BSG, Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R). Der Senat hat jedoch zugleich darauf hingewiesen, dass nicht feststeht, ob der mit der Angemessenheitsprüfung verfolgte
Zweck im Rahmen des § 22 SGB II mit den Zwecken des WoFG nebst Ausführungsbestimmungen der Länder weitgehend übereinstimmt. Er hat es gleichwohl aus Gründen der Rechtssicherheit
und der Praktikabilität für derzeit noch vertretbar erachtet, auf die auf der Grundlage des § 10 WoFG von den Ländern festgelegten Werte zurückzugreifen, bis der Verordnungsgeber eine auf der Grundlage des § 27 SGB II mögliche
und im Hinblick auf eine gleichmäßige Rechtsanwendung dringend wünschenswerte bundeseinheitliche Bestimmung bundeseinheitlicher
Grundstücksgrößen durch Verordnung selbst vorgenommen hat (BSG, Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R, RdNr 18).
Erfolgt der Rückgriff auf die nach § 10 WoFG festgesetzten Werte mit Rücksicht auf Rechtssicherheit und Praktikabilität in einem Übergangszeitraum, so verbietet sich
allerdings das Vorgehen des LSG, das die aktuell im Land Sachsen festgesetzten Werte (Verwaltungsvorschrift des Sächsischen
Innenministeriums zur Modernisierung und Instandsetzung von Mietwohnungen als Ersatzwohnraum im Rahmen des Stadtumbaus vom
27.6.2005, Sächsisches Amtsblatt vom 28.7.2005, S 682) nicht zugrunde gelegt hat, sondern stattdessen auf diejenigen Verwaltungsvorschriften
abstellt, die im Zeitraum vor dem Inkrafttreten des SGB II zur Anwendung gekommen waren. Insoweit ist auch das vom LSG für
seine Auffassung angeführte Argument nicht hilfreich, aus den speziellen Zielsetzungen der Verwaltungsvorschrift vom 27.6.2005
ergebe sich, dass die dort zugrunde gelegten Wohnflächenhöchstgrenzen nicht maßstäblich für die Ermittlung üblicher Wohnflächen
im unteren Segment sein könnten. Denn der Umstand, dass sich die aktuellen Verwaltungsvorschriften im Lande Sachsen möglicherweise
nicht hinreichend daran orientieren, was als Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt angesehen werden kann, wird infolge des Rückgriffs
auf die Werte nach § 10 WoFG ohnehin bewusst in Kauf genommen. Insoweit kommt dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit eine überragende Bedeutung zu. Eine
Heranziehung anderweitiger Verwaltungsregelungen zur Bestimmung der Wohnflächen erscheint nur dann vertretbar, wenn aktuelle
Verwaltungsvorschriften zu § 10 WoFG nicht existieren. Das LSG wird bei der Anwendung der Produkttheorie deshalb die sich aus der aktuell geltenden Verwaltungsvorschrift
des Landes Sachsen vom 27.6.2005 für einen Einpersonenhaushalt ergebenden Werte zugrunde zu legen haben.
Der Senat wiederholt in diesem Zusammenhang jedoch seinen Appell an den Verordnungsgeber, eine auf der Grundlage des § 27
SGB II mögliche und im Hinblick auf eine gleichmäßige Rechtsanwendung dringend wünschenswerte Bestimmung bundeseinheitlicher
Wohnungsgrößen durch Verordnung selbst vorzunehmen (so schon BSG, Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R, RdNr 18).
b) Auch die tatsächlichen Grundlagen für die weiteren im Rahmen der Produkttheorie zu vollziehenden Prüfungsschritte sind
dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Hierzu ist zunächst in einem zweiten Schritt der maßgebliche räumliche Vergleichsmaßstab
festzulegen, innerhalb dessen das durchschnittliche Mietpreisniveau einer Wohnung im unteren Segment ermittelt wird. Schließlich
ist in einem dritten Schritt zu ermitteln, welcher Mietpreis für eine abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung auf dem
für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt aufzuwenden ist (s zur abstrakten Angemessenheitsprüfung Knickrehm/Voelzke/Spellbrink,
Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II, DGST Praktikerleitfaden, S 16 ff). Zu den genannten Prüfungsschritten hat das LSG
lediglich ausgeführt, es bestünden hinsichtlich der in der Verwaltungsvorschrift der Beklagten für eine 45 qm-Wohnung als
angemessen angesehenen Kosten in Höhe von 216,00 Euro (einschließlich kalter Betriebskosten) keine Bedenken. Damit wird nicht
offengelegt, auf welcher Grundlage die beklagte Arbeitsgemeinschaft die genannten Werte ermittelt hat. Denn es wird nicht
aufgezeigt, von welchem räumlichen Vergleichsmaßstab die Beklagte ausgegangen ist und in welcher Weise das durchschnittliche
Mietpreisniveau im unteren Segment ermittelt worden ist. Somit ist es ausgeschlossen, die angemessene Referenzmiete zu bestimmen.
Jedenfalls dann, wenn die Beteiligten über die Angemessenheit der Unterkunftskosten nach § 22 SGB II streiten, hat das Gericht
die von der Beklagten festgelegten Werte auf der Grundlage der angesprochenen Prüfungsschritte selbständig nachzuvollziehen.
Eine solche Schlüssigkeitsprüfung lässt das angefochtene Urteil nicht erkennen.
4. Nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II sind auch die Heizkosten grundsätzlich in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu erstatten.
Die Beklagte hat entsprechend ihren Verwaltungsvorschriften ausgehend von einer von ihr als angemessen angesehenen Wohnfläche
von 45 qm und einem Faktor von 1,07 Euro/qm den Betrag von 48,20 Euro monatlich als berücksichtigungsfähige Heizkosten in
Ansatz gebracht. Soweit den Feststellungen des LSG eine generelle Pauschalierung der Heizkosten durch die Beklagte entnommen
werden kann, fehlt es hierfür derzeit mangels einer entsprechenden Verordnung nach § 27 Nr 1 SGB II schon an einer rechtlichen
Grundlage. Das Vorgehen der Beklagten ist - wie bereits ausgeführt worden ist - schon insofern zu beanstanden, als hierbei
die Ausführungsbestimmungen zu § 10 WoFG nicht in ihrer aktuellen Fassung berücksichtigt worden sind und deshalb nicht von zutreffenden Wohnungsgrößen ausgegangen
worden ist.
Im Übrigen steht einer weiteren rechtlichen Prüfung des BSG auch insoweit entgegen, dass der angefochtenen Entscheidung die
tatsächlichen Grundlagen für die vorgenommene Begrenzung der Heizkosten nicht zu entnehmen sind. Unzutreffend ist jedenfalls
der Ausgangspunkt des LSG, wonach für eine Deckelung bereits als ausreichend angesehen wird, "dass die pauschalierten Sätze
der Beklagten jedenfalls im vorliegenden Fall die konkrete Heizsituation für die Wohnung der Klägerin angemessen abbilden."
Auszugehen ist vielmehr davon, dass Heizkosten in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen lediglich dann nicht erstattungsfähig
sind, wenn sie bei sachgerechter und wirtschaftlicher Beheizung als der Höhe nach nicht erforderlich erscheinen. Dies setzt
eine konkrete Prüfung im Einzelfall voraus. Das Überschreiten der oberen Grenzwerte eines lokalen bzw, soweit ein solcher
nicht existiert, des bundesweiten Heizspiegels kann insoweit lediglich als Indiz für die fehlende Erforderlichkeit angesehen
werden (vgl die im Terminbericht Nr 40/09 zur Entscheidung vom 2.7.2009 - B 14 AS 36/08 R wiedergegebenen Erwägungen). Bei der in jedem Fall durchzuführenden konkreten Prüfung müssen sodann ggf auch die besonderen
individuellen Gegebenheiten mit einbezogen werden. Hierzu gehören zB die besonderen klimatischen Bedingungen des Wohnortes
der Klägerin.
5. Da bislang nicht feststeht, ob die von der Klägerin geltend gemachten Unterkunftskosten die angemessenen Kosten iS des
§ 22 Abs 1 Satz 1 SGB II übersteigen, braucht derzeit nicht geprüft werden, ob im streitigen Zeitraum ein Anspruch auf Übernahme
zu hoher Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II besteht.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.