Vormerkung von Kinderberücksichtigungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung; Anwendbarkeit der Auffangregel des §
56 Abs. 2 S. 8 SGB VI
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, Kinderberücksichtigungszeiten vom 1.10.1994 bis 31.10.1995
und vom 1.2.1996 bis 30.6.2000 vorzumerken.
Die 1958 geborene Klägerin legte bis Juli 1982 Pflichtbeitragszeiten zurück und ließ sich danach zur Sozialarbeiterin ausbilden.
Ihr Ehemann ist als Krankenhausarzt abhängig beschäftigt und als Mitglied des Versorgungswerkes der Ärztekammer Bremen von
der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit. Aus der Ehe gingen die Kinder L. (* 1990) und N. (* 1991) hervor. Von
Oktober 1993 bis September 1994 war die Klägerin als Praktikantin rentenversicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend zog
sie mit ihrer Familie in die Niederlande. Der Ehemann blieb als Grenzgänger im Bundesgebiet tätig. Die Klägerin übte von November
1995 bis Januar 1996 - ebenfalls als Grenzgängerin - eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland aus.
Im Juli 2000 kehrte die Familie nach Deutschland zurück.
Mit Bescheid vom 14.4.2005 stellte die Beklagte die im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten bis zum 31.12.1998 verbindlich
fest. Als Berücksichtigungszeiten erkannte sie "für L." die Zeiten vom 31.3.1990 bis 30.9.1994 und vom 1.11.1995 bis 31.1.1996
sowie "für N." die Zeiten vom 31.8.1991 bis 30.9.1994, 1.11.1995 bis 31.1.1996 und vom 1.7.2000 bis 30.8.2001 an. Gleichzeitig
lehnte sie die Zeiten vom 1.10.1994 bis 31.10.1995 und vom 1.2.1996 bis 30.3. bzw 30.6.2000 als Berücksichtigungszeiten ab,
weil beide Kinder damals im Ausland erzogen worden seien. Widerspruch und Klage sind erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid
der Beklagten vom 13.1.2006, Urteil des SG Ulm vom 18.4.2007).
Das LSG Baden-Württemberg hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben, die angefochtenen Bescheide geändert und die Beklagte
verurteilt, die Zeit vom "31.10.1994" bis 31.10.1995 und vom 1.2.1996 bis 30.6.2000 als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung
vorzumerken (Urteil vom 29.4.2010): Die Kinderberücksichtigungszeiten seien der Klägerin zuzuordnen, weil sie nicht von der
Anrechnung ausgeschlossen sei und die Kinder im Ausland entweder allein, überwiegend oder gemeinsam mit dem Ehemann erzogen
habe. Aufgrund einer europarechtskonformen Auslegung stehe diese Auslandserziehung einer Inlandserziehung gleich. Denn nach
der Rechtsprechung des EuGH habe der Beschäftigungsstaat nach Art 13 Abs 2 Buchst a Verordnung - VO - (EWG) Nr 1408/71 auch
solche Kindererziehungszeiten anzurechnen, die eine Person im Wohnortstaat zurücklege, wenn eine "hinreichende Verbindung"
zum Beschäftigungsstaat hergestellt werden könne (EuGH Urteil vom 7.2.2002 - C-28/00 [Kauer] - Juris, unter Hinweis auf das Urteil vom 23.11.2000 - C-135/99 [Elsen] - SozR 3-2600 § 56 Nr 14). Dies sei vorliegend der Fall. Zwar sei der letzte Pflichtbeitrag wegen einer Beschäftigung
lange vor den Geburten beider Kinder im Juli 1982 gezahlt worden. Doch sei für die Klägerin schon allein wegen des Wohnsitzes
in Deutschland weiterhin und damit auch im Zeitpunkt der Geburten deutsches Recht anwendbar. Zudem sei sie unmittelbar vor
dem Umzug ins Ausland und auch sonst nur in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Dies sei von ausschlaggebender
Bedeutung und belege die hinreichende Verbindung zum Beschäftigungsstaat Deutschland.
Mit der Revision, die das LSG zugelassen hat, rügt die Beklagte eine Verletzung des Art 44 Abs 2 VO (EG) Nr 987/2009 sowie des §
56 Abs 3 Satz 2
SGB VI. Hinsichtlich der EuGH-Entscheidung vom 23.11.2000 (C-135/99 [Elsen]) sei festzustellen, dass die dort genannten Voraussetzungen im vorliegenden Verfahren nicht erfüllt seien. Die Klägerin
habe zum Zeitpunkt der Geburt beider Kinder nicht aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit deutschem Recht unterlegen.
Aus diesem Grund könnten die deutschen Rechtsvorschriften nach dem Umzug in die Niederlande nicht fortwirken. Des Weiteren
gelte vorliegend bereits Art 44 VO (EG) Nr 987/2009. Dieser sei zwar erst am 1.5.2010 in Kraft getreten und somit zum Zeitpunkt
der Verkündung des Urteils des LSG am 29.4.2010 noch nicht anwendbar gewesen, er gelte jedoch nach Maßgabe des Art 93 VO (EG)
Nr 987/2009 iVm Art 87 Abs 2 VO (EG) Nr 883/2004 auch für Versicherungszeiten, die vor Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr
883/2004 in den jeweiligen Mitgliedstaaten zurückgelegt worden seien. Da die Klägerin zum Zeitpunkt des Erziehungsbeginns
ihrer Kinder nicht aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit den deutschen Rechtsvorschriften unterlegen habe, seien die
Voraussetzungen des Art 44 VO (EG) Nr 987/2009 nicht erfüllt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29. April 2010 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das
Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 18. April 2007 zurückzuweisen.
Die Klägerin, die der angefochtenen Entscheidung beipflichtet, beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
II
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG). Eine Entscheidung in der Sache kann der Senat nicht treffen, weil hierzu weitere Tatsachenfeststellungen des LSG erforderlich
sind.
Die Klägerin begehrte im Klage- und Berufungsverfahren (§
123, §
153 Abs
1 SGG), den Bescheid vom 14.4.2005 und den Widerspruchsbescheid vom 13.1.2006 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, die Zeit
vom 1.10.1994 bis 31.10.1995 und vom 1.2.1996 bis 30.6.2000 als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung vorzumerken. Dieses
Ziel verfolgte sie zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§
54 Abs
1 Satz 1, §
56 SGG). Ob die Beklagte die erstrebten rechtlichen Feststellungen treffen muss, lässt sich ohne weitere Tatsachenfeststellungen
nicht entscheiden.
Anspruchsgrundlage für die begehrte Vormerkung ist §
149 Abs
5 Satz 1
SGB VI. Nach dieser Vorschrift stellt der Versicherungsträger, nachdem er das Versicherungskonto geklärt hat, die im Versicherungsverlauf
enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest (sog
Vormerkungsbescheid). Der Versicherungsträger ist befugt, wenn auch nicht verpflichtet, auf Antrag auch solche geklärten Daten
durch Bescheid festzustellen, die noch keine sechs Jahre zurückliegen. Denn die Beschränkung der Feststellungspflicht soll
ihm lediglich ermöglichen, im Versicherungsverlauf enthaltene, aber noch nicht bescheidmäßig festgestellte Daten ohne Bindungen
durch Vertrauensschutzerwägungen (vgl § 45 SGB X) erleichtert zu berichtigen (vgl etwa BSG Urteile vom 28.2.1991 - 4 RA 76/90 - BSGE 68, 171, 174 = SozR 3-2200 § 1227a Nr 7 S 14; vom 23.10.2003 - B 4 RA 15/03 R - BSGE 91, 245 = SozR 4-2600 § 56 Nr 1, RdNr 5 und vom 18.10.2005 - B 4 RA 6/05 R - SozR 4-2600 §
56 Nr 3 RdNr 12; Polster in Kasseler Komm, Stand September 2007,
SGB VI §
149 RdNr 14). Entscheidet er indessen - wie hier - über Kindererziehungs- und -berücksichtigungszeiten, die noch keine sechs
Jahre zurückliegen, muss er einen inhaltlich zutreffenden Vormerkungsbescheid erlassen (vgl BSG Urteil vom 21.3.1991 - 4/1 RA 35/90 - SozR 3-2200 § 1325 Nr 3 S 5).
Nach §
57 Satz 1
SGB VI ist die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem 10. Lebensjahr bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit,
soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit nach §
56 SGB VI auch in dieser Zeit vorliegen. Eine Kindererziehungszeit wird gemäß §
56 Abs
1 Satz 2
SGB VI für einen Elternteil angerechnet, wenn
1. die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist,
2. die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und
3. der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist.
1. Die Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um der Klägerin, die nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist (§
56 Abs
1 Satz 2 Nr
3, Abs
4 SGB VI), die geltend gemachten Kinderberücksichtigungszeiten zuzuordnen. Diese Zuordnung bestimmt sich nach §§
57,
56 Abs
2 SGB VI, wobei drei Kategorien der Erziehung zu unterscheiden sind (BSG Urteile vom 16.12.1997 - 4 RA 60/97 - SozR 3-2600 § 56 Nr 10 S 46; vom 31.8.2000 - B 4 RA 28/00 R - Juris RdNr 16 ff und vom 17.4.2008 - B 13 R 131/07 R - SozR 4-2600 § 56 Nr 5 RdNr 11): Die Alleinerziehung, die gemeinsame Erziehung und die überwiegende Erziehung. Das LSG
hat "eine überwiegende Erziehung durch den Ehemann" ausgeschlossen und festgestellt, die Klägerin habe beide Kinder in den
Niederlanden entweder allein oder überwiegend oder gemeinsam mit dem Ehemann erzogen. Aus dieser Wahlfeststellung hat es rechtsirrig
geschlussfolgert, die streitigen Erziehungszeiten seien aufgrund der Auffangregel des §
56 Abs
2 Satz 8
SGB VI in jedem Fall der Klägerin als Mutter beider Kinder zuzuordnen.
Der Anwendungsbereich des §
56 Abs
2 Satz 8
SGB VI war hier jedoch nicht eröffnet. Denn die Auffangregel greift erst ein, wenn die Eltern - bei fehlender Alleinerziehung -
keine übereinstimmende Erklärung abgegeben haben und sich überwiegende Erziehungsanteile eines Elternteils nicht im erforderlichen
Beweisgrad feststellen lassen (non liquet), sondern ihre Erziehungsbeiträge nach objektiven Maßstäben in etwa gleichgewichtig
sind. Das LSG hätte (und wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren) prüfen und ggf feststellen müssen, ob die Klägerin -
wie sie im Kontenklärungsverfahren angegeben hat - beide Kinder in den fraglichen Zeiträumen allein erzogen hat. Im Falle
der Alleinerziehung wäre ihr die Erziehungszeit zuzuordnen (§
56 Abs
2 Satz 1
SGB VI); die Tatbestände der gemeinsamen oder überwiegenden Erziehung kämen nicht mehr in Betracht, weil zwischen Alleinerziehung
einerseits und gemeinsamer und überwiegender Erziehung andererseits ein Verhältnis der Exklusivität besteht.
Hat die Klägerin die Kinder nicht allein, sondern gemeinsam mit ihrem Ehemann erzogen, so ist nach §
56 Abs
2 Satz 3
SGB VI zunächst zu prüfen und festzustellen, ob die Eltern eine übereinstimmende öffentlich-rechtliche (Willens-)Erklärung über
die Zuordnung der fraglichen Kinderberücksichtigungszeiten abgegeben haben. Allerdings kann eine solche Erklärung grundsätzlich
nur mit Wirkung für künftige Kalendermonate (§
56 Abs
2 Satz 5
SGB VI) und nur unter besonderen Voraussetzungen ausnahmsweise rückwirkend für bis zu zwei Kalendermonate abgegeben werden (vgl
§
56 Abs
2 Satz 6
SGB VI). Die Erklärung des Vaters vom 2.2.2010, die das LSG während des Berufungsverfahrens eingeholt hat, ist damit für die Zuordnung
der streitigen Zeiten bedeutungslos.
Ergibt sich die Zuordnung nicht bereits zwingend aus einer kongruenten Elternerklärung, weil sie entweder fehlt oder nicht
übereinstimmend bzw sonst unwirksam, insbesondere verspätet, abgegeben worden ist, bleibt es bei dem Grundsatz des §
56 Abs
2 Satz 9
SGB VI: Die Kindererziehungszeit ist dann demjenigen zuzuordnen, der das Kind - nach objektiven Gesichtspunkten betrachtet - überwiegend
erzogen hat. Das Maß der Zuwendung der Elternteile zu ihrem Kind haben im Verwaltungsverfahren die Versicherungsträger nach
§ 20 SGB X und im Gerichtsverfahren die Tatsachengerichte gemäß §§
103,
106 SGG von Amts wegen zu ermitteln. Nur dann, wenn sich dabei überwiegende Erziehungsanteile eines Elternteils nicht im erforderlichen
Beweisgrad feststellen lassen (non liquet), sondern die Erziehungsbeiträge nach objektiven Maßstäben in etwa gleichgewichtig
sind, wird die Kindererziehungszeit nach der Auffangregel des §
56 Abs
2 Satz 8
SGB VI der Mutter zugeordnet (vgl BSG SozR 3-2600 §
56 Nr 10 S 47).
Das LSG hat es jedoch weder für erwiesen erachtet, dass die Klägerin ihre Kinder in der streitigen Zeit überwiegend erzogen
hat noch bindend festgestellt, dass die Erziehungsbeiträge beider Eltern annähernd gleichwertig waren und keine dritte(n)
Person(en) an der Erziehung substantiell beteiligt war(en). Dem Urteil des LSG ist lediglich zu entnehmen, dass "eine überwiegende
Erziehung durch den Ehemann jedenfalls auszuschließen ist, weil der Ehemann berufstätig war, während die Klägerin dies - von
den drei Monaten Ende 1995/Anfang 1996 abgesehen - nicht war". Hieraus ergibt sich logisch jedoch weder direkt noch im Umkehrschluss
eine überwiegende Erziehung durch die Klägerin. Denn es ist nicht auszuschließen, dass dritte Personen die Kindererziehung
- anstelle der Klägerin und ihres Ehemannes - in erheblichem Umfang substituierend übernommen haben. Mangels ausreichender
Feststellungen, dass die Erziehungsanteile beider Eltern - bei Nichtbeteiligung dritter Personen - annähernd gleichwertig
waren, ist ein Rückgriff auf §
56 Abs
2 Satz 8
SGB VI (derzeit) nicht möglich.
2. Unbeschadet der Beteiligung dritter Personen wird das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren (zumindest) den Ehemann
der Klägerin und Vater der Kinder notwendig beiladen müssen, weil er an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt ist,
dass die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§
75 Abs
2, 1. Alt
SGG). Dies ist der Fall, wenn das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingreift
(stRspr, vgl nur Senatsurteil vom 27.6.1990 - 5 RJ 6/90 - SozR 3-1500 § 75 Nr 3 mwN). Ein derartiger Eingriff in die Rechtssphäre des Ehemanns entfällt hier nicht deshalb, weil
dieser während der Erziehungszeit als Mitglied des Versorgungswerkes der Ärztekammer Bremen für seine Beschäftigung als Arzt
von der Versicherungspflicht gemäß §
6 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGB VI befreit und deshalb von der Anrechnung der Kindererziehungszeiten ausgeschlossen war. Denn nach §
56 Abs
4 Nr
3 SGB VI in der Fassung von Art 4 Nr
2 des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch, zur Errichtung einer Versorgungsausgleichskasse und anderer
Gesetze vom 15.7.2009 (BGBl I 1939) sind Elternteile von der Anrechnung nur ausgeschlossen, wenn sie während der Erziehungszeit
Anwartschaften auf Versorgung im Alter nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen oder entsprechenden kirchenrechtlichen
Regelungen oder nach den Regelungen einer berufsständischen Versorgungseinrichtung aufgrund der Erziehung erworben haben,
die systembezogen gleichwertig berücksichtigt werden wie die Kindererziehung nach dem Sechsten Buch des Sozialgesetzbuches.
Mit dieser Neufassung des §
56 Abs
4 SGB VI, die am 22.7.2009 in Kraft getreten ist (vgl Art 10 Abs 1 des Änderungsgesetzes) und auch für Erziehungszeiten vor diesem Zeitpunkt gilt (vgl §
300 Abs
1 SGB VI; Albrecht, NachrDRV HE 2011, 37), trägt der Gesetzgeber der Rechtsprechung des BSG Rechnung (BSG Urteile vom 18.10.2005 -
B 4 RA 6/05 R - SozR 4-2600 § 56 Nr 3 und vom 31.1.2008 - B 13 R 64/06 R - BSGE 100, 12, 15 ff = SozR 4-2600 § 56 Nr 6), wonach Eltern auch dann Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten
(können), wenn sie zwar einem anderen Alterssicherungssystem angehören, dieses jedoch keine Leistung kennt, die systembezogen
der Kindererziehungszeit annähernd gleichwertig ist (vgl BT-Drucks 16/13424 S 34). Mit der Neuregelung soll klargestellt werden,
dass Personen nicht bereits deswegen von der Anrechnung von Kindererziehungszeiten ausgeschlossen sind, weil sie aufgrund
ihres Rechtsstatus versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit sind. Deshalb beschränkt der Gesetzgeber die
Ausschlusstatbestände auf solche Personen, denen die Kindererziehung in einem anderen Alterssicherungssystem als gleichwertig
anerkannt wird (vgl zum Ganzen BT-Drucks 16/13424 aaO). Feststellungen, ob das Versorgungswerk der Ärztekammer Bremen gleichwertige
Erziehungszeiten berücksichtigt und wie sich diese landesrechtlichen (nicht revisiblen) Regelungen beim Ehemann der Klägerin
auswirken, hat das LSG - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - nicht getätigt. Dies wird das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren
nachholen und auch dem Umstand Rechnung tragen müssen, dass der Ehemann im Verwaltungsverfahren nicht beteiligt war (vgl §§
12 Abs 2 Satz 2, 41 Abs 1 Nr 6, Abs 2 SGB X; zur Möglichkeit des Verzichts der Wiederholung des Verwaltungsverfahrens: BSG Urteil vom 22.6.1983 - 12 RK 73/82 - BSGE 55, 160, 161 ff = SozR 1300 § 12 Nr 1; BSG Urteil vom 29.1.1988 - B 12 KR 35/95 R - BSGE 81, 276, 287 f = SozR 3-2600 § 158 Nr 1; BSG Urteil vom 9.8.2006 - B 12 KR 3/06 R - BSGE 97, 32, 33 f = SozR 4-2600 § 229 Nr 1).
Die unterbliebene notwendige Beiladung ist ein Verfahrensmangel, der im Revisionsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen
ist (vgl nur Senatsurteil vom 20.10.2009 - B 5 R 5/07 R - SozR 4-3250 § 14 Nr 8 RdNr 16 mwN). Von einer Nachholung der Beiladung im Revisionsverfahren gemäß §
168 Satz 2
SGG mit Zustimmung des Ehemanns hat der Senat aufgrund der Zurückverweisung abgesehen, die auch aus anderen Gründen unausweichlich
ist (vgl BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 17).
3. Sollten die geltend gemachten Zeiten der Klägerin zuzuordnen sein, wird das LSG ferner zu prüfen haben, ob die Erziehung
im Königreich der Niederlande einer Inlandserziehung gleichsteht (§§
57,
56 Abs
1 Satz 2 Nr
2 SGB VI). Die Gleichstellungstatbestände des §
56 Abs
3 Satz 2 und
3 SGB VI scheiden aus, weil - nach den Feststellungen des LSG - in der hier maßgebenden Zeit weder die Klägerin noch ihr Ehemann aufgrund
einer im Ausland ausgeübten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit Pflichtbeitragszeiten in deutschen Rentenversicherung
haben. Beide Elternteile waren ausschließlich im Inland und nie im Ausland tätig.
Es kommt aber eine Gleichstellung der Kinderberücksichtigungszeiten über Art 44 VO (EG) Nr 987/2009 iVm VO (EG) Nr 883/2004
in Betracht. Beide Verordnungen sind am 1.5.2010 in Kraft getreten (Art 97 Satz 2 VO [EG] Nr 987/2009 iVm Art 91 VO [EG] Nr
883/2004), ersetzen grundsätzlich die VO (EWG) Nr 1408/71 (Art 90 Abs 1 VO [EG] Nr 883/2004) sowie die VO (EWG) Nr 574/72
(Art 96 Abs 1 VO [EG] Nr 987/2009) und erfassen gemäß Art 93 VO (EG) Nr 987/2009 iVm Art 87 Abs 3 VO (EG) Nr 883/2004 auch
solche Ereignisse, die bereits vor diesem Zeitpunkt bestanden haben (vgl Bokeloh, ZESAR 2011, 18; Spiegel in Fuchs, Europäisches
Sozialrecht, 5. Aufl 2010, Art 87 VO [EG] Nr 883/2004 RdNr 2). Die neuen Verordnungen sind vorliegend auch im Revisionsverfahren
anzuwenden, weil für die hier erhobene Verpflichtungsklage das Recht maßgebend ist, das im Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung vor dem Revisionsgericht gilt (vgl dazu BSGE 41, 38, 40 = SozR 2200 § 1418 Nr 2; BSGE 43, 1, 5 = SozR 2200 § 690 Nr 4).
Art 44 Abs 2 VO (EG) Nr 987/2009 bestimmt Folgendes: Wird nach den Rechtsvorschriften des gemäß Titel II der Grundverordnung
(VO [EG] Nr 883/2004) zuständigen Mitgliedstaats keine Kindererziehungszeit berücksichtigt, so bleibt der Träger des Mitgliedstaats,
dessen Rechtsvorschriften nach Titel II der Grundverordnung auf die betreffende Person anwendbar waren, weil diese Person
zu dem Zeitpunkt, zu dem die Berücksichtigung der Kindererziehungszeit für das betreffende Kind nach diesen Rechtsvorschriften
begann, eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, zuständig für die Berücksichtigung dieser
Zeit als Kindererziehungszeit nach seinen eigenen Rechtsvorschriften, so als hätte diese Kindererziehung in seinem eigenen
Hoheitsgebiet stattgefunden. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, lässt sich aufgrund der Feststellungen des LSG nicht abschließend
beurteilen.
a) Der nach den Rechtsvorschriften des Titels II der VO (EG) Nr 883/2004 "zuständige Mitgliedstaat" ist das Königreich der
Niederlande. Denn nach Art 11 Abs 3 Buchst e) VO (EG) Nr 883/2004 unterliegt jeder grundsätzlich den Rechtsvorschriften seines
Wohnmitgliedstaates, sofern er nicht unter Art 11 Abs 3 Buchst a) bis d) VO (EG) Nr 883/2004 fällt oder ausnahmsweise anders
lautende Bestimmungen der VO (EG) Nr 883/2004 gelten, nach denen ihm Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder
mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen. Die Klägerin hat in der streitigen Zeit mit ihren Kindern im Königreich der Niederlande
gewohnt; die Voraussetzungen von Art 11 Abs 3 Buchst a) bis d) VO (EG) Nr 883/2004 sind nicht erfüllt und Sonderbestimmungen
der VO (EG) Nr 883/2004 nicht einschlägig.
b) Ob die niederländischen Rechtsvorschriften "keine Kindererziehungszeit berücksichtigen", hat das LSG allerdings nicht festgestellt.
Dies wird es im wiedereröffneten Berufungsverfahren nachzuholen haben. Zwar handelt es sich bei der Feststellung von Existenz
und Inhalt ausländischen Rechts um Rechtsanwendung (BSGE 98, 257 = SozR 4-6928 Allg Nr 1; BSG SozR 3-1750 § 293 Nr 1 S 2; vgl auch May, Die Revision, 2. Aufl 1997, VI RdNr 330). Für dessen
Ermittlung verweist §
293 ZPO, der im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbar ist (§
202 SGG; BSG aaO), jedoch auf die Vorschriften über die Beweisaufnahme zur Tatsachenermittlung. Nach §
293 Satz 1
ZPO ist ausländisches Recht, das dem Tatsachengericht unbekannt ist, beweisbedürftig. Die Feststellungen, die die Tatsacheninstanz
auf dieser Grundlage zum ausländischen Recht trifft, die darauf beruhende Rechtsauslegung und die aus dem ausländischen Recht
gezogenen Schlussfolgerungen hat das BSG seiner Entscheidung unverändert zugrunde zu legen, weil es sich insoweit um nichtrevisibles
Recht iS von §
162 SGG handelt (s Senatsurteil vom 13.9.1990 - 5 RJ 76/89 - BSGE 67, 214, 218 = SozR 3-6710 Art 4 Nr 1 S 4; BSGE 68, 184, 187 = SozR 3-2400 § 18a Nr 2 S 13; BSG SozR 5050 § 15 FRG Nrn 37, 38, 40; BSGE 25, 20, 23 = SozR Nr 15 zu § 1291
RVO). Feststellungen dazu, ob das niederländische Recht Kindererziehungszeiten vorsieht, hat das LSG nicht getroffen.
aa) Sollte das LSG dabei zu dem Ergebnis kommen, dass die niederländischen Rechtsvorschriften keine Kindererziehungszeit berücksichtigen,
wird es gemäß Art 44 Abs 2 VO (EG) Nr 987/2009 weiter zu prüfen haben, ob die Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland (=
Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften nach Titel II der GrundVO [EG] Nr 883/2004 auf die betreffende Person anwendbar waren)
an den beiden Tagen, an denen ihre Kinder geboren wurden (= Zeitpunkt, zu dem die Berücksichtigung der Kindererziehungszeit
für das betreffende Kind nach deutschen Rechtsvorschriften begann), eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit
ausgeübt hat. Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin zum Zeitpunkt beider Geburten keine versicherungspflichtige
Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt. Nicht festgestellt hat das LSG allerdings, ob sie zum Zeitpunkt
der Geburten versicherungsfrei beschäftigt oder selbstständig tätig war. Auch versicherungsfreie geringfügige Beschäftigungen
nach §
8 SGB IV sowie geringfügige Beschäftigungen in Privathaushalten nach §
8a SGB IV fallen unter den Beschäftigungsbegriff (zur Legaldefinition s Art 1 Buchst a VO [EG] Nr 883/2004; vgl Otting in Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht, VO 883/04 - K Art 1 RdNr 10; zum Begriff des "Arbeitnehmers"
iS der VO [EWG] Nr 1408/71 EuGH Urteile vom 18.7.2007 - C-213/05 [Geven] - Juris RdNr 15 ff und vom 3.5.1990 - C-2/89 [Kits van Heijningen] - Juris RdNr 7 ff). Dies wird das LSG nachzuholen haben.
Sollte das LSG zu dem Ergebnis kommen, dass die Voraussetzungen des Art 44 Abs 2 VO (EG) Nr 987/2009 nicht erfüllt sind, wird
es zu prüfen haben, ob diese Vorschrift erweiternd auszulegen ist, weil Zeiten der Kindererziehung andernfalls keine Berücksichtigung
finden (vgl Vorlagebeschluss des SG Würzburg vom 9.3.2010 - S 2 R 85/09, anhängig beim EuGH - Az C-522/10).
bb) Sollte die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum niederländischen Vorschriften unterlegen haben, wird das LSG die
Übergangsvorschrift des Art 93 VO (EG) Nr 987/2009 iVm Art 87 Abs 8 VO (EG) Nr 883/2004 beachten müssen. Denn in diesem Fall
würden aufgrund der VO (EG) Nr 883/2004 die Rechtsvorschriften des Königreichs der Niederlande (Wohnortstaat) gelten und damit
die Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates (Bundesrepublik Deutschland) verdrängen, die aufgrund von Art 13 Abs 2 Buchst
a VO (EWG) Nr 1408/71 bis zum 30.4.2010 galten. In dieser Situation bestimmt Art 87 Abs 8 VO (EG) Nr 883/2004 Folgendes: Gelten
für eine Person infolge dieser Verordnung die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen, der durch Titel
II der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 bestimmt wird, bleiben diese Rechtsvorschriften so lange, wie sich der bis dahin vorherrschende
Sachverhalt nicht ändert, und auf jeden Fall für einen Zeitraum von höchstens zehn Jahren ab dem Geltungsbeginn dieser Verordnung
anwendbar, es sei denn, die betreffende Person beantragt, den nach dieser Verordnung anzuwendenden Rechtsvorschriften unterstellt
zu werden.
4. Schließlich wird das LSG zu berücksichtigen haben, dass die Klägerin die Kinderberücksichtigungszeiten bereits ab dem 1.10.1994
und nicht erst - wie ausgeurteilt - ab dem 31.10.1994 begehrt.
Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.