Sozialrechtliche Versicherungspflicht eines Dozenten
Begriff der höchstrichterlichen Klärung
Auswertung der gesamten Rechtsprechung
Gründe:
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob die Beigeladene zu
1. in ihrer Tätigkeit als Dozentin für den Kläger - einem eingetragenen Verein - aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht
in allen Zweigen der Sozialversicherung in der Zeit vom 18.2.2008 bis 31.7.2009 unterliegt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen LSG vom 21.3.2014 ist gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2
SGG in entsprechender Anwendung von §
169 S 2 und 3
SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen §
160a Abs
2 S 3
SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das BSG darf gemäß §
160 Abs
2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl
BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Der Kläger beruft sich in der Beschwerdebegründung vom 6.6.2014 auf alle drei Zulassungsgründe.
1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden
Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit)
und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerwG NJW 1999, 304 und BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem
Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht
zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).
Der Kläger wirft auf Seite 14 der Beschwerdebegründung folgende Frage auf:
"Ist für die Frage, ob eine abhängige Beschäftigung im Sinne von §
7 SGB IV mit der Rechtsfolge einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung
und nach dem Recht der Arbeitsförderung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt, maßgeblich auf die typisierende und damit
letztlich theoretische Betrachtung eines Vertragsverhältnisses einschließlich seiner etwaigen rechtlichen Bindungen oder aber
auf die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses abzustellen?"
Eine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage, wie die Lehrtätigkeit von Dozenten an Berufsfachschulen mit Blick auf eine
abhängige oder selbstständige Beschäftigung einzuordnen ist, sei bislang nicht ersichtlich. Das BSG habe lediglich für die Tätigkeit an allgemeinbildenden Schulen und Volkshochschulen bereits entschieden, wann eine abhängige
und wann eine selbstständige Tätigkeit von Dozenten anzunehmen sei. Ob und wie Dozenten an berufsbildenden Schulen einzuordnen
sind, sei vor diesem Hintergrund klärungsbedürftig und klärungsfähig.
Den Anforderungen an die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage - ihre Qualität als hinreichend konkrete,
in einem späteren Revisionsverfahren prüfbare Rechtsfrage unterstellt - genügt der Kläger damit nicht. Als höchstrichterlich
geklärt muss eine Rechtsfrage auch dann angesehen werden, wenn das Revisionsgericht sie zwar für einzelne Berufsgruppen oder
bestimmte Tätigkeitsfelder noch nicht ausdrücklich entschieden hat, zur Auslegung der anzuwendenden gesetzlichen Vorschrift
jedoch schon viele höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von
der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben. Hier kommt es dann in der Regel (lediglich) auf die Anwendung
der von der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätze auf einen bestimmten Sachverhalt - eine bestimmte Berufsgruppe oder ein
bestimmtes Tätigkeitsfeld - an (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 22). Ergeben sich hinsichtlich der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage Zweifel, muss die Beschwerde diese ausräumen.
Hierzu gehört auch, die bereits vorliegende umfangreiche - von dem Kläger nur hinsichtlich einer einzigen Entscheidung zitierte
- höchstrichterliche Rechtsprechung auf (gemeinsame) Beurteilungsgesichtspunkte hin zu untersuchen oder in der gebotenen Weise
Widersprüche und damit Klärungsbedarf herauszuarbeiten, statt - wie hier - aus einer einzigen Entscheidung des BSG (BSG Urteil vom 12.2.2004 - B 12 KR 26/02 R - Juris) einen Satz zu zitieren.
2. Der Kläger legt auch eine entscheidungserhebliche Divergenz nicht in einer den Zulässigkeitsanforderungen gemäß §
160a Abs
2 S 3
SGG gerecht werdenden Weise dar. Divergenz iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde
gelegt sind. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das LSG eine höchstrichterliche Entscheidung nur unrichtig ausgelegt
oder das Recht unrichtig angewandt hat, sondern erst, wenn das LSG Kriterien, die ein in der Norm genanntes Gericht aufgestellt
hat, widersprochen, also andere Maßstäbe entwickelt hat. Das LSG weicht damit nur dann iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG von einer Entscheidung ua des BSG ab, wenn es einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der einer zu demselben Gegenstand gemachten und fortbestehenden aktuellen
abstrakten Aussage des BSG entgegensteht und dem Berufungsurteil tragend zugrunde liegt. Die Beschwerdebegründung muss deshalb aufzeigen, welcher abstrakte
Rechtssatz in den genannten höchstrichterlichen Urteilen enthalten ist, und welcher in der instanzabschließenden Entscheidung
des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht, und darlegen, dass die Entscheidung hierauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29 und 67; SozR 3-1500 § 160 Nr 26 mwN).
a) Auf Seite 12 der Beschwerdebegründung erhebt der Kläger eine "Grundsatzbeschwerde hinsichtlich Dozententätigkeit an Berufsfachschulen/Divergenzbeschwerde
bezüglich typisierender Betrachtung anstelle tatsächlicher Durchführung des Vertragsverhältnisses".
aa) Das LSG habe sinngemäß folgenden Rechtssatz aufgestellt:
"Dozenten an einer Berufsfachschule erbringen ihre Unterrichtstätigkeit typischerweise innerhalb eines schulischen Lehrgangs
iSd BAG Rechtsprechung und sind deshalb immer als abhängig Beschäftigte iSv §
7 SGB IV einzuordnen."
Eine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage, wie die Lehrtätigkeit von Dozenten an Berufsfachschulen mit Blick auf eine
abhängige oder selbstständige Beschäftigung einzuordnen sind, sei bislang nicht ersichtlich.
Hierdurch legt der Kläger eine entscheidungserhebliche Divergenz nicht dar, weil er selbst ausführt, dass es - seiner Meinung
- keine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Lehrtätigkeit von Dozenten an Berufsfachschulen gebe. Demzufolge stellt er auch
insoweit keine einander widersprechenden Rechtssätze gegenüber.
bb) Auf Seite 13 der Beschwerdebegründung führt der Kläger aus, ausschlaggebend für die Frage, ob ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis
vorliege oder nicht, sei nach der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf BSG Urteil vom 12.2.2004 - B 12 KR 26/02 R - Juris) die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, nicht dessen theoretische Bindung an Normen und Gesetze.
Das BSG habe "in ständiger Rechtsprechung" festgelegt:
"Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist (hier Dozent an einer Volkshochschule), hängt davon ab, welche
Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen
Verhältnissen ab, geben letztere den Ausschlag."
Demgegenüber habe das LSG "sinngemäß" den Rechtssatz aufgestellt:
"Allein auf Grund der Tatsache, dass die Beigeladene zu 1) als Dozentin innerhalb eines durch Gesetze und Verordnungen rahmenmäßig
geregelten Ausbildungslehrgangs an einer Berufsfachschule tätig war, ist unabhängig von der tatsächlichen Durchführung des
Vertragsverhältnisses von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen."
Auch insoweit genügt die Beschwerdebegründung nicht den Zulässigkeitsanforderungen. Anders als erforderlich entnimmt der Kläger
der angefochtenen Entscheidung bereits keinen tragenden, abstrakten Rechtssatz, sondern fasst lediglich das vom LSG im konkreten
Fall gefundene Ergebnis zusammen und erblickt darin eine Abweichung von der zitierten Rechtsprechung des BSG.
b) Auf Seite 17 der Beschwerdebegründung erhebt der Kläger "höchst vorsorglich: Divergenzbeschwerde hinsichtlich typisierender
Betrachtungsweise des BAG". Das LSG weiche im Übrigen von der Rechtsprechung des BAG, auf die das BSG zur Abgrenzung von abhängiger zu selbstständiger Tätigkeit verweise, in entscheidungserheblicher Weise ab.
Die Beschwerdebegründung erfüllt insoweit nicht die Zulässigkeitsanforderungen, weil das BAG nicht zu den nach §
160 Abs
2 Nr
2 SGG divergenzfähigen Gerichten zählt.
c) Auf Seite 27 der Beschwerdebegründung erhebt der Kläger "Divergenzbeschwerde bezüglich Kriterium des Unternehmerrisikos
bei Dozenten".
Das BSG (Hinweis auf BSG Urteil vom 12.2.2004 - B 12 KR 26/02 R - Juris) habe entschieden:
"Selbständigen räumt das Gesetz vergleichbare Ansprüche gegenüber ihrem Vertragspartner nur im Ausnahmefall der arbeitnehmerähnlichen
Personen ein (vgl. § 2 BUrlG), sodass die tatsächliche Gewährung von bezahltem Erholungsurlaub ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses
ist."
Das LSG habe demgegenüber die Tatsache, dass die Beigeladene zu 1. keinen Urlaubsanspruch, keinen Anspruch auf Vergütung bei
urlaubsbedingter Abwesenheit und auch keine Verpflichtung, sich vom Kläger die urlaubsbedingte Abwesenheit genehmigen zu lassen,
gehabt habe, "fehlerhaft" nicht als Indiz für eine selbstständige Tätigkeit angesehen.
Auch insoweit genügt die Beschwerdebegründung nicht den Zulässigkeitsanforderungen. Der Kläger entnimmt weder dem Urteil des
LSG noch dem in Bezug genommenen Urteil des BSG tragende Rechtssätze, sondern beschränkt sich auf die Wiedergabe von Zitaten. Darüber hinaus unterlässt er die gebotene Betrachtung,
ob und inwieweit das LSG abstrakte, die Entscheidung tragende Rechtssätze gebildet hat, die von der Rechtsprechung des BSG vermeintlich abweichen. Stattdessen rügt der Kläger wiederum nur eine seiner Meinung nach "fehlerhafte" Rechtsanwendung des
LSG im Einzelfall. Hierauf kann aber eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden.
3. Auf Seite 29 der Beschwerdebegründung macht der Kläger "entscheidungserhebliche Verfahrensfehler bezüglich Sachverhaltswürdigung
zum Unternehmerrisiko" geltend. Das LSG habe "entgegen des Grundsatzes auf rechtliches Gehör" seinen Vortrag zum Unternehmerrisiko
nicht zur Kenntnis genommen. Er gibt auf Seite 30 der Beschwerdebegründung eine Passage aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen
Urteils zum Merkmal Unternehmerrisiko wieder. Er bemängelt den vom LSG getroffenen Schluss, die Beigeladene zu 1. habe keine
Möglichkeit gehabt, im Rahmen ihrer Tätigkeit für den Kläger durch unternehmerisches Handeln den eigenen wirtschaftlichen
Erfolg maßgeblich zu beeinflussen. Dem stellt er seinen Vortrag gegenüber, wonach die Beigeladene zu 1. ihren wirtschaftlichen
Erfolg insofern habe steigern können, als sie ihre Kostenkalkulation entsprechend ihres Aufwandes ändern und mit dem Kläger
ggf ein höheres Honorar habe vereinbaren können.
Dadurch bezeichnet der Kläger einen Verfahrensmangel iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG nicht (zu den Anforderungen an die Bezeichnung eines solchen Verfahrensmangels s exemplarisch BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4; Nr 21 RdNr 4 - jeweils mwN; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap
IX, RdNr 202 ff). Er nennt bereits keine bundesrechtliche Verfahrensnorm, die das Berufungsgericht verletzt haben soll. Überdies
wird ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer
diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser
Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel
beruht. Speziell den an die Darlegung einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu stellenden Anforderungen genügt
der Kläger mit diesen Ausführungen bereits deshalb nicht, weil er nicht - wie aber erforderlich - detailliert darlegt, welches
konkrete Vorbringen vom LSG übergangen worden sein soll, und dass sich das vorinstanzliche Gericht auch unter Berücksichtigung
seiner Rechtsauffassung mit dem Vorbringen hätte auseinandersetzen müssen (vgl allgemein Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde,
2. Aufl 2010, RdNr 697 mwN).
Schon aus dem eigenen Vortrag des Klägers ist ersichtlich, dass sich das LSG mit dem Merkmal des Unternehmerrisikos auseinandergesetzt
hat, dabei aber nach Meinung des Klägers zu einem falschen Ergebnis gekommen ist. Das Recht auf rechtliches Gehör gebietet
aber nur, dass die Gerichte die Ausführungen der Prozessbeteiligten grundsätzlich zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen,
es verpflichtet sie aber nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen; ihn also zu "erhören" (BVerfG [Kammer] Beschluss
vom 8.4.2014, NZS 2014, 539 RdNr 13 mwN). Soweit der Kläger explizit auf seinen Vortrag zur Möglichkeit von Honorarverhandlungen und "Aufwandsreduzierungen"
Bezug nimmt, zeigt er nicht auf, inwieweit sich das LSG speziell mit diesem Unterpunkt im Rahmen der Ausführungen zum Unternehmerrisiko
hätte befassen müssen. Hierzu hätte aber schon deshalb Anlass bestanden, weil diese Möglichkeit naturgemäß bei allen Beschäftigten
besteht und nicht ersichtlich ist, inwieweit sie geeignet sein soll, Beschäftigung von selbstständiger Tätigkeit abzugrenzen.
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 S 1 Teils 3
SGG iVm §
154 Abs
2, §
162 Abs
3 VwGO.
6. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in §
197a Abs
1 S 1 Teils 1
SGG iVm §
63 Abs
2 S 1, § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 und 3 GKG und entspricht der von den Beteiligten nicht beanstandeten Festsetzung durch das LSG.