Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren; Bezeichnung einer Divergenz; Verjährung von Prüfbescheiden
des Beschwerdeausschusses
Gründe:
I
Der als Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger wendet sich gegen
einen Sprechstundenbedarfsregress für das Quartal IV/1994.
Der Kläger überschritt in diesem Quartal den Fachgruppendurchschnitt beim Sprechstundenbedarf (SSB) um 245 %. Nach Begutachtung
der Verordnungsweise des Klägers durch den Prüfarzt und nach der Berücksichtigung von Quartalsschwankungen führte der Prüfungsausschuss
die Überschreitung auf 100 % zurück und setzte entsprechend einen Regress in Höhe von 3709,78 DM fest (Beschluss vom 12.12.1995).
Gegen diesen Bescheid (im Folgenden mit dem Beschlussdatum zitiert) legte der Kläger Widerspruch ein, begründete diesen gegenüber
dem beklagten Beschwerdeausschuss aber nicht. Nachdem der Beklagte ihm Ende des Jahres 2003 sowie zu Beginn des Jahres 2004
Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte, berief sich der Kläger darauf, nach so langer Zeit besitze er keine Unterlagen
aus dem maßgeblichen Quartal mehr, so dass es unzumutbar sei, dass dieser Fall wieder aufgenommen werde.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Beschluss vom 2.11.2005 zurück.
Klage- und Berufungsverfahren sind für den Kläger erfolglos geblieben. Das LSG ist seiner Auffassung, allein wegen des zwischenzeitlichen
Zeitablaufs dürfe kein Regress festgesetzt werden, nicht gefolgt. Zwar habe das Verfahren vor dem beklagten Beschwerdeausschuss
zehn Jahre lang gedauert, doch ergebe sich daraus nicht, dass die Regressbescheide rechtswidrig seien. Verjährung komme nach
der Rechtsprechung des BSG bei Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung von vornherein nicht in Betracht. Die vierjährige
Ausschlussfrist für die Festsetzung von Regressen wegen unwirtschaftlicher Verordnungen sei entweder durch den Bescheid des
Prüfungsausschusses gewahrt bzw zumindest durch diesen Bescheid gehemmt oder unterbrochen worden, so dass sie noch nicht abgelaufen
sei, als der Beklagte den das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheid erlassen habe. Auf Verwirkung könne sich der Kläger
nicht berufen, weil die allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts für die Verwirkung in den nach §
78 SGG als Widerspruchsverfahren anzusehenden Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss nicht zur Anwendung kämen (Urteil vom 13.10.2010).
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger geltend, das berufungsgerichtliche Urteil weiche
von der Rechtsprechung des BSG ab (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
2 SGG), und im Übrigen seien Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 SGG).
II
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Ob die vom Kläger erhobene Divergenzrüge den Zulässigkeitsanforderungen des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG entspricht, kann offen bleiben. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.
Der Kläger sieht in der Wendung des Berufungsgerichts, wonach die Entscheidung des Beschwerdeausschusses in einem Verfahren
zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit keine Ausübung eines Rechtes sei und deshalb nicht der Verwirkung unterliege, einen Widerspruch
zu Ausführungen in Urteilen des früher zuständigen 14a Senats des BSG vom 16.6.1993 und des erkennenden Senats vom 5.5.2010.
In diesen Entscheidungen ist ausgeführt, das Recht des Prüfungsausschusses, den Honoraranspruch endgültig und entsprechend
dem Prüfergebnis anders als im Honorarbescheid festzusetzen bzw Verordnungsregresse zu verhängen, sei nicht auf ein Tun oder
Unterlassen des Vertragsarztes gerichtet. Es sei jedenfalls kein Anspruch, sondern eher einem Gestaltungsrecht vergleichbar
(vgl BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 5/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 28 RdNr 18 ff mit Nachweisen zur älteren Rechtsprechung). Ob diese unterschiedlichen Akzentuierungen
auf eine Abweichung iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG überhaupt hindeuten und dies vom Kläger hinreichend bezeichnet worden ist, bedarf keiner Entscheidung. In der Sache liegt
jedenfalls keine Divergenz vor. Der Senat steht in ständiger Rechtsprechung auf dem Standpunkt, dass das Recht der Prüfgremien,
Prüfbescheide zu erlassen, nicht der Verjährung unterliegt, weil die Prüfungsausschüsse vom Arzt kein bestimmtes Tun oder
Unterlassen verlangen und nur darauf gerichtete Ansprüche nach §
194 Abs
1 BGB verjähren können. Diesen Gedanken hat das Berufungsgericht auf das Rechtsinstitut der Verwirkung übertragen und ausgeführt,
der Verwirkung unterlägen nur Rechte, und die Verpflichtung der Prüfgremien, die Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes
durch einen Vertragsarzt durchzusetzen, sei kein Recht in diesem Sinne. Das weicht erkennbar nicht von der Rechtsprechung
des Senats ab, der formuliert hat, das "Recht" des Prüfungsausschusses, den Honoraranspruch endgültig festzusetzen, sei nicht
auf ein Tun und Unterlassen des Vertragsarztes gerichtet, es sei jedenfalls kein Anspruch, sondern allenfalls einem Gestaltungsrecht
vergleichbar. Insoweit liegt keine Divergenz in den entscheidungserheblichen Aussagen vor, auf denen das Berufungsurteil beruhen
könnte.
Soweit der Kläger für grundsätzlich bedeutsam hält, ob das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss einer eigenständigen vierjährigen
Ausschlussfrist mit der Folge unterliegt, dass immer dann, wenn das Verfahren nach Anrufung des Beschwerdeausschusses von
diesem nicht innerhalb von vier Jahren durch einen Bescheid abgeschlossen ist, eine Honorarkürzung bzw ein Regress nicht mehr
festgesetzt werden kann, fehlt es jedenfalls an der Klärungsbedürftigkeit. Auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung
des Senats zur Durchführung von Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergibt sich, dass eine solche Ausschlussfrist für
den Abschluss des Verfahrens vor dem Beschwerdeausschuss nicht besteht. Der Senat hat seine Annahme, der das Prüfverfahren
abschließende Bescheid der Wirtschaftlichkeitsprüfung müsse innerhalb von vier Jahren nach Festsetzung des von der Kürzungsmaßnahme
betroffenen Honorars (bei Honorarkürzungen) bzw des geprüften Zeitraums (bei Verordnungsregressen) abgeschlossen werden, damit
begründet, dass es für den Vertragsarzt unzumutbar sei, über einen längeren Zeitraum hinweg nicht zu wissen, ob sein Behandlungs-
bzw Verordnungsverhalten Gegenstand von Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung ist (vgl BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 5/09 R - SozR aaO, RdNr 27 ff). Dieser Zustand des Nichtwissens ist hier durch den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 12.12.1995,
der dem Kläger weniger als zwei Jahre nach dem der Prüfung unterliegenden Quartal (IV/1994) zugegangen ist, beendet worden.
Ab der Kenntnis von diesem Bescheid war das Vertrauen des Klägers, wegen seiner Verordnungsweise im Quartal IV/1994 nicht
mit Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung rechnen zu müssen, zerstört. Nach Anrufung des Beschwerdeausschusses war dieser
für die Durchführung des Verfahrens zuständig.
Der Beklagte hat allerdings seiner Verpflichtung, das Verfahren angemessen zu fördern und möglichst innerhalb der in §
88 Abs
2 SGG genannten Frist von drei Monaten abzuschließen, soweit dem keine Hinderungsgründe entgegenstehen, in keiner Weise entsprochen.
Daraus ist jedoch nicht abzuleiten, dass er allein deshalb an der Festsetzung eines Regresses in Form der Bestätigung der
Entscheidung des Prüfungsausschusses gehindert ist. Eine Frist, bis zu der ein Widerspruchsverfahren - das Verfahren vor dem
Beschwerdeausschuss gilt als Widerspruchsverfahren (§
106 Abs
5 Satz 6
SGB V) - abgeschlossen sein muss, ist gesetzlich nicht bestimmt und darf dementsprechend nicht allgemein von der Rechtsprechung
vorgegeben werden. Die Beteiligten an dem Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss - neben dem betroffenen Arzt die Kassenärztliche
Vereinigung (KÄV) und die Verbände der Krankenkassen (§
106 Abs
5 Satz 3
SGB V) - können bei nicht näher erklärten Verzögerungen im Verfahrensablauf jederzeit formlos um eine Entscheidung nachsuchen und
- unter Beachtung der Maßgaben des §
88 SGG - Untätigkeitsklage erheben. Im Übrigen steht der Auffassung des Klägers, allein durch Zeitablauf und eigenes Stillhalten
könne die Entscheidungsbefugnis des Beschwerdeausschusses entfallen, entgegen, dass dieses Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung
von Ärzten und Krankenkassen nicht über eigene Ansprüche entscheidet, sondern über Ansprüche der KÄV (auf Rückzahlung von
Honorar bei unwirtschaftlicher Behandlungsweise) und der Krankenkassen (auf Erstattung von Kosten für unwirtschaftlich verordnete
Arzneimittel). Diese Institutionen haben grundsätzlich keine anderen Einflussmöglichkeiten auf den Verfahrensablauf bei dem
Beschwerdeausschuss als der betroffene Arzt.
Auch die vom Kläger im Zusammenhang mit einer möglichen Beendigung der Hemmung bzw Unterbrechung der Verjährung (§
204 Abs
2 Satz 2
BGB) wegen des - unterstellten - Nichtbetreibens des Verfahrens durch den Beklagten aufgeworfenen Fragen rechtfertigen die Zulassung
der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht. Zum einen teilt der Senat bereits nicht die dem Berufungsurteil zugrunde
liegende Auffassung, dass es für die Wahrung der vierjährigen Ausschlussfrist für Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung
auf den Bescheid des Beklagten ankomme. Diese Funktion kommt vielmehr, wie ausgeführt, dem Bescheid des Prüfungsausschusses
zu. Auf dieser Grundlage liegt von vornherein kein Fall der Unterbrechung bzw Hemmung der Ausschlussfrist vor, auf den der
Beendigungstatbestand des Nichtbetreibens des Verfahrens Bezug nimmt. Im Übrigen hat der Senat entschieden, dass die Vorschriften
des
BGB über das Ende der Hemmung bzw Unterbrechung der Verjährung durch Nichtbetreiben des Verfahrens auf das von Amts wegen durchzuführende
Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung keine Anwendung finden (Urteil vom 5.5.2010 - B 6 KA 5/09 R - SozR aaO, RdNr 49 f). Selbst auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach der Bescheid des Prüfungsausschusses
die Ausschlussfrist nicht wahrt, sondern nur unterbricht bzw hemmt, hätte also die lange Dauer des Verfahrens vor dem Beklagten
ohne dessen erkennbare zügige Förderung nicht bewirkt, dass die nach Auffassung des LSG durch den Bescheid des Prüfungsausschusses
vom 12.12.1995 eingetretene Hemmung bzw Unterbrechung der Ausschlussfrist geendet hätte.
Es kann hier offen bleiben, welche rechtlichen Konsequenzen sich zu Gunsten des von einem Prüfungsverfahren betroffenen Arztes
ergeben, wenn die dem Beschwerdeausschuss obliegende Sachaufklärung sowie die effektive Rechtsverfolgung des Arztes nach längerer
Zeit des faktischen Ruhens des Verfahrens dadurch erschwert werden, dass bestimmte relevante Umstände aus weit zurückliegenden
Quartalen nicht mehr aufgeklärt werden können. Darauf kommt es hier nämlich nicht an, weil sich der Kläger lediglich pauschal
auf den Zeitablauf und die Unzumutbarkeit eines Verfahrensabschlusses nach sehr langer Zeit berufen hat. Welche konkreten
fallspezifischen Aspekte der Kläger zu der auf statistischer Grundlage ermittelten fortwährenden Unwirtschaftlichkeit seines
Behandlungs- bzw Verordnungsverhaltens über einen längeren Zeitraum hinweg allein wegen des Zeitablaufs nicht mehr einbringen
konnte, hat er nicht substanziiert dargelegt. Die Daten über seine Leistungsabrechnung und seine Verordnung von Arzneimitteln
und SSB in dem betreffenden Quartal sowie die entsprechenden Werte seiner Fachgruppe liegen vor, waren und sind dem Kläger
bekannt und haben sich (auch) als Folge der kaum nachvollziehbaren Verzögerung des Verfahrens durch den Beklagten nicht geändert.
Soweit der Kläger schließlich grundsätzliche Fragen im Zusammenhang mit der Verwirkung aufwirft, besteht auch insoweit kein
Klärungsbedarf. Selbst auf der Grundlage der Annahme, dass die Befugnis der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung, gegen
einen Vertragsarzt Regresse festzusetzen, unter bestimmten Voraussetzungen verwirkt sein könne - was nach der oben dargestellten
Rechtsprechung des Senats zumindest nicht naheliegt -, bedürfte es in diesem Zusammenhang keiner Grundsatzentscheidung. Die
Verwirkung verlangt neben dem bloßen Zeitablauf immer auch ein Umstandselement in der Weise, dass derjenige, der sich auf
Verwirkung beruft, über das bloße Verstreichen von Zeit hinaus aus dem Verhalten des anderen schließen kann, dieser wolle
und werde seine Rechtsposition nicht weiter verfolgen (vgl Grüneberg in Palandt,
BGB, 70. Aufl 2011, §
242 RdNr 95). Daran fehlt es hier nach den Feststellungen des LSG, weil dem Beklagten außer dem für den Kläger erkennbaren Nichtbetreiben
des Verfahrens keine Versäumnisse oder Äußerungen zuzurechnen sind, die der Kläger als Anhaltspunkt für einen Verzicht auf
die Fortführung des Verfahrens deuten konnte.