Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme eines Bauunternehmens für Beitragsrückstände eines Nachunternehmens in der gesetzlichen
Unfallversicherung
Überschreiten des Grenzwertes des § 28e Abs. 3d SGB IV bei einer Kettenbeauftragung mehrerer Subunternehmer
Tatbestand
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts Heilbronn (SG), das ihren Bescheid über eine Beitragshaftung des Klägers für nicht gezahlte Unfallversicherungsbeiträge seiner Subunternehmer
aufgehoben hat.
Der Kläger ist im Jahre 1969 geboren, deutscher Staatsbürger und wohnt im Inland. Er ist gelernter Maurermeister und Inhaber
eines Bauunternehmens. Bis Ende 2013 betrieb er dieses einzelkaufmännisch bzw. als Einzelhandwerker. Er war insoweit ab dem
11. Februar 2000 in die Handwerksrolle bei der Handwerkskammer Fk. (A XXXX) eingetragen. Am Ende des Jahres 2013 - im Nachgang
zu den für dieses Verfahren relevanten Vorgängen - wandelte er sein Unternehmen in die P. KG (im Folgenden: KG) um, die am
27. Dezember 2013 in das Handelsregister eingetragen wurde (AG S., HRA XXXX). Der Kläger ist einziger Gesellschafter und Alleingeschäftsführer
der Komplementärin (ebd., HRB XXXX) und einziger Kommanditist der KG (alle Angaben über http://www.handelsregister.de, abgerufen am 10. Juli 2019). Die
KG beschäftigt heute 17 Mitarbeiter (http://www.XXX/about.html, 18. Juli 2019).
In den Jahren 2012 bis 2014 war der Kläger (bzw. war die KG) mit Einzelgewerken (im Bereich Rohbau) auf verschiedenen Baustellen
beauftragt. Seine Auftraggeber waren nicht die Bauherren, sondern jeweils ein Bauträger bzw. Generalunternehmer. Der Kläger
setzte auf acht dieser Baustellen als Subunternehmer das Bauunternehmen T. Bau. ein, das einzelkaufmännisch von Herrn M. T.
geführt wurde (im Folgenden: MT). MT war Mitglied der beklagten Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft. Mit Eintrag ins Handelsregister
am 14. April 2014 gründete MT die T. GmbH mit Sitz in H ... Er war alleiniger Gesellschafter und Alleingeschäftsführer (AG
S., HRB XXXX). Dieses Unternehmen wurde später nach L. verlegt und 2016 im Handelsregister gelöscht.
Am 10. November 2014 eröffnete das AG H. das Insolvenzverfahren über das Vermögen des MT (persönlich) "als Inhaber der T."
(XX IN XXX/XX).
Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 5. Mai 2015 zu einer möglichen Beitragshaftung als Bauunternehmer an. MT habe
seine Zahlungsverpflichtungen ihr - der Beklagten - gegenüber für die Jahre 2011 bis 2014 trotz Mahnungen und Zwangsvollstreckung
nicht erfüllt. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen sei von Zahlungsunfähigkeit auszugehen. Die Haftung
(des Klägers) komme ab einem geschätzten Gesamtwert aller für ein Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen von EUR 275.000,-
in Betracht. Der Kläger könne die Haftung ausschließen, unter anderem durch Vorlage etwa vorhandener Unbedenklichkeitsbescheinigungen.
Er möge die von MT (an dessen Mitarbeiter) gezahlten Bruttolöhne angeben, hilfsweise reiche die Vorlage der Rechnungen des
MT aus.
Der Kläger reichte eine Freistellungsbescheinigung des Finanzamts H. für MT vom 29. November 2012 (Befreiung vom Lohnsteuerabzug,
gültig vom 29. November 2012 bis zu 29. November 2015), eine Steuerentrichtungsbescheinigung des Finanzamts H. für MT vom
12. März 2013 (keine offenen Rückstände an Einkommen-, Umsatz- oder Gewerbesteuer, die Jahressteuererklärungen [des MT] lägen
bis 2010 vor), eine Unbedenklichkeitsbescheinigung der Beklagten für MT vom 13. Dezember 2013 (MT habe seine Zahlungsverpflichtungen
der Beklagten gegenüber [Arbeitsentgelte von EUR 22.020,00 im Bereich Hochbau] bis zum heutigen Tage erfüllt, die Bescheinigung
gelte bis zum 15. Januar 2014) ein. Ferner legte er diverse Abschlags- und Schlussrechnungen des MT an ihn - den Kläger -
über verschiedene Bauvorhaben vor. Die Beklagte bat den Kläger um Nachweise über den Gesamtwert aller betroffenen Bauvorhaben
und um Vorlage der "Werkverträge ( ) zwischen Ihnen und Ihrem Auftraggeber (Bauherr)". Sie wies darauf hin, dass ohne Vorlage
von Unterlagen Schätzungen notwendig würden. Der Kläger teilte telefonisch mit, er könne die weitere Anfrage nicht nachvollziehen.
Er wolle keine Angaben mehr machen. Er habe schon mehrmals für MT gezahlt und alle seien Verbrecher.
Mit Bescheid vom 2. November 2015, der an den Kläger unmittelbar (und nicht an die 2013 gegründete KG) gerichtet war, machte
die Beklagte einen Haftungsbetrag von EUR 9.332,94 geltend. Betroffen sei das Jahr 2013. MT habe auf acht - näher bezeichneten
- Baustellen Bauleistungen für den Kläger erbracht. Die Voraussetzungen einer Exkulpation seien nicht nachgewiesen und die
für eine genauere Prüfung notwendigen Unterlagen nicht vorgelegt worden. Aus Arbeitsentgelte seien im Rahmen einer Schätzung
2/3 der Netto-Auftragssumme, die nach den vorgelegten Rechnungen EUR 200.660,00 betrage, zu Grunde gelegt worden, mithin EUR
133.773,00. Daraus folge der angeforderte Haftungsbetrag. Insgesamt sei MT 2013 Beiträge in Höhe von EUR 15.457,26 schuldig
geblieben. Aus den beigefügten Berechnungsbögen wurde deutlich, dass die Beklagte bei den acht betroffenen Bauvorhaben (nur)
Leistungszeiträume des Jahres 2013 berücksichtigt hatte.
Zunächst telefonisch und sodann per E-Mail erhob der Kläger am 10. November 2015 Widerspruch. Er legte für einige der Bauvorhaben
(Ab., H., Gr., Leh., D. We., Wohnungen We., Na., Leu.) seine Rechnungen, vor allem die Schlussrechnungen, und in einigen Fällen
die Bauverträge vor. Aus diesen Unterlagen ergebe sich die jeweilige Bausumme. Danach sei die Haftungssumme zu korrigieren.
Ferner ergab sich aus den Unterlagen - allerdings nur für einige der Aufträge -, dass der Kläger keine Generalunternehmerverträge
im Auftrage der Bauherren übernommen, sondern Einzelgewerke durchgeführt hatte. Wegen dreier Bauvorhaben ("D. We.", "6 WE
We.", "8 WE Leu."), bei denen diese Information nicht vorlag, fragte die Beklagte bei dem in dem Vertrag genannten Auftraggeber,
der K. GmbH, nach. Diese teilte mit Schreiben vom 25. November 2015 mit, sie sei bei zweien jener Vorhaben (WE We., WE Leu.)
Bauträger gewesen, bei dem Vorhaben "D. We." sei sie der Generalübernehmer gewesen.
Nachdem die Beklagte den Kläger darauf hingewiesen hatte, dass ein Widerspruch nicht telefonisch oder per E-Mail eingelegt
werden könne, ging am 19. November 2015 ein weiterer - schriftlicher - Widerspruch ein. Er war unter dem Briefkopf der 2013
gegründeten KG verfasst und von einer Mitarbeiterin der KG unterzeichnet.
Die Beklagte erließ den Bescheid vom 31. März 2016. Sie führte aus, sie habe den nicht formgerechten Widerspruch des Klägers
vom 10. November 2015 als Antrag auf Rücknahme (Überprüfung) gewertet. Auf dieser Grundlage werde der Bescheid vom 2. November
2015 dahin geändert, dass die Beitragshaftung für die Bauvorhaben Hap., H., Leh. und Na. zurückgenommen werde. Bei diesen
Vorhaben sei die Haftungsgrenze unterschritten. Darüber hinaus werde der Antrag zurückgewiesen. Hinsichtlich der vier übrigen
Vorhaben bleibe die Haftung bestehen. Für die Vorhaben D. We., Wohnungen We. und Leu. seien die Gesamtbaukosten nicht mitgeteilt
worden. Bei dem Vorhaben Gr. sei die Schwelle von EUR 275.000,- überschritten. Das zu Grunde gelegte Arbeitsentgelt verringere
sich deshalb auf EUR 100.773,-, daraus folge eine Beitragshaftung von - noch - EUR 7.106,07.
Am 19. April 2016 ging bei der Beklagten per Telefax oder originalschriftlich (dies lässt sich wegen der elektronischen Aktenführung
der Beklagten nicht sicher erkennen) ein - erneuter - Widerspruch auf einem Briefbogen der KG und unterzeichnet von einer
Mitarbeiterin ein. Es wurde auf die E-Mail vom 10. November 2015 verwiesen. Es war ausgeführt, "die Firma [des Klägers]" habe
lediglich den Rohbau gebaut und von ihr sei bei keinem der vier Objekte die Bausumme von EUR 275.000,- überschritten worden.
Es könne nicht sein, dass die komplette Bausumme der fertigen Objekte angesetzt werde, nachdem er nur für den Rohbau verantwortlich
sei. Außerdem habe MT eine Freistellung vorgelegt. Ferner sei ihm - dem Kläger - bekannt, dass MT genug Geld besitze und bereits
wieder eine neue Firma habe, die Beklagte solle bei ihm pfänden. Beigefügt war erneut die Unbedenklichkeitsbescheinigung vom
13. Dezember 2013.
Mit Schreiben vom 5. August 2016 informierte die Beklagte dem Kläger dahingehend, der Haftungsbescheid sei an ihn direkt gerichtet
gewesen, die Widersprüche habe aber eine KG erhoben. Diese sei nicht befugt, Rechtsmittel einzulegen. Die Widersprüche der
KG seien daher zurückzuweisen. Der Kläger möge mitteilen, ob der am 19. April 2016 eingelegte Widerspruch ihm persönlich zugerechnet
werden solle. Der Kläger gab am 9. August 2016 an, er erhebe, wie gewünscht, den Widerspruch persönlich. Er bezog sich auf
den Widerspruch der KG vom 19. April 2016.
Die Beklagte leitete die Zwangsvollstreckung gegen den Kläger ein.
Auf das Schreiben der Beklagten mit Hinweisen unter anderem dazu, dass der haftende Unternehmer das Unterschreiten der Wertgrenze
nachweisen müsse und für drei der noch streitigen Vorhaben entsprechende Unterlagen weiterhin fehlten, reagierte der Kläger
in der Sache nicht.
Am 10. April 2017 legitimierte sich sein jetziger Prozessbevollmächtigter als Verfahrensbevollmächtigter zur Akte der Beklagten
und teilte mit, der eingelegte Widerspruch bleibe aufrechterhalten. Der Kläger habe auf die Angabe der Unbedenklichkeitsbescheinigung,
bis Dezember 2013 habe MT alle Beiträge gezahlt, vertraut. Sofern diese Bescheinigung unrichtig gewesen sei, sei ihm dadurch
ein Schaden in Höhe der Beitragsnachforderung entstanden, für den die Beklagte verantwortlich sei, insoweit rechne er hilfsweise
mit seinem Schadensersatzanspruch auf.
Der Kläger zahlte die Haftungssumme zur Abwendung der Zwangsvollstreckung im April 2017 (Schreiben des Hauptzollamts H. vom
12. April 2017).
Daraufhin erging der zurückweisende Widerspruchsbescheid vom 27. April 2017. Die "Bagatellgrenze" von EUR 275.000,- beziehe
sich auf ein gesamtes Bauvorhaben. Es komme auf "den Vertrag zwischen dem Bauherrn und dem Hauptunternehmer" an. Das Gesetz
stelle ausdrücklich nicht auf einzelne Gewerke oder eine losweise Vergabe der Leistungen ab. Die Unbedenklichkeitsbescheinigung
für MT stamme - erst - von einem Zeitpunkt, zu dem die Bauvorhaben bereits begonnen hätten. Es sei also von dem Schuldvorwurf
auszugehen, dass der Kläger den MT bei Auftragsvergabe nicht die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns aufgewendet habe. Der
Beklagten sei - allerdings - nicht bekannt, wann der Kläger MT mit den einzelnen Projekten beauftragt habe und wann die Arbeiten
abgeschlossen gewesen seien. Ohne entsprechende Unterlagen könne keine Exkulpation angenommen werden. Die Freistellungsbescheinigung
des Finanzamts betreffe nur das Steuerrecht. Der Widerspruchsbescheid war unmittelbar an den Kläger adressiert. Er wurde mit
einem Anschreiben an den Prozessbevollmächtigten des Klägers übersandt und insoweit am Donnerstag, dem 27. April 2016, formlos
zur Post gegeben.
Am Donnerstag, dem 1. Juni 2017, hat der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten Klage beim SG erhoben. Der zur Akte des SG gereichte, an den Kläger adressierte Widerspruchsbescheid vom 27. April 2017 weist einen Eingangsstempel der Kanzlei des
Prozessbevollmächtigten vom 2. Mai 2017 auf. Beantragt hat der Kläger bereits im Klageverfahren neben der Aufhebung der angefochtenen
Bescheide die Rückgängigmachung der Vollziehung. Er hat vorgetragen, er sei kein Generalunternehmer, sondern nur mit den Rohbauten
beauftragt gewesen. Erst nach Vorlage der Unbedenklichkeitsbescheinigung habe er die Rechnungen des MT bezahlt, zuvor habe
er ein vertragliches Zurückbehaltungsrecht ausgeübt.
Der Kläger hat weitere Unterlagen (Verträge und Rechnungen) zu den vier noch streitigen Bauvorhaben zur Akte gereicht (vgl.
im Einzelnen Anlage K 8, Bl. 37 ff. SG-Akte). Daraus ergeben sich folgende Informationen:
Bauvorhaben Bauherr Auftraggeber des Klägers, Eigenschaft Vertrag mit dem Kläger (Inhalt, Datum, Auftragssumme) Auftragssumme
Kläger an MT Einfamilienhaus Gr. Eheleute XX P. St., Generalunternehmer Erd- und Rohbauarbeiten, 13.09.2013, EUR 123.411,68
EUR 19.300,00 (4 Rng.en) D. We. D. e.V. K., Generalübernehmer
1. Unterfangung, 23.04.2013, EUR 8.700,00 2. Rohbauarbeiten, 21.06.2013, 76.000,00 EUR 16.500,00 (Rng. v. 11.11.2013) 6 WE
We. K., Bauträger Rohbauarbeiten, 23.04.2013, EUR 204.000,00 EUR 60.060,00 (Rng. v. 11.11.2013) 8 WE Leu.-Nellmersbach K.,
Bauträger Rohbauarbeiten, 14.11.2012, (EUR 272.890,00) EUR 271.440,00 (korr.) EUR 55.300,00 (Rng v. 20.08.2013 abzgl. Rng
v. 06.12.2012
Die Beklagte hat ergänzend vorgetragen, die Unbedenklichkeitsbescheinigung habe darauf hingewiesen, dass sie nur dann von
der Haftung befreie, wenn sie zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe vorliege und ihre Gültigkeit die Bauzeiträume vollständig
erfasse.
Während des laufenden Klageverfahrens erließ die Beklagte den Bescheid vom 20. Juni 2017, mit dem sie Säumniszuschläge von
EUR 1.136,00 wegen der - bereits gezahlten - Haftungssumme von EUR 7.106,07 gegen den Kläger festsetzte. Der Rechtsbehelfsbelehrung
dieses Bescheids entsprechend erhob der Kläger Widerspruch. Im Hinblick auf das anhängige Klageverfahren wurde dieses Widerspruchsverfahren
einvernehmlich zum Ruhen gebracht.
Mit Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung vom 14. September 2018 hat das SG den Bescheid vom 2. November 2015 in der Fassung des Bescheides vom 31. März 2016 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 27. April 2017 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Vollziehung der aufgehobenen Bescheide durch Rückzahlung
von EUR 7.106,07 rückgängig zu machen. Der Kläger sei zwar ein Unternehmer des Baugewerbes gewesen, der einen anderen Unternehmer
mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragt habe. Er hafte daher für die Erfüllung der Zahlungspflichten (Beitragszahlung)
dieses Unternehmers wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Jedoch greife die Geringfügigkeitsgrenze von EUR 275.000,00 ein,
sodass der Kläger nicht in Anspruch genommen werden könne. Diesem Betrag sei - nur - der Gesamtwert derjenigen Bauleistungen
gegenüberzustellen, die der in Anspruch genommene Bauunternehmer bezogen auf die Erstellung des vom Bauherrn in Auftrag gegebenen
Bauwerks an (alle) seine Nachunternehmer vergeben habe. Diese Auslegung folge den Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. Oktober 2017 (B 2 U 1/15 R) und des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen vom 19. Juni 2018 (L 16 U 25/16). Der Kläger habe bei keinem der vier noch streitigen Bauvorhaben Aufträge in Höhe von mindestens EUR 275.000,00 an Nachunternehmer
vergeben. Dies folge auch daraus, dass bereits die ihm selbst erteilen Aufträge unterhalb dieses Betrags gelegen hätten. Nachdem
der Haftungsbescheid aufgehoben sei, sei die Beklagte auch im Anfechtungsverfahren zur Rückgängigmachung der Vollziehung zu
verpflichten gewesen.
Gegen dieses Urteil, das ihr am 27. September 2018 zugestellt worden ist, hat die Beklagte am 18. Oktober 2018 Berufung beim
Landessozialgericht Baden-Württemberg mit der Begründung erhoben, dass bei jedem der Bauvorhaben die Wertgrenze von EUR 275.000,00
überschritten sei. Denn es sei auf den Gesamtwert des Bauvorhabens abzustellen, nicht nur auf die Auftragssumme an den jeweils
haftenden Nachunternehmer. Allein der Gesamtwert des Bauvorhabens "Gr." habe dabei EUR 370.000,00 betragen. Die Urteile des
BSG und des LSG Niedersachsen-Bremen, auf die das SG abgestellt habe, seien nicht anders zu verstehen. Sie hat hierzu zuletzt den Beschluss des LSG Rheinland-Pfalz vom 15. August
2019 - L 3 U 81/19 B ER vorgelegt. Unabhängig davon sei lediglich für das Vorhaben Gr. gesichert, dass der Kläger nicht Haupt-, sondern nur
Nachunternehmer gewesen sei. Bei den anderen drei Vorhaben sei unklar, ob der jeweilige Auftraggeber des Klägers seinerseits
noch einen Auftraggeber gehabt habe und wie hoch die Gesamtbaukosten gewesen seien. Insoweit treffe den Kläger die Nachweispflicht
(Schriftsatz vom 21. August 2019).
Der Kläger ist der Berufung entgegengetreten und hat ergänzend mitgeteilt, er habe nunmehr - am 19. Juli 2019 - auch die Säumniszuschläge
von EUR 1.136,00 zur Abwendung von Vollstreckungsmaßnahmen an die Beklagte gezahlt. Er macht nunmehr zusätzlich Zinsen auf
die Haftungssumme sowie die Rückzahlung der genannten Säumniszuschläge, ebenfalls nebst Zinsen, geltend.
Diesen erweiterten bzw. zusätzlichen Anträgen des Klägers im Berufungsverfahren ist die Beklagte in der mündlichen Verhandlung
entgegengetreten.
Die Beklagte beantragt demnach,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 14. September 2018 aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen, hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, sowie die Beklagte zu verpflichten, a) Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz aus EUR 7.106,07 seit dem 14. April 2017 und b) weitere EUR 1.136,00 nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz hier aus ab dem 20. Juli 2017 an ihn zu zahlen.
In der mündlichen Verhandlung ist nur die Beklagte erschienen, sie ist zur Festsetzung des Streitwerts angehört worden.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte
sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte in der mündlichen Verhandlung am 29. August 2019 entscheiden, auch wenn für den Kläger niemand erschienen
war. Der Senat hatte ihn mit der Ladung darauf hingewiesen, dass nach §
110 Abs.
1 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) auch in Abwesenheit Beteiligter verhandelt und entschieden werden kann.
Die Berufung der Beklagten ist nach §
143 SGG statthaft. Insbesondere war sie angesichts ihrer Beschwer aus dem erstinstanzlichen Urteil von EUR 7.106,07 nicht nach §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG zulassungsbedürftig, auch wenn keine laufenden Sozialleistungen (§
144 Abs.
1 Satz 2
SGG) in Streit stehen. Sie ist auch fernerhin zulässig. Insbesondere hat sie die Beklagte form- und fristgerecht (§
151 Abs.
1 SGG) erhoben.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG über die Aufhebung des angefochtenen Haftungsbescheids (vgl. zur Anfechtungsklage §
54 Abs.
1 Satz 1 Var. 1
SGG) und die Verpflichtung der Beklagten zur Rückzahlung der zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlten Haftungssumme, über
die das SG nach §
131 Abs.
1 Satz 1
SGG als Annex zu der erhobenen isolierten Anfechtungsklage entscheiden konnte.
Zulässig ist ebenfalls die Erweiterung der Klage im Berufungsverfahren auf die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von
Zinsen auf den Rückzahlungsanspruch wegen der Haftungssumme von EUR 7.106,07 selbst. In dieser Klageerweiterung durch den
Kläger - den Berufungsbeklagten - ist eine (unselbstständige) Anschlussberufung zu sehen (vgl. zur Auslegung von Prozesshandlungen
nach §§
133,
157 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB] Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl. 2017, vor §
60 Rz. 11a). Eine solche Anschlussberufung ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren nach §
202 SGG i.V.m. §
524 Zivilprozessordnung (
ZPO) statthaft (Leitherer, a.a.O., §
143 Rz. 5). Sie setzt grundsätzlich keine Beschwer voraus, sie kann daher ein Berufungsbeklagter erheben, der in erster Instanz
vollständig obsiegt hat (Leitherer, a.a.O., vor § 143 Rz. 5a m.w.N.). Im Rahmen einer solchen Anschlussberufung kann auch
ein Berufungsbeklagter die Klage unter den Voraussetzungen des §
99 SGG erweitern (Schmidt, a.a.O., §
99 Rz. 12). Die Erweiterung des Rückzahlungsantrags um einen Zinsanspruch stellt dabei keine echte Klageänderung nach §
99 Abs.
1 SGG dar, sondern die Erstreckung auf Nebenforderungen nach §
99 Abs.
3 Nr.
2 SGG (Schmidt, a.a.O., Rz. 4). Dies gilt insbesondere dann, wenn die Erweiterung nicht auf einen Hauptsacheantrag zielt, sondern
- wie hier - auf eine zusätzliche Anordnung der Folgenbeseitigung im Rahmen einer Anfechtungsklage nach §
131 Abs.
1 Sätze 1 und 2
SGG (vgl. Keller, a.a.O., §
131 Rz. 5). Diese Erweiterung der Klage ist daher statthaft, ohne dass sich die Beklagte rügelos einlassen muss oder nach ihrer
Sachdienlichkeit zu fragen ist.
Unzulässig ist dagegen die weitere Erweiterung der Klage auf die Rückzahlung der Säumniszuschläge über EUR 1.136,00 nebst
Zinsen hierauf.
Bei diesem Antrag handelt es sich um eine echte Klageänderung nach §
99 Abs.
1 SGG, weil Säumniszuschläge einen anderen Streitgegenstand darstellen als die ihnen zu Grunde liegende Hauptforderung. Dies gilt
zumindest hier, wo die Säumniszuschläge in einem gesonderten Bescheid (vom 20. Juni 2017) festgesetzt wurden und auch erst
zu diesem späten Zeitpunkt festgesetzt werden konnten, weil die Säumnis des Klägers erst bei Erlass des Haftungsbescheids
begann, mit dem die Haftungsforderung fällig gestellt wurde. Eine Klageänderung nach §
99 Abs.
1 SGG liegt immer dann vor, wenn ein anderer Lebenssachverhalt zur Prüfung des Gerichts gestellt wird. Dies ist auch dann der Fall,
wenn zusätzlich eine Forderung geltend gemacht wird, der ein anderer Verwaltungsakt zu Grunde liegt (Schmidt, a.a.O., Rz.
2a, ebenso in ähnlicher Situation BSG, Urteil vom 1. März 1978 - 12 RAr 49/77 -, juris, Rz. 19).
Die Beklagte hat dieser Klageänderung des Klägers in der mündlichen Verhandlung widersprochen. Sie hatte sich auch zuvor nicht
rügelos auf den geänderten Antrag eingelassen (§
99 Abs.
2 SGG). Nach Erhalt des klägerischen Schriftsatzes mit der Klageerweiterung vom 6. Mai 2019 hat die Beklagte nur noch den Schriftsatz
vom 21. August 2019 zur Akte gereicht, worin sie aber nur inhaltliche Ausführungen gemacht sowie keine Anträge gestellt hat,
und dieser zuletzt in der mündlichen Verhandlung widersprochen hat. Der Senat sieht diese Klageänderung auch nicht als sachdienlich
im Sinne von §
99 Abs.
1 Var. 2
SGG an. Zum einen hätte der Kläger seine Klage um einen Anfechtungsantrag gegen den Bescheid vom 20. Juni 2017 erweitern müssen,
um überhaupt eine Rückzahlung der Säumniszuschläge erreichen zu können. Aber auch wenn er dies getan hätte, könnte der Senat
nicht ohne Zeitverlust über diesen Antrag entscheiden. Der gesonderte Bescheid der Beklagten über die Säumniszuschläge ist
nicht nach §
96 SGG Gegenstand des laufenden Prozesses geworden. Er hat den ursprünglich allein angefochtenen Bescheid vom 2. November 2015 in
der Fassung vom 31. März 2016 nicht geändert oder ersetzt, sondern eine weitere Forderung gegen den Kläger festgesetzt. Der
Kläger hat daher zu Recht Widerspruch erhoben. Jedoch ist das Widerspruchsverfahren bislang nicht durchgeführt worden, sondern
es ruht weiterhin. Der Senat müsste daher das Berufungsverfahren analog §
114 Abs.
2 SGG aussetzen, bis ein Widerspruchsbescheid ergangen ist. In einem solchen Fall kann die Sachdienlichkeit einer Klageänderung
verneint werden (BSG, Urteil vom 8. Mai 2007 - B 2 U 14/06 R -, SozR 4-2700 § 153 Nr. 2, Rz. 15).
Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht - zum einen - die angefochtenen Haftungsbescheide aufgehoben.
Die isolierte Anfechtungsklage des Klägers, die dem Urteil zu Grunde liegt, ist zulässig.
Das SG hat insoweit zu Recht sowohl den Bescheid vom 2. November 2015 als auch den Bescheid vom 31. März 2016 über die Verringerung
der Haftungssumme als Verfahrensgegenstand eingestuft. Der zweite Bescheid stellt nach Auslegung keine Entscheidung nach §
44 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) dar, sondern eine Teil-Abhilfe-Entscheidung in einem laufenden Widerspruchsverfahren (§
85 Abs.
1 SGG). Der Kläger hatte gegen den ursprünglichen Bescheid vom 2. November 2015 wirksam sowie form- und fristgerecht Widerspruch
erhoben. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Zwar war seine E-Mail vom 10. November 2015 ersichtlich formwidrig (§
84 Abs.
1 Satz 1
SGG), worauf die Beklagte noch in laufender Widerspruchsfrist hingewiesen hat. Aber das Telefax vom 19. November 2015, in dem
auf die E-Mail vom 10. November 2015 Bezug genommen wurde, genügte den Formvorschriften. Zwar war dieses Fax auf einem Briefbogen
der KG verfasst. Aber nach den Grundsätzen über eine Auslegung von Verfahrenshandlungen (siehe oben) durfte die Beklagte dieses
Schreiben nicht als - weiteren - Widerspruch der KG auslegen. Ein solches Verständnis wäre unsinnig gewesen, weil der angefochtene
Bescheid nicht an die KG gerichtet war. Der Hinweis auf die E-Mail vom 10. November 2015, die von einer E-Mail-Adresse mit
dem eigenen Namen des Klägers gesandt worden war, machte deutlich, dass das Widerspruchsverfahren weiterhin der Kläger persönlich
betreiben wollte. Dieses Telefax war auch noch in laufender Widerspruchsfrist eingegangen. Unabhängig davon hätte die Beklagte
den Kläger erneut auf die angebliche Formwidrigkeit dieses Widerspruchs hinweisen müssen, da die Widerspruchsfrist weiterhin
nicht abgelaufen war. Die späteren, weiteren Widersprüche auf Briefpapier der KG und durch ein Schreiben des Klägers selbst
waren daher unnötig.
Der Widerspruch des Klägers vom 19. November 2015 war auch nicht deswegen unwirksam, weil ihn eine Beschäftigte der KG unterzeichnet
hatte. Zwar hätte diese Mitarbeiterin als Bevollmächtigte nicht in einem Prozess auftreten können (§
73 Abs.
2 Satz 2 Nr.
1 SGG), weil sie nicht Beschäftigte des Klägers selbst war. Aber die Postulationsfähigkeit im Vorverfahren richtet sich gemäß §
62 SGB X nicht nach den Vorschriften über das gerichtliche Verfahren, sondern nach § 13 SGB X (Schmidt, a.a.O., vor § 77 Rz. 4a). Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB X kann in einem Verwaltungsverfahren - und damit auch in einem Vorverfahren - jede Person als Bevollmächtigter auftreten, wenn
sie damit nicht gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) verstößt (§ 13 Abs. 5 SGB X). Dafür bestehen hier keinerlei Anhaltspunkte. Im Übrigen hat die Beklagte die Beschäftigte der KG auch nicht als Bevollmächtigte
des Klägers zurückgewiesen (vgl. sowohl § 13 Abs. 5 SGB X als auch §
73 Abs.
3 SGG).
Das Vorverfahren nach §
78 Abs.
1 SGG ist dann nach Erlass des Teil-Abhilfe-Bescheids vom 31. März 2016 vollständig durchgeführt worden und hat mit dem Widerspruchsbescheid
vom 27. April 2017 geendet.
Die Klagefrist (§
87 Abs.
2 SGG) ist eingehalten. Die Beklagte war zwar nicht gehalten, den Widerspruchsbescheid dem Verfahrensbevollmächtigten des Klägers
bekanntzugeben, weil sie keine förmliche Zustellung durchgeführt hat (vgl. dazu § 37 Abs. 5 SGB X i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungszustellungsgesetz [VwZG]). Sie war dazu aber berechtigt (§ 37 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Auch für die Bekanntgabe bei einem Bevollmächtigten gilt allerdings die Fiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X, wonach von einer Bekanntgabe am dritten Tage nach Aufgabe zur Post auszugehen ist. Dies wäre hier der 30. April 2017 gewesen,
nachdem der Widerspruchsbescheid noch am 27. April 2017 zur Post gegeben worden war. Dass der 30. April 2017 ein Sonntag war,
ändert an der Bekanntgabefiktion nichts (Engelmann, in: v. Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 37 Rz. 12 m.w.N.). Danach wäre die Klagefrist eigentlich am 30. Mai 2017 abgelaufen. Die Klage wurde aber erst am 1. Juni 2017
erhoben. Hier jedoch zeigt der Eingangsstempel des Prozessbevollmächtigten des Klägers, dass ihm der Widerspruchsbescheid
erst am 2. Mai 2017 zugegangen war. Als Erklärung eines Organs der Rechtspflege hat dieser Stempel die Beweiskraft des §
118 Abs.
1 SGG i.V.m. §
418 Abs.
1 ZPO. Die Klagefrist lief daher bis zum 2. Juni 2017.
Die Anfechtungsklage gegen den Haftungsbescheid ist auch begründet.
Rechtsgrundlage für den Anspruch der Beklagten gegen den Kläger ist §
150 Abs.
3 Satz 1 Var. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) i.V.m. §
28e Abs.
3a bis Abs.
3f Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV). Hiernach haftet ein Unternehmer des Baugewerbes, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im
Sinne des §
101 Absatz
2 des
Dritten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB III) beauftragt, für die Erfüllung der Zahlungspflicht dieses Unternehmers oder eines von diesem Unternehmer beauftragten Verleihers
wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Diese Haftung erstreckt sich nach §
150 Abs.
3 Satz 1
SGB VII ausdrücklich auf die Beiträge und die weiteren Abgaben (des nachbeauftragten Unternehmers) zur gesetzlichen Unfallversicherung.
Die in §
150 Abs.
3 Satz 1 Var. 2
SGB VII ebenfalls in Bezug genommene Übergangsregelung in §
116a SGB IV greift hier nicht ein, da die fraglichen Bauvorhaben nach dem Jahre 2009 begonnen waren. Ferner enthält §
150 Abs.
3 Satz 2
SGB VII eine besondere Regelung über den Nachweis des fehlenden Verschuldens des Unternehmers durch Vorlage einer Unbedenklichkeitsbescheinigung
(§
28e Abs.
3f i.V.m. §
28e Abs.
3b Satz 2
SGB IV).
Der Kläger ist in diesem Sinne ein Unternehmer des Baugewerbes im Sinne von §
101 Abs.
2 Satz 1
SGB III. Er hat im Jahre 2013, das Gegenstand der hier streitigen Bauunternehmerhaftung ist, als Einzelkaufmann bzw. als Einzelhandwerker
Bauleistungen auf dem Baumarkt erbracht. Ferner hat er einzelnen der Bauleistungen an den vier streitigen Objekten an seinen
Nachunternehmer MT vergeben. Bauleistungen sind alle Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung
oder Beseitigung von Bauwerken dienen (§
101 Abs.
2 Satz 2
SGB III).
Der Kläger selbst war auch Schuldner eines etwaigen Haftungsanspruchs und daher für die Beklagte passivlegitimiert. Selbst
wenn das Bauunternehmen, in dem die Haftungsschuld entstanden war, noch im Jahre 2013 auf die am 27. Dezember 2013 gegründete
KG übergegangen sein sollte (vgl. z.B. §
613a BGB), so bestand die Haftung des Klägers in jedem Fall weiter. Nach §
150 Abs.
4 SGB VII sind bei einem Wechsel des Unternehmers (Unternehmensträgers) der bisherige Unternehmer und sein Nachfolger bis zum Ablauf
des Kalenderjahres, in dem der Wechsel angezeigt wird, zur Zahlung der Beiträge und damit auch der Bauunternehmerhaftung verpflichtet.
Im Jahre des Wechsels besteht insoweit eine Gesamtschuld nach §
421 BGB (Scholz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB VII, 2. Aufl. 2014, §
150 SGB VII, Rz. 34). Ob die Beklagte für 2013 dabei auch schon die KG hätte in Haftung nehmen können, ist an dieser Stelle nicht zu
entscheiden.
Dem Grunde nach bestand daher für den Kläger eine Haftung nach §
28e Abs.
3a Satz 1
SGB IV. MT hatte die Beitragszahlungen an die Beklagte, zu denen er auf Grund der Beschäftigung seiner Mitarbeiter im Jahre 2013
verpflichtet war, nicht oder nicht vollständig erbracht. Dies entnimmt der Senat den Angaben der Beklagten, denen der Kläger
nicht widersprochen hat, und der Tatsache, dass über das Vermögen des MT das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.
Bürgschaftsrechtliche Einwendungen gegen seine Haftung nach §
28e Abs.
3a Satz 1
SGB IV stehen dem Kläger nicht zu. Insbesondere greift hier nicht die Einrede der Vorausklage nach §
771 Satz 1
BGB in ihrer besonderen Ausgestaltung nach §
28e Abs.
3a Satz 3 i.V.m. Abs.
2 Satz 2
SGB IV ein. Die Beklagte hatte MT nicht nur erfolglos gemahnt, sondern nach ihren unwidersprochenen Angaben vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens
sogar die Zwangsvollstreckung wegen der rückständigen Beiträge und Abgaben betrieben.
Die Haftung des Klägers in den vier noch streitigen Fällen entfällt jedoch nach der "Bagatellgrenze" in §
28e Abs.
3d SGB IV.
Nach Satz 1 dieser Vorschrift gilt die Haftung nach Abs. 3a - erst - "ab einem geschätzten Gesamtwert aller für ein Bauwerk
in Auftrag gegebenen Bauleistungen von 275.000 Euro".
Bereits auf der Ebene des Normwortlauts selbst ist darauf hinzuweisen, dass nicht der Wert des Bauwerks (Bauvorhabens) selbst,
sondern der Wert der dafür in Auftrag gegebenen, also fremdvergebenen Aufträge Bauleistungen maßgeblich ist. Diese beiden
Werte können, z.B. bei der Erbringung von Eigenleistungen durch den Bauherrn, den Bauträger oder ggfs. den Generalüber- oder
Generalunternehmer, auseinanderfallen.
Ausgehend hiervon legt der Senat diese Vorschrift dahin aus, dass bei einer Kettenbeauftragung mehrerer (Sub-)unternehmer
die Bagatellgrenze nicht in allen Fällen gleichermaßen nach dem Gesamtwert aller (vom Bauherrn, Bauträger u.s.w.) für ein
Bauvorhaben (Bauwerks) vergebenen Bauaufträge zu bestimmen ist, sondern jeweils unterschiedlich nur auf den Wert jener Bauleistungen,
die das in Anspruch genommene, haftende Unternehmen für die Erfüllung seines eigenen Auftrags an seine eigenen Subunternehmer
vergeben hat.
Zu dieser Auslegung des §
28e Abs.
3d Satz 1
SGB IV ist bereits das BSG in seinem Urteil vom 26. Oktober 2017 (B 2 U 1/15 R, juris) gelangt. Dabei hat das BSG zwar - einerseits - daran festgehalten, dass zur Beurteilung, ob die Wertgrenze überschritten wurde, nach Wortlaut und Regelungszusammenhang
des §
28e Abs.
3d SGB IV nicht alleine auf den Wert des Auftrags an das einzelne Nachunternehmen, für das der konkrete Haftungsanspruch geltend gemacht
wird, abzustellen ist, sondern entsprechend dem Gesetzeswortlaut auf den "Gesamtwert aller für das Bauwerk in Auftrag gegebenen
Bauleistungen" (a.a.O., Rz. 10). Das BSG hat jedoch zur Konkretisierung dieser Vorschrift weiter ausgeführt, dass es um den Gesamtwert - nur - jener Bauleistungen
geht, die "das haftende Unternehmen" insgesamt an alle - seine - Nachunternehmer vergeben hat (a.a.O., Rz. 11). Daraus wird
deutlich, dass nicht auf den Wert des Bauwerks oder den Wert aller für ein Bauwerk vergebenen Aufträge abzustellen ist. Das
BSG hat die grundsätzliche Annahme des - im Instanzenzug vorgegangenen LSG Baden-Württemberg - hingenommen, dass im zu entscheidenden
Einzelfall für die Bestimmung der Bagatellgrenze nicht auf die EUR 3,6 Mio. abzustellen war, die das Bauvorhaben im Ganzen
verursacht hatte, sondern - allenfalls - auf jene EUR 1,0 Mio., die das haftende Unternehmen dort als Auftragssumme übernommen
hatte (a.a.O., Rz. 11). Das BSG hat lediglich diese Summe noch weiter - auf EUR 20.000,00 - verringert, weil in jenem Falle das haftende Unternehmen so gut
wie keine Nachunternehmer beauftragt, sondern wesentliche Teile des Auftrags selbst erledigt hatte (a.a.O., Rz. 11). Dementsprechend
hat das BSG auch in dem amtlichen Leitsatz zu jener Entscheidung ausgeführt, dass es für das Überschreiten des Grenzwertes für die Nachunternehmerhaftung
auf den Gesamtwert der Bauleistungen ankommt, die "das in Anspruch genommene Bauunternehmen bezogen auf die Erstellung des
vom Bauherrn in Auftrag gegebenen Bauwerks" - und eben nicht des Bauwerks insgesamt - "an alle Nachunternehmen fremdvergeben
hat".
Der Senat weist ferner darauf hin, dass diese Auslegung auch in "Gegenrichtung" gilt, wenn also ein Unternehmer im Rahmen
eines einheitlichen Auftrags mehrere Bauwerke im technischen Sinne errichtet. Insoweit war es schon seit Einführung der Bauunternehmerhaftung
anerkannt, dass die Wertgrenze nur einmal, nach dem Volumen des übernommenen Dienst- oder Werkvertrags, zu bestimmen ist,
auch wenn dieser Vertrag mehrere Gebäude umfasst (vgl. nur Scholz, a.a.O., Rz. 32 m.w.N.).
Diese Auslegung entspricht Sinn und Zweck der Vorschriften über die Bauunternehmerhaftung unter Berücksichtigung der Anforderungen
des Gleichheitssatzes aus Art.
3 Abs.
1 Grundgesetz (
GG). Mit der Regelung des §
28e Abs. 3a
SGB IV sollten illegale Beschäftigung (Schwarzarbeit) bekämpft, Funktionalität und finanzielle Stabilität der Sozialversicherung
gewährleistet und gewerbliche Unternehmer nur verfassungsgemäß belastet werden (vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 14/8221,
S. 15 f.). Der Hauptunternehmer (haftende Unternehmer) sollte durch Einführung einer subsidiären Zahlungsverpflichtung veranlasst
werden, dafür zu sorgen, dass der Nachunternehmer seinen sozialversicherungsrechtlichen Zahlungspflichten nachkommt. Sinn
und Zweck der Wertgrenze ist demgegenüber, kleinere Bauvorhaben mit einem kalkulatorischen Vorteil zu begünstigen und wirtschaftlich
gesehen die mittelständischen Bauunternehmen und die Betriebe des Handwerks, insbesondere im Reihen- und Einfamilienhausbau,
zu fördern (BSG, Urteil vom 27. Mai 2008 - B 2 U 11/07 R -, SozR 4-2700 § 150 Nr. 3, juris, Rz. 41). Diese Zielsetzung ergibt sich zwar nicht aus den Materialien des ursprünglichen
Gesetzes vom 23. Juli 2002 (BGBl I S. 2787), weil die Wertgrenze (von damals EUR 500.000,00) erst im Vermittlungsausschuss in den Gesetzesentwurf eingefügt worden war
(BT-Drs. 14/9630, S. 2), sodass eine schriftliche Begründung nicht vorliegt. Der Gesetzgeber hat seine Erwägungen aber bei
den späteren Änderungsgesetzen hinreichend deutlich gemacht (vgl. BT-Drs. 16/12596, S. 10). Insbesondere die dabei erwähnte
Förderung der mittelständischen Bauunternehmer und der Betriebe des Handwerks spricht dafür, dass bei der Wertgrenze nicht
auf den Gesamtwert des Bauwerks abgestellt werden kann, an dem der haftende Unternehmer unter Umständen nur mit einem geringfügigen
Gewerk beteiligt ist.
Die Haftung ist vielmehr insgesamt, auch unter Einschluss der Bagatellgrenze, auf den tatsächlichen Verursachungsbeitrag des
die Aufträge vergebenden Unternehmens beschränkt, bleibt also auf das zu verantwortende Verhalten bezogen. Dieser Rechtsgedanke
ist dem gesamten Haftungsrecht immanent.
Eine andere Auslegung, die auf das gesamte Bauvorhaben abstellte, würde zu einer starken Belastung führen, die der haftende
Unternehmer womöglich nicht einmal überblicken kann, weil er den Gesamtwert eines Bauvorhabens oftmals gar nicht kennt, wenn
er nicht selbst durch Verträge in die Gesamterrichtung eingebunden ist.
Eine Haftung auch in einem solchen Fall, wenn die selbst vergebenen Subunternehmerverträge des haftenden Unternehmens unter
der Wertgrenze liegen, käme auch einer verfassungswidrigen Gleichbehandlung wesentlich ungleicher Sachverhalte gleich. Ein
Unternehmer des Baugewerbes, der Subunternehmer beauftragt, kann nur die Zuverlässigkeit und Beitragstreuer ebendieser Subunternehmer
beurteilen und ggfs. überwachen. Es ist ihm weder tatsächlich noch rechtlich möglich, Einfluss darauf auszuüben, welche Subunternehmer
andere Unternehmen einsetzen, die parallel zu seinem Unternehmen auf derselben Baustelle tätig sind.
Eine andere Sichtweise ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 19. Juni 2018 - L 16 U 25/16 -, juris), auf das sich die Beklagte berufen hat. Auch in dieser Entscheidung wird ausdrücklich ausgeführt, dass die Wertgrenze,
also der "Gesamtwert aller für das Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen" im Sinne des §
28e Abs.
3d Satz 1
SGB IV, nach "der Gesamtheit der durch den in Haftung genommenen Bauunternehmer an Nachunternehmen vergebenen Fremdaufträge" zu
bestimmen ist (a.a.O., Rz. 27). Daraus wird deutlich, dass die Wertgrenze nicht höher sei kann als der Wert der Aufträge,
die der haftende Unternehmer selbst vergeben hat. Die Beträge, die das LSG in jenem Urteil an der Wertgrenze maß (11,8 Mio.
EUR und anfangs 1,3 Mio. EUR), waren nach den Feststellungen in jenem Verfahren auch die Volumina der Gesamtaufträge an das
haftende Bauunternehmen selbst. Wenn es sich dabei - zugleich - um den Gesamtwert der beiden betroffenen Bauvorhaben gehandelt
haben sollte, beruhte dies auf dem Zufall, dass dort anscheinend ein Generalunternehmer (vgl. "Neubau", a.a.O., Rz. 2) in
Haftung genommen wurde, während die der Kläger dieses Verfahrens nur Nach- bzw. Subunternehmer war, der mit einzelnen Gewerken
beauftragt worden war.
Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger für die hier noch streitigen vier Bauvorhaben jeweils Bauleistungen an Nachunternehmer
(Subunternehmer) vergeben hat, die unter der Wertgrenze von EUR 275.000,00 lagen.
Hierbei trifft zwar der Vortrag der Beklagten zu, die materielle Beweislast für diesen Punkt treffe den Bauunternehmer, hier
also den Kläger. Aber auch diese kann sich nur auf das Gesamtvolumen jener Aufträge beziehen, die der haftende Bauunternehmer
selbst an seine Subunternehmer weitergegeben hat. Für einen Handwerker, der nur mit einem einzelnen Gewerk auf einer Baustelle
betraut ist, wäre es unmöglich, Nachweise über den Gesamtwert des Bauvorhabens zu erbringen. Allenfalls gegen seinen eigenen
Auftraggeber könnten aus der werkvertraglichen Beziehung heraus Ansprüche (Nebenpflichten) auf Auskunft zu diesem Punkt bestehen.
Wenn aber eine Kettenbeauftragung vorliegt, in der keine Vertragsbeziehung zwischen dem Bauherrn (oder Bauträger oder Generalunternehmer)
und dem haftenden Bauhandwerker besteht, kann eine solche Auskunft nicht erzwungen werden.
Der Senat kommt hier jedoch nicht zu einer Beweislastentscheidung zu Lasten des Klägers, sondern ist davon überzeugt (§
128 Abs.
1 SGG), dass die Gesamtvolumina aller Subunternehmerverträge in Bezug auf die vier Bauvorhaben jeweils unter EUR 275.000,00 lagen.
Zum einen liegt kein Hinweis darauf vor, dass der Kläger bei den jeweiligen Vorhaben überhaupt andere Subunternehmer als MT
beauftragt hat. In diesem Falle entsprächen die "für ein Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen" des Klägers genau den
Volumina der Aufträge an MT. Aber auch wenn der Kläger neben MT weitere Subunternehmer eingesetzt haben sollte, sodass das
vergebene Auftragsvolumen insgesamt höher wäre - und hierauf ist nach dem Urteil des BSG vom 26. Oktober 2017 abzustellen -, ist die Wertgrenze nicht erreicht. Der Senat geht - ebenso wie das SG - davon aus, dass nach der Lebenserfahrung ein Bauunternehmer keine Aufträge an Subunternehmen vergibt, deren Volumina zusammen
seine eigenen Einnahmen aus jenem Bauvorhaben übersteigen. Dies gilt umso mehr für einen Unternehmer wie den Kläger, der nur
für einzelne Gewerke beauftragt wird und diese zu einem Teil selbst erledigt. Anderenfalls müsste von einem bewussten Verlustgeschäft
ausgegangen werden, wofür keine Anhaltspunkte bestehen. Die Summen der Aufträge an den Kläger selbst lagen bei jedem der Vorhaben
unter der Wertgrenze von EUR 275.000,00. Dies ergibt sich aus den Verträgen zwischen dem Kläger und seinen jeweiligen Auftraggebern
(einmal P. St., dreimal K.), die er in diesem Verfahren zur Akte gereicht hat. Dies gilt auch für den Vertrag mit der K. mit
der höchsten Auftragssumme über die acht Wohneinheiten in Leu.-Ne ... Sowohl die ursprüngliche Auftragssumme (EUR 272.890,00)
als auch die später korrigierte (EUR 271.440,00) erreichen die Wertgrenze nicht.
Da demnach die Haftung des Klägers bereits nach §
28e Abs.
3d Satz 1
SGB IV entfällt, kommt es nicht mehr darauf an, ob dieser sich auch nach §
28e Abs.
3b und Abs.
3f SGB IV exkulpieren konnte. Der Senat weist daher nur am Rande darauf hin, dass die Exkulpation bereits nach §
28e Abs.
3f Satz 1
SGB IV eine Unbedenklichkeitsbescheinigung der Einzugsstelle, also des für die jeweiligen Beiträge zuständigen Sozialleistungsträgers
voraussetzt, weswegen die rein einkommensteuerrechtlichen Bescheinigungen des Finanzamts H. für MT vom 29. November 2012 (Freistellungsbescheinigung)
und vom 12. März 2013 (Steuerentrichtungsbescheinigung) ohnehin nicht ausgereicht hätten. Nach §
150 Abs.
3 Satz 2
SGB VII ist ferner in Fällen der unfallversicherungsrechtlichen Bauunternehmerhaftung eine Unbedenklichkeitsbescheinigung der zuständigen
Berufsgenossenschaft selbst vonnöten, um ein fehlendes Verschulden des Bauunternehmers annehmen zu können. Eine solche Bescheinigung
für MT vom 13. Dezember 2013, gültig bis zum 15. Januar 2014, hat der Kläger hier zwar vorgelegt. Diese Bescheinigung genügte
auch den Vorgaben aus §§ 28e Abs. 3f
SGB IV und §
150 Abs.
3 Satz 2
SGB VII. Vor allem hatte die Beklagte darin nicht nur die Mitgliedschaft von MT bei ihr bescheinigt, sondern ausdrücklich auch "die
ordnungsgemäße Zahlung der Beiträge" bis zum heutigen Tage. Aber auch eine Unbedenklichkeitsbescheinigung kann den Bauunternehmer
im Sinne von §
28e Abs.
3b Satz 1
SGB IV nur dann entlasten, wenn sie vor der Auftragsvergabe an den Subunternehmer ausgestellt worden ist (vgl. Werner in: Schlegel/Voelzke,
jurisPK-
SGB IV, 3. Aufl. 2016, §
28e SGB IV, Rz. 103). Nur in diesem Fall kann davon ausgegangen werden, dass der haftende Unternehmer seinen Nachunternehmer sorgfältig
ausgewählt hat. Dass auf den Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen ist, ergibt sich nicht nur aus der Formulierung der Grundregel
über die Haftung in §
28e Abs.
3a Satz 1
SGB IV ("beauftragt"), sondern z.B. auch aus der Übergangsregelung in §
116a SGB IV, wonach die neuen Vorschriften über die Exkulpation im heutigen §
28e Abs.
3b SGB IV - erst - bei "Beauftragungen" ab dem 1. Oktober 2009 gelten. Vor diesem Hintergrund konnte die Bescheinigung vom 13. Dezember
2013 den Kläger nicht exkulpieren, weil alle hier maßgeblichen Aufträge an MT bereits vor diesem Datum erteilt worden waren,
was sich bereits daraus ergibt, dass die Rechnungen des MT für diese Aufträge allesamt vor dem 13. Dezember 2013 erstellt
worden waren, zuletzt die Schlussrechnungen für das Einfamilienhaus in Gr. vom 2. Dezember 2013 über EUR 1.800,00 und EUR
5.000,00.
Ebenso hat das SG zu Recht die Beklagte verpflichtet, die Haftungssumme an den Kläger zurückzuzahlen. Wie bereits ausgeführt, ist eine solche
Entscheidung nach §
131 Abs.
1 Satz 1
SGG auch im Rahmen einer isolierten Anfechtungsklage möglich. In der Sache macht der Kläger hier seinen öffentlichrechtlichen
Folgenbeseitigungsanspruch geltend. Dieser Anspruch besteht auch dann, wenn die rechtswidrige Vermögensverteilung, die beseitigt
werden soll, nicht durch eine Vollstreckungshandlung des Sozialleistungsträgers verursacht worden ist, sondern durch eine
freiwillige Zahlung des Schuldners zur Abwendung der Zwangsvollstreckung (Keller, a.a.O., § 131 Rz. 4 m.w.N.). Die Rückzahlung
der Haftungssumme durch die Beklagte ist auch nach §
131 Abs.
1 Satz 2
SGG spruchreif. Ermittlungen, etwa zur Höhe der gezahlten Summe, sind nicht mehr erforderlich.
Dagegen ist der weitere - nach §
99 Abs.
3 Nr.
2 SGG zulässigerweise erhobene - Antrag des Klägers auf Zahlung von Zinsen für die Haftungssumme selbst abzuweisen gewesen. Eine
originäre Klage (als Anfechtungs- und Leistungsklage) auf Verurteilung zur Zinszahlung wäre unzulässig, weil insoweit weder
ein anfechtbarer Verwaltungsakt vorliegt noch ein Vorverfahren durchgeführt worden ist. Und ein Zinsanspruch kann auch nicht
im Rahmen eines Antrags nach §
131 Abs.
1 Satz 1
SGG durchgesetzt werden.
Der Folgenbeseitigungsanspruch knüpft an ein verschuldensunabhängiges, nur rechtswidriges Verhalten des Sozialleistungsträgers
an. Er umfasst daher nur die unmittelbare Rückgängigmachung der rechtswidrigen Vermögensverschiebung. Ein solcher Anspruch
kann nicht zinspflichtig werden. Es handelt sich auch nicht um einen "Folgenersatzanspruch" im Sinne eines Schadensersatzanspruchs
(grundlegend Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 12. Juni 1979 - II C 19.75 -, juris, Rz. 24; für die Finanzgerichtsbarkeit Finanzgericht [FG] Hamburg, Urteil vom 17. Januar 2017 - 4 K 42/15 -, juris, Rz. 39). Dies gilt auch für das Sozialrecht (BSG, Urteil vom 10. August 1995 - 11 RAr 91/94 -, SozR 3-1750 § 945 Nr. 1, Rz. 21). Ein Zinsanspruch betrifft in der Sache immer den Ersatz entgangener eigener Zinsen oder
anderer Nachteile, die nur mittelbar durch die rechtswidrige Vermögensverschiebung entstanden sind (vgl. §
288 Abs.
1 BGB). Er kann daher nur auf Grund besonderer gesetzlicher Regelungen, etwa eines Schadensersatzanspruchs, verlangt werden. Solche
anderen Ansprüche können aber nicht nach §
131 Abs.
1 Satz 1
SGG geltend gemacht werden. Insofern ist der Begriff "Naturalrestitution", der gelegentlich auch für den Folgenbeseitigungsanspruch
verwandt wird, zumindest missverständlich. Er kann jedenfalls keine Naturalrestitution im Sinne eines Schadensersatzanspruchs
wie nach §
249 Abs.
1 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) meinen (FG Hamburg, a.a.O., Rz. 39).
Nichts Anderes ergibt sich aus dem Urteil des BSG vom 27. Mai 2014 (B 8 SO 1/13 R -,SozR 4-5910 § 89 Nr. 1). Dort hatte das BSG zwar im Rahmen des §
131 Abs.
1 Satz 1
SGG zur Rückzahlung von "Zinsen" verpflichtet. Aber es handelte sich um Darlehenszinsen, die die dortige Klägerin zuvor - zu
Unrecht - selbst an den Sozialleistungsträger entrichtet hatte, nicht um zusätzliche Zinsen auf die zu Unrecht entrichteten
Beträge.
Für einen Zinsanspruch im Rahmen der vollstreckungsrechtlichen Regelung des §
131 Abs.
1 Satz 1
SGG besteht auch kein Anlass. Vielmehr sind die Regelungen einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Zahlungsforderung eines Sozialleistungsträgers
(§
86b Abs.
1 SGG) abschließend und lassen keinen Raum etwa für die analoge Anwendung zivilprozessualer Vorschriften über den Ersatz eines
Vollstreckungsschadens (BSG, a.a.O., Rz. 26 f.). Damit ist nicht gesagt, dass ein Betroffener wie der Kläger keinen - anderen - materiellrechtlichen
Anspruch auf Verzinsung im Sinne des Ersatzes eines Zinsschadens hätte, etwa einen Amtshaftungsanspruch (§
839 BGB) oder einen Anspruch auf Grund entsprechender Anwendung des §
27 Abs.
1 i.V.m. §
26 Abs.
2 SGB IV. Er muss einen solchen aber im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens geltend machen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §
197a Abs.
1 SGG i.V.m. §
154 Abs.
2 (Berufung der Beklagten) bzw. Abs.
1 (Klageerweiterung des Klägers) der
Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO). Die Kostenprivilegierung der §§
183,
193 SGG greift hier nicht ein, da der Kläger als Unternehmer und nicht als Versicherter in Anspruch genommen wurde. Eine Kostenquote
von einem Sechstel erscheint dem Senat angemessen, nachdem der Kläger im Berufungsverfahren seine Klage erfolglos um die Säumniszuschläge
in Höhe von EUR 1.136,00 erweitert hat. Die beiden Zinsansprüche, mit denen der Kläger ebenfalls keinen Erfolg hatte, lässt
der Senat dagegen bei der Kostenquotelung unberücksichtigt. Ein Unterliegen oder Obsiegen mit einer bloßen Nebenforderung
betrifft grundsätzlich nur einen "geringen Teil" des Streitgegenstandes im Sinne von §
155 Abs.
1 Satz 3
VwGO. Dies gilt zumindest hier, weil die Entscheidung über die Nebenforderungen keinen zusätzlichen Aufwand verursacht hat (vgl.
die entsprechende Regelung bei §
92 Abs.
2 Nr.
1 ZPO).
Die Streitwertentscheidung folgt aus § 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) und beruht auf der bezifferten Forderung (§ 61 GKG). Der Wert der Klageerweiterung in der Berufungsinstanz war nach § 39 Abs. 1 GKG dem Wert der Haftungsforderung hinzuzurechnen, da - wie ausgeführt - die Säumniszuschläge einen gesonderten Streitgegenstand
bildeten. Die Zinsen als Nebenforderungen erhöhen den Streitwert dagegen nicht, § 43 Abs. 1 GKG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) liegen nicht vor. Insbesondere weicht der Senat nicht von der Rechtsprechung des BSG ab. Der Zulassungsantrag der Beklagten wird daher abgelehnt.