Anspruch auf Anerkennung einer Berufskrankheit in der gesetzlichen Unfallversicherung
Zuständigkeit unter Anwendung der RVO
Anforderungen an den Nachweis einer berufsbedingten Polyneuropathie
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellungen der Berufskrankheiten nach den Nummern (Nrn.) 1302, 1310 und 1317 der Anlage 1 zur
Berufskrankheiten-Verordnung (
BKV).
Er wurde 1968 geboren und absolvierte nach dem Hauptschulabschluss von September 1984 bis Juni 1987 eine Lehre zum Betriebsschlosser
bei der S. GmbH, wo er anschließend bis September 2010, mit Ausnahme der Zeit von Juni 1991 bis Anfang Februar 1992, in der
er als Drahterodierer bei der D. S. GmbH & Co. KG beschäftigt war, in einem Arbeitsverhältnis als Einrichter in der Felgenfertigung
für Personenkraftwagen (Pkw) stand. Ab November 2007 erkrankte er arbeitsunfähig. Nach einer gescheiterten beruflichen Wiedereingliederung
im November 2009 und im Folgemonat wurde er freigestellt. Ab Oktober 2010 war er arbeitsuchend und begann im Juli 2011 über
die Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung eine kaufmännische Weiterbildung, die er aufgrund progredienter gesundheitlicher
Beschwerden im Februar 2012 abbrach. Im Januar 2008 wurde er wegen eines follikulären Schilddrüsenkarzinoms beidseitig in
der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirugie der H. Klink, G., operiert. Mittlerweile bezieht er von der D. Rentenversicherung
B. eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Nachdem beim Kläger im Mai 1995 im Blut 225 µg/l Pentachlorphenol (PCP) festgestellt worden war, meldete der Hausarzt des
Klägers, Dr. E., diese Erhebung der S. M.-Berufsgenossenschaft, einer Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte).
Im Betrieb sei angeblich Schmiermittel benutzt worden, welches PCP und "Digoxin" enthalten habe. Bis auf rezidivierende Atemwegsinfektionen
mit Husten und Halsschmerzen sei der Kläger derzeit beschwerdefrei gewesen.
Dr. C., Ärztin für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, diagnostizierte im Juli 1995 eine multisensorische neurootologische Funktionsstörung,
eine zentrale cerebello-ponto-bulbäre Gleichgewichtsstörung, eine zentrale Reaktionshemmung des optokinetischen Systems und
eine supratentorielle Hörbahnverlangsamung.
Dr. B., Nervenarzt, diagnostizierte nach der ambulanten Untersuchung des Klägers im August 1995 eine Polyneuropathie, extrapyramidale
Schäden sowie eine Leistungs- und Wesensveränderung durch toxische Arbeitsstoffe, vor allem PCP.
Priv.-Doz. Dr. B., Arzt für Laboratoriumsmedizin und Mikrobiologie, erhob Anfang Juli 1995 im Blut des Klägers 46 µg/l PCP
und Anfang November dieses Jahres 15 µg/l.
In dem von der Beklagten eingeleiteten Verfahren zur Feststellung einer Berufskrankheit wurden weitere ärztliche Befundberichte,
Messberichte des Schadstoffgehaltes in den Arbeitsstoffen und im Blut, Stellungnahmen des Präventionsdienstes zur beruflichen
Schadstoffeinwirkung während der Tätigkeit des Klägers in der Felgenfertigung sowie entsprechende Sicherheitsdatenblätter
beigezogen. Seine von der Beklagten beabsichtigte gutachterliche Untersuchung konnte nicht durchgeführt werden, weil er sämtliche
vorgeschlagenen Gutachter ablehnte. Die Klage beim Sozialgericht U. (SG) im Verfahren S 5 U 685/97, mit der er die Verpflichtung der Beklagten verfolgte, einen bestimmten Gutachter zu hören, wurde mit Urteil vom 5. Dezember
1997 als unzulässig verworfen. Die hiergegen gerichtete Berufung beim Landessozialgericht B.-W. (LSG) im Verfahren L 10 U 1445/98 nahm er im Dezember 1998 zurück.
Die Beklage versagte dem Kläger mit Bescheid vom 10. Juni 1999 die Gewährung von Leistungen, solange er seinen Mitwirkungspflichten
nicht nachkomme. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 1999 zurückgewiesen. Die beim SG deswegen erhobene Klage im Verfahren S 5 U 3014/99 nahm der Kläger im Dezember 2000 zurück.
Dr. B. zeigte der A. B.-W., wo der Kläger gegen Krankheit gesetzlich versichert war, im Juli 2011 den Verdacht auf eine Berufskrankheit
an. Es sei zu einer schweren Schädigung durch Arbeitsstoffe in der Räderfabrik mit einer Polyneuropathie, einer Myopathie,
einem Schilddrüsentumor, einem Leistungsabfall und einer Depressivität gekommen. Die Beschwerden in Form von Kopf- und Gelenkschmerzen
sowie einem Tinnitus seien auf Kühlschmiermittel zurückzuführen, welche PCP und Dioxin enthielten. Die Trägerin der gesetzlichen
Krankenversicherung leitete den Vorgang an die Beklagte weiter. Daraufhin nahm diese das Verfahren zur Feststellung einer
Berufskrankheit beim Kläger wieder auf.
Dr. D., Präventionsdienst der Beklagten, fertigte Ende Januar 2012 die Stellungnahme Arbeitsplatzexposition zu den Berufskrankheiten
nach den Nrn. 1302, 1310 und 1317 der Anlage 1 zur
BKV anhand der Ausführungen des Klägers von Januar und Februar 1996 sowie einer Erhebung bei der S. GmbH am 19. Januar 2012,
bei der er anwesend war, an. Im ersten Ausbildungsjahr habe er in der Lernwerkstatt die verschiedenen Techniken der Metallbearbeitung
wie etwa Schweißen, Drehen, Bohren und Fräsen erlernt. Mit dem dort verwendeten Kühlschmierstoff Blasocut 2000 Universal sei
er nur wenig in Kontakt gekommen. Ab dem zweiten Ausbildungsjahr habe er verschiedene Abteilungen des Betriebes durchlaufen
und Reparaturen an den Maschinen durchgeführt. Darüber hinaus sei er an einer Säge und im Magazin eingesetzt gewesen. Während
der Ausbildungszeit seien sporadisch Werkstücke mit 1.1.1-Trichlorethan entfettet worden. Anschließend sei er als Einrichter
vorwiegend an der Pkw-Felgenlinie 3 tätig gewesen. Nach dem Aufbau der Pkw-Felgenlinie 4 habe er in diesen Bereich gewechselt.
An den Felgenlinien werde das Material von einem Blechcoil ausgehend in verschiedenen Schritten bearbeitet. Aus dem Blechband
würden Platinen zugeschnitten und Ringe oder Felgenrohlinge gefertigt. Danach werde in einer automatischen Maschine aus diesen
Blechringen das Profil der Felge ausgewalzt oder aufgedrückt. Nur an diesem Gerät sei der wassermischbare Kühlschmierstoff
verwendet worden. Durch die Bearbeitung vernebele er und gelange auch in die Umgebung. In den ersten Jahren sei Ratak TN 76
oder Zubora 824 MP eingesetzt worden. Metosol 506 "chlorfrei" sei von Anfang Januar 1989 bis Anfang April 1995 als acht- bis
zehnprozentige Emulsion benutzt worden. Schließlich sei festgestellt worden, dass der Kühlschmierstoff zumindest 1994 und
im Folgejahr PCP und polychlorierte Dibenzodioxine und -furane enthalten habe. Nach Bekanntwerden sei die Anlage gereinigt
und die Emulsion durch Multan 81-3 ersetzt worden. Zum Stabilisieren sei bedarfsweise Multan A 9 und Multan D hinzugefügt
worden. Bis 2001 habe die Maschine einen eigenen Kühlschmierstofftank gehabt. Danach sei sie an die Zentralanlage angeschlossen
worden.
Der Kläger habe an den Maschinen die erforderlichen Werkzeuge eingebaut und sie eingerichtet. Anschließend sei die Produktion
der Felgen überwacht worden. An ihnen arbeiteten jeweils drei Mitarbeiter, von denen im Wechsel einer die Felgen, die über
das Förderband liefen, einer Sichtkontrolle unterziehe. Zu diesem Zeitpunkt seien sie mit einer Emulsion aus Kühlschmierstoffen
benetzt und würden mit Handschuhen angefasst. Außerdem würden von den Einrichtern die Werkzeugwechsel vorbereitet. Diese warteten
die Anlage, stellten die Blechcoils bereit und stapelten zum Teil auch Bleche. Zum Steuern werde zeitweise in der Schaltwarte
gearbeitet, einem kleinen abgetrennten Stand. Die Maschine werde zweimal in der Woche für jeweils zwei bis vier Stunden eingerichtet.
Je nach Größe der Serien könne es vorkommen, dass zweimal am Tag ein Werkzeugwechsel notwendig werde oder eine ganze Woche
lang überhaupt nicht. Neben den Kühlschmierstoffen sei der Kläger gelegentlich mit dem Hydraulikfluid HLP 46 oder dem verwendeten
Divinol Fett N2 in Kontakt gekommen, das als Schmierfett aus einem Fass in die Maschine gepumpt worden sei. Reinigungsarbeiten
seien mit dem Lösemittel in der Regel nicht durchgeführt worden. In einem geringen Umfang und nur selten sei Aceton benutzt
worden und zwar wenn eine Entfettung bei Klebearbeiten vorgenommen worden sei.
Im Nachgang zu der Arbeitsplatzbegehung im Januar 2012 habe der Kläger schriftlich mitgeteilt, die Kleidung sei beim Umrüsten
und Reparieren der Maschinen zum Teil durch Metallabrieb oder die Emulsion aus Kühlschmiermitteln verschmutzt worden. Diese
sei nicht täglich gewechselt worden. Bei größeren Reparaturen oder den jährlichen Wartungsarbeiten sei die Anlage mit einem
Dampfstrahlgerät gereinigt worden. Die Maschine zur Entgratung der Schweißnähte sei regelmäßig mit Fett geschmiert worden.
An dieser Stelle sei es öfter zu einer Rauchentwicklung gekommen, weil der Schmierstoff in die Auffangkübel mit den heißen
Spänen getropft sei. Ab 1992 sei eine Absauganlage installiert gewesen, welche jedoch nicht effektiv gewesen sei.
Schutzanzüge und -brillen seien getragen worden, jedoch keine Atemschutzmasken. Gearbeitet worden sei fast ausschließlich
mit Arbeitshandschuhen aus Leder. Sie seien mehrmals am Tag ausgetauscht worden, sobald sie verschmutzt gewesen seien. Flüssigkeiten
seien durchgedrungen. Die Handschuhe hätten je nach Tätigkeit den Kühlschmierstoff aufgenommen. Beschädigte Exemplare seien
weggeworfen worden, von 1984 bis 1995 die übrigen in einer Reinigungsanlage mit Tetrachlorethen gesäubert worden. Sie hätten
anschließend noch etwas danach gerochen, weshalb davon auszugehen sei, dass der Kläger auf diesem Wege mit geringen Mengen
in Hautkontakt gekommen sei. Nur wenn Kleinteile eingebaut worden seien, seien keine Handschuhe getragen worden. Die Felgenlinie
befinde sich in einer 65 m langen, 20 m breiten und etwa 15 m hohen Halle mit natürlicher Belüftung. Etwa vierzig Mitarbeiter
seien an vergleichbaren Arbeitsplätzen tätig.
Der Kläger habe ab November 2007 zwei Jahre seine berufliche Tätigkeit nicht ausgeübt. Entweder sei er arbeitsunfähig erkrankt
gewesen oder habe Urlaub gehabt. Ab Anfang November 2009 sei er beruflich wieder eingegliedert worden, zuletzt bis Mitte des
Folgemonats mit sechs Stunden täglich. Nach dem sich anschließenden Urlaub sei er bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Ende September 2010 freigestellt worden.
Nach ihrer zusammenfassenden Beurteilung kam Dr. D. zu dem Ergebnis, dass während der Ausbildung beim gelegentlichen Reinigen
mit 1.1.1-Trichlorethan für etwa eine halbe Stunde im Monat eine Exposition gegenüber einem Halogenkohlenwasserstoff und einem
neurotoxischen Lösemittel vorgelegen habe. Die nach dem BK-Report 2/2007 "BK 1317" der D. Gesetzlichen Unfallversicherung
e. V. bestimmte Höhe habe unterhalb des Grenzwertes gelegen. Von 1984 bis 1995 sei von einer minimalen Exposition gegenüber
Tetrachlorethen auszugehen, weil die Handschuhe damals mit diesem neurotoxischen Halogenkohlenwasserstoff gereinigt worden
seien. Über die Höhe lägen keine Informationen vor. Sie werde allerdings als sehr gering eingeschätzt, weil Tetrachloethen
sehr schnell verdampfe und demnach nur noch in Spuren in den Handschuhen enthalten sein könne. Von Januar 1989 bis April 1995
sei der Kühlschmierstoff Metosol 506 verwendet worden, wobei für 1994 und das Folgejahr belegt sei, dass das Konzentrat PCP
enthalten habe. Dies sei entsprechend auch von 1989 bis 1993 zu befürchten. Durch die Vernebelung des Kühlschmierstoffes an
der Profilieranlage sei mit einer geringfügigen Exposition über die Atemluft und durch den Kontakt mit ihm über die Haut auszugehen.
Die Dauer werde auf maximal die Hälfte der Arbeitszeit eingeschätzt, weil an der Anlage auch Bearbeitungsstationen vorhanden
gewesen seien, an denen ohne den Kühlschmierstoff gearbeitet worden sei. Über die Expositionshöhe für halogenierte Aryloxide
wie PCP und polychlorierte Dibenzodioxine und -furane lägen keine Informationen vor, weil der Kühlschmierstoff nach dem Bekanntwerden
der Verunreinigung ausgetauscht worden sei. Bei Untersuchungen des Kühlschmierstoffkonzentrates seien Gehalte von PCP zwischen
9.260 und 16.000 mg/kg gemessen worden. Die Summe an Tetra- bis Octachlordibenzodioxine habe bei etwa 3,2 mg/kg und diejenige
der Tetra- bis Octachlordibenzofurane bei etwa 1,5 mg/kg gelegen. Die Gehalte in der Emulsion der Kühlschmierstoffe hätten
durch die Verdünnung mit Wasser etwa ein Zehntel der angegebenen Werte erreicht. Hiermit habe die Einsatzkonzentration von
8 bis 10 % erreicht werden sollen.
Dr. H., Facharzt für Radiologie, ging nach der Positronenemissionstomographie-Computertomographie (PET-CT) des Zentralnervensystems
Mitte Mai 2012 von einer ausgeprägten Stoffwechselinhomogenität aus. Es sei eine Minderung der Stoffwechselaktivität mit regionaler
Akzentuierung in einzelnen Bereichen gekommen. Insbesondere die Veränderungen im Temporallappen und Hippocampusgebiet seien
vereinbar mit der Gedächtnissituation mit einem erschwerten Erlernen. Die Voruntersuchungen 1997 und im Folgejahr seien mit
einer anderen Methodik und anderen Geräten durchgeführt worden. Ein direkter Vergleich sei daher nicht möglich. Eine echte
Verlaufsbeurteilung könne nicht vorgenommen werden.
Dr. K., Facharzt für Arbeitsmedizin und Innere Medizin, schlug nach seiner beratungsärztlichen Stellungnahme von April 2012
eine arbeitsmedizinische Begutachtung, einschließlich neurologisch-psychiatrischer und psychologischer Zusatzgutachten, vor.
Daraufhin beauftrage die Beklagte Prof. Dr. K., Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin des
Universitätsklinikums A., mit der Erstattung eines Hauptgutachtens sowie Dr. H., Leitender Oberarzt der Neurologischen Klinik
des Universitätsklinikums A., und Dr. phil. F., Dipl.-Psychologe, Klinische Neuropsychologie der Neurologischen Klinik des
Universitätsklinikums A., mit der Erstattung von Zusatzgutachten.
Nach der Begutachtung des Klägers, einschließlich elektropyhsiologischer, neurootologischer und elektroenzephalographischer
Untersuchungen, am 6. und 7. Mai 2013 führte Dr. H. aus, die medizinischen Voraussetzungen der Berufskrankheiten nach den
Nrn. 1302, 1310 und 1317 der Anlage 1 zur
BKV lägen nicht vor. Durch die erhobene Diagnostik habe sich der Verdacht auf eine toxisch bedingte Enzephalopathie nicht sichern
lassen. Der chronische Spannungskopfschmerz und der Schwindel seien unspezifisch und nicht durch die angeschuldigten Agentien
verursacht. Bei der neurologischen Untersuchung hätten sich außer Residuen eines Syndroms im Segment S1 der linken Seite keine
spezifischen Ausfälle nachweisen lassen. Das S1-Syndrom habe sich durch einen Ausfall des Achillessehnenreflexes der linken
Seite, eine leichte Fußsenkerparese und eine segmentale Hypästhesie gezeigt. Ursache sei der vorbestehende Bandscheibenvorfall.
Ein Zusammenhang zur möglichen Schadstoffexposition bestehe nicht. Andere Aspekte der neurologischen Untersuchung, welche
in der Einschätzung unsicher blieben, seien zum Teil durch Aggravation bedingt gewesen. Hierzu zählten die wechselnde Angabe
des Vibrationsempfindens, eine auf den ersten Blick ausgeprägte Rumpfataxie, die jedoch unter Ablenkung sistiert habe, und
wechselnde, inkonsistente Zeigeversuche. Beim Finger-Nase-Versuch habe der Kläger Unsicherheiten gezeigt, demgegenüber einen
sehr guten Finger-Finger-Versuch demonstriert. Die Vielzahl der Zusatzuntersuchungen habe bestätigt, dass ein Großteil der
Beschwerden keine fassbare organische Ursache habe. Die beklagte Sensibilitätsstörung der Beine habe kein Korrelat in der
elektrophysiologischen Diagnostik gehabt. Eine relevante Schädigung der sensiblen Leitungsbahnen, die Konsequenzen für die
Gehfähigkeit haben könnten, sei damit weitgehend auszuschließen. Insbesondere sei eine sensible Ataxie, etwa auf dem Boden
einer Polyneuropathie, nicht zu belegen. Eine peripher oder zentral vestibuläre Störung sei auf der Grundlage der Zusatzdiagnostik
mit einer normalen Videookulographie und der klinischen Untersuchung nicht zu diagnostizieren. Das Elektroenzephalogramm sei
normal gewesen, wenngleich es sich hierbei um einen unsensitiven Marker für höhere Hirnleistungen handele. Die vom Kläger
mitgebrachte kraniale Bildgebung von Mai 2012 mittels einer Magnetresonanztomographie habe keine relevanten Auffälligkeiten
verdeutlicht, insbesondere keine relevante zerebrale oder zerebelläre Atrophie. Pathognomonische Auffälligkeiten wie eine
olivopontozerebelläre Atrophie für eine Multisystematrophie hätten sich nicht gefunden.
Auch nach der Aktenlage hätten sich keine Hinweise auf eine Enzephalopathie im Sinne von Rhytmusverlangsamungen oder triphasische
Wellen ergeben. Eine früher als möglich pathologisch diskutierte intermittierende Betaaktivität sei bei einem normalen Bergereffekt
am ehesten als Normvariante zu werten, insbesondere weil der aktuell mittels des Elektroenzephalogrammes erhobene Befund mit
einem intermittierenden Betaanteil den Vorbefunden entspreche. Eine frühere Lumbalpunktion mit Demenzmarkern habe in einer
Untersuchung im Universitätsklinikum U. bis auf eine leichtgradige Schrankenfunktionsstörung keine relevanten Auffälligkeiten
gezeigt. Insbesondere die Demenzmarker seien im Normbereich gewesen. Einzig diskrepant zu seinen Erhebungen sei eine in den
Vorbefunden beschriebene sensible Polyneuropathie auf der Grundlage einer Erniedrigung der sensiblen Nervenleitgeschwindigkeit
von Januar 1996. Rückblickend erscheine der Befund grenzwertig gewesen zu sein. Als Beschwerdesymptomatik auf neurologischem
Gebiet verbleibe der Kopfschmerz, der am ehesten einem chronischen Spanungskopfschmerz entspreche. Er trete an mehr als fünfzehn
Tagen im Monat auf, sei bifrontal lokalisiert, werde durch körperliche Aktivität eher besser und weise keine Charakteristika
von Kopfschmerzen aus dem trigeminoautonomen oder migranösen Formenkreis auf. Typischerweise empfinde ihn der Kläger eher
als dumpf drückend. Brennende Missempfindungen seien bei der chronischen Verlaufsform nicht selten. Die Kopfschmerzsymptomatik
sei anamnestisch nicht an den Aufenthalt am Arbeitsplatz gebunden und habe nach dem Ende der Exposition zugenommen, weshalb
am ehesten von einem nicht durch ein Lösemittel oder PCP induzierten Kopfschmerz auszugehen sei.
Dr. F. ging nach seiner ambulanten Untersuchung am 7. Mai 2013 und nach der Aktenlage davon aus, dass die aktuell festgestellten
und zum Teil massiven Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsdefizite Folge der gesundheitlichen Komplikationen der letzten Jahre
seien und keine direkte Auswirkung der neurotoxischen Belastung durch PCP darstellten.
Prof. Dr. K. kam als Hauptgutachter, einschließlich der eigenen ambulanten Untersuchung am 6. Mai 2012, Anfang März 2013 zu
dem Ergebnis, es könne weder eine Polyneuropathie noch eine Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische
diagnostiziert werden. Eine Erkrankung durch Halogenkohlenwasserstoffe oder halogenierte Alkyl-, Ary- oder Alkylaryloxide
liege ebenfalls nicht vor. Der Kläger sei zwar gegenüber diversen Gefahrstoffen wie Tetrachlorethen oder 1994 und im Folgejahr
PCP und polychlorierten Dibenzodioxinen und -furanen wenigstens zeitweise exponiert gewesen, welche sowohl über die Atemwege
als auch die Haut haben aufgenommen werden können. Anamnestisch und aufgrund der Untersuchungsergebnisse habe jedoch keine
Krankheitsfolge nachgewiesen werden können, die mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die Expositionen zurückzuführen sei.
Gegen eine Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur
BKV spreche die eher geringe Expositionshöhe. Zudem verdampfe Tetrachlorethen sehr schnell, weshalb in den gereinigten Handschuhen
lediglich Spuren enthalten gewesen sein könnten. Entsprechend habe der Kläger keine akuten Rauschzustände am Arbeitsplatz
beschrieben, welche auf sehr hohe Dosen im Sinne einer akuten Intoxikation schließen ließen. Er habe zudem eine Besserung
der Symptomatik während der arbeitsfreien Zeit verneint. Die von Dr. H. erhobenen Befunde seien ebenfalls gegen eine Spätfolge
in Form einer strumpfförmigen Polyneuropathie anzuführen. In der elektrophysiologischen Diagnostik seien keine relevanten
Schädigungen der sensiblen Leitungsbahnen erhoben worden. Eine sensible Ataxie habe sich nicht gefunden. In Bezug auf die
Berufskrankheiten nach den Nrn. 1302 und 1310 der Anlage 1 zur
BKV habe der Kläger keine typische Symptomatik mit Beschwerden während der Exposition oder Langzeitfolgen berichtet. Es seien
weder akute Schleimhautreizungen noch Hautreaktionen aufgetreten. Mittels der laborchemischen Untersuchungen seien keine Lebertoxizität
oder eine Beeinträchtigung der Nierenfunktion nachgewiesen worden, wie sie durch Halogenkohlenwasserstoffe verursacht werden
könnten. Somit sei trotz der 1995 mit 225 µg/l bei einem Normbereich von <10 µg/l einmalig nachgewiesenen inneren Belastung
mit PCP im Serum und anschließend abfallenden Werten innerhalb weniger Wochen eine Krankheitsfolge aufgrund einer akuten Intoxikation
auszuschließen. Langzeitfolgen des zentralen und peripheren Nervensystems seien aufgrund der erhobenen Befunde auszuschließen.
Die medizinischen Voraussetzungen der Berufskrankheiten nach den Nrn. 1302, 1310 und 1317 der Anlage 1 zur
BKV lägen damit nicht vor.
Damit konfrontiert führte Dr. W., Staatliche Gewerbeärztin beim R. S., in ihrer Stellungnahme von Mai 2014 aus, eine Berufskrankheit
nach Nr. 1302 der Anlage 1 zur
BKV beim Kläger könne nicht abschließend beurteilt werden. Die Frage der Kausalität sei offen. Im Gutachten von Prof. Dr. K.
sei der Einfluss der Dioxine nicht diskutiert worden. Die Betrachtung des Krankheitsbildes unter diesem Aspekt sei nicht erfolgt.
Prof. Dr. K. ergänzte im Juni 2014, aus der von Dr. D. ermittelten Arbeitsplatzexposition sei deutlich abzuleiten, wie gering
der Anteil an Dibenzodioxinen und -furanen im Vergleich mit der Verunreinigung mit PCP gewesen sei, welche dann überhaupt
zur beruflichen inneren Belastung habe beitragen können. Allein aufgrund der relativ kurzen Dauer der Expositionsmöglichkeit
und der dann vorherrschenden geringen Expositionshöhe sei bei zusätzlich untypischem Verlauf ein kausaler Zusammenhang der
beruflichen Exposition und der vom Kläger geschilderten Symptomatik nicht wahrscheinlich. Dieser sei zwar 2008 an einem Schilddrüsenkarzinom
erkrankt. Nach der Übersichtsarbeit von Lyn aus dem Jahr 2009 könne aktuell keine Vorhersage des Effektes von Chemikalien,
die Schilddrüsendisruptoren darstellten, auf einzelne Menschen gemacht werden. Folglich sei auch das Schilddrüsenkarzinom
nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Exposition zurückzuführen.
Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 7. August 2014 die Anerkennung einer Berufskrankheit nach den Nrn. 1302, 1310
und 1317 der Anlage 1 zur
BKV beim Kläger ab, weil das festgestellte Erkrankungsbild nicht ursächlich auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen sei.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 5. November 2014 zurückgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger am 26. November 2014 Klage beim Sozialgericht U. (SG) erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass er an einer Vielzahl an neurologischen Erkrankungen leide, unter anderem
an Gleichgewichts- und gravierenden Gedächtnisstörungen, Tinnitus, Kopfschmerzen, Glieder- und Gelenkschmerzens sowie Abgeschlagenheit.
Er stürze häufig, was durch den beruflichen Kontakt mit chemischen Substanzen ausgelöst worden sei. Sonstige Ursachen für
die neurologischen Erkrankungen seien nicht ersichtlich. Der Zusammenhang der Tätigkeit bei der S. GmbH mit seinen Erkrankungen
ergäbe sich auch aus den Befundberichten von Dr. B., welcher Schädigungsfolgen aufgrund der beruflichen Tätigkeit festgestellt
habe. Das SG hat die Klage nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 4. Januar 2018 abgewiesen. Die hinreichende
Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhanges zwischen der beruflichen Exposition gegenüber verschiedenen Stoffen und den bestehenden
Gesundheitsbeschwerden sei nicht gegeben.
Gegen die seiner Bevollmächtigten am 12. Januar 2018 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 12. Februar 2018 Berufung
beim Landessozialgericht B.-W. (LSG) eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.
Der Kläger ist in der nichtöffentlichen Sitzung beim LSG am 14. September 2018 gehört worden. Im Kanalnetz auf dem Werksgelände
der S. GmbH seien Ablagerungen mit überhöhten Werten für Dioxine und PCP entdeckt worden. Ein bei der Umformung von Metallen
verwendetes Kühlschmiermittel habe Letzteres enthalten, dessen Herstellung und Vertrieb in der Bundesrepublik D. seit 1985
verboten gewesen sei.
Auf Antrag des Klägers nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ist Dr. K., Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt worden. Auf ihren medizinischen
Fachgebieten habe sie eine toxische Enzephalopathie und Polyneuropathie, den Zustand nach operativer minimalintensiver Entlastung
einer Wurzelkompressionssymptomatik im Segment L5/S1 sowie einen Tinnitus aurium diagnostiziert. Diese Gesundheitsstörungen
seien eindeutig durch die beruflichen Einwirkungen ausgelöst worden, denen der Kläger über etwa zwei Jahrzehnte hinweg ausgesetzt
gewesen sei. Bei der Kausalitätsbewertung stehe die berufsbedingte Einwirkung toxischer Belastungen im Vordergrund. Von einer
nicht versicherten Mitursache könne nicht ausgegangen werden, wobei letztendlich der ursächliche Zusammenhang zwischen der
berufsbedingten Exposition gegenüber einer Vielzahl von Xenobiotika nicht geklärt sei. Die Voraussetzungen der Berufskrankheiten
nach Nr. 1310 der Anlage 1 zur
BKV, also Schäden durch PCP, Dioxine und Furane, sowie Nr. 1317 der Anlage 1 zur
BKV, mithin eine Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische, seien erfüllt. Ihre
Begutachtung beruhe neben der Aktenlage auf einer ambulanten neurologisch-psychiatrischen Untersuchung im Februar 2019, der
Auswertung eines Schmerz- und Tinnitusfragebogens sowie der Durchführung von psychometrischen Tests in Form eines verbalen
Lern- und Merkfähigkeits-, eines Zahlenverbindungs- und des Regensburger Wortflüssigkeitstests.
Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, die Sachverständige Dr. K. bestätige seine Auffassung. Seine behandelnden Ärzte Dr.
B., Dr. S., Dr. K. und Dr. D. gingen ebenfalls von einer Intoxikation aus. Hervorzuheben sei, dass bei seiner Ehefrau 1995
ebenfalls eine Messung von PCP im Blut erfolgt sei. Bei ihr sei der Grenzwert nicht überschritten gewesen. Gummihandschuhe
habe er nur beim Aufhängen der Felgen an das Förderband getragen und nicht beim Bedienen der Felgenlinie. Bis zu 900 ng Dioxin
seien in der drei Kilometer entfernten Kläranlage gefunden worden, woran das Kanalnetz auf dem Werksgelände der S. GmbH angeschlossen
sei. Im November 1997 seien bei ihm erhöhte Leberwerte gemessen worden. Den Eignungstest bei der Bundeswehr für die Fallschirmjäger
habe er ohne Probleme bestanden. Als Judoka sei er kurz vor dem schwarzen Gürtel gestanden. Er habe Würfe auf einem Bein fast
in Zeitlupe und mit geschlossenen Augen sicher durchführen können. Bereits Mitte der 1990er-Jahre habe er den Sport nicht
mehr ausüben können. Mittlerweile sei er auf einen Rollator angewiesen. Das Gutachten von Prof. Dr. K. könne nicht herangezogen
werden, weil zwischen der von ihm durchgeführten ambulanten Untersuchung und der Abfassung der Expertise ein zu langer Zeitraum
vergangen sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts U. vom 4. Januar 2018 und den Bescheid vom 7. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 5. November 2014 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, bei ihm die Berufskrankheiten nach den Nummern 1302, 1310
und 1317 der Anlage 1 zur
BKV festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Sie trägt, im Wesentlichen gestützt auf die beratungsärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. T., Direktor der Neurologischen
Klinik der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken B., von August 2019, vor, sein Begehren sei nicht begründet. Die Ausführungen
der Sachverständigen Dr. K. seien nicht nachvollziehbar, weil sie keine eigene elektrophysiologische oder -neurographische
Untersuchungen durchgeführt habe. Zudem überschreite sie ihre fachliche Kompetenz, wenn sie sich konkret mit toxischen Grenzwerten
beschäftige. Nahezu grotesk werde es, wenn als Beleg für eine toxische Belastung Berichte aus der regionalen Presse zitiert
würden. Anders als Dr. K. hätten Prof. Dr. H. und Dr. F. eine differenzierte Befunderhebung vorgenommen und differentialdiagnostisch
mögliche Ursachen für die subjektive Beschwerdesymptomatik des Klägers durchgeführt. Im Gegensatz zur differenzierten neuropsychologischen
Befunderhebung von Dr. F. habe Dr. K. lediglich orientierende Screeningtestverfahren ohne eine entsprechende Symptomvalidierung
eingesetzt und die erhobenen Befunde nicht kritisch gewürdigt. Für ihre Beurteilung des peripheren Nervensystems fehle eine
neurophysiologische Befunderhebung vollkommen, welche allein geeignet sei, insbesondere die von ihr angenommene Polyneuropathie
zu untermauern. Unzureichend sei zudem, dass sie sich entgegen der entsprechenden Leitlinien zur Begutachtung allein auf die
subjektive Schilderung des Klägers und ihren klinischen Untersuchungsbefund stütze. Die geschilderten Sensibilitätsstörungen
seien hinsichtlich ihrer Verteilung nicht kritisch überprüft worden. Weiter fehle eine neurophysiologische Objektivierung.
Gleiches gelte für die subjektiv demonstrierten ataktischen Störungen. Eine hirnorganische Beeinträchtigung lasse sich aus
dem erhobenen psychischen Befund, der keinerlei Angabe zur Psychomotorik, zum Antrieb und zur Stimmungslage enthalten, nicht
ansatzweise entnehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider
Instanzen und die Verwaltungsakte der Beklagten (4 Bände) verwiesen
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 i. V. m. §
105 Abs.
1 Satz 3, Abs.
3 Halbsatz 1
SGG) eingelegt worden sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§
143, §
144 Abs.
1 SGG), aber unbegründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 4. Januar 2018, mit dem die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§
54 Abs.
1 Satz 1, §
56 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 6/12 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 22, Rz. 13 m. w. N.) erhobene Klage, mit welcher der Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 7.
August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2014 (§
95 SGG) die Verpflichtung der Beklagten zu den Feststellungen der Listen-Berufskrankheiten nach den Nrn. 1302, 1310 und 1317 der
Anlage 1 zur
BKV verfolgte, abgewiesen wurde. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bezogen auf diese Klageart
der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
Kommentar zum
SGG, 12. Aufl. 2017, §
54 Rz. 34), welche am 29. August 2019 stattfand.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die behördlichen Feststellungen der Berufskrankheiten nach den Nrn. 1302, 1310 und 1317
der Anlage 1 zur
BKV. Die in Bezug darauf angefochtene Verwaltungsentscheidung ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten (§
54 Abs.
2 Satz 1
SGG).
Die Beklage ist passivlegitimiert, also richtige Anspruchsgegnerin. Die Zuständigkeit bei Berufskrankheiten richtet sich,
wenn die gefährdende Tätigkeit für mehrere Unternehmen ausgeübt wurde, für die verschiedene Trägerinnen der gesetzlichen Unfallversicherung
zuständig sind, nach dem Unternehmen, in dem die gefährdende Tätigkeit zuletzt ausgeübt wurde, was sich mittlerweile aus §
134 Abs.
1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) ergibt, als ungeschriebener allgemeiner Rechtssatz aber bereits für Versicherungsfälle vor seinem Inkrafttreten galt (Bayerisches
LSG, Urteil vom 25. November 2015 - L 2 U 526/11 -, juris, Rz. 37; Ricke, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: Mai 2017, §
134 SGB VII, Rz. 1). Die Beklagte ist jedenfalls für die S. GmbH, bei welcher der Kläger als Beschäftigter (§
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII) zuletzt im Dezember 2009 im Rahmen einer beruflichen Wiedereingliederung tätig war, verbandszuständig (vgl. § 3 Abs. 1 ihrer
Satzung). Allein auf Einwirkungen aufgrund dieses Beschäftigungsverhältnisses, das mit der Lehre im September 1984 begann
und lediglich von Juni 1991 bis Februar 1992 durch die Arbeit als Drahterodierer bei der D. S. GmbH & Co. KG unterbrochen
war, führt der Kläger seine Krankheiten zurück.
Sein Anspruch richtet sich, ausgenommen hinsichtlich des erst 2008 diagnostizierten Schilddrüsenkarzinoms, noch nach den gemäß
Art. 35 Ziff. 1, Art. 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes (UVEG; BGBl I 1996, S. 1254) am 1. Januar 1997 außer Kraft getretenen Vorschriften der
Reichsversicherungsordnung (
RVO), da sich der geltend gemachte Versicherungsfall nicht nach dem 31. Dezember 1996 (Art. 36 UVEG) ereignete (§
212 SGB VII). Seine Mitte der 1990er-Jahre aufgetrenenen Erkrankungen führt der Kläger vor allen Dingen auf PCP zurück, welches bei ihm
von Dr. E. im Mai 1995 im Blut mit 225 µg/l festgestellt wurde. Dr. C. diagnostizierte etwa zwei Monate später eine multisensorische
neurootologische Funktionsstörung, eine zentrale cerebello-ponto-bulbäre Gleichgewichtsstörung, eine zentrale Reaktionshemmung
des optokinetischen Systems und eine supratentorielle Hörbahnverlangsamung sowie Dr. B. im August dieses Jahres eine Polyneuropathie,
extrapyramidale Schäden und eine Leistungs- und Wesensveränderung durch toxische Arbeitsstoffe, vor allem PCP.
Nach § 547
RVO gewährt die Trägerin der Unfallversicherung nach Eintritt des Arbeitsunfalls nach Maßgabe der folgenden Vorschriften Leistungen,
insbesondere eine Verletztenrente. Als Arbeitsunfall gilt gemäß § 551 Abs. 1 Satz 1
RVO auch eine Berufskrankheit (vgl. BSG, Urteil vom 2. April 2009 - B 2 U 33/07 R -, BSGE 103, 54 <55>). Solche sind nach § 551 Abs. 1 Satz 2
RVO Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die Versicherte
bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545
RVO genannten Tätigkeiten erleiden. Zu den Berufskrankheiten gehören nach Nr. 1302 der Anlage 1 zur
BKV "Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe", nach Nr. 1310 der Anlage 1 zur
BKV "Erkrankungen durch Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide" und nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur
BKV "Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische".
Für die Feststellung einer Listen-Berufskrankheit ist im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich
versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper
führten (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursachten (haftungsbegründende Kausalität). Dass die
berufsbedingte Erkrankung gegebenenfalls den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität),
ist keine Voraussetzung einer Listen-Berufskrankheit. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen"
und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach
der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit,
nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 15. September 2011 - B 2 U 25/10 R -, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4111 Nr. 3, Rz. 14 m. w. N.). "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd
gleichwertig". Eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann
für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange der anderen Ursache keine überragende Bedeutung zukommt (BSG, Urteil vom 30. Januar 2007 - B 2 U 8/06 R -, juris, Rz. 20).
Nach den zur Ermittlung des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes und als Interpretationshilfe (vgl.
BSG, Urteil vom 20. März 2018 - B 2 U 5/16 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 29, Rz. 17 m. w. N.) heranzuziehenden Merkblättern (Bekanntmachungen des damaligen Bundesministeriums
für Arbeit und Sozialordnung [BMA] vom 29. März 1985, BArbBl. 6/1985 <Nr. 1302 der Anlage 1 zur BKV> und vom 10. Juli 1979,
BArbBl. 7/8/1979 <Nr. 1310 der Anlage 1 zur BKV>) entsprechen der Heterogenität der Halogenkohlenwasserstoffe unterschiedliche
akute oder/und chronische Krankheitsbilder. Die Gesundheitsgefährdung wird auch bei diesen Stoffen wesentlich durch deren
jeweilige Toxizität sowie Intensität und Dauer der Exposition bestimmt. Dabei sind speziell Flüchtigkeit, Lipoidlöslichkeit,
Resorption, Verteilung, Metabolismus und Elimination von Bedeutung. Halogenierte Kohlenwasserstoffe wirken durch lokalen Kontakt
oder nach erfolgter Resorption unterschiedlich stark gesundheitsschädigend. Insbesondere werden durch eine Reihe von ihnen
das Zentralnervensystem sowie die Leber und Niere betroffen. Die halogenierten organischen Sauerstoffverbindungen Alkyl-,
Aryl- und Alkylaryloxide führen bei lokaler Einwirkung zu mehr oder weniger starken Reizerscheinungen an der Haut oder den
Schleimhäuten. Die Aufnahme erfolgt auch über die Atemwege. Nach Aufnahme in den Organismus kann es zu Stoffwechselstörungen
sowie zu Leber- und Nierenschädigungen kommen. Betroffen sein können auch die Lungen und Bronchien sowie das Zentralnervensystem.
Das Merkblatt zur Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur
BKV wurde im März 2005 überarbeitet (BArbBl. 3/2005, S. 49). Organische Lösungsmittel werden danach aufgrund ihrer Flüchtigkeit
vorwiegend über die Lungen eingeatmet, zum Teil auch durch die Haut resorbiert. Nach der Aufnahme verteilen sie sich im ganzen
Organismus, insbesondere im Nervensystem. Anschließend werden sie zum Teil unverändert wieder abgeatmet und teilweise metabolisiert
über die Nieren ausgeschieden.
Nach dem Hauptschulabschluss absolvierte der Kläger von September 1984 bis Juni 1987 bei der S. GmbH eine Ausbildung als Betriebsschlosser,
wo er anschließend bis September 2010, mit Ausnahme der Zeit von Juni 1991 bis Anfang Februar 1992, in der er als Drahterodierer
bei der D. S. GmbH & Co. KG beschäftigt war, in einem Arbeitsverhältnis als Einrichter in der Felgenfertigung für Personenkraftwagen
(Pkw) stand. Ab November 2007 war er arbeitsunfähig erkrankt. Nach einer gescheiterten beruflichen Wiedereingliederung im
November 2009 und im Folgemonat wurde er freigestellt. Diesen Werdegang entnimmt der Senat den Erhebungen im Verwaltungsverfahren.
Aufgrund der Stellungnahme Arbeitsplatzexposition von Dr. D. von Januar 2012, welche sich auf die Angaben des Klägers selbst
und eine Erhebung bei der S. GmbH in diesem Monat, bei welcher er anwesend war, stützt, steht für den Senat fest, dass er
im ersten Ausbildungsjahr in der Lernwerkstatt die verschiedenen Techniken der Metallbearbeitung wie etwa Schweißen, Drehen,
Bohren und Fräsen erlernte. Mit dem dort verwendeten Kühlschmierstoff Blasocut 2000 Universal kam er nur wenig in Kontakt.
Ab dem zweiten Ausbildungsjahr durchlief er verschiedene Abteilungen des Betriebes und führte Reparaturen an den Maschinen
durch. Darüber hinaus wurde er an einer Säge und im Magazin eingesetzt. Während der Ausbildungszeit wurden sporadisch Werkstücke
mit 1.1.1-Trichlorethan entfettet. Anschließend war er als Einrichter vorwiegend an der Pkw-Felgenlinie 3 tätig. Nach dem
Aufbau der Pkw-Felgenlinie 4 wechselte er in diesen Bereich. Die Felgenlinien befanden sich in einer 65 m langen, 20 m breiten
und etwa 15 m hohen Halle mit natürlicher Belüftung. Etwa vierzig Mitarbeiter waren an vergleichbaren Arbeitsplätzen tätig.
An den Felgenlinien wurde das Material von einem Blechcoil ausgehend in verschiedenen Schritten bearbeitet. Aus dem Blechband
wurden Platinen zugeschnitten und Ringe oder Felgenrohlinge gefertigt. Danach wurde in einer automatischen Maschine aus diesen
Blechringen das Profil der Felge ausgewalzt oder aufgedrückt. Nur an diesem Gerät wurde der wassermischbare Kühlschmierstoff
verwendet. Durch die Bearbeitung vernebelte er und gelangte auch in die Umgebung. In den ersten Jahren wurde Ratak TN 76 oder
Zubora 824 MP eingesetzt. Metosol 506 "chlorfrei" wurde von Anfang Januar 1989 bis Anfang April 1995 als acht- bis zehnprozentige
Emulsion benutzt. Der Kühlschmierstoff enthielt 1994 und im Folgejahr PCP und polychlorierte Dibenzodioxine und -furane. Anschließend
wurde die Anlage gereinigt und die Emulsion durch Multan 81-3 ersetzt. Zum Stabilisieren wurde bedarfsweise Multan A 9 und
Multan D hinzugefügt. Bis 2001 hatte die Maschine einen eigenen Kühlschmierstofftank. Erst danach wurde sie an die Zentralanlage
angeschlossen.
Der Kläger baute an den Maschinen die erforderlichen Werkzeuge ein und richtete sie ein. Anschließend wurde die Produktion
der Felgen überwacht. An ihnen arbeiteten jeweils drei Mitarbeiter, von denen im Wechsel einer die Felgen, die über das Förderband
liefen, einer Sichtkontrolle unterzog. Zu diesem Zeitpunkt wurden sie mit einer Emulsion aus Kühlschmierstoffen benetzt und
mit Handschuhen angefasst. Außerdem wurden von den Einrichtern die Werkzeugwechsel vorbereitet. Diese warteten die Anlage,
stellten die Blechcoils bereit und stapelten zum Teil auch Bleche. Zum Steuern wurde zeitweise in der Schaltwarte gearbeitet,
einem kleinen abgetrennten Stand. Die Maschine wurde zweimal in der Woche für jeweils zwei bis vier Stunden eingerichtet.
Je nach Größe der Serien kam es vor, dass zweimal am Tag ein Werkzeugwechsel notwendig wurde oder eine ganze Woche lang überhaupt
nicht. Neben den Kühlschmierstoffen kam der Kläger gelegentlich mit dem Hydraulikfluid HLP 46 oder dem verwendeten Divinol
Fett N2 in Kontakt, das als Schmierfett aus einem Fass in die Maschine gepumpt wurde. Reinigungsarbeiten wurden mit dem Lösemittel
nicht regelhaft durchgeführt. In einem geringen Umfang und nur selten wurde Aceton bei der Entfettung im Rahmen von Klebearbeiten
eingesetzt.
Die Kleidung wurde beim Umrüsten und Reparieren der Maschinen zum Teil durch Metallabrieb oder die Emulsion aus Kühlschmiermitteln
verschmutzt. Diese wurde nicht täglich gewechselt. Bei größeren Reparaturen oder den jährlichen Wartungsarbeiten wurde die
Anlage mit einem Dampfstrahlgerät gereinigt. Die Maschine zur Entgratung der Schweißnähte wurde regelmäßig mit Fett geschmiert.
An dieser Stelle kam es öfter zu einer Rauchentwicklung, weil der Schmierstoff in die Auffangkübel mit den heißen Spänen tropfte.
1992 wurde eine Absauganlage installiert. Schutzanzüge und -brillen wurden getragen, jedoch keine Atemschutzmasken. Gearbeitet
wurde fast ausschließlich mit Arbeitshandschuhen aus Leder. Gummihandschuhe wurden nur beim Aufhängen der Felgen an das Förderband
getragen. Die Lederhandschuhe wurden mehrmals am Tag ausgetauscht, sobald sie verschmutzt waren. Flüssigkeiten drangen durch.
Die Handschuhe nahmen je nach Tätigkeit den Kühlschmierstoff auf. Beschädigte Exemplare wurden entsorgt, von 1984 bis 1995
die übrigen in einer Reinigungsanlage mit Tetrachlorethen gesäubert. Sie rochen anschließend noch danach. Nur beim Einbau
von Kleinteilen wurden keine Handschuhe getragen.
Dr. D. kam für den Senat zu dem nachvollziehbaren Ergebnis, dass der Kläger während der Ausbildung beim gelegentlichen Reinigen
mit 1.1.1-Trichlorethan für etwa eine halbe Stunde im Monat gegenüber einem Halogenkohlenwasserstoff und einem neurotoxischen
Lösungsmittel exponiert war. Die nach dem BK-Report 2/2007 "BK 1317" der D. Gesetzlichen Unfallversicherung e. V. (im Internet
unter xx) schlüssig bestimmte Höhe lag unterhalb des Grenzwertes. Von 1984 bis 1995 bestand eine minimale Exposition gegenüber
Tetrachlorethen, weil die Handschuhe damals mit diesem neurotoxischen Halogenkohlenwasserstoff gereinigt wurden. Die Höhe,
über die keine konkreten Informationen vorliegen, war ersichtlich gering, weil Tetrachloethen sehr schnell verdampft und demnach
nur noch in Spuren in den Handschuhen enthalten sein konnte. Von Januar 1989 bis April 1995 wurde der Kühlschmierstoff Metosol
506 verwendet, wobei für 1994 und das Folgejahr belegt ist, dass das Konzentrat PCP enthielt. Von 1989 bis 1993 ist dies möglich,
allerdings nicht erwiesen. Wegen der Vernebelung des Kühlschmierstoffes an der Profilieranlage ist allenfalls eine geringfügige
Exposition über die Atemluft und durch den Kontakt mit ihm über die Haut plausibel. Die Dauer beträgt maximal die Hälfte der
Arbeitszeit, da an der Anlage auch Bearbeitungsstationen vorhanden waren, an denen ohne den Kühlschmierstoff gearbeitet wurde.
Die Expositionshöhe für halogenierte Aryloxide wie PCP und polychlorierte Dibenzodioxine und -furane steht nicht fest, da
der Kühlschmierstoff nach dem Bekanntwerden der Verunreinigung ausgetauscht wurde und sie nachträglich nicht zu ermitteln
ist. Bei Untersuchungen des Kühlschmierstoffkonzentrates wurden Gehalte von PCP zwischen 9.260 und 16.000 mg/kg gemessen.
Die Summe an Tetra- bis Octachlordibenzodioxine lag bei etwa 3,2 mg/kg und diejenige der Tetra- bis Octachlordibenzofurane
bei etwa 1,5 mg/kg. Die Gehalte in der Emulsion der Kühlschmierstoffe erreichten durch die Verdünnung mit Wasser etwa ein
Zehntel der angegebenen Werte. Hiermit sollte die Einsatzkonzentration von 8 bis 10 % erzielt werden.
Im Falle des Klägers ist es nicht hinreichend wahrscheinlich, dass diese erwiesenen beruflich bedingten Einwirkungen zu seinen
Erkrankungen führten, was der Senat den schlüssigen Ausführungen von Prof. Dr. K., einschließlich der Zusatzgutachten von
Dr. H. und Dr. F., entnimmt, welche im Wege des Urkundenbeweises verwertet wurden (§
118 Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §§
415 ff.
Zivilprozessordnung -
ZPO). Die Expertise von Prof. Dr. K. konnte herangezogen werden, auch wenn zwischen seinen ambulanten Erhebungen und ihrer Abfassung
annähernd zehn Monate vergangen sind. Nach dieser Zeit ist anders als möglicherweise bei einer Exploration im Rahmen einer
psychiatrischen Begutachtung (vgl. Urteil des Senats vom 27. März 2014 - L 6 U 4001/13 -, juris, Rz. 50) immer noch gewährleistet, dass sich der Gutachter an die Untersuchungsperson erinnert. Zudem zog er die
zwischenzeitlich erstellten Zusatzgutachten von Dr. H. und Dr. F. mit ein, wobei insbesondere das Erstere umfassende elektropyhsiologische,
neurootologische und elektroenzephalographische Daten enthielt, auf die er zurückgriff.
Anders als nach Auffassung einzelner behandelnder Ärzte ist nach der überzeugenden Darlegung von Prof. Dr. K. erwiesenermaßen
weder eine Polyneuropathie noch eine Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische eingetreten. Eine
Erkrankung durch Halogenkohlenwasserstoffe oder halogenierte Alkyl-, Ary- oder Alkylaryloxide liegt ebenfalls nicht vor. Der
Kläger war zwar gegenüber verschiedenen Gefahrstoffen wie Tetrachlorethen oder 1994 und im Folgejahr PCP und polychlorierten
Dibenzodioxinen und -furanen wenigstens zeitweise exponiert, welche sowohl über die Atemwege als auch die Haut aufgenommen
wurden. Anamnestisch und aufgrund der Untersuchungsergebnisse konnte jedoch keine Krankheitsfolge nachgewiesen werden, die
mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die Expositionen zurückzuführen ist. Aus der von Dr. D. ermittelten Arbeitsplatzexposition
ist abzuleiten, wie gering der Anteil an Dibenzodioxinen und -furanen im Vergleich mit der Verunreinigung mit PCP war, welche
dann überhaupt zur beruflichen inneren Belastung beitragen konnte. Allein aufgrund der relativ kurzen Dauer der Expositionsmöglichkeit
und der dann vorherrschenden geringen Expositionshöhe ist bei zusätzlich untypischem Verlauf ein kausaler Zusammenhang der
beruflichen Exposition und der vom Kläger geschilderten Symptomatik nicht wahrscheinlich. Gegen eine Berufskrankheit nach
Nr. 1317 der Anlage 1 zur
BKV spricht ebenfalls die eher geringe Expositionshöhe. Zudem verdampft Tetrachlorethen sehr schnell, weshalb in den gereinigten
Handschuhen lediglich Spuren enthalten gewesen sein können. Entsprechend beschrieb der Kläger keine akuten Rauschzustände
am Arbeitsplatz, welche auf sehr hohe Dosen im Sinne einer akuten Intoxikation hindeuteten. Der Kläger verneinte zudem eine
Besserung der Symptomatik während der arbeitsfreien Zeit. Die von Dr. H. erhobenen Befunde sind ebenfalls gegen eine Spätfolge
in Form einer strumpfförmigen Polyneuropathie anzuführen. Bei der elektrophysiologischen Diagnostik wurden keine relevanten
Schädigungen der sensiblen Leitungsbahnen festgestellt. Eine sensible Ataxie fand sich nicht. In Bezug auf die Berufskrankheiten
nach den Nrn. 1302 und 1310 der Anlage 1 zur
BKV berichtete der Kläger keine typische Symptomatik mit Beschwerden während der Exposition oder Langzeitfolgen. Es traten weder
akute Schleimhautreizungen noch Hautreaktionen auf. Mittels der laborchemischen Untersuchungen wurden zwar zeitweise erhöhte
Leberwerte, aber keine Lebertoxizität oder eine Beeinträchtigung der Nierenfunktion nachgewiesen, wie sie durch Halogenkohlenwasserstoffe
verursacht werden können. Somit ist trotz der 1995 mit 225 µg/l bei einem Normbereich von <10 µg/l einmalig nachgewiesenen
inneren Belastung mit PCP im Serum und anschließend abfallenden Werten innerhalb weniger Wochen eine Krankheitsfolge aufgrund
einer akuten Intoxikation auszuschließen. Langzeitfolgen des zentralen und peripheren Nervensystems sind aufgrund der erhobenen
Befunde nicht eingetreten.
Insbesondere Dr. H. stellte darüber hinaus überzeugend heraus, dass sich der Verdacht auf eine toxisch bedingte Enzephalopathie
durch die erhobene Diagnostik nicht sichern ließ. Der chronische Spannungskopfschmerz und der Schwindel waren unspezifisch
und wurden nicht durch die angeschuldigten körperfremden Substanzen verursacht. Bei der neurologischen Untersuchung ließen
sich außer Residuen eines Syndroms im Segment S1 der linken Seite keine spezifischen Ausfälle nachweisen. Das S1-Syndrom zeigte
sich durch einen Ausfall des Achillessehnenreflexes der linken Seite, eine leichte Fußsenkerparese und eine segmentale Hypästhesie.
Ursache war der vorbestehende Bandscheibenvorfall. Ein Zusammenhang zur möglichen Schadstoffexposition besteht nicht. Andere
Aspekte der neurologischen Untersuchung, welche in der Einschätzung unsicher blieben, waren zumindest von Verdeutlichungstendenzen
geprägt. Hierzu zählen die wechselnde Angabe des Vibrationsempfindens, eine auf den ersten Blick ausgeprägte Rumpfataxie,
die jedoch unter Ablenkung sistierte, und wechselnde, inkonsistente Zeigeversuche. Beim Finger-Nase-Versuch demonstrierte
der Kläger Unsicherheiten, demgegenüber war der Finger-Finger-Versuch ohne Probleme möglich. Die Vielzahl der Zusatzuntersuchungen
bestätigte, dass ein Großteil der Beschwerden keine fassbare organische Ursache hatte. Die beklagte Sensibilitätsstörung der
Beine hatte kein Korrelat in der elektrophysiologischen Diagnostik. Eine relevante Schädigung der sensiblen Leitungsbahnen,
die Konsequenzen für die Gehfähigkeit haben können, ist damit weitgehend ausgeschlossen. Insbesondere ist eine sensible Ataxie,
etwa auf dem Boden einer Polyneuropathie, nicht belegt. Eine periphere oder zentrale vestibuläre Störung ist auf der Grundlage
der Zusatzdiagnostik mit einer normalen Videookulographie und der klinischen Untersuchung nicht zu diagnostizieren. Das Elektroenzephalogramm
war normal, wenngleich es sich hierbei um einen unsensitiven Marker für höhere Hirnleistungen handelt. Die vom Kläger mitgebrachte
kraniale Bildgebung von Mai 2012 mittels einer Magnetresonanztomographie zeigte keine relevanten Auffälligkeiten, insbesondere
keine relevante zerebrale oder zerebelläre Atrophie. Pathognomonische Auffälligkeiten wie eine olivopontozerebelläre Atrophie
für eine Multisystematrophie fanden sich nicht.
Auch nach der Aktenlage ergaben sich keine Hinweise auf eine Enzephalopathie im Sinne von Rhytmusverlangsamungen oder triphasischen
Wellen. Eine früher als möglich pathologisch diskutierte intermittierende Betaaktivität ist bei einem normalen Bergereffekt
am ehesten als Normvariante zu werten, insbesondere da der aktuell mittels des Elektroenzephalogrammes erhobene Befund mit
einem intermittierenden Betaanteil den Vorbefunden entsprach. Eine frühere Lumbalpunktion mit Demenzmarkern zeigte in einer
Untersuchung im Universitätsklinikum U. bis auf eine leichtgradige Schrankenfunktionsstörung keine relevanten Auffälligkeiten.
Insbesondere die Demenzmarker waren im Normbereich. Einzig diskrepant zu den Erhebungen von Dr. H. war eine in den Vorbefunden
beschriebene sensible Polyneuropathie auf der Grundlage einer Erniedrigung der sensiblen Nervenleitgeschwindigkeit im Januar
1996. Rückblickend war der Befund indes schlüssig grenzwertig. Als Beschwerdesymptomatik auf neurologischem Gebiet verbleibt
der Kopfschmerz, der am ehesten einem chronischen Spanungskopfschmerz entspricht. Er trat an mehr als fünfzehn Tagen im Monat
auf, wurde bifrontal lokalisiert, durch körperliche Aktivität eher besser und wies keine Charakteristika von Kopfschmerzen
aus dem trigeminoautonomen oder migranösen Formenkreis auf. Typischerweise empfand ihn der Kläger eher als dumpf drückend.
Brennende Missempfindungen sind bei der chronischen Verlaufsform nicht selten. Die Kopfschmerzsymptomatik war anamnestisch
nicht an den Aufenthalt am Arbeitsplatz gebunden und nahm nach dem Ende der Exposition sogar zu, weshalb am ehesten von einem
nicht durch ein Lösemittel oder PCP induzierten Kopfschmerz auszugehen ist.
Die medizinischen Voraussetzungen der Berufskrankheiten nach den Nrn. 1302, 1310 und 1317 der Anlage 1 zur
BKV liegen damit selbst unter Berücksichtigung der im Berufungsverfahren aufrecht erhaltenen Einwände des Klägers nicht vor.
Die von ihm angeführten Ansichten seiner behandelnden Ärzte bestätigten sich durch die gezielten Begutachtungen nicht. Soweit
dies die Sachverständige Dr. K. für die Berufskrankheiten nach Nrn. 1310 und 1317 der Anlage 1 zur
BKV aus medizinischer Sicht ebenfalls anders einschätzte, folgt ihr der Senat nicht. Sie selbst räumte ein, dass der ursächliche
Zusammenhang zwischen der berufsbedingten Exposition gegenüber einer Vielzahl an körperfremden Substanzen nicht geklärt ist.
Zudem wendet die Beklagte unter Bezugnahme auf die schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen von Prof. Dr. T. von August
2019, welche rechtlich als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen zu werten sind (vgl. BSG, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - B 5 R 45/16 B -, juris, Rz. 19), mit Recht ein, dass die Ausführungen von Dr. K. auch deswegen nicht überzeugen, da sie nicht nur keine
elektroneurographische Untersuchung durchführte, sondern insbesondere in Bezug auf die Polyneuropathie keine elektrophysiologische,
welche für die Diagnostik unerlässlich ist (vgl. Heuß et al., Diagnostik bei Polyneuropathien, 2019, in: D. Gesellschaft für
Neurologie e. V., Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, im Internet unter xxx). Demgegenüber nahm insbesondere
Prof. Dr. H. eine differenzierte Befunderhebung vor. Dr. K. setzte lediglich orientierende Screeningtestverfahren ohne eine
entsprechende Symptomvalidierung ein und würdigte die erhobenen Befunde nicht kritisch. Für ihre Beurteilung des peripheren
Nervensystems fehlt eine neurophysiologische Befunderhebung, welche allein geeignet ist, insbesondere die von ihr angenommene
Polyneuropathie zu untermauern. Unzureichend ist jedenfalls, dass sie sich allein auf die subjektive Schilderung des Klägers
und ihren klinischen Untersuchungsbefund stützt. Die beschriebenen Sensibilitätsstörungen hinterfragte sie hinsichtlich ihrer
Verteilung nicht kritisch. Weiter fehlt eine neurophysiologische Objektivierung. Gleiches gilt für die vom Kläger demonstrierten
ataktischen Störungen. Eine hirnorganische Beeinträchtigung ist dem erhobenen psychischen Befund, der keinerlei Angabe zur
Psychomotorik, zum Antrieb und zur Stimmungslage enthält, nicht zu entnehmen.
In Bezug auf das Schilddrüsenkarzinom, welches Anfang 2008 festgestellt wurde, und sich der Anspruch auf Feststellung der
Berufskrankheiten damit nach §
9 Abs.
1 SGB VII beurteilt, wonach im Wesentlichen die gleichen Maßstäbe wie nach den zuvor geltenden Regelungen der
RVO Anwendung finden (vgl. BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 6/12 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 22, Rz. 14 zur Wie-Berufskrankheit), ist der Ursachenzusammenhang ebenfalls nicht hinreichend wahrscheinlich.
Prof. Dr. K. führte auch insoweit überzeugend aus, dass nach der Übersichtsarbeit von Lyn aus dem Jahr 2009 bislang keine
Vorhersage des Effektes von Chemikalien, die Schilddrüsendisruptoren darstellen, auf einzelne Menschen gemacht werden kann.
Folglich ist auch das Schilddrüsenkarzinom nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Exposition zurückzuführen
Nach alledem war die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.