Unanfechtbarkeit der Klagerücknahme im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
I. Der 1946 geborene Kläger begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) gemäß §
73a des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) in Verbindung mit §§
114 ff. der
Zivilprozessordnung (
ZPO) in einem Klageverfahren wegen Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG), in dem es um die Wirksamkeit einer Klagerücknahme geht.
Das Sozialgericht München hat mit Beschluss vom 23.06.2009 den Antrag vom 24.03.2009 auf Bewilligung von PKH und Beiordnung
des Rechtsanwalts Dr. S. abgelehnt. Es bestehe keine hineichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von §
114 ZPO. Die Frage der hinreichenden Erfolgsaussicht hänge hier davon ab, ob die Klagerücknahme vom 24.07.2008 wirksam sei. Nur wenn
eine Klagerücknahme nicht vorliegen würde, käme es auf die Frage an, ob die am 8.01.2007 erhobene Anfechtungsklage Erfolgsaussichten
habe. Die am 24.07.2008 schriftsätzlich erklärte Klagerücknahme sei wirksam. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers sei durch
die Prozessvollmacht vom 16.07.2007 legitimiert gewesen. Die Formulierung "in Sachen ... wird die Klage zurückgenommen." sei
eindeutig und weder auslegungsbedürftig noch -fähig. Der Sicht des Prozessbevollmächtigten des Klägers, aus dem Gesamtzusammenhang
ergäbe sich, dass von einer Klagerücknahme nicht auszugehen sei, könne sich das Gericht nicht anschließen. Nicht zwingend
sei im Übrigen die Argumentation, dass sich aus dem Hinweis im Schriftsatz vom 24.07.2008, der Kläger werde den Termin selbst
wahrnehmen, ergäbe, dass eine Klagerücknahme nicht vorliege. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Rechtsanwalt die Rücknahme
der Klage für richtig halte und auch erkläre, während sein Mandant die Angelegenheit weiter verfolgen wolle. Rechtlich unerheblich
sei auch die Erklärung der Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten vom 29.07.2008. Maßgeblich sei vielmehr, dass dieser
den Schriftsatz vom 24.07.2008 unterschrieben habe und damit für den Inhalt verantwortlich sei.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde vom 16.07.2009 ging am 17.07.2009 beim Sozialgericht München ein. Zur Begründung hob der
Beschwerdeführer hervor, die Richterin habe unmittelbar vor dem Termin bei dem Unterzeichner angefragt, ob das Verfahren fortgeführt
werden solle. Sie sehe keine Erfolgsaussichten. Der Unterzeichner habe sich daraufhin mit dem Kläger in Verbindung gesetzt
und die Angelegenheit am Morgen des Terminstages besprochen. Der Kläger habe ausdrücklich erklärt, dass er das Verfahren weiter
betreiben wolle. Der Unterzeichner habe sich mit dem Kläger dahingehend verständigt, dass er zum Termin nicht anreisen werde.
Der Kläger wollte den Termin alleine persönlich wahrnehmen und sei auch angereist. Es sei dann ein Schriftsatz mit diesem
Inhalt seitens des Unterzeichners abdiktiert worden. Dem Gericht sollte klarstellend mitgeteilt werden, dass eine Klagerücknahme
nicht erfolgen werde, jedoch der Kläger anwaltschaftlich nicht vertreten sein werde. Das sicherlich wesentliche Wort "nicht"
wurde dann aufgrund eines Schreibfehlers nicht aufgenommen. Aus dem Zusammenhang ergäbe sich jedoch, dass der Termin auf jeden
Fall stattfinden sollte. Es sei darauf hingewiesen worden, dass der Kläger den Termin selbst wahrnehmen werde. Diese Formulierung
mache nur Sinn, wenn wie diesseits angenommen ein Termin tatsächlich stattfinden würde. Im Übrigen sei es nicht naheliegend,
dass eine Klage gegen den Willen des Mandanten zurückgenommen werde. Noch weniger mache es Sinn, einen Mandanten anreisen
zu lassen, im Wissen, dass ein Termin nicht stattfinden würde. Aus Sicht des Beschwerdeführers hätte es auch der Fürsorgepflicht
des Sozialgerichts München entsprochen, Rückfrage zu halten. Hätte das Gericht in der Kanzlei nicht mehr angerufen, hätte
der Termin ohne Weiteres stattgefunden. Die Klage sei auch begründet, weil sich der Kläger nachweislich im Freistaat Bayern
aufgehalten habe.
Das Sozialgericht München hat den Gesamtvorgang dem Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) zur Entscheidung vorgelegt.
Der Beklagte und hiesige Beschwerdegegner hat von einer Äußerung zur Beschwerde über den Beschluss vom 23.06.2009 abgesehen.
II. Die gemäß §§
172 ff.
SGG zulässige Beschwerde erweist sich als unbegründet.
Die Erfolgsaussicht des Klageverfahrens kann nicht bejaht werden, so dass Prozesskostenhilfe nicht zu bewilligen ist (§
73a SGG i.V.m. §
114 ZPO). Das Sozialgericht hat die Bewilligung zu Recht abgelehnt, so dass der Beschluss vom 23.06.2009 nicht zu beanstanden ist.
Die hier wörtlich erklärte Klagerücknahme kann als Prozesshandlung nicht angefochten werden. Dies entspricht allgemeiner Meinung.
Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Nichtigkeit und Anfechtung, insbesondere auch wegen Irrtums, sind auf Prozesshandlungen
nicht anwendbar (Meyer-Ladewig,
Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage, Rdnr.12 vor §
60; Rdnr.2a zu §
156; Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, §
102 SGG, Anm.2; Bundessozialgericht in SozR Nr.3 zu §
119 BGB; BayLSG mit Urteil vom 16.10.2001 - L 15 V 37/01 - sowie BayLSG mit Urteil vom 25.07.2008 - L 8 AL 5/08 rechtskräftig, vgl. Beschluss des Bundessozialgerichts vom 16.12.2008 - B 11 AL 144/08 B).
Bei der Rücknahmeerklärung handelt es sich um eine rechtsgestaltende Prozesserklärung, die auch im Falle eines Irrtums über
den Inhalt oder die Reichweite der abgegebenen Erklärung im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich nicht anfechtbar
oder widerrufbar ist (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 25.11.2004 - L 2 KN 118/04 P).
Ein Wiederaufgreifen eines durch Zurücknahme der Berufung beendeten Rechtsstreits ist vielmehr ausnahmsweise nur dann möglich,
wenn Wiederaufnahmegründe im Sinne der §§
179,
180 SGG in Verbindung mit den §§
579 ff.
ZPO vorliegen (Meyer-Ladewig, aaO., Rdnr.12a). Da derartige Umstände, die auf das Vorliegen von Restitutionsgründen gemäß §
580 ZPO schließen lassen könnten, weder vorgetragen noch sonst erkennbar sind, kann auch der Widerruf nicht erfolgen, so dass das
Verfahren vor dem Sozialgericht München keine Erfolgsaussicht hat.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist nicht anfechtbar (§§
177,
183 SGG in Verbindung mit §
127 Abs.4
ZPO).