Gründe:
I. Streitig ist, ob die Antragsgegnerin im Wege einstweiligen Rechtsschutzes zur Behandlung einer Multiple-Sklerose-Erkrankung
(MS) mit Immunglobulinen zu verpflichten ist.
1. Die 1958 geborene und bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversicherte Klägerin leidet an MS, die erstmals 1985 diagnostiziert
wurde. Nach Angaben des behandelnden Neurologen Dr. A. seien Behandlungen mit Glatirameracetat (1994) und mit Betaferon (1996)
wegen Unverträglichkeit abgebrochen worden. Im Rahmen der medizinischen Fachbehandlung durch die M.-Klinik, Behandlungszentrum
K. für Multiple Sklerose Kranke GmbH, habe sie seit September 2000 eine monatlich intravenös verabreichte Basisbehandlung
mit Immunglobulin (IVIG) erhalten und das Krankheitsbild habe sich dadurch deutlich stabilisiert. Nur 2002 und 2003 hätten
sich zwei kleinere Schübe mit nach kurzer Zeit voll remittierter Symptomatik ergeben. Im April 2005 sei die IVIG-Behandlung
wegen ungeklärter Rechtslage der Kostenträgerschaft unterbrochen worden, worauf im Juni 2005 ein schwerer MS-Schub mit Verlust
der Gehfähigkeit, enormen Koordinationsstörungen (Ataxie), Doppelbilder-Sehen und Hörstörung aufgetreten sei. Ab Juli 2007
habe die Antragstellerin die IVIG-Therapie wieder aufgenommen, unter welcher Schubfreiheit eingetreten sei.
2. Seit Dezember 2007 übernahm die Antragstellerin die Kosten der IVIG-Behandlung selbst, weil die Antragsgegnerin die Übernahme
der Behandlung ablehnte. Gegen die entsprechenden Ablehnungsbescheide vom 15.11.2007, 26.02.2008 und 31.03.2008 jeweils in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.05.2008 hat die Antragstellerin Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben und am 02.07.2008 den gegenständlichen Antrag gestellt, sie im Wege einstweiligen Rechtsschutzes von den Kosten
der IVIG-Behandlung freizustellen. Sie hat unter Bezugnahme auf ein neurologisches Attest des Dr. A. vom 11.06.2008 und ärztliche
Stellungnahmen des Neurologen Prof. Dr. F. vom 16.06.2008 sowie 29.11.2007 und 21.09.2007 geltend gemacht, aus dem Krankheitsverlauf
und den bisherigen Behandlungen ergebe sich, dass sie die medikamentöse Behandlung nach dem derzeitigen Stand der medizinischen
Wissenschaft insbesondere mit Betaferon und Glatirameracetat nicht vertrage. Hingegen zeige die IVIG-Behandlung gute Erfolge,
habe zur Schubfreiheit geführt und werde gut vertragen. Es bestünden somit keine Alternativen zur streitigen Therapie. Werde
die IVIG-Behandlung abgesetzt, drohe konkret ein akuter Schub mit Verlust der Gehfähigkeit und weiteren Beeinträchtigungen.
Wirtschaftlich sei sie als Bezieherin von Versorgungsbezügen des Arbeitgebers und einer Erwerbsunfähigkeitsrente sowie wegen
Vermögenslosigkeit nicht in der Lage, die monatlichen Kosten der IVIG in Höhe von 867,14 EUR zu tragen.
Die Antragsgegnerin hat erwidert, wie sich aus ihren Entscheidungen im Verwaltungsverfahren ergebe, bestehe bereits kein Anordnungsanspruch,
weil das für die Behandlung der MS nicht zugelassene Immunglobulin keine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen sei. Zudem
ergebe sich aus den Stellungnahmen des MDK, dass alternative Behandlungsmethoden nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft
vorhanden seien.
Erwidernd hat der behandelnde Neurologe Prof. Dr. Dr. F. unter dem 24.07.2008 ausgeführt, dass die vom MDK angegebene alternative
Medikament Azathioprin als immunsuppressives Medikament erhebliche Nebenwirkungen habe, die der Antragstellerin nicht zumutbar
seien und die sie nicht vertrage. Die Umstellung auf Azathioprin benötige im Übrigen mehrere Monate bis zur eventuellen Wirksamkeit,
so dass bis dahin schwere MS-Schübe akut zu befürchten seien.
Demgegenüber hat der MDK in einer Stellungnahme vom 04.08.2008 darauf hingewiesen, dass Azathioprin ein zur Behandlung der
Erkrankung der Antragstellerin zugelassenes Arzneimittel sei, ebenso wie Tysabri mit dem Wirkstoff Natalizumab. Die zulassungsübergreifende
Anwendung von Immunglobulinen bei MS berate im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses seit November 2005 eine Expertengruppe
im Bundesinstitut für Arzneimittel, die Stellungnahme stehe noch aus. Nach derzeitiger Studienlage sei ein Konsens für den
zulassungsüberschreitenden Einsatz von Immunglobulinen nicht erkennbar. Zusammenfassend sei eine Behandlung mit zugelassenen
Arzneimitteln entsprechend der wissenschaftlichen Standards möglich, der medizinischen Nutzen der IVIG hingegen weder belegt
noch mit ausreichender Evidenz absehbar.
Mit Beschluss vom 12.08.2008 hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin verpflichtet, die Kosten für eine Behandlung mit dem
Arzneimittel Octagam bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren oder einer Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses
über die zulassungsübergreifende Anwendung von Immunglobulinen bei MS zu übernehmen. Im einstweiligen Rechtsschutz sei zu
beachten, dass bei der Antragstellerin eine schwere Erkrankung mit der Gefahr weiterer wesentlicher Verschlechterung vorliege.
Die streitige zulassungsüberschreitende Behandlung sei Gegenstand der Prüfung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss, so dass
in Zusammenhang mit den Beurteilungen der behandelnden Ärzte ein möglicher Behandlungserfolg nicht ohne Weiteres von der Hand
zu weisen sei. Eine endgültige Klärung der medizinischen Wirksamkeit sei aus Zeitgründen nicht möglich, so dass eine Interessenabwägung
stattfinden müsse. Diese falle zu Gunsten der Gesundheit der Antragstellerin aus.
Dagegen hat die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt und geltend gemacht, es fehle ein Anordnungsanspruch, weil die nach ständiger
Rechtsprechung für die zulassungsübergreifende Anwendung von Medikamenten (off-label-use) entwickelnden Voraussetzungen nicht
erfüllt seien. Zum Einen seien alternative Therapien mit den Wirkstoffen Azathioprin und Natalizumab vorhanden. Zum Anderen
der off-label-use von Immunglobulinen bei MS nicht ausreichend sicher erforscht. Es lägen keine ausreichend sicheren Daten
und Studien vor, die eine Wirksamkeit belegten sowie die Abwesenheit von Risiken und Nebenwirkungen bestätigten.
Unter dem 09.10.2008 hat der Prof. Dr. Dr. F. ausgeführt, Natalizumab sei derzeit nicht indiziert. Bei Unterbrechen der derzeitigen
Therapie stünden - wie aus der Vergangenheit ersichtlich - schwere MS-Schübe bevor.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 12.08.2008 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
II. Die statthafte Beschwerde der Antragsgegnerin ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig, §§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG, aber unbegründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht angenommen, dass bei der Klägerin eine notstandsähnliche Gesundheitssituation besteht, bei
welcher der nicht kompensierbare Verlust einer herausgehobenen Körperfunktion droht, und dass deshalb über den Antrag auf
einstweiligem Rechtsschutz im Rahmen einer Interessenabwägung zu entscheiden ist. Bei dieser treten Gesundheit und Leben der
Antragstellerin (Art.2 Abs.2
Grundgesetz) in den Vordergrund, während die im Wesentlichen finanziellen und wirtschaftlichen Interessen der Antragsgegnerin zurückzustehen
haben. Die Antragsgegnerin bleibt damit weiterhin vorläufig verpflichtet, die IVIG-Behandlung als Sachleistung zu erbringen,
bzw. die Antragstellerin von den entsprechenden Kosten freizustellen sowie für die Vergangenheit ab Rechtshängigkeit des Antrages
auf einstweiligem Rechtsschutz - somit ab 04.07.2008 - die angefallenen Kosten zu erstatten.
1. Nach §
86b Abs
2 SGG können einstweilige Regelungsanordnungen ergehen, wenn nur dadurch wesentliche Nachteile abgewendet werden können. Sie setzen
einen Anordnungsanspruch, also ein materielles Recht auf die inhaltliche Entscheidung und einen Anordnungsgrund, also Eilbedürftigkeit
voraus; diese sind glaubhaft zu machen, §
86b Abs.
2 S. 4
SGG i. V m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO).
Das einstweilige Rechtsschutzverfahren ermöglicht in der Regel allein vorläufige Regelungen. Vorliegend begehrt die Antragstellerin
allerdings eine Therapie, deren Kosten sie nicht tragen kann; im Falle des Unterliegens in der Hauptsache wird sie also die
Kosten einer einstweilig gewährten Behandlung nicht zurückzahlen können, so dass ein Rückerstattungsanspruch der Antragsgegnerin
aus §
86b Abs.
2 S. 4
SGG i. V m. §
945 ZPO ins Leere liefe. Die begehrte einstweilige Regelung nimmt damit faktisch die Entscheidung in der Hauptsache vorweg. Dies
ist nur möglich, falls sonst unzumutbare Nachteile für die Antragstellerin zu erwarten wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit
für einen Erfolg in der Hauptsache spricht. Dann ist ausnahmsweise die Vorwegnahme der Hauptsache, wie sie hier von der Antragstellerin
begehrt wird, im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zulässig (vgl. BVerwG Beschluss vom 13.08.1999, Az.: 2 VR 1/99; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 8. Aufl. 2005, §
86b RdNr. 31 m. w. N.).
Ob ein Anordnungsanspruch besteht sowie die ausnahmsweise Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung gerechtfertigt ist, entscheidet
sich in der Regel nach einer wegen der Eilbedürftigkeit gebotenen summarischen Prüfung. Stehen aber existentiell bedeutsame
Leistungen der Krankenversicherung im Streit, ist eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage verwehrt, die
Sach- und Rechtslage ist abschließend zu prüfen (vgl. BVerfGK 1, 292 ; BVerfG, Beschluss vom 22.11.2002, aaO., S. 1236 f.).
Kann die Sach- und Rechtslage aber im Eilverfahren nicht vollständig geprüft werden, so ist anhand einer Folgenabwägung zu
entscheiden (vgl. BVerfGK 5, 237 m.w.N.); die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind umfassend in die Abwägung einzustellen.
Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.11.2002,
aaO., S. 1237; Beschluss vom 06.02.2007 - 1 BvR 3101/06 m.w.N.).
2. In Auswertung der beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin, der Akten des Sozialgerichts München im Hauptsacheverfahren
sowie im Antragsverfahren und dem Vorbringen in der Beschwerde, vor allem mit dem dokumentierten Krankheitsverlauf sowie der
Stellungnahme des behandelnden Neurologen Dr. A., die auch die Antragsgegnerin nicht in Zweifel zieht, ist glaubhaft gemacht,
dass die MS der Klägerin akut der medizinischer Behandlung bedarf, weil andernfalls konkrete Krankheitsschübe mit irreversiblen
Folgen zu befürchten sind. Damit und zusätzlich durch die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorgelegten ärztlichen Atteste
des behandelnden Neurologen Prof. Dr. Dr. F. ist fachärztlich glaubhaft gemacht, dass diese MS-Schübe irreversibel den Verlust
der Gehfähigkeit, enormen Koordinationsstörungen (Ataxie), Doppelbilder-Sehen und Hörstörungen nach sich ziehen können.
Es steht also in Falle der Antragstellerin eine notstandsähnliche Situation konkret bevor, wie sie für einen zur Lebenserhaltung
bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Es droht zwar nicht, dass sich ein tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb
eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Mit einem solchen Verlauf ist aber
die vorliegende Situation gleichzustellenden, bei der akut und voraussichtlich innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraumes
mit großer Wahrscheinlichkeit der nicht kompensierbare Verlust einer herausgehobenen Körperfunktion droht (vgl. BSG, Urteil
vom 28.02.2008 - B 1 KR 15/07 R - Abs. 34 m.w.N.). Hierin unterscheidet sich der Fall der Klägerin von dem, der der o.g. Entscheidung des BSG zu Grunde gelegen
war, in welchen trotz einer bestehenden MS in sekundär-progredienter Verlaufsform eine solche Situation nicht anzunehmen war
(BSG, aaO. unter Verweis auf BSG-Urteil vom 27.03.2007 - B 1 KR 17/06 R) sowie von dem Sachverhalt der Entscheidung des LSG Essen, auf welche sich die Antragsgegnerin bezogen hatte (LSG Essen Beschluss
vom 21.08.2008 - L 16 B 59/08 KR ER) sowie dem Sachverhalt, der der Entscheidung des Senats vom 31.07.2007 (L 5 KR 322/06) zu Grunde gelegen hatte.
Damit ist vorliegend eine existenziell bedeutsame Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung im Streit. Die deshalb gebotene
abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage erfordert die vollständige Aufklärung des medizinischen Sachverhalts und der
medizinischen Prognosen zur Erfolgsaussicht der IVIG-Behandlung. Dies aber führt dazu, dass aus Zeitgründen der begehrte einstweilige
Rechtsschutz nicht gewährt würde unter Verletzung der Rechtsschutzgarantie des Art.
19 Abs.
4 Grundgesetz. Die Entscheidung hat sich somit an der Abwägung der Rechtsgüter der Antragstellerin aus Art.
2 Abs.
2 Grundgesetz einerseits und der im Wesentlichen wirtschaftlichen Interessen der Antragsgegnerin und der Versichertengemeinschaft zu orientieren.
3. Im Rahmen dieser Prüfung ist festzustellen, dass sich die Antragstellerin auf einen Anordnungsgrund berufen kann und dass
Eilbedürftigkeit im Sinne eines Anordnungsgrundes besteht.
Die Antragsgegnerin als gesetzliche Krankenversicherung schuldet der Antragsgegnerin als ihrer Versicherten nach §
27 Abs.
1 Satz 2 Nr.
1 und
3, §
31 Abs.1 Satz 1
SGB V die Versorgung mit den notwendigen, zweckmäßigen (§
2 Abs.
1 Satz 1, §
12 Abs.
1 SGB V) Medikamenten bzw. bei unrechtmäßiger Nichtgewährung den entsprechenden Kostenersatz nach §
13 Abs.
3 SGB V oder eine entsprechende Kostenfreistellung.
Arzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht zu gewähren, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt. Die Antragsgegnerin schuldet also nur die Versorgung mit Arzneimitteln, die für
das jeweilige Indikationsgebiet eine arzneimittelrechtliche Zulassung besitzen (BSG, Urteil vom 28.02.2008 - B 1 KR 15/07 R). Für die Indikation schubförmige MS ist aber die IVIG nicht zugelassen (Urteil des Senats vom 31.07.2007 - L 5 KR 322/06, vgl. Prüfauftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses 03.02.2006 - Sitzung vom 20.12.2005 - an das Bundesinstitut für Arzneimittel
und Medizinprodukte).
Streitig ist somit ein off-label-use der IVIG. Ein off-label-use zu Lasten der GKV kommt nur in Betracht (st. Rspr., vgl.
BSG, Urteil vom 28.02.2008 - B 1 KR 15/07 R), wenn es
1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebens qualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden)
Erkrankung geht, wenn
2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn
3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenen Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ
oder palliativ) erzielt werden kann.
Zu 1: Wie dargestellt ergibt sich dazu, dass wegen der akut drohenden MS-Schübe eine notstandsähnliche Situation besteht.
Zu 2: Nach den glaubhaften Stellungnahmen des Prof. Dr. Dr. F. ist eine alternative Behandlung nicht vorhanden. Diese wird
von der Antragstellerin wegen der Nebenwirkungen nicht vertragen (Betaferon, Glatirameracetat -Copaxone-, Azathioprin) oder
spräche nicht rechtzeitig an (Azathioprin). Natalizumab kommt nach Prof. Dr. Dr. F. aus therapeutischen Gründen nicht in Frage;
zudem ergibt sich aus dem allgemein zugänglichen Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 17.01.2008 (Therapiehinweis
zu Natalizumab), dass dieser Wirkstoff in der Schubbehandlung der MS keine schnellere Remission als Placebo erbrachte, er
für chronisch progrediente Verlaufsformen nicht zugelassen ist und die Behandlung auf Patienten mit raschen ungünstigem Verlauf
beschränkt ist. Ob die Antragstellerin danach für eine Behandlung mit Natalizumab in Frage kommt, ist damit zweifelhaft und
nur im Hauptsacheverfahren zu klären.
Zu 3: Aus dem Prüfauftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses 03.02.2006 - Sitzung vom 20.12.2005 - an das Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte zur Behandlung der schubförmigen MS mit IVIG und aus der Tatsache, dass mittlerweile nach
über 2 Jahren Prüfung noch keine Ergebnisse vorliegen, ist zu folgern, dass der streitigen Behandlung nicht von vornherein
die medizinische Wirksamkeit abzusprechen ist oder dass konkrete Nebenwirkungen zu befürchten sind. Zudem sprechen der bisherige
Behandlungsverlauf und die Stellungnahmen der behandelnden Ärzte für die Wirksamkeit und gegen das Bestehen von Nebenwirkungen.
Zwar führt es nicht schon zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung, dass die Medikation im konkreten Einzelfall
positiv gewirkt hat und sie nach Ansicht des Behandlers einer herkömmlichen Therapie vorzuziehen ist (BSG, Urteil vom 18.05.2004
- B 1 KR 21/02 R). Im Zusammenhang mit dem Prüfauftrag ergeben sich aber zusammen mit den auf Fakten gegründeten ärztlichen Stellungnahmen
begründete Aussichten auf einen Behandlungserfolg, wobei zu beachten ist, dass die Absetzung einer in der Vergangenheit erfolgreichen
Therapie streitig ist und dass Dr. A. auf eine jahrelange Tätigkeit als Arzt und auf eine Behandlung in der anerkannten Fachklinik
M.-Klinik in K. zurückgreifen kann.
Ob aber tatsächlich der IVIG nach allgemein anerkannten Kriterien Erfolgsaussicht und Freiheit von Nebenwirkungen zuzugestehen
ist, was nach den Ausführungen des MDK mit nicht einfach von der Hand zu weisenden Gründen bezweifelt werden kann, muss in
der Hauptsache nur durch Einholung von Sachverständigengutachten vollständig abgeklärt werden. Dieses ist im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren, mit welchem der konkret akut bevorstehende Verlust einer wesentlichen Körperfunktion verhindert werden
soll, ist aus Zeitgründen nicht möglich.
Es richtet sich damit die vorliegende Entscheidung nach einer summarischen Interessenabwägung, bei welcher die grundrechtlichen
Belange der Antragstellerin mit den Belangen der Versichertengemeinschaft abzuwägen sind. Diese Güterabwägung hat zum Ergebnis,
dass die Antragsgegnerin vorläufig die begehrte Therapie zu gewähren hat, weil die grundgesetzlich geschützten Güter der Antragstellerin
aus Art.
2 Abs.
2 Grundgesetz höher zu bewerten sind als die im Endeffekt finanziellen und wirtschaftlichen Interessen der Antragsgegnerin. Denn die Vorenthaltung
der begehrten Behandlung hätte im Falle eines positiven Ausganges des Hauptsacheverfahrens zur Folge, dass die Chance auf
eine Verhinderung eines irreversiblen Krankheitsschubes mit Verlust der Gehfähigkeit und anderer vitaler Funktionen möglicherweise
zu spät käme. Demgegenüber stehen die Interessen der Versichertengemeinschaft, unwirksame Behandlungsmethoden mit möglicherweise
schädlichen Nebenwirkungen nicht zu erbringen zu müssen. Im Falle der IVIG-Behandlung und dem negativen Ausgang des Hauptsacheverfahrens
wären demgegenüber die wirtschaftlichen Interessen der gesetzlichen Krankenversicherung in erheblichem Umfang verletzt, weil
die streitige Therapie rund 900,00 EUR im Monat kostet und die Antragstellerin nach ihren finanziellen und wirtschaftlichen
Verhältnissen Rückzahlungen voraussichtlich nicht wird leisten können. Demgegenüber wiegt aber das Grundrecht der Antragstellerin
auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art.
2 Abs.
2 Satz 1
Grundgesetz deutlich schwerer.
4. Im Rahmen des Ermessens, welches gemäß § 87b Abs. 2
SGG ein Erlass einer einstweiligen Anordnung wie der Vorliegenden auszuüben ist, findet Berücksichtigung, dass die Antragstellerin
nach ausreichender Glaubhaftmachung mangels eigenen Einkommens und eigenen Vermögens bei Bezug einer Erwerbsminderungsrente
und eines Versorgungsbezugs des Arbeitgebers die begehrte medizinische Leistung nach Aufbrauch ihrer Mittel mittlerweile nicht
mehr selbst tragen kann. Eine anteilige sowie befristete Kostentragungspflicht der Antragstellerin kommt daher nicht in Betracht.
In weiterer Ausübung des Ermessens hat das Sozialgericht zutreffend die einstweilen zu gewährende IVIG-Behandlung zweifach
befristet. Zum Einen ist bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu befristen, zum Anderen bis zu dem Zeitpunkt, in welchem
durch eine Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses hinreichende Erkenntnisse über Wirksamkeit und Nebenwirkungen der
streitigen IVIG-Behandlung bei MS vorliegen. Diese Befristungen, welche dem Antrag auf nur vorläufigen Rechtsschutz der Antragstellerin
von Anfang an immanent waren, hat das Sozialgericht zutreffend ausgesprochen; gegen sie hat sich auch die Antragsstellerin
nicht gewandt, so dass im Rahmen des Beschwerdeverfahrens kein Anlass besteht, insoweit Änderungen auszusprechen.
Soweit das SG die zu gewährende Behandlung auf das Mittel Octagam beschränkt hat ist eine Entscheidung nicht veranlasst, weil die Antragstellerin
dagegen nichts eingewandt und Prof. Dr. Dr. F. mitgeteilt hat, dass dieses Medikament zur Anwendung kommt.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin bleibt damit in vollem Umfange ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist mit Rechtsmittel nicht anfechtbar (§
177 SGG).