Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Leistungen für Unterkunft und Heizung; Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und -grundes
für die Übernahme höherer Heizkosten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes; Angemessenheit der Heizkosten für einen Neunpersonenhaushalt
in einem schlecht isoliertem Haus
Gründe
I.
Die Antragsteller und Beschwerdeführer begehren die Übernahme weiterer Heizkosten für ihre Unterkunft im Rahmen von Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Die Antragsteller beziehen laufend Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1, § 7 Abs. 1 bis 3 SGB II. Es handelt sich um ein Elternpaar, das neun Kinder hat und zumindest mit sieben dieser Kinder zusammen in einem Eigenheim
wohnt. Mit Bescheid vom 25.11.2014 wurden ihnen Leistungen für die Zeit vom 01.08.2014 bis 31.01.2015 in Höhe von monatlich
zwischen 1334, und 2105, EUR bewilligt.
Bereits mit gesondertem Bescheid vom 11.11.2014 wurde den Antragstellern eine Heizkostenbeihilfe in Höhe von 630,- EUR für
den Zeitraum von Oktober 2014 bis April 2015 bewilligt. Dieser Betrag ist auch Teil der laufenden Bewilligung im November
2014. Es handle sich um eine vorläufige Heizkostenbeihilfe, weil der tatsächliche Bedarf derzeit nicht bekannt sei. Bei zusätzlichem
Bedarf könne auf Antrag eine weitere Beihilfe bewilligt werden. Die Antragsteller erhoben durch ihren Bevollmächtigten mit
Schreiben vom 25.11.2014 Widerspruch. Es seien Heizkosten in gesetzlicher Höhe von 23,50 EUR je Quadratmeter und Jahr zu bewilligen.
Ansonsten erfolge ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
Die Antragsteller stellten am 16.12.2014 beim Sozialgericht Augsburg einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Es seien
Heizkosten in gesetzlicher Höhe zu bewilligen. In der Heizperiode des Vorjahres hätten die Heizkosten insgesamt 1.743,28 EUR
betragen.
Der Antragsgegner teilte im Eilverfahren mit, dass nach einem am 18.12.2014 durchgeführten Hausbesuch noch 6 m3 Weichholz und 2 m3 Holzabschnitte vorhanden seien. Vorgelegt wurde ferner ein Heizgutachten (Energiebedarfsrechnung) vom 23.12.2013. Der Energieberater
kam darin zum Ergebnis, dass der Energiebedarf des schlecht isolierten Wohngebäudes pro Jahr bei 134.000 kWh liege, was 95,7
m3 Fichtenholz entspreche.
Mit Beschluss vom 28.01.2015 lehnte das Sozialgericht München den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Es sei weder ein
Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden. Vor dem Hintergrund des beim Hausbesuch festgestellten
Vorrats sei ein aktueller Bedarf an weiterem Brennholz nicht glaubhaft gemacht. Der Antragsgegner habe in seinem Bescheid
vom 11.11.2014 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei zusätzlichem Bedarf auf Antrag eine weitere Beihilfe bewilligt werden
könne. Eine Folgenabwägung sei nicht vorzunehmen. Die Entscheidung könne auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten
in der Hauptsache gestützt werden. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12.05.2005 sei durch neuere Entscheidungen
des Bundesverfassungsgerichts überholt.
Mit Bescheid vom 02.02.2015 wurde den Antragstellern eine weitere Heizkostenbeihilfe in Höhe von 472,50 EUR bewilligt. Dieser
Betrag ist auch Bestandteil des weiteren Bescheids vom 02.02.2015, mit dem ihnen laufende Geldleistungen für die Zeit von
01.02.2015 bis 31.07.2015 in Höhe von monatlich zwischen 1442,- und 1862,- EUR bewilligt wurden.
Die Antragsteller zu 1), 2), 3), 6), 7), 8), 9), 10) und 11) haben am 05.02.2015 Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts
eingelegt und zugleich Prozesskostenhilfe beantragt. Das Heizmaterial sei aufgebraucht.
Die Beschwerdeführer beantragen,
den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 28.01.2015 aufzuheben und den Antragstellern vorläufig weitere Leistungen zur
Anschaffung von Heizmaterial zu gewähren.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG). Die Beschwerde ist auch teilweise begründet, weil den Beschwerdeführern weitere Heizkosten zuzusprechen sind.
Weil die Beschwerdeführer ihren Beschwerdeantrag nicht beziffert haben, geht das Beschwerdegericht davon aus, dass sie insgesamt
Heizkosten in der Höhe begehren, die sie im Widerspruch geltend gemacht haben. Dies wären 23,50 EUR je Quadratmeter der angemessenen
Wohnfläche und Jahr. Bei neun Personen (ob die Kinder und bei den Eltern wohnen, ist unklar) oder elf Personen im Haushalt
beträgt die angemessene Wohnfläche 165 m2 oder 195 m2. Somit ergibt sich ein Gesamtbetrag von 3.877,50 EUR oder 4.582,50 EUR pro Jahr, abzüglich der bereits erlangten Leistungen
für die Heizung.
Es besteht auch nach der zwischenzeitlichen Bewilligung weiterer 472,50 EUR sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund
gemäß §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG im tenorierten Umfang.
Der Anordnungsanspruch auf Übernahme von Heizkosten ergibt sich aus § 22 Abs. 1 SGB II. Wie der Antragsgegner auf Heizkosten von nur 630,- EUR für den Großteil der Heizsaison kommt, erschließt sich nicht.
Nach dem Urteil des BSG vom 12.06.2013, B 14 AS 60/12 R, sind die angemessenen Heizkosten zu übernehmen. Angemessene Heizkosten können nicht abstrakt ermittelt werden (BSG, a.a.O., Rn. 21). Es ist eine Einzelfallprüfung erforderlich. Das Überschreiten des Grenzwertes des Heizkostenspiegels ist
lediglich ein Indiz und ein Anscheinsbeweis, dass die Kosten der Heizung unangemessen hoch sind. Der Grenzwert gilt auch für
Holzheizungen. Dabei ist der teuerste Energieträger aus dem Heizkostenspiegel, mangels eines lokalen Heizspiegels der bundesweite
Heizkostenspiegel 2014 für das Abrechnungsjahr 2013, und wohl eine Gebäudefläche von 100 bis 250 m2 Wohnfläche heranzuziehen (BSG, a.a.O., Rn. 25). Das ergäbe hier einen Quadratmeterwert von 23,50 EUR und bei einer angemessenen Wohnfläche von 165 m2 für neun Personen insgesamt 3.877,50 EUR.
Das BSG hat in dem vorgenannten Urteil aber auch festgestellt (dort Rn. 32), dass der Grenzwert aus dem Heizkostenspiegel keineswegs
den Angemessenheitswert darstellt. Das BSG hat einen Wert von 1,- EUR je Quadratmeter und Monat "nicht als unrealistisch niedrig" betrachtet. Das ergäbe hier bei 165
m2 einen Betrag von 1.980,- EUR für das gesamte Jahr zuzüglich der Warmwasserkosten. Inzwischen haben die Beschwerdeführer 1.102,50
EUR zugesprochen bekommen. Angesichts der Vorjahreskosten von rund 1743,- EUR hält es das Beschwerdegericht für angemessen,
einen weiteren Betrag von 600,- EUR zuzusprechen.
Auch der Gesamtkostenvergleich im Rahmen der Zumutbarkeit der Kostensenkung nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II (BSG, a.a.O., Rn. 28 bis 33) spricht für die Übernahme weiterer Heizkosten.
Der Anordnungsgrund liegt auf der Hand. Die Familie mit vielen Kindern kann die Unterkunft nur nutzen, wenn eine ausreichende
Heizung sichergestellt ist. Sinn und Zweck der Grundsicherung für Arbeitsuchende besteht im Minimum schlicht darin, dass keiner
hungert und keiner friert.
Nach dem Heizgutachten liegt der Jahresbedarf bei 134.000 kWh oder 96 m2 Fichtenholz. Das ist ein außerordentlich hoher Energiebedarf, der nach dem Gutachten dem schlechten Zustand des Wohnhauses
geschuldet ist. Im Vorjahr wurden mit Heizkosten von 1.743,- EUR nur etwa 25 bis 30 m3 Holz benötigt. Dies zeigt, dass die
Antragsteller im Verhältnis zum schlechten Zustand des Hauses wohl sparsam heizen. Angesichts der Jahreszeit und des hohen
Bedarfs ist davon auszugehen, dass das am 18.12.2014 beim Hausbesuch festgestellte Holz im Januar 2015 verbraucht wurde. Wenn
der Antragsgegner trotz Widerspruch seine viel zu niedrige Bewilligung nicht heraufsetzt und das Ergebnis des Hausbesuchs
nicht zutreffend einschätzt, können er und das Sozialgericht im Eilverfahren nicht darauf verweisen, dass sich aus dem Bescheid
vom 11.11.2014 eine Bereitschaft zu höheren Leistungen für die Heizung ergebe.
Der Anordnungsgrund hat sich auch durch die zwischenzeitliche Bewilligung weiterer 472,50 EUR nicht erledigt. Der Betrag ist
angesichts des Heizbedarfs, der laufenden Heizperiode und des bislang gezeigten Verhaltens des Antragsgegners zu gering, um
die Bewohnbarkeit der Unterkunft für die nächsten Monate zu sichern.
Die Ausführungen des Sozialgerichts zum verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab geben Anlass zu ergänzenden Anmerkungen.
Die vom Sozialgericht zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts relativieren die Entscheidung des BVerfG vom
12.05.2005, 1 BvR 569/05 zur Notwendigkeit einer Folgenabwägung, machen sie aber nicht gegenstandslos.
Im vom Sozialgericht genannten Beschluss des BVerfG vom 13.04.2010, 1 BvR 216/07, ging es um einen Fachhochschullehrer, der sich weigern wollte, das Fach Darstellende Geometrie zu unterrichten. Aus dieser
Entscheidung lässt sich für das Existenzminimum wenig ableiten. Im Beschluss vom 06.02.2013, 1 BvR 2366/12, ging es um einen Unterkunftswechsel eines behinderten Menschen von einer Wohngemeinschaft in eine vollstationäre Einrichtung.
In derselben Angelegenheit hatte das BVerfG zuvor mit Beschluss vom 28.11.2012, 1 BvR 2366/12, aufgrund einer Folgenabwägung selbst laufende Leistungen von monatlich 3.962,- EUR zugesprochen.
Im Beschluss des BVerfG vom 06.08.2014, 1 BvR 1453/12, ging es dagegen um laufendes Arbeitslosengeld II für selbständig Erwerbstätige. Das BVerfG hat ausgeführt, dass Entscheidungen
in Eilverfahren sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache
gestützt werden können. Desto gewichtiger und wahrscheinlicher Grundrechtsverletzungen sind, desto intensiver muss die tatsächliche
und rechtliche Durchdringung im Eilverfahren erfolgen. Wenn die dementsprechend notwendige intensive Klärung der Sach- und
Rechtslage nicht möglich ist, ist eine Entscheidung auf Grundlage einer Folgenabwägung nicht zu beanstanden. Wenn eine endgültige
Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung droht, müssen die Gerichte die Anforderungen an die Glaubhaftmachung verringern.
Das dortige LSG hatte ohne Folgenabwägung die Erfolgsaussichten in der Hauptsache summarisch geprüft und verneint. Weil es
dabei auf die gegenwärtige tatsächliche Situation abstellte und die vorgelegte eidesstattliche Versicherung zutreffend widerlegte,
hat das BVerfG dies als angemessenen Maßstab der Glaubhaftmachung betrachtet. Bemerkenswert ist, dass das BVerfG in diesem
Beschluss die Entscheidung vom 12.05.2005 nicht zitierte und es scheinbar um Leistungen für einen lange zurückliegenden Zeitraum
(etwa Anfang 2012) ging.
Für das Beschwerdegericht stellt sich der verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab im Eilverfahren nunmehr wie folgt dar: Wenn
eine erhebliche Verletzung des Rechts auf Sicherstellung des Existenzminimums konkret möglich ist, muss die Sach- und Rechtslage
intensiv geprüft werden und die Anforderungen an die Glaubhaftmachung müssen verringert werden. Eine Entscheidung aufgrund
einer Folgenabwägung ist möglich, aber nicht zwingend erforderlich. Leistungen aufgrund einer Folgenabwägung "ins Blaue hinein",
weil die Sach- und Rechtslage nicht vollständig aufklärbar ist, sind nicht angezeigt, wenn auf der Basis der gegenwärtigen
Situation selbst geringe Anforderungen an die Glaubhaftmachung nicht erfüllt werden.
Wenn die Heizung der Unterkunft gefährdet ist, Winter ist und Kinder betroffen sind, ist im Eilverfahren mit geringen Anforderungen
an die Glaubhaftmachung ggf. aufgrund einer Folgenabwägung zu prüfen und zu entscheiden. Hier stellt sich die Frage des verfassungsrechtlichen
Maßstabs aber nicht, weil Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund selbst bei einem strengen Maßstab glaubhaft sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG. Die Quote von einem Viertel spiegelt den Erfolg im erstinstanzlichen Verfahren wider, wobei dort die nachfolgende Bewilligung
vom 02.02.2015 dem Erfolg zuzurechnen ist, jedoch für insgesamt elf Familienmitglieder Leistungen gefordert wurden. Im Beschwerdeverfahren
liegt die Erfolgsquote für neun Familienmitglieder ebenfalls etwa bei einem Viertel.
Den Beschwerdeführern ist gemäß §
73 a Abs.
1 SGG i.V.m. §
114 Zivilprozessordnung (
ZPO) Prozesskostenhilfe zu gewähren. Sie sind nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die
Kosten der Prozessführung aufzubringen und es bestand eine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Wegen der Schwierigkeiten der
Rechtsfragen und der Bedeutung der Angelegenheit war ihnen antragsgemäß der Rechtsanwalt B. nach §
121 Abs.
2 ZPO beizuordnen.