Vergütung von Sachverständigen im sozialgerichtlichen Verfahren
Keine Kürzung trotz erheblicher Überschreitung eines Vorschusses bei fehlender Kenntnis der genauen Vorschusshöhe
Gründe
I.
Streitig ist die Höhe der Vergütung eines Gutachtens nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) bei Überschreitung des vom Gericht zuvor für das Gutachten angeforderten Kostenvorschusses.
In dem am Bayer. Landessozialgericht (LSG) unter dem Aktenzeichen L 13 R 564/14 geführten rentenversicherungsrechtlichen Verfahren wurde der Antragsteller, der Facharzt für Anästhesie ist, auf Antrag des
dortigen Klägers gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) und nach Einzahlung eines Vorschusses von 2.000,- EUR mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Im Auftragsschreiben
des Gerichts vom 21.09.2015 an den Antragsteller war folgender Hinweis enthalten:
"Sollten aus zwingenden Gründen die gesamten Kosten den eingezahlten Vorschuss von 2000,00 EUR übersteigen, so werden Sie
gebeten, dem Gericht unverzüglich die endgültige Höhe der Kosten schriftlich mitzuteilen. In diesem Falle warten Sie bitte
die Benachrichtigung des Gerichts ab, ob das Gutachten zu erstatten ist oder die Akten ohne Erledigung des Gutachtensauftrags
zurückgesandt werden sollen. Mehrkosten für die weitere Bearbeitung werden nur nach Einwilligung des Gerichts übernommen."
Nachdem der Antragsteller im Rahmen eines detaillierten Kostenvoranschlags vom 21.10.2015 mitgeteilt hatte, dass mit Kosten
in Höhe von insgesamt 3.119,47 EUR für das Gutachten zu rechnen sei, hat das SG beim Kläger einen weiteren Kostenvorschuss in Höhe von 1.200, EUR angefordert und dem Antragsteller nach Zahlungseingang
mit Schreiben vom 16.12.2015 Folgendes mitgeteilt:
"Sehr geehrter Herr Dr. K. ,
es wird mitgeteilt, dass die Mehrkosten von der Rechtsschutzversicherung des Klägers bestätigt wurden; um Erstellung des Gutachtens
- möglichst zeitnah - wird gebeten."
Am 26.02.2016 ist das unter dem Datum vom 23.02.2016 erstellte Gutachten des Antragstellers beim Bayer. LSG eingegangen, am
29.02.2016 die für das Gutachten gestellte Rechnung vom 25.02.2016 über 4.017,47 EUR.
Die Kostenbeamtin des Bayer. LSG setzte die Vergütung des Antragstellers für sein Gutachten vom 23.02.2016 mit Schreiben vom
21.04.2016 auf 3.200,- EUR fest. Die Kürzung begründete sie damit, dass die beantragte Vergütung den eingezahlten Vorschuss
von insgesamt 3.200,- EUR um 817,47 EUR und damit erheblich übersteige. Die weitere Erhöhung habe der Antragsteller dem Gericht
nicht vorher angekündigt, so dass keine Möglichkeit bestanden habe, den Kläger über die weiteren Mehrkosten zu informieren.
Dagegen hat sich der Antragsteller mit Schreiben vom 11.05.2016 gewendet und dies mit Schreiben vom 04.08.2016 präzisiert.
Die Kostensteigerung hat der Antragsteller damit begründet, dass der Kläger umfangreiches Material zu Begutachtung mitgebracht
habe, was er zuvor nicht berücksichtigen habe können. Zudem habe sich eine aufwändige und schwierige Abwägung ergeben und
sich die gutachterliche Beurteilung als deutlich aufwändiger und schwieriger als zuvor angenommen gestaltet. Mit der Kürzung
sei er daher nicht einverstanden. Für den Fall, dass die von der Kostenbeamtin vorgenommene Kürzung dem Grunde nach berechtigt
sei, hat er die Festsetzung der Vergütung auf die Höhe des Vorschusses zuzüglich eines Aufschlags von 20 % beantragt.
II.
Die Festsetzung der Vergütung erfolgt gemäß § 4 Abs. 1 JVEG durch gerichtlichen Beschluss, wenn wie hier der Berechtigte mit Schreiben vom 11.05.2016 und 04.08.2016 die gerichtliche
Festsetzung beantragt.
Die Vergütung für das Gutachten vom 23.02.2016 ist antragsgemäß auf 4.017,47 EUR festzusetzen. Eine Kürzung wegen einer erheblichen
Überschreitung des für die Erstellung des Gutachtens eingezahlten Vorschusses von insgesamt 3.200,- EUR gemäß § 8 a Abs. 4 JVEG hat nicht zu erfolgen, da der Antragsteller vom Gericht der Hauptsache nicht auf die konkrete Höhe des zur Verfügung stehenden
Vorschusses hingewiesen worden ist.
1. Prüfungsumfang im Verfahren der gerichtlichen Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG
Die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG stellt keine Überprüfung der vom Kostenbeamten vorgenommenen Ermittlung der Entschädigung oder Vergütung dar, sondern ist
eine davon unabhängige erstmalige Festsetzung. Bei der Festsetzung durch den Kostenbeamten handelt es sich um eine lediglich
vorläufige Regelung, die durch den Antrag auf gerichtliche Festsetzung hinfällig wird (vgl. Bundesgerichtshof, Entscheidung
vom 05.11.1968, Az.: RiZ (R) 4/68). Damit wird eine vorherige Berechnung der Beträge im Verwaltungsweg sowohl bei den Einzelpositionen als auch im Gesamtergebnis
gegenstandslos. Das Gericht hat daher eine vollumfassende Prüfung des Entschädigungs- oder Vergütungsanspruchs vorzunehmen,
ohne auf Einwände gegen die im Verwaltungsweg erfolgte Festsetzung beschränkt zu sein. Die vom Gericht festgesetzte Entschädigung
oder Vergütung kann daher auch niedriger ausfallen, als sie zuvor vom Kostenbeamten festgesetzt worden ist; das Verbot der
reformatio in peius gilt nicht (h.M., vgl. z.B. Beschluss des Senats vom 08.05.2014, Az.: L 15 SF 42/12; Meyer/Höver/Bach/Oberlack, JVEG, 26. Aufl. 2014, § 4, Rdnr. 12 - m.w.N.).
2. Einschlägige Rechtsnorm des § 8 a Abs. 4 JVEG
Mit dem 2. KostRMoG ist mit Wirkung zum 01.08.2013 die Vorschrift des § 8 a JVEG eingeführt worden, dessen hier maßgebliche Absätze 4 und 5 wie folgt lauten:
"(4) Übersteigt die Vergütung den angeforderten Auslagenvorschuss erheblich und hat der Berechtigte nicht rechtzeitig nach
§
407 a Absatz
3 Satz 2 der
Zivilprozessordnung auf diesen Umstand hingewiesen, erhält er die Vergütung nur in Höhe des Auslagenvorschusses.
(5) Die Absätze 3 und 4 sind nicht anzuwenden, wenn der Berechtigte die Verletzung der ihm obliegenden Hinweispflicht nicht
zu vertreten hat."
"Erwachsen voraussichtlich Kosten, die erkennbar außer Verhältnis zum Wert des Streitgegenstandes stehen oder einen angeforderten
Kostenvorschuss erheblich übersteigen, so hat der Sachverständige rechtzeitig hierauf hinzuweisen."
Der Gesetzgeber hat die Neuregelung des § 8 a JVEG wie folgt begründet (vgl. die Gesetzesbegründung zum Entwurf des 2. KostRMoG - Bundestags-Drucksache 17/11471 (neu), S. 259
f.):
"Der vorgeschlagene § 8 a JVEG soll das Schicksal des Vergütungsanspruchs für Fälle der nicht ordnungsgemäßen Leistungserbringung regeln. Die vorgeschlagenen
Regelungen orientieren sich an der für die Sachverständigenvergütung ausgewogenen Rechtsprechung ... und die Absätze 3 und
4 sollen diejenigen Fälle regeln, in denen der Sachverständige gegen Pflichten verstößt, die einen unmittelbaren kostenrechtlichen
Bezug haben.
...
Die Absätze 3 und 4 sollen die Fälle regeln, in denen der Sachverständige pflichtwidrig gegen die Verpflichtung aus §
407 a Absatz
3 Satz 2
ZPO verstößt, indem er es unterlässt, rechtzeitig darauf hinzuweisen, dass voraussichtlich Kosten erwachsen, die erkennbar außer
Verhältnis zum Wert des Streitgegenstands stehen oder einen angeforderten Kostenvorschuss erheblich übersteigen. Hat das Gericht
jedoch dem Sachverständigen die Zahlung eines Kostenvorschusses in einer bestimmten Höhe ohne weitere Hinweise mitgeteilt,
kann der Sachverständige unterstellen, dass das Gericht von der Verhältnismäßigkeit dieses Betrags ausgeht.
...
Der vorgeschlagene Absatz 5 soll ein Verschuldenserfordernis in den Fällen der Absätze 3 und 4 festlegen. Dadurch soll dem
Berechtigten ermöglicht werden, sich auf ein mangelndes Verschulden berufen zu können, um die Rechtsfolge der Vergütungsminderung
nicht eintreten zu lassen. Systematisch wird ein Verschulden generell vermutet, so dass es dem Berechtigten obliegt, mangelndes
Verschulden darzulegen. Als Verschuldensmaßstab soll Vorsatz und Fahrlässigkeit genügen."
Bedenken gegen eine Anwendbarkeit des § 8 a Abs. 4 JVEG im sozialgerichtlichen Verfahren bestehen nicht (vgl. Beschluss des Senats vom 08.06.2015, Az.: L 15 SF 255/14 E).
3. Anwendung des § 8 a Abs. 4 JVEG im vorliegenden Fall
Die Vergütung des Antragstellers ist nicht auf die Höhe des Vorschusses zu kürzen, obwohl die sich aus dem eingezahlten Vorschuss
(vgl. unten Ziff. 3.1.) ergebende Erheblichkeitsgrenze (vgl. unten Ziff. 3.2.) durch die dem Antragsteller ohne Berücksichtigung
der Regelung des § 8 a Abs. 4 JVEG zustehende Vergütung (vgl. unten Ziff. 3.3.) erreicht oder überschritten wird (vgl. unten Ziff. 3.4.) und der Antragsteller
auf die erhebliche Überschreitung nicht rechtzeitig hingewiesen hat (vgl. unten Ziff. 3.5.). Denn der Antragsteller hat die
Verletzung der Hinweispflicht nicht zu vertreten, da ihm vom Gericht nicht die konkrete Höhe des zur Verfügung stehenden Vorschusses
mitgeteilt worden ist (vgl. unten Ziff. 3.6.).
3.1. Eingezahlter Vorschuss
Eingezahlt worden ist ein Vorschuss in Höhe von insgesamt 3.200,- EUR.
3.2. Erheblichkeitsgrenze für die Überschreitung des Vorschusses
Die Erheblichkeitsgrenze liegt im vorliegenden Fall bei 3.840,- EUR.
Eine Überschreitung des Vorschusses ist dann erheblich, wenn die Überschreitung mindestens 20 % des Vorschusses beträgt (vgl.
Beschlüsse des Senats vom 08.06.2015, Az.: L 15 SF 255/14 E, und vom 06.10.2015, Az.: L 15 SF 323/14).
Bei einem Vorschuss in Höhe von 3.200,- liegt die Erheblichkeitsgrenze daher bei 3.840,- EUR (3.200,- EUR x 1,2).
3.3. Ohne Berücksichtigung der Regelung des § 8 a Abs. 4 JVEG zustehende Vergütung
Die dem Antragsteller zustehende Vergütung (zum Begriff der Vergütung in diesem Zusammenhang: vgl. Beschluss des Senats vom
08.06.2015, Az.: L 15 SF 255/14 E - dort Ziff. 5.3.), wenn kein Fall des § 8 a Abs. 4 JVEG gegeben wäre, beträgt 4.017,47 EUR
Die einem Sachverständigen zustehende Vergütung ergibt sich aus § 8 Abs. 1 JVEG, begrenzt durch das Antragsprinzip (vgl. Beschlüsse des Senats vom 26.06.2012, Az.: L 15 SF 423/09, und vom 17.12.2013, Az.: L 15 SF 275/13; Thüringer LSG, Beschluss vom 27.01.2005, Az.: L 6 SF 745/04). Zur Ermittlung des objektiv erforderlichen und zu vergütenden Zeitaufwands verweist der Senat insbesondere auf seine Grundsatzbeschlüsse
vom 14.05.2012, Az.: L 15 SF 276/10 B E, und vom 18.05.2012, Az.: L 15 SF 104/11.
Die nach den aufgezeigten Vorgaben ermittelte Vergütung des Antragstellers entspricht dem Rechnungsbetrag vom 25.02.2016,
nämlich 4.017,47 EUR; wegen der Offensichtlichkeit der Richtigkeit der Vergütungsforderung in der Rechnung des Antragstellers
vom 25.02.2016 sieht der Senat von detaillierten Ausführungen ab.
Der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass keine Reduzierung der in der Rechnung vom 25.02.2016 enthaltenen
Vergütungsforderung des Antragstellers infolge des Antragsprinzips dadurch erfolgt ist, dass er im Schreiben vom 11.05.2015
zu erkennen gegeben hat, dass er mit einer Vergütung in Höhe von 20 % über dem eingezahlten Vorschuss einverstanden wäre,
wenn die durch die Kostenbeamtin vorgenommene Kürzung auf die Höhe des Vorschusses berechtigt wäre. Denn sein Schreiben vom
11.05.2015 kann, wie sich insbesondere auch aus seinem Schreiben vom 04.08.2016 ergibt, nicht dahingehend ausgelegt werden,
dass der Antragsteller eine unbedingte Begrenzung seiner Vergütungsforderung auf einen Betrag von 20 % über dem eingezahlten
Vorschuss vorgenommen hätte. Vielmehr hat er lediglich unter der Voraussetzung, dass die von der Kostenbeamtin vorgenommene
Kürzung zu Recht erfolgt ist, seine Forderung reduziert. Da die Kürzung auf den Vorschuss durch die Kostenbeamtin jedoch nicht
zutreffend war (vgl. unten Ziff. 3.6.), ist durch das Antragsprinzip keine Limitierung der Vergütungsforderung auf einen unter
dem in der ursprünglichen Rechnung vom 25.02.2016 genannten Betrag von 4.017,47 EUR erfolgt.
3.4. Erreichen (bzw. Überschreiten) der Erheblichkeitsgrenze durch die dem Antragsteller objektiv zustehende Vergütung
Der unter Ziff. 3.3. ermittelte Betrag von 4.017,47 EUR liegt deutlich über der in Ziff. 3.2. bestimmten Erheblichkeitsgrenze
des § 8 a Abs. 4 JVEG in Höhe von 3.840,- EUR.
3.5. Kein rechtzeitiger Hinweis des vergütungsberechtigten Sachverständigen auf die erhebliche Überschreitung des Vorschusses
Nach den Vorgaben des § 8 a Abs. 4 JVEG hätte der Antragsteller das LSG spätestens zu dem Zeitpunkt informieren (und vor einem Weiterarbeiten am Gutachten die Antwort
des Gerichts abwarten) müssen, als der bis dahin entstandene Vergütungsanspruch im Sinn des § 8 JVEG die Erheblichkeitsgrenze zu erreichen drohte. Dies hat er nicht getan.
Der Antragsteller hat vor Vorlage des Gutachtens überhaupt nicht darauf hingewiesen, dass die ihm zustehende Vergütung die
Erheblichkeitsgrenze erreichen oder überschreiten werde, sondern das Gutachten zusammen mit seiner Rechnung über 4.017,47
EUR vorgelegt.
3.6. Fehlendes Verschulden bei der Verletzung der Hinweispflicht
Dem Antragsteller kann aber kein Verschulden bezüglich der Verletzung der Hinweispflicht vorgehalten werden.
Die gesetzliche Regelung des § 8 a Abs. 5 JVEG ist so konstruiert, dass das Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) des Vergütungsberechtigten widerleglich vermutet wird.
Von einer Widerlegung des vom Gesetzgeber vermuteten Verschuldens kann grundsätzlich nur dann ausgegangen werden, wenn der
Sachverständige keine Kenntnis von der Höhe des Vorschusses gehabt hat (vgl. Beschlüsse des Senats vom 08.06.2015, Az.: L 15 SF 255/14 E, vom 06.10.2015, Az.: L 15 SF 323/14, und vom 11.11.2015, Az.: L 15 RF 43/15).
Im vorliegenden Fall ist ein fehlendes Verschulden des Antragstellers im Vollbeweis nachgewiesen. Denn dem Antragsteller war
die genaue Höhe des zur Verfügung stehenden Vorschusses nicht bekannt.
Zunächst hat das Hauptsachegericht des Rentenverfahrens den Antragsteller mit dem Gutachtensauftrag vom 21.09.2015 darüber
in Kenntnis gesetzt, dass für das Gutachten ein Vorschuss in Höhe von 2.000,- EUR zur Verfügung stehe. Der Hinweispflicht
bei einer anstehenden Überschreitung des Vorschusses folgend hat der Sachverständige daraufhin mit Schreiben vom 21.10.2015
das Gericht darüber in Kenntnis gesetzt, dass mit Kosten in Höhe von 3.119,47 EUR zu rechnen sei. Anschließend hat es das
Gericht aber unterlassen, den Sachverständigen über die genaue Höhe des zur Verfügung stehenden Vorschusses, wie er nach der
zwischenzeitlichen Nachforderung des Gerichts zur Verfügung stand, zu informieren. Vielmehr ist der Sachverständige mit Schreiben
des Gerichts vom 16.12.2015 nur darüber informiert worden, "dass die Mehrkosten von der Rechtsschutzversicherung des Klägers
bestätigt wurden." Dies reicht aber nicht aus, um die Rechtsfolge des § 8 a Abs. 4 JVEG, nämlich die Vergütung auf die Höhe des zur Verfügung stehenden Vorschusses zu begrenzen, herbeizuführen.
Um die Rechtsfolge des § 8 a Abs. 4 JVEG zu bewirken, hätte das Gericht vielmehr dem Sachverständigen mitteilen müssen, in welcher konkreten Höhe ein Vorschuss nunmehr
zur Verfügung stand. Da dies das Gericht unterlassen hat, kann dem Sachverständigen kein Verschulden an der erheblichen Überschreitung
des zur Verfügung stehenden Vorschusses vorgeworfen werden.
Im Sinn der Rechtssicherheit ist es unverzichtbar, dass einem Sachverständigen die konkrete Höhe des zur Verfügung stehenden
Vorschusses bekannt sein muss, um ihm ein Verschulden wegen einer erheblichen Überschreitung des Vorschusses vorhalten zu
können. Nicht ausreichend ist es, wenn dem Sachverständigen nur die ungefähre Höhe des Vorschusses mitgeteilt worden ist.
Denn daraus würde sich lediglich eine Vermutung, nicht aber eine sichere Kenntnis von der Höhe des zur Verfügung stehenden
Vorschusses ergeben. Allein eine derartige Vermutung für die Begrenzung der Vergütung wegen erheblicher Vorschussüberschreitung
ausreichen zu lassen, würde zu weit gehen. Dem Sachverständigen würde anderenfalls auch die zulässige Möglichkeit zur "Optimierung"
der Vergütung (vgl. Beschlüsse des Senats vom 08.06.2015, Az.: L 15 SF 255/14 E, und vom 06.10.2015, Az.: L 15 SF 323/14) teilweise genommen, weil ihm die exakte Höhe des Vorschusses nicht bekannt ist. Im Übrigen - das hat sich auch im vorliegenden
Fall gezeigt - wird typischerweise vom Gericht ein höherer Vorschuss angefordert, als er in einem Kostenvoranschlag des Sachverständigen
genannt ist.
Der vorgenannten Bewertung steht vorliegend auch nicht entgegen, dass der Antragsteller mit Schreiben vom 21.10.2015, mit
dem er mitgeteilt hat, dass der zur Verfügung stehende Vorschuss von 2.000,- EUR nicht ausreichen werde, einen detaillierten
"Kostenvoranschlag" über einen Betrag von 3.119,47 EUR aufgestellt hat und er aufgrund der Mitteilung des Gerichts vom 16.12.2015
davon ausgehen durfte, dass jedenfalls der in seinem Kostenvoranschlag genannte Betrag als Vorschuss zur Verfügung stehe.
Denn das gerichtliche Schreiben vom 16.12.2015 kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass ein bestimmter, exakt bezifferbarer
Betrag für die Erstellung des Gutachtens gemäß §
109 SGG zur Verfügung steht, auch nicht der, wie er im Kostenvoranschlag des Antragstellers genannt war; ein Rückschluss von dem
im Kostenvoranschlag angegebenen Betrag auf den zur Verfügung stehenden Kostenvorschluss ist nicht zwingend. Bei der Auslegung
derartiger gerichtlicher Schreiben wie dem vom 16.12.2015 sind die gleichen Maßstäbe zu Grunde zu legen, wie sie auch für
die Auslegung von Prozesserklärungen der Beteiligten gelten (vgl. Beschlüsse des Senats vom 02.03.2016, Az.: L 15 SB 237/15 B, und vom 14.03.2016, Az.: L 15 RF 2/16). Danach ist Maßstab der Auslegung der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten
(vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 12.12.2013, Az.: B 4 AS 17/13). Dies bedeutet in einem Fall wie hier, dass das Schreiben vom 16.12.2015 aus dem objektivierten Empfängerhorizont des Sachverständigen
zu beurteilen ist. Aus dessen Sicht ist nicht erkennbar, in welcher genauen Höhe ein Vorschuss zur Verfügung steht. Vielmehr
liegt es nahe, dass der Sachverständige als Empfänger des gerichtlichen Schreibens vom 16.12.2015 davon ausgegangen ist, dass
die Kosten für die Begutachtung durch die Rechtsschutzversicherung übernommen würden, ohne dass eine konkrete Obergrenze bestünde.
Da dem Antragsteller die konkrete Höhe des zur Verfügung stehenden Vorschusses nicht bekannt war, kann ihm auch kein Verschulden
bezüglich einer erheblichen Überschreitung des Vorschusses entgegen gehalten werden.
Da dem Antragsteller kein Verschulden bezüglich der erheblichen Überschreitung des Vorschusses vorgeworfen werden kann, tritt
die Rechtsfolge des § 8 a Abs. 4 JVEG nicht ein. Dem Antragsteller steht für sein Gutachten vom 23.02.2016 eine Vergütung in Höhe von 4.017,47 EUR zu.
Der Kostensenat trifft diese Entscheidung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob die Anwendung des § 8 a Abs. 4 JVEG eine konkrete Bezifferung des zur Verfügung stehenden Vorschusses gegenüber dem Sachverständigen voraussetzt, in voller Besetzung.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).