Sozialversicherungspflicht eines Auslieferungsfahrers mit eigenem Kraftfahrzeug und Einsatz fremder Fahrer
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger in Zeit vom 01.12.1992 bis 30.11.1999 bei der Beigeladenen zu 1) in einem
versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis gestanden hat.
Der 1961 geborene Kläger nahm am 01.12.1992 nach erfolgreichem Abschluss einer Ausbildung zum Kaufmann im Groß- und Einzelhandel
am 13.01.1992 eine Tätigkeit als Auslieferungsfahrer mit Inkassovollmacht bei der Beigeladenen zu 1) auf. Dort hatte er bereits
im Rahmen seiner Ausbildung ein ca. 8-monatiges Praktikum absolviert.
Am 18.11.1999 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Feststellung, dass seine Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1) sozialversicherungspflichtig
gewesen sei.
Auf dem Fragebogen zur Beurteilung der Sozialversicherungspflicht gab der Kläger unter anderem an, dass er seit Januar 1993
ein Gewerbe "Kleintransporte bis 750 kg" angemeldet habe. Die Zahlung folge pro Auftrag in Form einer Pauschale. Einen Anspruch
auf Fortzahlung der Vergütung bei Arbeitsunfähigkeit habe er nicht. Sein durchschnittlicher monatlicher Gewinn im Sinne des
Einkommenssteuerrechts betrage 8.000,00 DM. Einen Anspruch auf bezahlten Urlaub habe er nicht. Seine wöchentliche Arbeitszeit
betrage 58 Stunden. Bezüglich der Ausführung (Art und Weise) seiner Beschäftigung würden Weisungen erteilt. Dementsprechend
habe er auch über seine Tätigkeit Berichte abzugeben. Mit der Beigeladenen zu 1) habe er einen Lkw-Leasing-Vertrag geschlossen,
um Eigentümer eines eigenen Lkw´s zu werden.
Mit Bescheid vom 29.11.1999 bejahte die Beklagte (zunächst) die Sozialversicherungspflicht ab 01.01.1999. Diesen Bescheid
hob die Beklagte mit streitigem Bescheid vom 13.10.2002 auf und ging davon aus, dass der Kläger nicht der Sozialversicherungspflicht
unterlegen hätte.
Der dagegen erhobene Widerspruch blieb mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2004 erfolglos.
Mit seiner dagegen am 23.01.2004 erhobenen Klage zum Sozialgericht München (SG) hat der Kläger zur Begründung im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen verwiesen. Ergänzend hat er ausgeführt, das
Fehlen eines schriftlichen Arbeitsvertrages sei kein maßgebliches Kriterium, um die Ausübung eines selbständigen Gewerbes
bejahen zu können. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei das Fehlen eines schriftlichen Arbeitsvertrages auch nicht "wirklichkeitsfremd";
vielmehr würde dies zur ständigen Praxis des Arbeitslebens gehören, wonach Arbeitsverträge auch mündlich zu Beginn der 90iger
Jahre abgeschlossen wurden. Unzutreffend sei schließlich auch der Hinweis der Beklagten, wonach Zweifel, die auch nach Ausschöpfung
aller Erkenntnismöglichkeiten letztlich nicht ausgeräumt werden könnten, zu Lasten desjenigen gehen würden, der sich auf die
Versicherungs- bzw. Beitragspflicht berufe und er dafür die Feststellungslast trage. Zur Bekämpfung der unterschiedlichen
Formen der Scheinselbständigkeit sei durch das KSSA vom 19.12.1998 bei Vorliegen bestimmter Kriterien eine widerlegbare Vermutung
für das Vorliegen einer Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt gemäß §
7 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV) eingefügt worden. Dadurch sei eine Regelung geschaffen worden, die den ansonsten im Versicherungs- und Beitragsrecht geltenden
Grundsatz ersetze, dass derjenige die Feststellungslast trage, der sich auf die Versicherungspflicht berufe. Im Ergebnis hätte
bei Vorliegen der Kriterien aus dem Katalog des §
7 Abs.
4 SGB IV die Beklagte die Tatsachen, die gegen das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses sprechen, beibringen und den Nachweis
der selbständigen Tätigkeit führen müssen - und nicht umgekehrt.
Im Termin der mündlichen Verhandlung vom 20.06.2007 hat das SG Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen C. B. und Z ... Wegen der Einzelheiten ihrer Bekundungen wird auf Sitzungsniederschrift
verwiesen.
Mit Urteil vom gleichen Tage hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, durch die angefochtenen Bescheide sei auch die materielle
Rechtslage korrekt festgestellt worden. Das Gericht habe nach Ausschöpfung aller ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten
nicht zu der Überzeugung gelangen können, dass der Kläger in den Jahren 1992 bis 1999 bei der Beigeladenen zu 1) in einem
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Da die Feststellungslast für das Bestehen eines sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnisses bei demjenigen liege, der sich auf sein Bestehen berufe (BSG, Urteil vom 07.12.1989, Az.: 12 KR
7/88 und BSG, Urteil vom 21.06.1990, Az.: 12 BK 10/90), würden die bei der Feststellung des sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nicht auszuräumenden Zweifel
zu Lasten des Klägers gehen. Die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit sei nach der ständigen
Rechtsprechung des BSG nach dem Gesamtbild der Tätigkeit zu beurteilen. Hier würden überwiegend die Indizien für eine selbständige
Tätigkeit des Klägers sprechen. Ein entscheidender Hinweis für eine selbständige Tätigkeit sei der Einsatz des eigenen Lkw,
das Fehlen eines festen Gehalts und die jeweilige Rechnungsstellung für die Transporte. Die Behauptung des Klägers, er habe
seinen Lkw mit den Firmenfarben oder dem Firmenlogo der Beigeladenen zu 1) lackieren müssen, so dass es ihm unmöglich gewesen
sei, für andere Firmen zu fahren, habe auf Grund der zumindest ebenso glaubhaften gegenteiligen Darstellung der Zeugen B.
und H. Z. nicht bewiesen werden können. Nicht beweisbar sei auch die Behauptung des Klägers geblieben, er habe seinen Lkw
samt Fahrzeugpapiere nachts oder am Wochenende auf dem Firmengelände parken müssen, so dass ihm der Lkw für eine Tätigkeit
bei anderen Firmen praktisch nicht zur Verfügung gestanden habe.
Gegen das Urteil des SG München vom 20.06.2007 richtet sich die am 10.09.2007 zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegte
Berufung, mit der der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf sein bisheriges
Vorbringen. Dass er kein festes Gehalt bezogen habe, sondern seine Fahrten der Beigeladenen zu 1) in Rechnung gestellt habe,
sei kein Indiz gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Für den von ihm erworbenen Lkw, den er von der Beigeladenen
zu 1) übernommen habe, habe er einen Kaufpreis von 50.000,00 DM bezahlen müssen.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.06.2007 und den zugrunde liegenden Bescheid der Beklagten vom 13.10.2003 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2004 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger in der Zeit vom 01.12.1992
bis 30.11.1999 bei der Beigeladenen zu 1) in einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis gestanden war.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene zu 2) schließt sich dem Antrag der Beklagten an.
Die übrigen Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten sowie die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§
141,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -), die nicht der Zulassung nach §
144 SGG bedarf, ist zulässig, erweist sich aber als unbegründet. Zutreffend ist das SG im angefochtenen Urteil zu dem Ergebnis gekommen, dass die Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1) nicht sozialversicherungspflichtig
gewesen war. Zweifel, die auch nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten letztlich nicht ausgeräumt werden können, gehen
zu Lasten desjenigen, der sich auf Versicherungs- bzw. Beitragspflicht beruft, denn dieser trägt hierfür die Feststellungslast.
Diesbezüglich sind die Beteiligten auch zutreffend von einer Feststellungsklage gemäß §
55 SGG ausgegangen.
Gemäß §
7 Abs.
1 SGB IV in der bis zum 31.12.1998 geltenden Fassung ist eine die Sozialversicherungspflicht auslösende Beschäftigung die nicht selbständige
Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Diese Vorschrift galt auch ab dem 01.01.1999 weiter, allerdings ergänzt um
einen Satz 2, wonach Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation
des Weisungsgebers sind. Zusätzlich galt in der Zeit vom 01.01.1999 bis zum 31.12.2002 eine in §
7 Abs.
4 SGB IV verankerte Vorschrift, die eine gesetzliche Fiktion eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses unter
der Voraussetzung festlegte, dass drei von fünf näher definierten Merkmalen vorlagen.
In zutreffender Weise hat hier das SG im Einzelnen die Indizien aufgeführt, die für oder gegen eine abhängige Beschäftigung sprechen. Auch hat es eine überzeugende
Subsumtion und Gewichtung vorgenommen.
Gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis spricht insbesondere die Tatsache, dass der Kläger seine Tätigkeit bei der Beigeladenen
zu 1) mit dem eigenen Fahrzeug ausgeführt hat. Auch hat er die Kosten für dieses Fahrzeug in vollem Umfang selbst getragen.
Gerade im Transportgewerbe ist es stets als besonderes Merkmal der abhängigen Beschäftigung bzw. nicht abhängigen Beschäftigung
anzusehen, wenn der Fahrer ein eigenes Fahrzeug bzw. kein eigenes Fahrzeug benutzt (z.B. BayLSG L 5 KR 365/06 vom 14.10.2008). Gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis spricht auch, dass der Kläger keinen Anspruch auf Fortzahlung
der Vergütung bei Arbeitsunfähigkeit hatte. In diesem Zusammenhang ist auf das eigene Vorbringen des Klägers hinzuweisen,
dass er, als er drei Wochen krank gewesen sei, sich für diese Zeit selbst um einen Ersatzfahrer habe kümmern müssen, den er
auch sodann an die Beigeladene zu 1) als Aushilfsfahrer vermittelt habe. Als weitere Indizien, die gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis
sprechen, sind des weiteren zu nennen, dass der Kläger kein festes Gehalt bezogen hat, sondern seine Leistungen der Beigeladenen
zu 1) jeweils im Einzelnen in Rechnung gestellt hat. Zudem geht aus den vorliegenden Abrechnungen des Klägers aus dem Jahr
1996 hervor, dass er für bis zu drei verschiedene Fahrer, Abrechnungen für Fahrten, vorlegte, die jeweils in der selben Woche
und am selben Wochentag vorgenommen wurden, also nur durch den Einsatz von mindestens drei verschiedenen Lkw überhaupt möglich
waren. Dies entspricht auch der Tatsache, dass der Kläger letztlich während seiner Tätigkeit insgesamt drei Lkw´s erworben
hat.
Im Übrigen sprechen keine rechtlich vernünftigen Gründe dafür, nunmehr rückwirkend in das jahrlang mit Billigung aller Beteiligten
bestehende Versicherungsverhältnis einzugreifen. Schwerwiegende Fehler, Ungereimtheiten oder Erschleichung eines Versicherungsschutzes
sind beim Kläger auszuschließen. Gerade weil eine solche in die Vergangenheit zielende Umwandlung eines jahrelang aus dem
Blickwinkel verschiedenster Beteiligter zutreffenden Rechtszustandes zu solchen Unklarheiten und Unsicherheiten wie im vorliegenden
Fall führt, hat das Bundessozialgericht den einleuchtenden Rechtssatz formuliert, dass die Versicherungsverhältnisse grundsätzlich
rückwirkend nicht geändert werden sollen (BSG vom 08.12.1999, BSGE 85, 205, 213). Der Gedanke von der Kontinuität eines Versicherungslebens, wonach Änderungen dann erst für die Zukunft gelten sollen,
ist ein beachtlicher Grundsatz und Grundlage einer soliden Zukunftssicherung, wie sie von der Beigeladenen zu 3) ohne Rücksicht
auf konjunkturbestimmte oder andere Gestaltungsmöglichkeiten konstant zu leisten ist. Dass Änderungen in der Vergangenheit
schon aus Abgrenzungs- und Nachweisschwierigkeiten - wie hier - problematisch sind, zeigt der vorliegende Fall deutlich.
Was die Feststellung der Beklagten im ursprünglichen Bescheid vom 29.11.1999 bezüglich des Beginns des sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnisses - 01.01.1999 - anbelangt, so ist dieses Datum unschädlich, da die Beklagte nicht zuletzt im Widerspruchsbescheid
vom 09.01.2004 von der gesamten Tätigkeitsdauer des Klägers bei der Beigeladenen zu 1) ausgegangen ist.
Die Ausführungen des SG hinsichtlich der teilweisen Unzulässigkeit der Klage vermögen den Senat zwar nicht zu überzeugen; da sich die Beklagte schließlich
auf eine materielle Prüfung eingelassen hat, sind sie vom Gesamtergebnis unbedeutsam.
Im Übrigen schließt sich der Senat gemäß §
153 Abs.
2 SGG den Ausführungen des SG im Urteil vom 20.06.2007 an und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG, denn der Kläger ist unterlegen.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.