Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben
Begriff der Erwerbsfähigkeit
Zuständiger Rehabilitationsträger
Bisheriger Beruf des Versicherten
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Beklagten, über Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben für die Klägerin
neu zu bescheiden.
Die im Juni 1972 geborene Klägerin erlangte im August 1991 das Abitur. Danach aufgenommene Studien brach die Klägerin ohne
Abschluss ab, erlangte aber das Vordiplom im Fach BWL. Eine Ausbildung von 2001 bis 2003 schloss sie mit dem Gesellenbrief
als Malerin und Lackiererin ab. Nach dem bei ihr zwischenzeitlich ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt war (Bescheid
von 2009) ist nunmehr aufgrund des Bescheides des Versorgungsamtes vom 5. Januar 2012 ein GdB von 30 anerkannt.
Die Klägerin bezieht derzeit eine bis zum 31. März 2017 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ab 14. September 2009. Daraufhin wurde die Klägerin
im Rahmen eines Eingangsverfahrens bei den G Werkstätten aufgenommen. Anschließend wurde sie in dem Berufsbildungsbereich
und ab dem 14. Dezember 2011 in den Arbeitsbereich der G Werkstätten aufgenommen. Derzeit ist die Klägerin an zwei Tagen in
der Woche auf einem ausgelagerten Einzelarbeitsplatz in einem Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes, der I GmbH (im Folgenden:
I GmbH),mit insgesamt ca neun Wochenstunden und an drei Tagen in der Woche mit täglich fünf Stunden im werkstatteigenen Keramik-Laden
beschäftigt.
Am 19. November 2013 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Damit hat sie die Durchführung eines Trainings ihrer Belastbarkeit angestrebt, um mehr als fünf bis zu acht Stunden arbeitstäglich
erreichen oder ggf eine Umschulung oder Weiterbildung absolvieren zu können. Ihrer Meinung nach sei sie durch ihre derzeitige
Tätigkeit bei den G Werkstätten (im Keramik-Laden) unterfordert. Die Bürotätigkeit bei der I GmbH sei auf ca. vier Stunden
pro Arbeitstag begrenzt, weil der Arbeitgeber nicht genügend Arbeit habe. Eine Steigerung oder Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit
könne dadurch nicht erreicht werden. Sie habe das BTZ T besichtigt; das gefalle ihr.
Mit Bescheid vom 10. März 2014 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Die Leistungsfähigkeit der Klägerin könne durch
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden. Den dagegen gerichteten
Widerspruch vom 24. März 2014 begründete die Klägerin damit, dass sich ihr Gesundheitszustand verbessert habe. Dies zeige
sich in der Reduzierung des GdB. Es sei auch auf die bisherigen Leistungen zur Teilhabe zurückzuführen. Eine weitere Steigerung
(Training) fördere die Erwerbsfähigkeit. Um eine reale Einschätzung ihres Leistungsvermögens zu ermöglichen, sei eine Vorstellung
bei einem Gutachter erwünscht.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. Mai 2014 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass das
Leistungsvermögen der Klägerin auf unter drei Stunden täglich gesunken sei, so dass sie erwerbsgemindert sei. Die Erwerbsminderung
könne durch die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht beseitigt werden.
Hiergegen hat die Kläger am 28. Mai 2014 Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) erhoben.
Das Sozialgericht hat die Befundberichte des behandelnden Allgemeinmediziners Dr. F vom 6. November 2014 und des behandelnden
Nervenarztes Dr. M vom 24. Oktober 2014 sowie das schriftliche Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie und
Psychotherapie Dr. U vom 21. Juli 2014 eingeholt und den Bericht der G Werkstätten (Herr S) vom 5. Oktober 2015 beigezogen.
Wegen der Ergebnisse der bezeichneten Beweiserhebungen durch das Sozialgericht wird gemäß §§
153 Abs
1,
136 Abs
2 SGG auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
Das Sozialgericht Frankfurt (Oder) hat mit Urteil vom 13. Mai 2016 die Beklagte antragsgemäß unter Aufhebung des Bescheides
vom 10. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 7. Mai 2014 verpflichtet, den Antrag der Klägerin auf Gewährung
von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Rechtsgrundlagen
des klägerischen Anspruches seien die §§
9 Abs
1 und Abs
2,
SGB VI, 33
SGB IX. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften seien im Falle der Klägerin erfüllt. Unstreitig sei die Erwerbsfähigkeit der Klägerin
gemindert. Dies stehe auch auf Grund der Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen fest. Dieser komme zu dem Ergebnis,
dass die Klägerin unter Berücksichtigung von qualitativen Leistungseinschränkungen in der Lage sei, drei bis unter sechs Stunden
täglich zu arbeiten. Er habe ferner festgestellt, dass die Klägerin aufgrund der erfolgten Behandlungen mittlerweile ausreichend
stabil sei, um den nächsten Schritt zu gehen und die tägliche Belastbarkeit zu steigern. Für Steigerung und Stabilisierung
ihrer Belastbarkeit benötige die Klägerin andere Angebote und Strukturen. Die Klägerin sei für eine Maßnahme sehr motiviert.
Die Befunde seien seit sechs Jahren stabil. Aufgrund der gutachterlichen Feststellungen über das verbliebene Restleistungsvermögen
der Klägerin bestanden für die Kammer keine Zweifel an der Rehabilitationsfähigkeit der Klägerin, also daran, dass deren verminderte
Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben voraussichtlich wiederhergestellt werden könne. Die Beklagte
sei daher nunmehr verpflichtet, unter Beteiligung der Klägerin und in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens aus dem umfangreichen
Katalog von in Betracht kommenden Maßnahmen eine geeignete Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben auszuwählen und zu gewähren.
Hinsichtlich des "Wie" der Leistung zur Teilhabe, also deren Auswahl, liege die Gewährung im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten.
Bei der Auswahl zu berücksichtigen seien dabei gemäß §
33 Abs
4 SGB IX Eignung, Neigung und bisherige Tätigkeit der Klägerin.
Gegen das Urteil wendet sich die Beklagte mit der am 16. Juni 2016 eingelegten Berufung. Der sozialmedizinische Dienst habe
dem Gutachten des sozialgerichtlichen Sachverständigen nicht folgen können, weil das festgestellte Leistungsvermögen nicht
ausreichend herausgearbeitet worden sei. Aus dem Bericht der Werkstätten sei ein 3-bis unter 6-stündiges Leistungsvermögen
nicht ableitbar. Der Bericht zeige, dass es sich um einen geschützten Arbeitsplatz handele und ein sechsstündiges Leistungsvermögen
nicht ableitbar sei. Der Bericht sei dem Sachverständigen nicht vorgelegt worden. Er zeige aber, dass dem Gutachten nicht
gefolgt werden könne.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 13. Mai 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter gemäß §
155 Abs
3,
4 SGG erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten,
der Niederschrift sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten gemäß §§
153, Abs
1,
136 Abs
2 SGG Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann gemäß §
155 Abs
3,
4 SGG durch den Berichterstatter entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu erklärt haben, der Fall keine besonderen
Schwierigkeiten in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht aufweist. Die erforderliche Ermessensentscheidung (BSG, Urteil vom 07.08.2014, B 13 R 37/13 R, RdNr 13 mwN) berücksichtigt dabei insbesondere, dass die Beweiswürdigung keine besonderen Schwierigkeiten aufwirft. In
rechtlicher Hinsicht sind die der Entscheidung zugrunde zu legenden Maßstäbe durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
geklärt. Die Ermessensausübung hat zudem den Zweck der Regelung beachtet, zu einer Straffung des Verfahrens und einer Entlastung
des LSG beizutragen, ohne den Anspruch der Beteiligten auf einen angemessenen Rechtsschutz zu vernachlässigen (vgl die Begründung
des Entwurfs eines Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege, BT-Drs 12/1217 S 53 - zu Nr 9 - §
155 SGG; BSG, Urteil vom 07.08.2014, B 13 R 37/13 R, RdNr 14).
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht die Beklagte verpflichtet, den Antrag
der Klägerin auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Ablehnung von Teilhabeleistungen im Bescheid der Beklagten vom 10. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchbescheides
vom 7. Mai 2014 erweist sich als rechtswidrig. Die Klägerin hat Anspruch auf Teilhabeleistungen und auf pflichtgemäße Ausübung
des Auswahlermessens. Dies folgt sowohl aus den rentenrechtlichen wie auch aus den arbeitsförderungsrechtlichen Vorgaben des
Teilhaberechts.
Nach §
9 Abs
1 und Abs
2 SGB VI erbringt die Rentenversicherung u. a. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Für Leistungen zur Teilhabe haben Versicherte nach §
10 Abs
1 SGB VI die persönlichen Voraussetzungen erfüllt, 1. deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer
Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und 2. bei denen voraussichtlich a) bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit
eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet
werden kann, b) bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe
am Arbeitsleben wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden
kann, c) bei teilweiser Erwerbsminderung ohne Aussicht auf eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit der Arbeitsplatz
durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten werden kann.
Der Begriff der im Gesetz nicht definierten Erwerbsfähigkeit ist als Fähigkeit des Versicherten zu verstehen, seinen bisherigen
Beruf oder seine bisherige Tätigkeit weiter ausüben zu können. Nicht hingegen sind die Kriterien anwendbar, die für die Erfüllung
der Leistungsvoraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung maßgebend sind (Bundessozialgericht - BSG, Urteil vom 17. Oktober 2006 - B 5 RJ 15/05 R, zitiert nach juris; BSG, Urteil vom 29. März 2006 - B 13 RJ 37/05 R, abgedruckt in SozR 4-2600 § 10 Nr. 1 bezogen auf eine Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit). Daher genügt schon
eine Minderung oder Gefährdung der Erwerbsfähigkeit allein in dem bisherigen Beruf des Versicherten (BSG, Urteil vom 24.06.1980, 1 RA 51/79, abgedruckt in SozR 2200 § 1237 Nr. 15 = BSGE 50, 156). Bisheriger Beruf ist in der Regel die letzte, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung
oder Tätigkeit, jedenfalls dann, wenn diese zugleich die qualitativ höchste ist (BSG, Urteil vom 30.10.1985, 4a RJ 53/84, abgedruckt in SozR 2200 § 1246 Nr. 130 zur insoweit wortgleichen, bis zum 31.12.2000
geltenden Vorschrift des §
43 Abs
2 SGB VI). Dabei bleiben allerdings individuelle Gegebenheiten einzelner Arbeitsplätze außer Betracht (BSG, Urteil vom 20.01.1976, 5/12 RJ 132/75, abgedruckt in BSGE 41, 129).
Die Träger der Rentenversicherung erbringen die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach den §§
33 bis
38 SGB IX sowie im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich der Werkstätten für behinderte Menschen nach §
40 SGB IX (§
16 SGB VI).
Nach §
33 Abs
1 SGB IX werden zur Teilhabe am Arbeitsleben die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von
Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen
und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Der Begriff der Erwerbsfähigkeit im Sinne des §
33 Abs
1 SGB IX bestimmt sich dabei gleichfalls nach dem im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung geltenden Begriff. Bei beeinträchtigter
Erwerbsfähigkeit kommen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Betracht, wenn damit das Rehabilitationsziel erreichbar
erscheint (Majerski-Pahlen in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen,
SGB IX, Beck- online, 12. Auflage 2010, §
33, RdNr 4).
Für Leistungen zur Teilhabe haben nach §
11 Abs
1 Nr
2 SGB VI Versicherte die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, die bei Antragstellung eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
beziehen.
Diese Voraussetzungen sind im Falle der Klägerin erfüllt. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach §
11 Abs
1 Nr
2 SGB VI sind erfüllt, denn die Klägerin bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Entgegen der Auffassung der Beklagten sind bei der Klägerin auch die persönlichen Voraussetzungen erfüllt. Die Erwerbsfähigkeit
der Klägerin ist im Sinne von §
10 Abs
1 Nr
1 SGB VI gemindert. Dies ergibt sich sowohl aus dem Gutachten des Sachverständigen des Sozialgerichts wie auch aus der Bewilligung
einer vollen Erwerbsminderungsrente und von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in einer Werkstatt für behinderte Menschen.
Daher ist dieser Umstand zutreffend zwischen den Beteiligten nicht strittig. Somit muss nicht des Näheren geklärt werden,
was der maßgebliche Bezugsberuf für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeitsminderung ist.
Zur Überzeugung des Senats kann gemäß §
10 Abs
1 Nr
2b)
SGB VI die geminderte Erwerbsfähigkeit der Klägerin durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gebessert oder zumindest
hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden. Dies ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen
des Sozialgerichts und aus der Stellungnahme der Werkstatt.
Für die Besserung der Erwerbsfähigkeit und für die Abwendung einer Verschlechterung ist nicht vorrangig die Beurteilung der
Erwerbsfähigkeit ausgehend vom Bezugsberuf, sondern vom gegenwärtigen Stand der Leistungsfähigkeit des Versicherten maßgeblich.
Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es angesichts der bereits angesprochenen ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung
für die Frage einer wesentlichen Besserung der Erwerbsfähigkeit nicht auf Maßstäbe an, die im Zusammenhang mit der Entscheidung
über Erwerbsminderungsrenten eine Rolle spielen. Abgesehen davon dass für die Auslegung dieser rentenrechtlichen Vorgaben
die als Bundesrecht geltenden Bestimmungen der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BMRK) heranzuziehen
sind, folgt bereits aus den rentenrechtlichen Zusammenhängen, dass die Aufnahme oder zeitliche Ausweitung einer sozialversicherungsrechtlichen
Beschäftigung als wesentliche Besserung zu verstehen ist. Dabei ist unter Berücksichtigung der Vorgaben des
SGB VI,
SGB XI und der UN-BMRK zu berücksichtigen, dass es nicht auf eine unterstützungslose Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt ankommt,
sondern dass bereits eine behindertengerechte Ausgestaltung der Beschäftigung durch behinderten- und leidensgerechte Abläufe,
technische Einrichtungen, die den Arbeitsplatz behindertengerecht werden lassen, und persönliche Unterstützung Maßstab der
Beurteilung ist. Nach Art 27 Abs 1 Satz 1 UN-BMRK erkennt die Bundesrepublik das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen
auf Arbeit an; dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem
offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen
wird. Satz 2 Nr h und i etwa verlangen von den Vertragsstaaten die Gewährleistung des Rechts auf Arbeit u.a. durch die Förderung
von Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen im privaten Sektor durch geeignete Strategien und Maßnahmen, wozu auch Programme
für positive Maßnahmen, Anreize und andere Maßnahmen gehören können; zudem ist sicherzustellen, dass am Arbeitsplatzangemessene
Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen getroffen werden. Sowohl nach der UN-BMRK wie auch nach dem bundesdeutschen Teilhaberecht
gilt der Vorrang der Integration in das Erwerbsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten (§
4 Abs
1 Nr
3 SGB IX) vor bloßer "Beschäftigungstherapie".
Dementsprechend sieht das bundesdeutsche rentenrechtliche Teilhaberecht ausdrücklich entsprechende Leistungen auch für die
Erlangung eines Arbeitsplatzes und nicht lediglich Vermittlungsleistungen vor: beispielsweise §§ 33 Abs 2 Nr 1, Nr 6, Abs
6 Nr 5, 7, Abs 8 Nr
2,
3,
4,
5,
34 Abs
1 Nr
2 und
4 SGB IX, die sämtlich für Leistungen nach §§
16 SGB VI durch den Rentenversicherungsträger gelten und keine abschließenden Aufzählungen darstellen. Bei psychischen Erkrankungen
ist ggf die Beschäftigung durch flankierende psychiatrische, psychologische Hilfen als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
(nicht als Krankenbehandlung durch die Krankenkasse oder medizinische Rehabilitation) wegen §
33 Abs
6 SGB IX zu begleiten. Dabei kommt es - anders als im engen Recht der Erwerbsminderungsrenten - nicht auf bloße Verweisbarkeit, auf
einfache und leichte Arbeiten auf dem Arbeitsmarkt, sondern um wirksame, tatsächliche Integration in das Erwerbsleben an,
so dass auch die Qualifizierungs- und Schulungsangebote des Gesetzes (§
33 Abs
2 Nr
3 und
4 SGB IX) vor dem Hintergrund der Vorgabe von Art 27 Abs 1 Satz 2 lit e) UN-BMRK der Förderung des beruflichen Aufstiegs auf dem Arbeitsmarkt zu verstehen sind.
Vor diesem Hintergrund erweist sich der Ansatz der Beklagten als nicht nachvollziehbar, Leistungen der Teilhabe zu verweigern,
weil aus ihrer Sicht ein mehr als täglich dreistündiges Arbeiten nicht zu erwarten sei. Dieser Ansatz findet schon im Tatsächlichen
des Falles der Klägerin keinerlei Grundlage. Die Beschäftigung der Klägerin bei der I GmbH ist eine behinderungsgerechte Tätigkeit
auf dem ersten Arbeitsmarkt. Deren Ausdehnung an den betrieblichen Erfordernissen scheitert. Trotz unterstützender Zuarbeiten
und Vorgaben arbeitet die Klägerin auch im Laden der Werkstatt weitgehend selbständig. Sie kommt insgesamt auf 24 Stunden
wöchentlich. Dies bedeutet ein fast fünfstündiges tägliches Arbeitspensum trotz Pausen und der gebotenen Unterstützung und
der Möglichkeiten, auch mal verspätet zur Arbeit zu erscheinen. Der überzeugende Bericht der Werkstatt führt aus, dass die
Tätigkeiten der Klägerin das höchste Niveau besitzen, das Werkstätten für behinderte Menschen zu bieten haben.
Vor diesem tatsächlichen Hintergrund erscheint es nicht nachvollziehbar, wieso die Klägerin unter Ausschöpfung der gesamten
gesetzlich vorgesehenen Förderungsmöglichkeiten an sie und einen Arbeitgeber nicht einen Halbtagsarbeitsplatz ausfüllen können
soll und jegliche Perspektive für zeitliche Steigerungen fehlen sollen. Die von der Beklagten als Beleg dafür, dass die Klägerin
auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht einsetzbar sei, angeführten Unterstützungsmaßnahmen seitens der Beschäftigungsstellen sind
im Sinne der gesetzlichen Vorgaben als typische Förderleistungen für einen behindertengerechten Arbeitsplatz anzusehen, wobei
es auf die Bewertung des typisierenden Gesetzgebers und nicht auf die Realität des Arbeitsmarktes ohne entsprechende gesetzeskonforme
Förderungen ankommt.
Der Sachverständige des Sozialgerichts kommt unter differenzierender Bewertung der Kompetenzen und des Unterstützungsbedarfs
der Klägerin ebenfalls zu einer deutlich günstigeren Prognose. Auch er geht unter sorgfältiger Auswertung der Krankheitsgeschichte
davon aus, dass unter Berücksichtigung der eingetretenen Stabilisierung ein über sechsstündiges Leistungsvermögen auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt nach und bei entsprechender Förderung in absehbarer Zeit zu erreichen ist. Es betrage derzeit mehr
als drei bis unter sechs Stunden. Überzeugend führt der Sachverständige aus, dass nicht von einem Dauerzustand auszugehen
sei. Bei einer rezidivierenden depressiven Störung bzw. einer schizoaffektiven Störung handele es sich jeweils um eine rezidivierende,
d.h. wiederkehrende psychiatrische Störung, die häufig folgenlos ohne schwerwiegende Residuen abheile und mit symptomfreien
Intervallen einhergehe. Die Klägerin erfahre eine kontinuierliche, wirksame und leitlinienkonforme psychiatrische Behandlung,
die seit 2009 erfolgreich dazu beigetragen habe, Rezidive zu vermeiden und zu einer zunehmenden Stabilisierung des Gesundheitszustandes
geführt habe. Dies hätten nicht nur die Klägerin, sondern auch der Hausarzt und der behandelnde Psychiater bestätigt. Darüber
hinaus nehme die Klägerin eine ambulante Psychotherapie in Anspruch. Die Krankheitseinsicht und Behandlungsbereitschaft der
Klägerin seien gut und ungestört. Eine Veränderung der Medikation oder der anderen Behandlungen, eine stationäre oder teilstationäre
Behandlung oder eine medizinische Rehabilitation seien aktuell nicht erforderlich bzw indiziert. Notwendig sei eine Fortsetzung
der stufenweisen Belastungssteigerung, die in der geschützten Werkstatt begonnen worden sei. Mittlerweile benötige die Klägerin
andere Angebote und Strukturen, um ihre Belastbarkeit weiter zu steigern und zu stabilisieren. Dafür seien Leistungen zur
Teilhabe am Arbeitsleben erforderlich und geeignet.
Dies wird durch den Bericht der Werkstatt bestätigt. Zudem verdient der Aspekt Beachtung, dass der Sachverständige unter eingehender
Beleuchtung der Entwicklung des Krankheitsgeschehens und Auswertung der dabei zu verzeichnenden besonderen Krisensituationen
die Gefahr einer Verschlimmerung der Gesundheit der Klägerin (depressive Dekompensation) und deren Leistungsvermögens für
den Fall sieht, dass der Klägerin keine berufliche Perspektive eröffnet werde. Damit diene Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
auch der Abwendung einer Verschlimmerung der bestehenden Erwerbsfähigkeit.
Die Voraussetzungen für Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben sind daher erfüllt, die Leistungen erweisen sich vielmehr
als notwendig. Die Klägerin hat Anspruch darauf. Weil die Beklagte für die Arbeit der Klägerin in der Werkstatt nicht der
zuständige Rehabilitationsträger ist (§§
16 SGB VI und 42 Abs
2 SGB IX), war ein neuer Antrag zulässig (vgl §
115 Abs
4 SGB VI, wonach die Leistungen auch von Amts wegen angeboten und erbracht werden können), um in der bereits bestehenden längerdauernden
Situation die Prüfung neuer Leistungen, die den Werkstattbereich verlassen können, auszulösen.
Für die Entscheidung ist die Beklagte zuständig, nicht nur, weil es der Klägerin darum geht, Leistungen zu erlangen, die gerade
nicht den Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen betreffen, sondern weil die Beklagte den Antrag ohne Abgabe
an einen anderen Rehabilitationsträger bearbeitet hat und dadurch nach §
14 SGB IX im Verhältnis zur Klägerin umfassend zuständig geworden ist.
Nach inzwischen ständiger spartenübergreifender, höchstrichterlicher Rechtsprechung zum Umfang der Klärung der Voraussetzungen
und des Leistungsumfangs von Teilhabeleistungen durch den nach §
14 SGB IX zuständigen Rehabilitationsträger regelt §
14 SGB IX ausschließlich und abschließend die Zuständigkeit des Rehabilitationsträgers im Außenverhältnis zum Berechtigten. Der Rehabilitationsträger,
der seine Zuständigkeit zutreffend bejaht, wird umfassend für die Rehabilitation zuständig, auch soweit diese über das in
seinem Leistungsrecht vorgesehene Leistungsspektrum bzw. den möglichen Leistungsumfang hinaus geht, und hat demnach sämtliche
Leistungsbereiche, auch anderer Sozialversicherungs- und Sozialrechtssparten mitzuprüfen. Dabei hat er mit den anderen Leistungsträgern
zusammenzuarbeiten. Geht der geltend gemachte Anspruch über den originären Leistungsbereich des somit nach §
14 SGB IX allein zuständigen Rehabilitationsträgers hinaus und kommen deshalb Ansprüche aus einem anderen Sozialrechtsgebiet in Betracht,
ist auch im Gerichtsverfahren eine umfassende Prüfung durch das Gericht vorzunehmen und der danach im Innenverhältnis zuständige
Leistungsträger beizuladen (Urteile des BSG vom 11.05.2011, B 5 R 54/10 R, vom 18.05.2011, B 3 KR 10/10 R und vom 14.05.2014 B 11 AL 6/13 R).
Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass der Anspruch der Klägerin auf Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben auch nach
den Vorgaben des
SGB III, insbesondere §§
19 und
112 ff
SGB III zu prüfen war. Trotz der Vereinheitlichung des Teilhaberechts durch die Vorschriften des
SGB IX sind die unterschiedlichen Zielrichtungen der einzelnen Sozialrechtsgebiete zu beachten. Dies bedeutet hier den besonderen
Eingliederungsauftrag für die Arbeitsverwaltung bei länger anhaltender Entfernung behinderter Menschen vom Arbeitsmarkt zu
beachten. §
112 SGB III regelt insofern einen besonderen Eingliederungsauftrag, der dem erwünschten Erfolg einer tatsächlichen Integration in das
Arbeitsleben auch unabhängig von einer an die bisherige Berufstätigkeit anknüpfende Erwerbsfähigkeit ausdrücklich bezweckt.
Die Voraussetzungen des §
112 SGB III sind erfüllt, denn die erwerbsgeminderte Klägerin ist behindert im Sinne des §
19 SGB III und Art und Schwere der Behinderung erfordern Teilhabeleistungen, um die Erwerbsfähigkeit zu erhalten und zu verbessern.
Dazu kann auf die bereits erfolgten Ausführungen verwiesen werden.
Da sich der Anspruch auf Teilhabeleistungen bereits aus den rentenrechtlichen Vorgaben herleitet und das rentenrechtliche
Teilhaberecht ein sehr umfangreiches System an Leistungen zur Verfügung stellt, die im Rahmen des Auswahlermessens durch die
gegenüber der Klägerin allein zuständige Beklagte zu bewerten sind, und nicht feststeht, dass nur Leistungen aus dem Leistungsspektrum
der Bundesagentur für Arbeit in Frage kämen, war letztere nicht beizuladen. Sofern allerdings die nunmehr unter Beachtung
der gesetzlichen Zwecke erfolgende Ermessensbetätigung Leistungen gerade aus dem Verantwortungs- und Kompetenzbereich der
Bundesagentur sinnvoll erscheinen lassen sollte, ist diese in das Verwaltungsverfahren einzubeziehen, über die sicherlich
ohnehin sinnvolle Beteiligung nach §§
16 SGB VI, 38
SGB IX und nach §
10 SGB IX hinaus. Dies gilt insbesondere, falls eine unterstützte Beschäftigung (§§
33 Abs
3 Nr
2a,
38a SGB IX) in Betracht kommen sollte.
Das Verfahren nach §
10 SGB IX wird zu beachten sein, insbesondere, wenn die Leistungen medizinisch zu begleiten sind oder sonstige Leistungen (Fahrtkosten)
im Raume stehen - die Klägerin hat das BTZ T ins Spiel gebracht. Sind die Voraussetzungen für das Auswahlermessen gegeben,
kann dieses nur sachgerecht ausgeübt werden, wenn die Teilhabedarfe und -ziele und die konkreten Möglichkeiten auch des Arbeitsmarktes,
ggf bei gestuftem Vorgehen kompetent herausgearbeitet werden, wie dies von §
10 SGB IX vorgesehen ist. Zudem ist von der Beklagten zu bedenken, dass der Klägerin wegen §
9 SGB IX ein Wunsch- und Wahlrecht zusteht, das sie angemessen nur ausüben können wird, wenn sie zunächst im Hinblick auf die Teilhabedarfe
und -ziele kompetent beraten worden ist. Die Regelung dient insbesondere der Wirtschaftlichkeit der Teilhabeleistungen, weil
ein Teilhabeerfolg bei Ausnutzung der Eigenmotivation des behinderten Menschen deutlich effektiver zu erreichen ist. Dass
die Neigungen und Fähigkeiten der Klägerin zwingend zu berücksichtigen sind, wurde bereits zutreffend vom Sozialgericht angesprochen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs
1 SGG und berücksichtigt die Erfolglosigkeit der Berufung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG) nicht vorliegen.