Rentenversicherung
Feststellung von Kindererziehungszeiten
Zurücklegung von Versicherungszeiten sowohl vor als auch nach der Geburt des Kindes aufgrund einer Berufstätigkeit
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung von Kindererziehungszeiten für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Oktober 2004
und von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung im Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis zum 28. Februar 2009.
Die 1971 in Spanien geborene Klägerin ist spanische Staatsbürgerin und im September 1994 in die Bundesrepublik Deutschland
eingereist. Ab November 1995 übte sie verschiedene versicherungspflichtige Tätigkeiten im Bundesgebiet aus, zuletzt vom 1.
September 1998 bis 31. Juli 1999 bei der Cbank in F/M. Im September 1998 heiratete sie in F den deutschen Staatsbürger R O,
mit dem sie zwei gemeinsame Kinder, die 1999 geborene Tochter A und den 2001 in Barcelona geborenen Sohn D hat. Die Klägerin
hielt sich seit 24. Oktober 2001 in Spanien auf.
Der Ehemann der Klägerin war bis Dezember 2001 in Deutschland für die Einzelhandelskette L versicherungspflichtig beschäftigt
und ab Januar 2002 in Spanien für die Einzelhandelskette L tätig. Es bestand für die Zeit ab Januar 2002 ein Arbeitsvertrag
mit L Spanien; Sozialversicherungsbeiträge wurden nach spanischem Recht entrichtet. Bei diesem Beschäftigungsverhältnis handelte
es sich nicht um eine Entsendung im Sinne des
Vierten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IV).
Am 6. August 2008 beantragte die Klägerin die Feststellung von Kindererziehungszeiten sowie Berücksichtigungszeiten wegen
Kindererziehung.
Mit Bescheid vom 29. April 2009 merkte die Beklagte die Zeit vom 1. Oktober 1999 bis 30. September 2002 als Kindererziehungszeit
(für die Erziehung der Tochter) sowie die Zeit vom 16. September 1999 bis zum 31. Juli 2008 als Berücksichtigungszeit wegen
Kindererziehung (für die Erziehung der Tochter) vor, lehnte jedoch die Anerkennung der Zeit vom 1. November 2001 bis zum 31.
Oktober 2004 als Kindererziehungszeit (für die Erziehung des Sohnes) sowie die Zeit vom 24. Oktober 2001 bis zum 28. Februar
2009 als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung (für die Erziehung des Sohnes) ab und führte insoweit zur Begründung
aus, eine Anerkennung könne nicht stattfinden, da das Kind in dieser Zeit im Ausland erzogen worden sei.
Den dagegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 2010 zurück und führte zur Begründung
unter anderem aus, die Klägerin und ihre Kinder hätten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Zeit ab November 2001 durchgehend
in Spanien gehabt. Weder sie noch ihr Ehegatte habe unmittelbar vor der Geburt der Kinder oder während der im Ausland zurückgelegten
Kindererziehungszeiten bzw. -berücksichtigungszeiten Pflichtbeitragszeiten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung
aufgrund einer in Spanien ausgeübten Beschäftigung zurückgelegt. Die Voraussetzungen einer Entsendung und eines Rumpfarbeitsverhältnisses
im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts könnten für die Auslandsbeschäftigung des Ehemannes der Klägerin in Spanien
nicht bestätigt werden. Eine Integration in die deutsche Arbeits- und Erwerbswelt habe während des Auslandsaufenthaltes nicht
vorgelegen.
Die anschließende Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 18. Juli 2013 abgewiesen und zur Begründung unter anderem
ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Vormerkung von Zeiten der Erziehung ihres Sohnes. Gemäß §
56 Abs.
1 des
Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VI) würden Kindererziehungszeiten angerechnet, wenn die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzurechnen sei, eine Erziehung im
Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt sei oder einer solchen gleichstehe und der Elternteil nicht von der Anrechnung
ausgeschlossen sei. Im Fall der Klägerin stehe der Anrechnung einer Kindererziehungszeit entgegen, dass die Erziehung des
Sohnes in Spanien erfolgt sei. Der Sohn der Klägerin sei in Spanien zur Welt gekommen und sei seither von der Klägerin dort
erzogen worden. Zwar habe die Klägerin in ihrem Antrag zunächst noch erklärt, das Kind ab dem 1. Januar 2002 in Spanien erzogen
zu haben, doch habe sie später ihren Aufenthalt in Spanien für die Zeit ab dem 24. Oktober 2001 angegeben. Auch in einer später
von der Beklagten erbetenen Klarstellung habe die Klägerin angegeben, sich ab Oktober 2001 in Spanien aufgehalten zu haben.
Die Erziehung in Spanien sei einer Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik auch nicht gemäß §
56 Abs.
3 S. 2
SGB VI gleichgestellt. Danach stehe es einer Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gleich, wenn der erziehende Elternteil
sich mit seinem Kind im Ausland gewöhnlich aufgehalten habe und während der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt des
Kindes wegen einer dort ausgeübten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit Pflichtbeitragszeiten entrichtet habe. Bei einem
gemeinsamen Aufenthalt von Ehegatten im Ausland gelte dies auch, wenn der Ehegatte solche Pflichtbeitragszeiten habe. Diese
Voraussetzungen lägen bei der Klägerin nicht vor. Sie habe in Spanien keine Beschäftigung ausgeübt, derentwegen sie Pflichtbeiträge
zur deutschen Rentenversicherung entrichtet habe. Auch ihr Ehemann habe eine solche Beschäftigung in Spanien nicht ausgeübt.
Die vom Ehemann der Klägerin in Deutschland ausgeübte Beschäftigung sei auch nicht geeignet, die Anrechenbarkeit von Kindererziehungszeiten
oder Berücksichtigungszeiten gemäß §
57 SGB VI für die Klägerin zu vermitteln. §
56 Abs.
3 Satz 2
SGB VI verlange ausdrücklich eine Beschäftigung im Ausland. Im Fall der Klägerin zwinge auch das Europarecht nicht zu einer anderen
Beurteilung. Die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 23. November 2000 (C 135/99) sei auf den Fall der Klägerin nicht übertragbar. Der EuGH habe dort entschieden, dass gemäß Art. 13 Satz 2 a der Verordnung
Nr. 1408/71 für die Anrechnung von Erziehungszeiten für ein Kind, das geboren wurde, als der Elternteil in einem Mitgliedstaat
berufstätig gewesen sei und deshalb dessen Recht der sozialen Sicherheit unterlegen habe, dieses Recht weiterhin anwendbar
bleibe. Bei Anwendung deutschen Rechts komme es durch die Anknüpfung an den Wohnsitz in Deutschland bei der Berücksichtigung
von Kindererziehungszeiten zu einer Benachteiligung von Gemeinschaftsangehörigen, die weiterhin in Deutschland arbeiten durch
die Verlegung ihres Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat. Deswegen seien Kindererziehungszeiten für eine zur Zeit der
Geburt des Kindes als Grenzgängerin in einem Mitgliedstaat beschäftigte Person, die in einem anderen Mitgliedstaat wohne,
für die Gewährung einer Altersrente im Staate der Beschäftigung anzurechnen. Die Klägerin sei jedoch zur Zeit der Geburt ihres
Sohnes nicht als Grenzgängerin in Deutschland beschäftigt gewesen. Sie habe ihren letzten Pflichtbeitrag aus einer Beschäftigung
im Juli 1999 entrichtet. Sie habe auch nicht während der Erziehung aufgrund einer Beschäftigung erneut Pflichtbeitragszeiten
in der deutschen Rentenversicherung zurückgelegt. Auch der vom Landessozialgericht Baden-Württemberg am 29. April 2010 entschiedene
Fall (L 10 R 3082/07) unterscheide sich von dem hier zu entscheidenden Sachverhalt. Im dortigen Verfahren seien die Kinder bereits in Deutschland
zur Welt gekommen und erst später habe die Familie ihren Wohnsitz ins Ausland verlagert. Die dortige Klägerin habe später
während der Erziehungszeiten eine versicherungspflichtige Tätigkeit in Deutschland ausgeübt. Sie habe damit eine sehr viel
engere Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt und Sozialversicherungssystem gehabt als die Klägerin.
Gegen das ihr am 1. August 2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13. August 2013 Berufung beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
eingelegt und ihr Begehren weiter verfolgt.
Mit Beschluss vom 16. März 2016 ist der Ehemann der Klägerin zum Verfahren beigeladen worden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Juli 2013 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 29. April 2009 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 8. Juni 2010 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom 01. Januar 2002 bis zum
31. Oktober 2004 als Kindererziehungszeit und die Zeit vom 01. Januar 2002 bis zum 28. Februar 2009 als Berücksichtigungszeit
wegen Kindererziehung festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsstreits wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge
der Beklagten (sowohl die Klägerin als auch den Beigeladenen betreffend) sowie der Gerichtsakte verwiesen, der Gegenstand
der Beratung und Entscheidung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gemäß §
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, denn die Beteiligten haben sich mit Schreiben vom 7. bzw. 12. Oktober 2015 mit dieser
Verfahrensweise einverstanden erklärt.
Die Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft sowie form- und fristgerecht erhoben worden.
Sie ist jedoch nicht begründet, da die Klägerin keinen Anspruch auf Vormerkung der Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Oktober
2004 als Kindererziehungszeit sowie der Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 28. Februar 2009 als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung
hat.
Zu Recht hat das Sozialgericht Berlin die Anerkennung dieser Zeiten abgelehnt. Der Senat verweist gemäß §
153 Abs.
2 SGG auf die zutreffenden, alle rechtlichen und tatsächlichen Aspekte unter Nennung der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur
nennenden und diskutierenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung, denn er weist die Berufung aus diesen Gründen zurück.
Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass - worauf das Sozialgericht im Hinblick auf das Verfahren C-135/99 (Elsen) bereits hingewiesen hatte - vorliegend auch aus den anderen Urteilen des Europäischen Gerichtshofs vom 7. Februar
2002 in dem Verfahren C-28/00 (Kauer) oder vom 19. Juli 2012 in dem Verfahren C-522/10 (Reichel-Albert) nichts anderes folgt, denn die vom EuGH entschiedenen Verfahren unterscheiden sich von dem vorliegenden.
Während in dem Verfahren Elsen (C-135/99) die dortige Klägerin zur Zeit der Geburt des Kindes in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt war und als Grenzgängerin
lediglich in einem anderen Mitgliedstaat wohnte, haben die (zwischenzeitlich) in einem anderen Mitgliedstaat lebenden und
dort ihre Kinder erziehenden Klägerinnen des Verfahrens Reichel-Albert (C-522/10) sowie des Verfahrens Kauer (C-28/00) Beiträge zur deutschen Rentenversicherung sowohl vor als auch nach der Geburt gezahlt.
Die Klägerin im vorliegenden Verfahren hat jedoch ihren Sohn nicht als Grenzgängerin in der Bundessrepublik Deutschlang geboren
und (bisher) lediglich Beiträge vor der Geburt ihres Sohnes zur deutschen Rentenversicherung gezahlt. Für eine Vergleichbarkeit
des vorliegenden Falles fehlt es damit an der Zahlung von Beiträgen nach der Geburt des Sohnes zur deutschen Rentenversicherung.
Die vom EuGH entschiedenen Verfahren unterscheiden sich damit sämtlich dadurch, dass die dortigen Klägerinnen in dem Staat,
von dem sie die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten verlangten - in mehr oder weniger engem zeitlichen Zusammenhang
mit dem Beginn der Kindererziehungszeiten - Pflichtbeitragszeiten zum Rentenversicherungssystem des in Anspruch genommenen
Staates zurückgelegt hatten und/oder ihre Kinder in der Bundesrepublik Deutschland geboren hatten und zum Zeitpunkt der Geburt
Grenzgänger waren. Hieraus schloss der EuGH, dass, wenn eine Person, die ausschließlich in ein und demselben Mitgliedstaat
gearbeitet und Beiträge gezahlt hat, und zwar sowohl vor als auch nach der vorübergehenden Verlegung ihres Wohnsitzes aus
rein familiären Gründen in einen anderen Mitgliedstaat, in dem sie zu keiner Zeit gearbeitet oder Beiträge gezahlt hat, davon
auszugehen ist, dass zwischen diesen Kindererziehungszeiten und den Versicherungszeiten, die aufgrund einer Berufstätigkeit
im erstgenannten Mitgliedstaat zurückgelegt worden sind, eine hinreichende Verbindung besteht (Urteil vom 19. Juli 2012 C-522/10 Reichel-Albert Rn. 35 unter Verweis auf die Urteile Elsen C-135/99 vom 23. November 2000, Rn. 25-28 und Kauer C-28/00 vom 7. Februar 2002, Rn. 32).
Dies ist für den Senat zwar nicht zwingend (siehe zur Kritik an diesem Urteil Anmerkung zum Urteil von Dr. Bokeloh, in: ZESAR
2012, Seite 483 ff.), aber ein durchaus nachvollziehbares Kriterium. Daraus folgt dann aber auch, dass der EuGH eine hinreichende
Verbindung zwischen der von der Klägerin geltend gemachten Kindererziehungszeit und dem Rentenversicherungssystem, in dem
sie diese anerkannt haben will, verlangt, die die vorherige Zurücklegung von Versicherungszeiten sowohl vor als auch nach
der Geburt des Kindes aufgrund einer Berufstätigkeit voraussetzt. Hieran fehlt es jedoch bei der Klägerin. Sie war zum Zeitpunkt
der Geburt ihres Sohnes David weder Grenzgängerin noch kann sie Zeiten zur deutschen Rentenversicherung vor und nach der Geburt
des Sohnes nachweisen.
Der Senat hat auch keine Veranlassung gesehen, den Europäischen Gerichtshof anzurufen, denn er hält die vorliegenden Fragen
bereits für ausreichend geklärt, eine Kollision mit Europarecht ist nicht ersichtlich.
Die Berufung ist nach alledem zurückzuweisen.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG vorliegt.