Sozialversicherungspflicht des Fremdgeschäftsführers einer GmbH mit einem Verein als Alleingesellschafter
Tatbestand:
Im Streit steht ein Prüfbescheid der Beklagten, mit welchem Sozialversicherungsbeiträge für den Beigeladenen zu 1) (nachfolgend
nur noch: "der Beigeladene") in Höhe von 12.243,51 € für die Zeit vom 1. Oktober 2003 bis zum 31. Oktober 2007 nachgefordert
werden.
Die Klägerin ist eine GmbH, deren alleiniger Gesellschafter der Fe. V. ist. Dieser betreibt das B, eine F. Gemäß § 1 Nr. 3
der Satzung des Vereins ist dessen Aufgabe die Förderung der neuen Nutzung der Aals B und F sowie deren Einbindung in kulturelle
Projekte am Standort B.
Der Vorstand des Vereins besteht nach § 13 Abs. 6 der Satzung aus insgesamt neun Personen. Er führt die Geschäfte des Vereins
im Rahmen der Vereinssatzung (§ 14 Nr. 1 der Satzung).
Der geschäftsführende Vorstand besteht nach § 13 Nr. 6 der Satzung aus dem ersten Vorsitzenden, dem zweiten Vorsitzenden,
dem dritten Vorsitzenden und dem Kassenwart. Auf die Satzung des F e. V. wird ergänzend Bezug genommen.
Aufgaben der Klägerin sind die wirtschaftliche Betätigung als Ergänzung der Tätigkeit des ..., das Veranstaltungswesen, das
Marketing für das B, Souvenirverkauf, touristische Dienstleistungen und der Betrieb einer Gaststätte. Nach § 4 Nr. 4 des Gesellschaftervertrages
vom 2. September 2003 bedürfen alle Geschäfte und Handlungen, die die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft
existenziell beeinflussen oder die besonders risikobehaftet sind, der vorherigen Zustimmung der Gesellschafterversammlung.
Ein Katalog zustimmungsbedürftiger Geschäfte im Einzelnen sei Bestandteil einer Geschäftsordnung, welche die Gesellschafter
gesondert beschlössen.
Ein solcher Katalog ist aber nie aufgestellt worden.
Der Beigeladene ist Mitglied des Vereins und war nach der Gründung im Vorstand. In der streitgegenständlichen Zeit war er
bei der Klägerin als alleiniger Geschäftsführer auf der Grundlage des "GmbH-Geschäftsführervertrag auf Honorarbasis" vom 1.
Oktober 2003 tätig.
Nach § 1 Abs. 3 des GmbH-Geschäftsführervertrages führt der Geschäftsführer die Geschäfte nach Maßgabe der Gesetze, der Satzung
der Gesellschaft, der Beschlüsse der Gesellschafterversammlung sowie diesem Vertrag. Er erhält ein Jahreshonorar von 6.000,00
€, zahlbar in 12 gleichen Raten am Ende eines jeden Monats (§ 3 Abs. 1 Satz 1 GmbH-Geschäftsführervertrag). In § 4 (Nebentätigkeit)
ist geregelt, dass der Gesellschaft bekannt sei, dass der Geschäftsführer selbständiger Immobilienmakler sei und seine Arbeitskraft
nicht ausschließlich in den Dienst der Gesellschaft stellen könne. Ihm ist nach § 6 (Wettbewerbsverbot) untersagt, während
der Laufzeit des Vertrages in den Geschäftsfeldern der Gesellschaft für ein Unternehmen tätig zu werden, das mit der Gesellschaft
in direktem oder indirektem Wettbewerb steht. § 7 lautete wie folgt:
§ 7 Urlaub u. Abwesenheit
Der Geschäftsführer hat die Gesellschaft zu informieren, wenn er länger als fünf Tage urlaubs- oder krankheitsbedingt die
Geschäftsführung nicht wahrnehmen kann. Der Honoraranspruch wird dafür nicht berührt. Das gleiche gilt für andere unverschuldete
Verhinderungen.
Die Beklagte führte bei der Klägerin vom 17. November 2008 bis 28. April 2009 eine Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 Sozialgesetzbuch
Viertes Buch (
SGB IV) durch.
Mit Bescheid vom 30. Oktober 2009 forderte sie nach vorheriger Anhörung 12.243,51 € Sozialversicherungsbeiträge für den Beigeladenen
für die Zeit vom 1. Oktober 2003 bis 31. Dezember 2007 nach.
Hiergegen wandte sich die Klägerin am 30. November 2009 mit ihrem Widerspruch. Zur Begründung führte sie an, der Beigeladene
habe zwar keine Geschäftsanteile an ihr, übe aber einen beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen aus.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2010 zurück.
Die Klägerin hat hiergegen am 12. Juli 2010 Klage beim Sozialgericht Cottbus (SG) erhoben. Sie hat sich zu deren Begründung auf das Urteil des Hessischen LSG vom 23. November 2006 (Aktenzeichen L 1 KR 763/03) berufen. Sofern ein Geschäftsführer zwar formal dem Direktionsrecht der Gesellschaft unterworfen sei, faktisch aber weder
in organisatorischer und finanzieller noch in administrativer Hinsicht einem Weisungsrecht unterliege, sei er aufgrund seines
beherrschenden Einflusses auch ohne Gesellschafter zu sein als Selbständiger anzusehen. So liege der Fall hier. Der Beigeladene
führe die Gesellschaft vollständig selbständig. Er unterliege keinen Weisungen durch die Gesellschafter. Er müsse nur einmal
jährlich einen Bericht über seine Tätigkeit sowie die Geschäftsentwicklung im abgelaufenen Geschäftsjahr und die Planung für
das neue Geschäftsjahr gegenüber dem Gesellschafter, dem Förderverein, abgeben. Er sei sogar mit der Gründung der Klägerin
beauftragt gewesen.
Die Klägerin habe durch den Vereinsvorsitzenden G und den zweiten Vereinsvorsitzenden D für den Alleingesellschafter bestätigt,
dass der Beigeladene weder organisatorische oder inhaltliche Weisungen oder Weisungen zu einzelnen Geschäftsvorgängen erhalte.
Auch die Erschließung neuer Geschäftsfelder erfolge eigenverantwortlich. Während des laufenden Geschäftsjahres erfolge keine
Einmischung durch den Gesellschafter in die Geschäftsführertätigkeit.
Das SG hat mit Urteil vom 11. Juli 2011 den streitgegenständlichen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben.
Der Beigeladene sei nach der schriftlichen Stellungnahme des Gesellschafters in seiner Handlungsfreiheit völlig unbeschränkt
und könne schalten und walten wie es ihm beliebe. Er sei auch nicht in die Arbeitsorganisation eingebunden.
Die damit gegebenenfalls verbundene wirtschaftliche Unvernunft des Gesellschafters habe bei der Prüfung des sozialversicherungsrechtlichen
Beschäftigungsverhältnisses außer Betracht zu bleiben. Das Sozialversicherungsrecht habe die Entscheidungen der agierenden
Personen zu akzeptieren.
Gegen das ihr am 28. Juli 2011 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 19. August 2011. Ein Ausnahmefall,
in dem ausnahmsweise auch ein sogenannter Fremdgeschäftsführer einer GmbH nicht abhängig beschäftigt sei, liege nicht vor.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 11. Juli 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das SG habe zu Recht einen Ausnahmefall angenommen. Zu berücksichtigen sei, dass die Klägerin kein normales Wirtschaftsunternehmen
sei, sondern mit ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit die Tätigkeit des Fördervereines ergänze. Auch scheide angesichts des ursprünglichen
Jahreshonorars von 6.000,00 € eine finanzielle und damit soziale Abhängigkeit des Beigeladenen von ihr aus.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat Erfolg.
Der angefochtene Prüfbescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte
geht zutreffend von abhängiger Beschäftigung des Geschäftsführers der Klägerin, des Beigeladenen, aus:
Ermächtigungsgrundlage ist §
28 p Abs.
1 Satz 1 und 5 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV). Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung mindestens alle vier Jahre bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten
und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen,
ordnungsgemäß erfüllen. Sie setzen insoweit auch Beiträge durch Verwaltungsakt fest.
Bemessungsgrundlage für die Höhe der Beiträge abhängig Beschäftigter ist in der Renten- sowie Arbeitslosenversicherung jeweils
das Arbeitsentgelt des Beschäftigten, §
162 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI), §
342 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III). Für die Umlage U 1 für Krankheitsaufwendungen regelten in der streitgegenständlichen Zeit § 17 Lohnfortzahlungsgesetz (LFZG)sowie für das Mutterschaftsgeld U 2 § 14 LFZG die Umlagenbeitragsfestsetzung.
Der Eintritt von Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung und der Arbeitsförderung wegen Aufnahme
einer abhängigen Arbeit bestimmt sich nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB 3, §
5 Abs.
1 Nr.
1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch, §
1 Nr.
1 SGB VI und §
20 Abs.
1 Nr.
1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch.
Die für den Eintritt von Versicherungspflicht danach erforderliche Beschäftigung wird in §
7 Abs.
1 SGB IV definiert. Beschäftigung ist danach die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte
für eine Beschäftigung sind nach §
7 Abs.
1 Satz 2
SGB IV eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei Beschäftigung in einem
fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort
und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit
vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit
über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob ein Arbeitnehmer
abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit dieser
Abgrenzung: Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96 - SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Dieses bestimmt sich nach den tatsächlichen
Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinn sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende
Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine versicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt, ergibt
sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden
ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen
Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zur ursprünglich getroffenen
Vereinbarung stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte
Natur der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Vereinbarung vor. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechtes unbeachtlich
ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abgedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinn gehört daher
unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG, Urteile vom 8. August 1990 - 11 RAr 77/89 - SozR 3-2400 § 7 Nr. 4 Seite 14, und vom 8. Dezember 1994 - 11 RAr 49/94 - SozR 3-4100 § 168 Nr. 18 Seite 45; so insgesamt weitgehend wörtlich BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 - B 12 KR 30/04 R - juris).
Auf dieser Grundlage ist beispielsweise -wie hier- zu beurteilen, ob ein Vertreter einer juristischen Person zu dieser gleichzeitig
in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht (so für GmbH-Geschäftsführer BSG, aaO.).
Weist eine Tätigkeit Merkmale auf, die sowohl auf Abhängigkeit als auch auf Selbständigkeit hinweisen, so ist entscheidend,
welche Merkmale überwiegen (BSG, Urteil vom 23. Juni 1994 - 12 RK 72/92 - NJW 1994, 2974, 2975) und der Arbeitsleistung das Gepräge geben (BSG, Beschluss vom 23. Februar 1995 - 12 BK 98/94 -).
Auch die Grenze zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis mit Entgeltzahlung und einer nicht versicherungspflichtigen
Mitarbeit aufgrund einer familienhaften Zusammengehörigkeit ist unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles
zu ziehen. Es ist eine Würdigung der Gesamtumstände erforderlich, ob ein Beschäftigungsverhältnis zwischen den Angehörigen
ernsthaft und eindeutig gewollt, entsprechend vereinbart und in der Wirklichkeit auch vollzogen wurde (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2002 - B 7 AL 34/02 R - USK 2002 - 42).
Auch hier gilt, dass nicht die Vereinbarungen der Beteiligten, sondern die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben
(BSG SozR 2200 § 1227 Nrn. 4 und 8).
Ganz allgemein müssen und können sich Eheleute, Geschwister oder andere (Geschäfts-)Partner an die von ihnen gewählte Vertragsgestaltung
auch in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht festhalten lassen. Es unterliegt nicht ihrer Disposition, die Wirkungen des
Vertragsverhältnisses nach Maßgabe ihrer Individualnützlichkeit auf bestimmte Rechtsgebiete zu beschränken (BSG - Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R -).
Bei Familiengesellschaften ist entscheidender Gesichtspunkt für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit anstelle einer
formal vorliegenden (abhängigen) Beschäftigung die Möglichkeit, unliebsame Weisungen des Arbeitgebers oder des Dienstberechtigten
abzuwenden. Dies mag aufgrund familiärer Rücksichtnahme solange der Fall sein, wie das Einvernehmen der Familienmitglieder
gewahrt bleibt. Im Falle eines familiären Zerwürfnisses zwischen den Beteiligten käme jedoch allein die den einzelnen Familienmitgliedern
zustehende Rechtsmacht zum Tragen, sodass auch nach den gelebten tatsächlichen Verhältnissen eine Weisungsunterworfenheit
bestünde. Eine solche "Schönwetterselbstständigkeit" ist mit Blick auf das Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs-
und beitragsrechtlicher Tatbestände schwerlich hinnehmbar (BSG, Urteil vom 29. August 2012 - B 12 KR 25/10 R -, juris-Rdnr. 32).
Der Beigeladene ist als Fremdgeschäftsführer ohne eigene Gesellschafteranteile gemäß § 37 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbHG) an die Beschlüsse der Gesellschaft gebunden. Er unterliegt nach § 46 Nr. 6 GmbHG der Prüfung und Überwachung durch die Gesellschaft.
Er konnte auch in der Zeit, in der er Vorstand des Fördervereins war, diesen nicht alleine vertreten und deshalb nicht alleine
Anweisungen des Vereins als Gesellschafter der Klägerin an ihn als Geschäftsführer verhindern. Er war nur einer von insgesamt
neun Vorstandsmitgliedern bzw. einer von vieren des geschäftsführenden Vorstandes. Nach §
26 Abs.
2 Satz 1
Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) wird ein Verein durch die Mehrheit der Vorstandsmitglieder vertreten. Dass die Vertreter des Vereins nicht in der Lage sein
könnten, seine Rechte als Alleingesellschafter der Klägerin wahrzunehmen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Gegen eine selbständige Tätigkeit des Beigeladenen spricht ergänzend auch das fehlende Unternehmerrisiko. Der Beigeladene
erhält arbeitnehmertypisch ein Festgehalt und hat Anspruch auf Gehaltsfortzahlung u. a. bei Krankheit.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG sind nicht erkennbar.