Anzahl der berücksichtigungsfähigen Beatmungsstunden im Rahmen einer Krankenhausabrechnung
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Anzahl der berücksichtigungsfähigen Beatmungsstunden im Rahmen einer Krankenhausabrechnung.
Die Klägerin betreibt ein im Sachleistungssystem der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zugelassenes Krankenhaus. Am xxxxx
2005 wurde eine Versicherte der Beklagten dort in der 29. Schwangerschaftswoche geboren und befand sich bis zum 31. März 2005
in stationärer Behandlung. Sie wurde dabei zunächst ca. 33 Stunden mit einer Atemunterstützung mit kontinuierlichem positiven
Atemwegsdruck (CPAP), anschließend ca. 30 Stunden mit einer intubierten Beatmung und anschließend wiederum bis zum 23. Februar
2005 mit zwei Unterbrechungen von ca. 46 (zwischen dem 8. und 10. Februar 2005) und 39 Stunden (zwischen dem 15. Und 17. Februar
2005) mit CPAP behandelt.
Am 6. April 2005 stellte die Klägerin der Beklagten hierfür 55.872,28 EUR in Rechnung. Die Beklagte beauftragte den Medizinischen
Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Prüfung. Dieser erklärte, dass die Zahl der Beatmungsstunden zu korrigieren
sei. Es die DRG (Diagnosis Related Group) P 03 B und nicht P 03 A zu kodieren. Die Beklagte rechnete daraufhin in Höhe von
12.580,14 EUR mit einer unstreitigen Forderung auf.
Am 18. Dezember 2009 hat die Klägerin Klage auf 12.580,14 EUR erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, die DRG P 03 A sei
zu kodieren, da die Versicherte über 479 Stunden beatmet worden sei. Sie hat auf eine Aufstellung der Beatmungsstunden verwiesen,
aus der sich ergebe, dass die Versicherte über die Gesamtdauer des Aufenthalts bei der Klägerin 687 Stunden und 25 Minuten
beatmet worden sei. Im gesamten Zeitraum von 29 Tagen hätte es lediglich die zwei längeren, zuvor genannten Pausen zwischen
zwei Beatmungsperioden gegeben. Am 8. Februar 2005 sei die Maskenbeatmung im Rahmen eines Auslassversuches ausgesetzt worden.
Die Patientendokumentation habe aber während dieser Zeit deutliche Zeichen einer kardiorespiratorischen Instabilität aufgewiesen,
so dass die Beatmung am 10. Februar 2005 fortgesetzt worden sei. Am 15. Februar 2005 sei die Versicherte auf eine andere Station
verlegt worden. Bei Ankunft auf dieser Station sei ein neuer Auslassversuch unternommen worden. Auch hier ergebe sich aus
der Dokumentation, dass die Versicherte kardiorespiratorisch instabil gewesen, so dass die Beatmung fortgesetzt worden sei.
Die Beklagte ist der Klage unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des LSG des Saarlandes entgegengetreten. Im Laufe des Verfahrens
hat sie nach erneuter Beauftragung des MDK die CPAP-Beatmung bis zur ersten Unterbrechung vom 8. bis 10. Februar 2005 als
berücksichtigungsfähige Beatmungsstunden anerkannt.
Das Sozialgericht hat zur weiteren Ermittlung des Sachverhalts den Arzt für Chirurgie und Rettungsmedizin Dr. K. mit einem
Gutachten nach Aktenlage beauftragt. Der Sachverständige hat ausgeführt, die Versicherte habe u.a. unter einem Atemnotsyndrom
Grad II gelitten, das eine Beatmung erforderlich gemacht habe. Vorübergehend sei diese mit CPAP behandelt worden. Kurzfristig
sei dann endotracheale Intubation und eine kontrollierte Beatmung erforderlich gewesen. Anschließend sei wieder auf CPAP umgestellt
worden, das auch bis zur Verlegung dokumentiert sei. Anschließend auf der anderen Station sei dann Baby-Bubble dokumentiert
worden. Beides sei im Prinzip das Gleiche. Die Dokumentation der Patientenakte sei korrekt. Auf jeden Fall ergebe sich eine
Beatmungszeit von über 480 Stunden. Auch die Pausen habe die Klägerin korrekt mit einem Zeitintervall von 46 Stunden und 30
und von 39 Stunden berücksichtigt. Es sei die DRG P 03 A in Abrechnung zu bringen. In der Beweisaufnahme vor dem Sozialgericht
am 26. September 2012 ist der medizinische Sachverständige zu seinem Gutachten gehört worden.
Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 26. September 2012 stattgegeben. Nach der gebotenen wortgetreuen Auslegung
der hier maßgebenden Deutschen Kodierrichtlinie (DKR) 2005 ergebe sich, dass es bei Neugeborenen, anders als Erwachsenen und
Kindern nicht darauf an komme, dass zunächst eine maschinelle Beatmung im Sinne der Definition in der DKR 1001d stattgefunden
habe und dann z.B. zur Entwöhnung auf ein CPAP System umgestellt werde. Bei Neugeborenen wie der Versicherten seien nicht
nur die maschinelle Beatmung zu kodieren, sondern auch andere atmungsunterstützende Maßnahmen, zu den auch CPAP gehöre. Dies
werde unterstützt durch den Passus "Kontinuierlicher positiver Atemwegsdruck (CPAP): 8-711.0 Atemunterstützung mit kontinuierlichem
positivem Atemwegsdruck (CPAP) ist nur bei Neugeborenen zu kodieren, unabhängig von der Behandlungsdauer (also auch unter
24 Stunden)". Die Kammer könne deshalb auch nicht dem LSG Saarbrücken in dessen Entscheidung vom 14. Dezember 2011 folgen.
Die Entscheidung übersehe, dass bei Neugeborenen über die maschinelle Beatmung hinaus auch andere atmungsunterstützende Maßnahmen
wie z.B. Sauerstoffzufuhr (8-720) zu verschlüsseln seien und hier die Beatmungsdauer nicht zu kodieren sei.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 18. Oktober 2012 zugestellte Urteil des Sozialgerichts am 9. November 2012 Berufung eingelegt.
Sie begründet diese im Anschluss an den Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren weiter damit, dass es sich nach ihrer Ansicht
bei der CPAP-Beatmung nicht um eine maschinelle Beatmung im Sinne der DKR 2005 1001d handelt. Daher könne die ab dem 10. Februar
2005 erfolgte CPAP-Beatmung nicht auf die Anzahl der berücksichtigungsfähigen Beatmungsstunden angerechnet werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 26. September 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
Beweis zu erheben durch die Einholung eines neonatologischen Zusatzgutachtens zu der Frage, ob es sich in diesem Fall um Entwöhnungszeiten
handelt oder nicht,
hilfsweise, die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger stützt sich u.a. auf ein Gutachten des Kinderarztes und Neonatologen Dr. C.M. vom 12. August 2013, welches er in
der mündlichen Verhandlung am 27. März 2014 überreicht hat.
In einer vom Gericht eingeholten ergänzenden Stellungnahme des medizinischen Sachverständigen Dr. K. vom 10. März 2014 führt
dieser u.a. aus, dass die CPAP- bzw. Baby-Bubble-Beatmung nicht der Entwöhnung von der intubierten Beatmung, sondern der Behandlung
der Grunderkrankung der Lunge der Versicherten gedient habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27. März
2014, die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakte
(VA) der Beklagten und der Krankenakte des Klägers verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Sie hat auch in der Sache Erfolg.
Zwischen den Beteiligten ist allein die Frage streitig, wie viele Stunden der Beatmung der Kodierung des Krankenhausaufenthaltes
der Versicherten zugrunde zulegen sind. Hiervon hängt ab, welche der beiden streitigen DRG´s (P 03 A bzw. P 03 B) für die
Abrechnung gilt. Die Klagsumme ergibt sich aus der Differenz der Beträge, die sich bei der Abrechnung für die jeweilige DRG
ergibt. Die Beklagte geht zu Recht davon aus, dass hier von einer Beatmungsdauer von unter 480 Stunden auszugehen ist, was
zu der DRG P 03 B führt. Die Beklagte hat daher den Krankenhausaufenthalt auf der Grundlage dieser DRG zutreffend bezahlt.
Weitergehende Ansprüche der Klägerin bestehen nicht. Diese war daher berechtigt, den streitigen Betrag mit einer anderen unstreitigen
Forderung aufzurechnen. Das Sozialgericht hat der Klage daher zu Unrecht stattgegeben. Das Urteil ist aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen des Anspruchs des Klägers auf Vergütung des Krankenhausaufenthaltes wird auf die zutreffenden
Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen.
Der Senat kann sich jedoch der vom Sozialgericht vorgenommenen Auslegung der hier streitigen Richtlinie 1001d der DKR 2005
nicht anschließen.
Zuzustimmen ist dem Sozialgericht darin, dass die Auslegung der DKR nach der Rechtsprechung des BSG streng nach deren Wortlaut zu erfolgen hat (vgl. BSG, Urt. v. 18.09.2008 - B 3 KR 15/07 R, juris; BSG, Urt. v. 08.11.2011 - B 1 KR 8/11 R, juris).
Eine solche Auslegung ergibt, dass Stunden der CPAP-Beatmung nur unter bestimmten, hier nicht vorliegenden Umständen bei der
Ermittlung der DRG berücksichtigungsfähig sind.
Die CPAP-Beatmung hat innerhalb der Richtlinie 1001d der DKR 2005 eine eigenständige Regelung erhalten (vgl. Seite 109-110
der DKR 2005). In dieser wird ausgeführt, wie im Falle der CPAP zu kodieren ist.
Dabei wird zunächst auf den Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) 8-711.0 eingegangen. Diese gilt bei CPAP-Beatmung von
Neugeboren, und zwar unabhängig von der Behandlungsdauer der CPAP. Das bedeutet, diese OPS berührt nicht die Berechnung der
Beatmungsdauer, sondern führt nur dazu, dass beim Groupen des Behandlungsfalles ein weiterer OPS angegeben werden kann. Im
vorliegenden Fall hat die Kodierung dieses OPS keine Auswirkung auf den Abrechnungsbetrag.
In Bezug auf die hier entscheidende Frage der berücksichtigungsfähigen Beatmungsstunden findet sich hingegen ganz am Ende
der Ausführungen zur CPAP der Hinweis, dass im Falle der Entwöhnung durch CPAP die Beatmungsdauer durch CPAP der Dauer der
maschinellen Beatmung hinzuzurechnen ist.
Hieraus ergibt sich zum einen, dass es sich bei der CPAP grds. nicht um eine maschinelle Beatmung handelt. Denn wenn dem so
wäre, hätte es keiner Regelung bedurft, nach der die CPAP-Beatmungsdauer - im Fall der Entwöhnung - der maschinellen Beatmungsdauer
hinzugerechnet werden kann. Hierfür spricht auch, dass die CPAP im Zusammenhang mit der Definition des Endes der Beatmung
als Methode der Entwöhnung bezeichnet wird. Würde die CPAP auch als maschinelle Beatmung angesehen, dann wäre sie damit Beatmung
und Entwöhnung zugleich - das würde zu einem Zirkelschluss führen.
Zum anderen bedeutet dies, dass Zeiten der CPAP-Beatmung nur dann den für das Groupen relevanten Beatmungsstunden zugerechnet
werden können, wenn sich die CPAP-Beatmung als Entwöhnungsbehandlung darstellt.
Dass dies gerade auch in Bezug auf Neugeborene zu gelten hat, ergibt sich daraus, dass die DKR 2005 in diesem Zusammenhang
darauf hinweist, dass im Fall der CPAP als Entwöhnungsbeatmung die OPS 8-711.0 nicht zu kodieren ist. Daraus lässt sich ableiten,
dass die DKR 2005 gerade in Bezug auf Neugeborene die von einander abgegrenzten Bereiche "maschinelle Beatmung" (deren Stunden
sind voll berücksichtigungsfähig), "Entwöhnung von der maschinellen Beatmung" (auch durch CPAP; deren Stunden sind auch berücksichtigungsfähig)
und "CPAP-Beatmung unabhängig von der Entwöhnung" (deren Stunden sind nicht berücksichtigungsfähig; dafür ist unabhängig von
der Zeit der CPAP-Beatmung bei Neugeborenen der OPS 8-711.0 zu kodieren) kennt.
Aus diesem Grund vermag der Senat aus rechtlicher Sicht nicht dem von Dr. K. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10. März
2014 scheinbar vertretenen Ansatz zu folgen, dass die CPAP bei Neugeborenen als eine der maschinellen Beatmung zumindest gleichzustellende
Beatmungsvariante anzusehen ist (so ausdrücklich auch LSG Saarland, Urt. v. 14.12.2011 - L 2 KR 76/10; a.A. wohl LSG Hessen, Urt. v. 5.12.2013 - L 1 KR 300/11). Aus medizinischer Sicht klingen die Ausführungen des Sachverständigen zur besseren Verträglichkeit der CPAP-Beatmung bei
Neugeborenen durchaus überzeugend und vor diesem Hintergrund mag die sich aus der DKR 2005 ergebende Abrechnungssituation,
wie sie sich in diesem Fall zeigt, als nicht optimal angesehen werden. Dies zu ändern ist jedoch nur durch eine Abänderung
der DKR möglich, an deren wortgetreuen Auslegung der Senat gebunden ist (in diesem Sinne auch LSG Saarland, aaO., Rn. 29).
Eine solche Änderung hat auch tatsächlich stattgefunden. Insoweit hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung zutreffend
darauf hingewiesen, dass die DKR 2013 den Zusatz enthält, dass die Dauer der Atemunterstützung mit CPAP bei Neugeborenen und
Säuglingen bei der Ermittlung der Beatmungsdauer zu berücksichtigen ist. Gerade diese Neuregelung aus 2013 ist für den Senat
ein deutlicher Beleg dafür, dass unter der Geltung der DKR 2005, in der dieser Hinweis fehlt, die CPAP-Beatmung bei Neugeborenen
und Säuglingen gerade nicht grundsätzlich berücksichtigungsfähig ist. Die von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung geäußerte
Ansicht, diese Regelung habe Rückwirkung auch für die DKR 2005, ist nicht nachvollziehbar. Bei dem Fallpauschalensystem handelt
es sich um ein lernendes System. Dass bedeutet, dass erkannte Fehler für die Zukunft durch eine Abänderung der Vereinbarung
behoben werden können (vgl. Urteil des Senats vom 04.07.2013 - L 1 KR 77/11, juris, m.w.N.). Soweit sich der Kläger für seine Ansicht auf das überreichte Gutachten des Dr. M. beruft, ist darauf hinzuweisen,
dass hier die Frage der rechtlichen Auslegung der DRG betroffen ist, und nicht erkennbar ist, aufgrund welcher Qualifikation
Dr. M. als Mediziner zu der Beantwortung dieser Frage sachverständig sein sollte. Soweit Dr. M. als Argument für seine Ansicht
anführt, dass die Erläuterungen zu den Änderungen in der DKR 2013 auf Seite 153 davon sprächen, dass es sich bei dem genannten
Zusatz zur CPAP-Beatmung um eine "Klarstellung" handele, ist die Verwendung dieser Formulierung zwar zutreffend. Es ist aber
nicht nachvollziehbar, warum diese Klarstellung entgegen der grundsätzlichen Systematik der DKR als lernendes System Rückwirkung
entfalten sollte.
Unter Berücksichtigung dieser Argumente, waren die Stunden der CPAP-Beatmung nicht als Stunden der maschinellen Beatmung im
Rahmen des Groupens berücksichtigungsfähig. Denn wie der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme deutlich ausgeführt
hat, diente die Beatmung mit CPAP nicht der Entwöhnung von der maschinellen Beatmung, sondern der Behandlung der Grunderkrankung
der Atemwege. Dies ist für den Senat vor dem Hintergrund der nur ca. 30 Stunden erfolgten intubierten Beatmung einerseits
und der bestehenden und behandlungsbedürftigen Grunderkrankung der Lunge der Versicherten gut nachvollziehbar. Es ist damit
zu der von dem Kläger in seinem Antrag aufgeworfenen Beweisfrage bereits Beweis erhoben worden. Da das Gericht keine Anhaltspunkte
dafür hat, dass Dr. K. nicht die notwendige Qualifikation zur Beantwortung dieser Frage hätte, sieht das Gericht weder eine
Notwendigkeit noch eine Verpflichtung, ein neonatologisches Zusatzgutachten einzuholen.