Wiederaufnahme eines Berufungsverfahrens
Zulässigkeit einer Restitutionsklage
Enumerative Aufzählung der Restitutionsgründe
Widerruf bzw. Anfechtung einer Prozesshandlung
Gründe:
I.
Aufgrund des klageabweisenden Urteils des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18. November 2011 (S 33 AS 1570/08) war zwischen den Beteiligten unter dem Aktenzeichen L 7 AS 8/12 ein Berufungsverfahren anhängig. Nach Hinweisen des Berichterstatters, dass die Berufung wegen Nichterreichens des erforderlichen
Beschwerdewertes unzulässig sei, wurde die Berufung mit Schriftsatz der damaligen Bevollmächtigten des Klägers vom 17. Oktober
2012 wieder zurückgenommen und gleichzeitig Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Mit Beschluss vom 27. Dezember 2012 hat der
Senat die unter dem Aktenzeichen L 7 AS 713/12 NZB sodann geführte Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen. Damit ist das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom
18. November 2011 rechtskräftig geworden (vgl. §
145 Abs.
4 Satz 4
SGG).
Mit Schriftsatz vom 17. Juni 2013 hat sich der Kläger erneut an das Hessische Landessozialgericht gewandt und einen "Antrag
auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand" gestellt. Wie er nunmehr erfahren habe, würden die Leistungen nach dem SGB II rückwirkend zum jeweils ersten des Monats seit Antragstellung und zum Ende des Monats, zu dem der Leistungsempfänger sich
abgemeldet habe berechnet bzw. bis zu dem Monat, zu dem der Leistungsempfänger zum ersten Mal sein Gehalt oder Lohn erhalten
habe. Vorliegend müsse die Berechnung daher vom 1. Mai 2008 bis zum 30. Juni 2008 erfolgen. Der Streitwert habe daher bei
1.445,30 Euro und nicht bei 722,65 Euro gelegen. Die Berechnung des Landessozialgerichts Darmstadt sei somit grundlegend falsch.
Die Beschlüsse zu den Aktenzeichen L 7 AS 8/12 und L 7 AS 713/12 NZB seien rechtswidrig. Die Berufung vom 7. Januar 2012 gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main mit dem Aktenzeichen
S 33 AS 1570/08 sei zulässig gewesen, da der Streitwert von über 750,- Euro erreicht worden sei. Eine Nichtzulassungsbeschwerde sei nicht
erforderlich gewesen. Daher würden die Rücknahme der Berufung vom 17. Oktober 2012 sowie die Nichtzulassungsbeschwerde widerrufen
und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Mit Schriftsatz vom 8. Juli 2013 hat der Kläger zudem die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Wiedereinsetzungsverfahren
beantragt.
Die Beklagte beantragt, die Restitutionsklage als unzulässig zu verwerfen. Im Ergebnis begehre der Kläger die Fortführung
eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens. Insoweit sei der Antrag des Klägers orientiert an seinem Interesse auszulegen.
Ein Wiederaufnahmebegehren nach §§
179 ff.
SGG i.V.m. §§
578 ff.
ZPO scheitere jedoch schon an der schlüssigen Darlegung eines Wiederaufnahmegrundes. Auch ein Widerruf der (Berufungs-)Rücknahmeerklärung
komme vorliegend nicht in Betracht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte,
die bei der Entscheidung vorgelegen hat, Bezug genommen.
II.
Danach kann eine nicht statthafte oder aus sonstigen Gründen unzulässige Berufung durch Beschluss als unzulässig verworfen
werden. Entsprechendes gilt, wenn eine Wiederaufnahmeklage nach §
179 SGG i.V.m. §§
579,
580 Zivilprozessordnung (
ZPO) unzulässig ist (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18. März 2003 - L 8 LW 14/01; Bundessozialgericht, Beschluss vom 2. Juli 2003, B 10 LW 8/03 B; Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, §
158, Rdnr. 6a m.w.Nw.).
Der Antrag des Klägers ist - orientiert an seinem tatsächlichen Begehren - dahingehend auszulegen, dass er die Wiederaufnahme
des unter dem Aktenzeichen L 7 AS 8/12 anhängig gewesenen Berufungsverfahrens begehrt.
Soweit er wörtlich einen "Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" gestellt hat, geht dieser Antrag an dem offensichtlichen
Begehren des Klägers vorbei. Nach §
67 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand regelt, ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche
Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Vorliegend geht es jedoch erkennbar
nicht um die Einhaltung oder Nichteinhaltung einer gesetzlichen Verfahrensfrist, sondern um die Frage, ob das anhängig gewesene
Berufungsverfahren fortgeführt werden muss.
Ein rechtskräftig beendetes Verfahren kann entsprechend den Vorschriften des
Vierten Buches der
Zivilprozessordnung wieder aufgenommen werden, §
179 Abs.
1 SGG. Die Vorschrift verweist insoweit auf die Vorschriften der §§
578 bis
591 ZPO. Das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren ist wieder aufzunehmen, wenn die Wiederaufnahmeklage zulässig und begründet ist.
Nach §
580 ZPO ist eine Restitutionsklage zulässig bei Mängeln der Urteilsgrundlagen, soweit zwischen Urteil und Restitutionsgrund ein ursächlicher
Zusammenhang besteht (RGZ 130, 386, 387). §
580 ZPO nennt abschließend die Restitutionsgründe. Gemäß §
179 Abs.
1 SGG in Verbindung mit §
589 Abs.
1 S. 1
ZPO hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen, ob die Klage an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist
erhoben ist. Die Klagefrist beträgt gemäß §
586 Abs.
1 ZPO einen Monat; sie beginnt mit dem Tag, an dem die Partei von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Der Senat kann offenlassen,
ob die Klagefrist eingehalten ist, da der Kläger jedenfalls einen Wiederaufnahmegrund nicht schlüssig behaupten kann. Denn
es fehlt insoweit bereits an einer gerichtlichen Entscheidung, die zur Beendigung des Berufungsverfahrens geführt hat. Maßgeblich
hierfür war vielmehr die Prozesserklärung des Klägers bzw. seiner damaligen Bevollmächtigten (Rücknahme der Berufung) vom
17. Oktober 2012. Aus gleichen Gründen ist auch eine Nichtigkeitsklage nach §
179 Abs.
1 SGG, §
579 ZPO nicht zulässig. Denn zur Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage gehört die Behauptung eines Prozessverstoßes, der unter §
579 Abs.
1 ZPO abschließend genannt ist, so wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war (Nr. 1), wenn ein kraft Gesetz
ausgeschlossener Richter mitgewirkt hat (Nr. 2), wenn ein wegen Besorgnis der Befangenheit ausgeschlossener Richter mitgewirkt
hat (Nr. 3) oder wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war (Nr. 4). Derartige Gründe
können mangels Entscheidung des Senats im Berufungsverfahren ebenfalls nicht schlüssig behauptet werden.
Wird ein solcher Restitutionsgrund bzw. Nichtigkeitsgrund somit nicht einmal schlüssig behauptet, so ist die Klage als unzulässig
zu verwerfen (Hess. LSG, Beschluss vom 30. März 2007 - L 1 KR 303/06 WA m.w.Nw.).
Sofern der Kläger mit Schriftsatz vom 17. Juni 2013 die Rücknahme der Berufungsklage vom 17. Oktober 2012 widerrufen möchte
ist darauf hinzuweisen, dass die Berufungsrücknahme als Prozesshandlung grundsätzlich nicht widerrufen und nicht angefochten
werden kann (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG Kommentar, 10. Auflage 2012, §
156 Rn. 2a mit weiteren Nachweisen).
Ein Widerruf der Rücknahmeerklärung kommt nur dann in Betracht, soweit die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens
gemäß §
179 SGG in Verbindung mit §§
578 ff.
Zivilprozessordnung bzw. §
180 SGG gegeben sind. Dies ist jedoch - wie bereits ausgeführt - offensichtlich nicht der Fall.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe nach §
73a SGG war abzulehnen, da es aus den dargelegten Gründen an der erforderlichen Erfolgsaussicht des Wiederaufnahmebegehrens fehlt.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.
Hinsichtlich der Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe ist der Beschluss unanfechtbar (§
177 SGG).