Schulwegunfall
Mehrere zumutbare Wegvarianten
Unbeachtliche Abweichung vom unmittelbaren Nachhauseweg bei Schülern
Übliche Verhaltensweise von Gleichaltrigen
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall.
Der am ... 1995 geborene Kläger fuhr am 20. November 2009 nach Schulschluss (13:00 Uhr) vom G.-Gymnasium / E.-Haus in Q.,
A.-Ring 19, mit seinem Mitschüler K. R., der im D. Weg (nördlich der F.straße) wohnte, über die S.straße, den H.weg, die R.straße,
die O. Brücke in den D. Weg, stieß dort gegen 13:15 Uhr nördlich der Einmündung in die F.gasse auf dem kombinierten Geh-/Radweg
mit dem neben ihm fahrenden Mitschüler zusammen und stürzte. Dabei zog er sich nach dem D-Arztbericht sowie der Epikrise der
Klinik für Unfallchirurgie des Klinikums Q. vom 25. November 2009 einen körperfernen Oberarmbruch links zu. Nach den dortigen
Angaben sei der Kläger auf dem Weg von der Schule zu einem Freund gewesen.
Am 26. November 2009 erklärte die Mutter des Klägers schriftlich, die Benutzung des eigentlichen Schulwegs sei in diesem Jahr
wegen einer noch bis Anfang Dezember 2009 dauernden Grundsanierung der K.-Straße nicht möglich. Der nun benutzte Weg vom Gymnasium
über die S.straße, den H.weg, die R.straße, die O.straße, die K.straße und die W.straße sei in der Woche vom 16. bis 20. November
2009 wegen einer Baustelle mit Ampelregelung in der O.straße/Ecke K.straße und dadurch bedingten hohen Verkehrsaufkommens
mit ausgiebiger Staubildung unsicher gewesen. Ihr Sohn habe deshalb den sicheren Weg durch das angrenzende Wohngebiet mit
Tempo-30-Zone gewählt und sei von der O.straße in den D. Weg gefahren. Der Nachhauseweg sollte dann über die F.straße, E.straße
und W.straße zurück zur K.straße führen. Da sich im D. Weg das Klinikum befinde und mit Krankentransporten zu rechnen sei,
hätten die Kinder den Fußweg benutzt; ein Radweg sei im Unfallbereich nicht vorhanden. Zum Sturz sei es gekommen, weil ihr
Sohn einer defekten Gehwegplatte ausgewichen und dabei gegen den Lenker des Mitschülers geraten sei. Durch den Unfallschock
sei wohl ein Kommunikationsfehler entstanden. Ihr Sohn habe seinen Mitschüler nicht besuchen, sondern ab der E.straße nach
Hause fahren wollen.
Auf telefonische Nachfrage der Beklagten gab die Ansprechpartnerin der Schule K. am 4. Dezember 2009 an, der zum Unfallzeitpunkt
zurückgelegte Weg, bei dem es sich nicht um die direkte Strecke nach Hause gehandelt habe, sei wegen der auf dem üblichen
Weg befindlichen großen Supermarktbaustelle erforderlich gewesen.
K. R. erklärte unter dem 13. Dezember 2009 zusammen mit seinen Eltern, der Kläger habe den D. Weg nicht bis zu Nr. fortsetzen,
sondern durch das Wohngebiet "K." direkt nach Hause fahren wollen.
Im Wegeunfallfragebogen vom 14. Dezember 2009 teilte der Kläger mit, wegen einer Vollsperrung bzw. Baustelle habe er am Unfalltag
von der Schule über die S.straße, den H.weg, die R.straße, die O. Brücke, den D. Weg, die F.straße, die E.straße, die W.straße,
die K.straße und die W.straße nach Hause fahren wollen. Im Verhältnis zum üblichen Weg sei dies ein Umweg von etwa 0,5 km
bzw. eine Verlängerung um ca. 5 Min. gewesen.
In seinem Vermerk vom 4. Februar 2010 über eine am 28. Januar 2010 in Q. durchgeführte Ortsbesichtigung hielt ein Mitarbeiter
der Beklagten insgesamt fünf alternative Wegrouten fest (u.a. durch ein Gewerbegebiet über einen Schotterweg an alten und
teilweise leeren Betriebseinrichtungen entlang). Sowohl die Unfallstelle als auch die geplante Wegstrecke lägen außerhalb
dieser Alternativvarianten, wobei sich für Radfahrer zahlreiche Abkürzungen ergäben, wenn etwa Plätze überquert oder Einbahnstraßen
entgegen der Fahrtrichtung durchlaufen würden. Die Strecke im Bereich der O. Brücke und R.straße habe er um ca. 13:45 Uhr
befahren. Da sich hier zwei Ampeln dicht hintereinander befänden, staue sich der Verkehr beim Linksabbiegen bis in die R.straße.
In diesem Bereich seien Fußgängerampeln und rot markierte Fahrradstreifen. Selbst ein Rückstau dürfe einen Fahrradfahrer kaum
tangieren. Statt der aufgezeigten Varianten habe der Kläger einen anderen Weg gewählt, um diesen teilweise mit seinem Mitschüler
zurücklegen zu können.
Auf telefonische Nachfrage der Beklagten teilte die Abteilung Tiefbau der Stadt Q. am 4. Februar 2010 mit, die Bauarbeiten
in der K.-Straße seien vom 23. Oktober 2008 bis 4. Dezember 2009 in mehreren Teilabschnitten durchgeführt worden, wobei die
Nutzung des Fußgängerwegs durchweg möglich gewesen sei. Zum Unfallzeitpunkt habe die Baustelle aus Richtung W.straße über
die M.straße und den W. umfahren werden können, um anschließend wieder auf die K.-Straße zu gelangen. Die Brücke zwischen
dem H.weg und dem N. Weg sei während der Bauarbeiten befahrbar gewesen.
Mit Bescheid vom 18. Februar 2010 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 20. November 2009 als Arbeitsunfall
ab. Der Kläger habe sich zum Unfallzeitpunkt trotz zahlreicher Möglichkeiten nicht auf dem unmittelbaren Weg zwischen der
Schule und der elterlichen Wohnung befunden, womit kein sachlicher Zusammenhang mehr mit dem Schulbesuch bestanden habe. Eine
plausible Erklärung hierfür habe er nicht gegeben.
Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 3. März 2010 Widerspruch und verwies zur Begründung auf den geschlossenen mittelalterlichen
Stadtkern der Weltkulturerbestadt Q., der über keine Radwege verfüge und in dem Fahrradfahren verboten sei. Die vielen engen,
teilweise winkligen und uneinsichtigen Gassen sowie Einbahnstraßen seien mit Pflaster- bzw. Kopfsteinen belegt und daher uneben,
holprig und rutschig. Zwar existierten außerhalb des Innenstadtbereichs vereinzelt auch relativ gut befahrbare Radwege. Diese
seien in den jeweiligen Einmündungs- und Kreuzungsbereichen jedoch durch stark frequentierten Lkw- sowie Pkw-Verkehr unterbrochen
und stellten dort Unfallschwerpunkte dar. Die von der Beklagten aufgezeigten Varianten enthielten zum Teil Wege, die weder
Ortskundigen noch seinen Eltern geläufig seien. Es sei ihm auch nicht zumutbar, das Fahrrad bei der Länge des Schulwegs erhebliche
Wegstrecken zu schieben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28. April 2010 wies die Beklagte den Widerspruch unter Vertiefung ihrer Ausführungen als unbegründet
zurück. Von einem ortskundigen Gymnasiasten im Alter des Klägers sei eine situationsgerechte Weganpassung zu erwarten gewesen,
zumal holpriges Pflaster, Ausrutschgefahren oder enge Gassen einer Wegbenutzung sicher nicht entgegen gestanden hätten.
Am 18. Mai 2010 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Magdeburg Klage erhoben und zur Begründung ergänzend zum Widerspruchsvorbringen insbesondere darauf hingewiesen, dass er
gegenüber den Ärzten keine Fahrt zum Freund angegeben habe; statt "zu" müsse es "mit" einem Freund heißen. Ebenso unzutreffend
sei die Angabe, sein Fahrrad habe sich "mit einem anderen verhakt". Auch hiervon habe er keinem Arzt berichtet. Er sei am
Unfalltag nur wegen des Rückstaus in die O.straße auf den D. Weg abgebogen; ansonsten habe die Fahrt geradeaus weiter über
den A.ring (K.straße) erfolgen sollen. Ohne den Stau wäre er überhaupt nicht in den D. Weg abgebogen. Die Supermarktbaustelle
nebst zugehöriger Verkehrssituation sei am Ortstermin (28. Januar 2010) nicht mehr vorhanden gewesen.
Im Erörterungstermin am 13. Mai 2014 hat der Kläger vor dem SG erklärt, der Supermarkt sei im Bereich A.straße/O.straße gebaut worden, wo eine Zuwegung eingerichtet worden sei. Weiterhin
habe sich quer über die O.straße, westlich der Einmündung zur G.straße, eine Baustelle befunden, deren Staubereich schon vor
dieser Einmündung gelegen habe. Für die Route über den D. Weg und die E.straße habe er sich entschieden, weil er in der O.straße
Verkehrshindernisse und Baustellenfahrzeuge gesehen habe. Die Beklagte hat keine Bedenken (mehr) gegen einen Weg über die
R.straße geäußert, um dann über die O. Brücke - durch die O.straße - auf die K.straße zu gelangen.
Mit Gerichtsbescheid vom 15. Mai 2014 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Der Feststellung eines Arbeitsunfalls stehe der fehlende sachliche
Zusammenhang entgegen. Gegen einen solchen spreche zwar nicht, dass der Kläger von der S.straße aus nicht den kurzen, am H.weg
beginnenden, der südlichen sowie sodann westlichen Ringumfahrung der Altstadt folgenden Weg und nicht den kürzesten, die Altstadt
querenden Weg genommen habe, sondern den längeren, an der R.straße beginnenden, der nordöstlichen, nördlichen sowie sodann
westlichen Ringumfahrung der Altstadt folgenden Weg habe nehmen wollen. Denn für das Meiden des kurzen und des kürzesten Weges
hätten nachvollziehbare Gründe vorgelegen, was die Beteiligten am 13. Mai 2014 unstrittig gestellt hätten. Ebenso gerechtfertigt
gewesen sei der längere, an der R.straße beginnende Weg einschließlich der Querung der O. Brücke. Als der Kläger nachfolgend
jedoch nach Norden in den D. Weg abgebogen sei, statt die O.straße weiter Richtung K.straße zu befahren, habe dies nicht mehr
innerlich mit dem Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach Hause zusammengehangen. Der Umweg von der O. Brücke über den D.
Weg, die F.straße, die E.straße sowie die W.straße sei nicht durch Verkehrshindernisse gerechtfertigt gewesen. Zwar habe sich
seinerzeit in der etwa 270 m langen O.straße eine Baustelle befunden, um eine Zuwegung zum dortigen Supermarkt zu errichten,
der an der südlichen Seite sowie im westlichen Bereich der O.straße/Ecke A.straße gelegen sei. Es sei auch glaubhaft, dass
sich östlich vor der Baustelle der Verkehr gestaut habe und der Stau über die Abzweigung G.straße hinausgereicht habe. Der
Kläger habe nach der Querung der O. Brücke aber gegebenenfalls zu Fuß schon nach etwa 130 m nördlich in die G.straße abbiegen
können und sodann nach nur kurzen Umwegen entweder über die A.straße oder die B.straße die K.straße erreichen und seinen Heimweg
fortsetzen können. Der von ihm gewählte Weg über die F.straße sei dagegen um ein Vielfaches länger gewesen.
Gegen den ihm am 2, Juni 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 25. Juni 2014 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Berufung eingelegt und ergänzend vorgetragen: Sowohl die Fahrbahn als auch der Geh- und Radweg auf beiden Seiten der O.straße
seien im Zuge der Supermarkterrichtung einschließlich Schaffung von Verkehrsinseln neu hergestellt und nicht jederzeit befahrbar
gewesen. In der G.straße, die über keinen Radweg verfüge, hätten sich Baufahrzeuge befunden. Überdies sei der vom SG aufgezeigte Weg nicht wesentlich kürzer als die gewählte Route. Sogleich als er den Stau in der O.straße wahrgenommen habe,
sei er rechts in den D. Weg abgebogen, um den Stau zu umfahren. Der Ditfurter Weg, der ihm vertraut gewesen sei, habe über
einen kombinierten Geh-/Radweg verfügt. Die E.straße liege in einem Wohngebiet mit 30 km/h Geschwindigkeitsbegrenzung und
sei in der beabsichtigten Fahrtrichtung Einbahnstraße.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. Mai 2014 sowie der Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2010 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2010 aufzuheben und seinen Unfall vom 20. November 2009 mit einem Bruch
des linken Oberarms als Arbeitsunfall festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Entscheidung des SG.
Im Termin der mündlichen Verhandlung am 21. September 2017 hat der Kläger auf entsprechende gerichtliche Nachfragen erklärt,
üblicherweise habe er in der Zeit vor dem Unfall morgens den Weg durch die Innenstadt genommen. Zu dieser Zeit sei der Markt
noch nicht gesperrt; zudem könne er Einbahnstraßen in die Fahrtrichtung zur Schule nehmen. Für den Rückweg habe er in der
Regel - insbesondere bei Stau - die Route genommen, die er auch am Unfalltag eingeschlagen habe. Das sei auch ein wenig davon
abhängig gewesen, ob er gleichzeitig mit seinem Freund K. R., der die Parallelklasse besucht habe, Schulschluss gehabt habe.
Am Unfalltag habe der Stau bereits zurück bis in die R.straße gereicht. Im weiteren Verlauf der Fahrt habe er dann gesehen,
dass im Baustellenbereich Baufahrzeuge gefahren seien, die auch die G.straße genutzt hätten. Das Gebiet um die G.straße sei
ihm damals unbekannt gewesen. Zudem sei er auch heute der Meinung, dass dieses nicht durchfahrbar sei. Insoweit sei der Weg
vielmehr so zu wählen, dass zwischen ihm und der geplanten Strecke kein Längenunterschied bestehe. Die geplante Route sei
ihm demgegenüber insbesondere deshalb bekannt gewesen, weil im D. Weg K. R. und in der F.straße seine Patentante gewohnt habe.
Einen Fahrradhelm habe er damals nicht getragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten
sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung
und Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe:
Der Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2010 beschwert den
Kläger im Sinne der §§
157,
54 Abs.
2 Satz 1
SGG. Denn sein Unfall vom 20. November 2009 ist mit einem Bruch des linken Oberarms als Arbeitsunfall (Schülerunfall) anzuerkennen.
Arbeitsunfälle sind nach §
8 Abs.
1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (
SGB VII) Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse,
die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§
8 Abs.
1 Satz 2
SGB VII). Für die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten
zur Zeit des Unfalls seiner versicherten Haupttätigkeit zuzurechnen ist (sachlicher bzw. innerer Zusammenhang), sie zu dem
zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis (Unfall) geführt hat, und dieser Unfall einen Gesundheitserstschaden
oder den Tod des Versicherten verursacht hat (z.B. Bundessozialgericht [BSG), Urteil vom 5. September 2006 - B 2 U 24/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 18; Urteil vom 4. September 2007 - B 2 U 24/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 24, m.w.N.).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Der Kläger stand am Unfalltag als Schüler gemäß §
2 Abs.
1 Nr.
8b)
SGB VII unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Ebenso ist unstrittig, dass er am 20. November 2009 mit dem Fahrrad
gestützt und allein hierdurch der gesicherte Bruch des linken Oberarms verursacht worden ist. Schließlich stand der Sturz
als unfallbringende Verrichtung auch im sachlichen Zusammenhang mit dem Versicherungsschutz des Klägers als Schüler, ist diesem
also zuzurechnen. Denn der Sturz ereignete sich auf einem nach §
8 Abs.
2 Nr.
1 SGB VII versicherten Weg.
Die in §
8 Abs.
2 Nr.
1 SGB VII gebrauchte Formulierung "mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit"
kennzeichnet den sachlichen Zusammenhang des unfallbringenden Weges mit der versicherten Haupttätigkeit. Er besteht, wenn
die Zurücklegung des Weges der Aufnahme der versicherten Tätigkeit bzw. nach deren Beendigung dem Erreichen der Wohnung oder
eines so genannten dritten Ortes dient. Ob das der Fall ist, ist wertend zu entscheiden, indem untersucht wird, ob die Verrichtung
zur Zeit des Unfalls zum Weg zur oder von der versicherten Tätigkeit gehört. Maßgeblich ist dabei die Handlungstendenz des
Versicherten (siehe etwa BSG, Urteil vom 28. April 2004 - B 2 U 26/03 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 5). Diese muss auf die versicherte Tätigkeit gerichtet sein und durch objektiv feststellbare Umstände
gestützt werden, deren tatsächliche Grundlagen im Sinne des so genannten Vollbeweises sicher feststehen müssen.
Dabei folgt aus dem im Gesetz geforderten unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Weg und der versicherten Tätigkeit nicht,
dass der Versicherte ausschließlich auf dem entfernungsmäßig kürzesten Weg von und zu der versicherten Tätigkeit geschützt
ist. Vielmehr erfasst der Schutzbereich der Wegeunfallversicherung auch Abweichungen von der optimalen Streckenführung, solange
die Handlungstendenz auf das Zurücklegen des versicherten Weges zielt (BSG, Urteil vom 4. Juli 2013 - B 2 U 12/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 49). Ein von Versicherten eingeschlagener Weg, der nicht nur unbedeutend länger ist als der optimale
Weg, ist daher auch dann rechtlich als unmittelbarer Weg anzusehen, wenn seine Wahl aus der durch objektive Umstände erklärbaren
Sicht des Versicherten dem Zurücklegen des Weges von dem Ort der Tätigkeit nach Hause zuzurechnen wäre, etwa um eine verkehrstechnisch
schlechtere Wegstrecke zu umgehen oder eine weniger verkehrsreiche oder schneller befahrbare Straße zu nutzen. Ergibt sich
danach, dass der kürzeste Weg nach und von dem Ort der versicherten Tätigkeit aus objektiven Gründen nicht genommen zu werden
braucht, ein nicht unbedeutend längerer Weg also noch unter Versicherungsschutz steht, führt dies allerdings nicht dazu, dass
der Versicherten dann unter Beibehaltung des Versicherungsschutzes einen beliebig langen anderen Weg wählen darf. Bieten sich
mehrere zumutbare Wegvarianten an, ist zum Erhalt des Versicherungsschutzes in der Regel vielmehr der nächstkürzere Weg zu
wählen, wobei unbedeutende Umwege nicht ins Gewicht fallen. Je länger und zeitaufwendiger die gewählte alternative Route im
Verhältnis zu einem kürzeren und weniger zeitaufwendigen alternativen Weg ist, umso höhere Anforderungen sind an den Nachweis
zu stellen, dass der sachliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Weg nach oder vom Ort der versicherten
Tätigkeit besteht. Lässt sich nicht feststellen, ob der gewählte Umweg im sachlichen Zusammenhang mit dem Weg nach oder von
dem Ort der versicherten Tätigkeit stand oder nur geringfügig war, besteht kein Versicherungsschutz (BSG, Urteil vom 24. Juni 2003 - B 2 U 40/02 R - juris; Urteil vom 11. September 2001 - B 2 U 34/00 R - SozR 3-2700 § 8 Nr. 9).
Es kann dahingestellt bleiben, ob sich der Unfall des Klägers vom 20. November 2009 bereits nach diesen - für Erwachsene geltenden
- Maßstäben auf einem versicherten Weg ereignete oder aber mit der Einfahrt in den D. Weg eine für den Versicherungsschutz
schädliche wesentliche Abweichung vom unmittelbaren Nachhauseweg gegeben war. Denn die aufgezeigten Grundsätze sind auf Kinder
und Jugendliche sowie erwachsene Schüler (bei einem auf gruppendynamische Prozesse zurückgehenden unvernünftigen Verhalten)
nicht uneingeschränkt übertragbar. Sie bleiben vielmehr geschützt, wenn ihr Tun in der jeweiligen Situation den üblichen Verhaltensweisen
von Gleichaltrigen entspricht, was gerade für den Weg zur und von der Schule nach Hause gilt (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 29/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 25; für Klassenfahrten Urteil vom 26. Oktober 2004 - B 2 U 41/03 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 7; Urteil vom 7. November 2000 - B 2 U 40/99 R - NJW 2001, 2909). Demnach ist bei Schülern eine Abweichung vom unmittelbaren Nachhauseweg rechtlich jedenfalls dann nicht als wesentlich
zu werten, wenn sie bei Gleichaltrigen typischerweise anzutreffen ist, keine in der Privatsphäre begründeten Ursachen hat
sowie in räumlicher und zeitlicher Hinsicht nicht völlig außer Verhältnis zum unmittelbaren Weg steht. So liegt es hier.
Zunächst hat der Senat ebenso wie das SG entsprechend den auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellten und von Beginn an unveränderten Angaben des Klägers keine
vernünftigen Zweifel daran, dass sich zum Unfallzeitpunkt auf der O.straße infolge der seinerzeitigen Supermarktbaustelle
in östliche Richtung bis mindestens über die Einmündung zur G.straße hinaus in Richtung R.straße ein Verkehrsstau befand und
baustellenbedingte Verkehrsbeeinträchtigungen bestanden. Hierfür spricht nicht nur die Mitteilung der Schulmitarbeiterin K.
vom 4. Dezember 2009, wonach der vom Kläger zurückgelegte Weg aufgrund der Verkehrssituation in der O.straße erforderlich
war. Vielmehr wird dieser Umstand auch durch den Zeitpunkt des Unfalls (Freitag 13:15 Uhr) gestützt, an dem in Innenstädten,
zumal bei zusätzlichen Baustellen, typischerweise mit einem hohen Verkehrsaufkommen zu rechnen ist. Dies gilt umso mehr, als
sich nach den Feststellungen des Mitarbeiters der Beklagten der Verkehr vom Bereich der O. Brücke bis hinein in die R.straße
selbst am 28. Januar 2010 (Donnerstag) um 13:45 Uhr zurückstaute, obgleich zu diesem Zeitpunkt die Supermarktbaustelle nicht
mehr bestand.
Bereits ganz generell entspricht das Verhalten des Klägers der altersgemäßen Reaktion eines 14jährigen Schülers nach Unterrichtsende,
was erst recht in der Situation des Gewahrwerdens der Verkehrsbeeinträchtigung auf der O.straße gilt. Denn dass Kinder für
den Weg mit dem Fahrrad von der Schule nach Hause eine vom kürzesten Weg abweichende Route wählen, um einen Teil des Heimwegs
gemeinsam mit Mitschülern fahren zu können, ist nicht unüblich und gerichtsbekannt. Hintergründe hierfür können neben einem
natürlichen Bewegungsdrang nach Schulschluss u.a. weitere unterrichts- oder freizeitbezogene Gespräche oder etwa auch - gerade
im Alter von 14 Jahren - ein Behilflichwerden bei der Beförderung von Taschen/Rucksäcken eines Freundes bzw. einer Freundin
sein. Jedenfalls ist es vorliegend im Augenblick der Wahrnehmung der baustellenbedingten Verkehrssituation für einen 14jährigen
Schüler mehr als naheliegend, zwecks Stauumfahrung lieber auf eine vertraute Route abzubiegen und diese noch zum Teil gemeinsam
mit einem Freund zu bewältigen, anstatt eventuell streckenweise zu Fuß gehen, mehrmals anhalten oder aber auf Baustellenfahrzeuge
Rücksicht nehmen zu müssen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass 14jährige trotz Ortsansässigkeit regelmäßig noch nicht
über eine ausgeprägte Kenntnis etwaiger alternativer Streckenverläufe verfügen, sondern zumeist die ihnen geläufigen (Um-)Wege
benutzen. Dass ihm der Bereich um die G.straße bzw. das Wohngebiet "K." zum Unfallzeitpunkt unbekannt war und warum er auf
die gewählte Fahrtroute ausgewichen ist, hat der Kläger am 21. September 2017 nochmals erläutert. Dass Schüler im damaligen
Alter des Klägers nach Schulschluss beim Auftauchen von subjektiv als Fahrtbehinderungen empfundenen Umständen typischerweise
sogleich bis dahin unbekannte Areale zwecks Erkundung alternativer Streckenverläufe durchfahren, liegt zur Überzeugung des
Senats fern.
Für die Einfahrt in den D. Weg sind auch keine in der Privatsphäre des Klägers begründeten Ursachen ersichtlich. Ernste Zweifel
an seiner Handlungstendenz, den unfallbringenden Weg eingeschlagen zu haben, um die elterliche Wohnung zu erreichen, verbleiben
beim Senat auch nicht angesichts der ärztlichen Mitteilungen vom 25. November 2009. Diesen ist nicht nur die Mutter des Klägers
unmittelbar entgegen getreten. Vielmehr haben ebenso K. R. und dessen Eltern zeitnah bestätigt, dass der Kläger nicht zu diesem,
sondern - an der Abbiegung zur F.straße - direkt nach Hause fahren wollte. Für den Wahrheitsgehalt dieser klägerischen Angaben
spricht insbesondere, dass der Kläger an ihnen konsistent festhielt, obgleich seitens eines Mitarbeiters der Beklagten zwischenzeitlich
die Auffassung vertreten worden ist, bei einer bestätigten Fahrt zum Mitschüler habe zum Unfallzeitpunkt wahrscheinlich Unfallversicherungsschutz
bestanden.
Objektiv bestätigt wird die Handlungstendenz des Klägers dadurch, dass die von ihm gewählte Route im Verhältnis zu anderen
in Betracht kommenden Varianten keinen wesentlichen Umweg beinhaltete, wobei der Senat eine grundsätzliche Zumutbarkeit der
von der Beklagten bzw. vom SG favorisierten Alternativen unterstellt.
Nach einschlägigen Routenplanern (z.B. google/maps) ist der vom Kläger geplante Weg von der Schule nach Hause (insgesamt 5,2
km) gegenüber der von der Beklagten als zumutbar angesehenen Variante über die S.straße, den H.weg, die R.straße, die O. Brücke,
O.straße, die K.straße sowie die W.straße (zusammen 3,7 km) bzw. den vom SG in Betracht gezogenen Alternativen - ab der O.straße über die G.straße und dann die A.- bzw. B.straße zurück auf die K.straße
(jeweils 3,8 km) zwar um 1,5 bzw. 1,4 km länger. Bereits im Vergleich der Fahrzeiten ergibt sich indessen nur eine Differenz
von 5 bzw. 4 Minuten. Hinzu kommt die seinerzeit maßgebliche Verkehrssituation, wegen der bereits das SG nach Querung der O. Brücke ein Schieben des Fahrrades für mindestens 130 m sowie weitere (kurze) Umwege für erforderlich
hielt. Ähnliches dürfte für die von der Beklagten favorisierte durchgehende Benutzung der O.straße gelten, die nach dem plausiblen
Vortrag des Klägers wegen der im Zuge der Supermarkterrichtung erfolgten Neugestaltung auch der Geh- bzw. Radwege jedenfalls
nicht durchgängig uneingeschränkt befahrbar war. Für den 20. November 2009 kann damit nicht von einer feststehenden Zeitersparnis
von mindestens 4 bzw. 5 Min. ausgegangen werden. Vielmehr ist diese zu verringern, wobei im Rahmen der Angemessenheitsbeurteilung
nicht außer Betracht bleiben kann, dass die Inkaufnahme einer längeren Wegdistanz "spielend" mittels zügigerer Fahrweise kompensierbar
ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn Kinder dabei eine Strecke wählen, die nach ihrer Beschaffenheit ebenso sicher wie der
unmittelbare Weg ist.
Der Senat kann vorliegend offen lassen, ab wann genau die Grenze eines lediglich unbedeutenden und für den Versicherungsschutz
nach §
8 Abs.
2 Satz 1
SGB VII unschädlichen Umwegs überschritten ist. Denn bei einer Zeitersparnis von allenfalls 3 bis 4 Min. liegt jedenfalls keine wesentliche
Abweichung vor, durch die sich das Risiko eines Wegeunfalls regelmäßig unangemessen erhöht (vgl. zu diesem Aspekt etwa BSG, Urteil vom 13. November 2012 - B 2 U 19/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 46). Gerade vor dem Hintergrund einer Verringerung etwaiger Sturzgefahren aufgrund holpriger und/oder
nasser Wegbefestigungen, enger sowie unübersichtlicher Streckenführungen bzw. feststehenden Verkehrsbeeinträchtigungen ist
es vom Schutzzweck der Wegeunfallversicherung umfasst bzw. sogar gefordert, wenn der versicherte Schüler sich für einen zwar
längeren, dafür aber ebenfalls sicheren und gegebenenfalls sogar schnelleren Weg entscheidet. Diese gilt umso mehr, als auch
schwerste (Kopf-) Verletzungen bei Fahrradunfällen keine Rarität darstellen und das Tragen eines Helms im Alter von 14 Jahren
- wie vorliegend auch vom Kläger bestätigt - erfahrungsgemäß verschmäht wird. Es ist daher nicht nur aus Sicht jedes Fahrradfahrers
nachvollziehbar, sondern auch rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Kläger sich im Augenblick der Wahrnehmung des Rückstaus
auf der O.straße für die Benutzung des ihm vertrauten und mit einem Radweg ausgestatteten D. Weges entschied, um so subjektiv
als feststehend gewerteten Beeinträchtigungen einer ungehinderten Weiterfahrt zu begegnen. Der Senat ist auch davon überzeugt,
dass der D. Weg zum Unfallzeitpunkt über einen kombinierten Geh-/Radweg verfügte. Ihre vorherige abweichende Angabe hat die
Mutter des Klägers bereits in der Unfallanzeige vom 17. Januar 2010 richtig gestellt. Von der Einmündung zur F.straße bis
nach Hause hatte der Kläger noch etwa die Hälfte des Heimwegs vor sich und konnte die Gesamtfahrzeit maßgeblich beeinflussen.
Betrug der von ihm gewählte Umweg damit nur maximal 1,5 km und ging mit einem Zeitverlust von höchstens 3 bis 4 Min. einher,
steht dies noch in angemessener räumlicher und zeitlicher Relation zur Heimstrecke über die O.straße, K.straße und W.straße.
Indem der Kläger einem Schlagloch ausgewichen ist, hat sich beim Unfall schließlich auch eine typische Wegegefahr verwirklicht
(vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 - B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 55; kritisch zu diesem Merkmal Molkentin, SGb 2016, 621 ff.).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor, da die Entscheidung auf gesicherter Rechtslage und tatsächlicher Einzelfallbewertung beruht. Auch die Erkenntnis,
dass es für den Versicherungsschutz unschädlich ist, wenn ein Schüler bei unzweifelhafter Handlungstendenz für den Weg mit
dem Fahrrad von der Schule nach Hause zwecks teilweiser gemeinsamer Fahrt mit Mitschülern ohne in seiner Privatsphäre liegende
Ursache eine zwar vom unmittelbaren Weg abweichende Strecke wählt, diese jedoch ebenso sicher wie jener ist und zu ihm in
einem angemessenen räumlichen und zeitlichen Verhältnis steht, beinhaltet keine Abweichung von der Rechtsprechung des BSG. Vielmehr ist das lediglich Konsequenz der von diesem zu Schülerwegeunfällen aufgestellten Rechtssätze.