Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Höchstrichterlich bereits geklärte Rechtsfrage
Abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte
Anrechnung von Zeiten auf die Wartezeit von 45 Jahren
G r ü n d e :
I
In dem der Beschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit macht die Klägerin einen Anspruch auf eine (abschlagsfreie) Altersrente
für besonders langjährig Versicherte geltend.
Im Versicherungsverlauf der am 10.3.1951 geborenen Klägerin ist die Zeit vom 1.7.1968 bis zum 30.4.2015 mit Ausnahme der Monate
Februar 1976 bis März 1977 mit Pflichtbeiträgen belegt. In der Zeit vom 8.7.2014 bis 29.4.2015 beruhen diese auf dem Bezug
von Arbeitslosengeld (Alg), nachdem ihre zuvor ausgeübte Beschäftigung aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung zum 30.6.2014
beendet worden war. Seit dem 1.5.2015 bezieht sie eine Altersrente für Frauen. Den zeitgleich gestellten Antrag auf Altersrente
für besonders langjährig Versicherte lehnte die Beklagte ab, weil statt der erforderlichen 540 Monate nur 534 Monate auf die
Wartezeit von 45 Jahren angerechnet werden könnten. Die Pflichtbeitragszeiten wegen Alg-Bezugs seien nicht anzurechnen, da
sie in den letzten zwei Jahren vor dem gewünschten Rentenbeginn lägen und der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung
nicht durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt sei (Bescheid vom 13.4.2015; Widerspruchsbescheid
vom 4.9.2015).
Das SG hat die hiergegen erhobene Klage auf Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte abgewiesen (Urteil
vom 13.12.2016). Die Berufung der Klägerin hat das LSG mit der Begründung zurückgewiesen, auf die Wartezeit seien vorliegend
nur 534 Monate und nicht - wie für diese Rentenart erforderlich - 540 Kalendermonate anzurechnen. Die Pflichtbeitragszeiten
wegen Alg-Bezugs ab 1.7.2014 könnten nicht berücksichtigt werden. In den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn sei dies nach
§
51 Abs
3a Satz 1 Nr
3 Teilsatz 2 und 3
SGB VI nur vorgesehen, wenn der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe
des Arbeitgebers bedingt sei, nicht jedoch wie vorliegend durch eine betriebsbedingte Kündigung (Urteil des LSG vom 5.6.2018).
Mit ihrer am 17.7.2018 beim BSG eingegangenen Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG. In ihrer Beschwerdebegründung
vom 1.10.2018 beruft sie sich ausschließlich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund nach §
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Klärungsbedürftig seien die folgenden Rechtsfragen:
"1. Ist die Bestimmung des §
51 Abs.
3a Nr.
3a Teilsatz 2
SGB VI, nach der Zeiten des Bezuges von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung bei der Anrechnung auf die Wartezeit nach §
50 Abs.
5 SGB VI in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt werden, mit Art.
3 Abs.
1 und
3 GG vereinbar?
2. Ist die Bestimmung des §
51 Abs.
3a Nr.
3a Teilsatz 2
SGB VI, nach der Zeiten des Bezuges von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung bei der Anrechnung auf die Wartezeit nach §
50 Abs.
5 SGB VI in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nur dann berücksichtigt werden, wenn der Bezug von Entgeltersatzleistungen der
Arbeitsförderung durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt ist, mit Art.
3 Abs.
1 und
3 GG vereinbar?"
Zur Erläuterung dieser Fragen geht sie ausführlich auf die Struktur des §
51 Abs
3a Nr
3 Buchst a
SGB VI und den Inhalt der dortigen Tatbestandsmerkmale ein. Dabei setzt sie sich insbesondere auch mit deren Auslegung in der Rechtsprechung
des 5. Senats des BSG (Urteil vom 17.8.2017 - B 5 R 8/16 R - BSGE 124, 58 = SozR 4-2600 § 51 Nr 1, RdNr 20 sowie Urteil vom 17.8.2017 - B 5 R 16/16 R - BeckRS 2017, 137670) auseinander. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz bestehe einerseits darin, dass Zeiten
des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung während der Beitragsmonate 1 bis 516 anders behandelt werden als
während der Beitragsmonate 517 bis 540. Ein solcher Verstoß liege zudem darin, dass bei Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen
der Arbeitsförderung während der Beitragsmonate 517 bis 540 nach der Ursache der Arbeitslosigkeit differenziert werde. Soweit
das BSG in den Urteilen vom 17.8.2017 (ebd, aaO) ausgeführt habe, dass die Rückausnahmeregelung des §
51 Abs
3a Nr
3 Buchst a Teilsatz 2
SGB VI durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt sei, werde dem nicht gefolgt, was mit ausführlichen verfassungsrechtlichen
Erwägungen begründet wird. Schließlich seien die Rechtsfragen auch klärungsfähig.
II
Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.
Das BSG darf gemäß §
160 Abs
2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Es kann dahinstehen, ob die umfangreiche Beschwerdebegründung der Klägerin den Darlegungsanforderungen des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG genügt und die Beschwerde zulässig ist (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
160a RdNr 17a). Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet, weil die von der Klägerin formulierten, auf die Vereinbarkeit des §
51 Abs
3a Nr
3 Buchst a Teilsatz 2
SGB VI mit Art
3 Abs
1 und
3 GG zielenden Rechtsfragen, spätestens aufgrund der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des BSG höchstrichterlich geklärt und deshalb nicht (mehr) klärungsbedürftig sind. Dies ist aber Voraussetzung für die Zulassung
der Revision (stRspr, zB BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 4 mwN; BSG Beschluss vom 29.6.2018 - B 13 R 9/16 B - juris RdNr 12 mwN).
Regelmäßig nicht klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die bereits höchstrichterlich entschieden ist (stRspr, zB BSG Beschluss vom 16.4.2013 - B 14 AS 206/12 B - juris RdNr 6 mwN; zu den - hier nicht in Betracht kommenden - Ausnahmen vgl Leitherer in MeyerLadewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
160 RdNr 8b f). Das ist hier der Fall. Hintergrund der von der Klägerin formulierten Fragen sind die Regelungen über die von
ihr beanspruchte Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Nach §
236b Abs
1 iVm Abs
2 Satz 1
SGB VI haben Versicherte, die vor dem 1.1.1953 geboren sind, Anspruch auf eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte,
wenn sie das 63. Lebensjahr vollendet (Abs 1 Nr 1) und die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt haben (Abs 1 Nr 2). Welche Zeiten
auf die Wartezeit von 45 Jahren angerechnet werden, regelt §
51 Abs
3a Satz 1
SGB VI in der von der Klägerin angegriffenen Fassung des Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung
(RV-Leistungsverbesserungsgesetz) vom 23.6.2014 (BGBl I 787). Angerechnet werden danach Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen
für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit (Nr 1), Berücksichtigungszeiten (Nr 2), Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen
der Arbeitsförderung (Nr 3 Buchst a), Leistungen bei Krankheit (Nr 3 Buchst b) und Übergangsgeld (Nr 3 Buchst c), soweit sie
Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind (Teilsatz 1). Als Ausnahme hiervon werden Zeiten nach Buchst a (Zeiten des
Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung) in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt
(Teilsatz 2), es sei denn, der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist durch eine Insolvenz oder vollständige
Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt (Teilsatz 3). Ferner werden auf die Wartezeit von 45 Jahren unter bestimmten Voraussetzungen
Kalendermonate mit freiwilligen Beiträgen angerechnet (Nr 4).
Letztendlich kann offenbleiben, ob die von der Klägerin rechtsgrundsätzlich herausgestellten Fragen zur Vereinbarkeit des
§
51 Abs
3a Nr
3 Buchst a Teilsatz 2
SGB VI mit der Verfassung bereits bei Beschwerdeeinlegung durch die Urteile des 5. Senats des BSG vom 17.8.2017 (B 5 R 8/16 R - BSGE 124, 58 = SozR 4-2600 § 51 Nr 1 sowie B 5 R 16/16 R - BeckRS 2017, 137670) im vorstehenden Sinne geklärt waren. Schon in diesen Urteilen hatte das BSG entschieden und ausführlich begründet, dass §
51 Abs
3a Nr
3 Buchst a Teilsatz 2
SGB VI mit der Verfassung in Einklang steht und insbesondere kein Verstoß gegen Art
3 Abs
1 GG vorliegt (BSG Urteil vom 17.8.2017 - B 5 R 8/16 R - BSGE 124, 58 = SozR 4-2600 § 51 Nr 1, RdNr 41 ff; BSG Urteil vom 17.8.2017 - B 5 R 16/16 R - BeckRS 2017, 137670 RdNr 23 ff). Ebenso kann dahinstehen, ob die Klägerin mit den verfassungsrechtlichen Ausführungen
ihrer Beschwerdebegründung die erneute Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfragen aufgezeigt hat (vgl zu dieser Möglichkeit und
ihren Voraussetzungen etwa BSG Beschluss vom 25.9.1975 - 12 BJ 94/75 - SozR 1500 § 160a Nr 13, juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 2.8.2018 - B 10 ÜG 7/18 B - juris RdNr 8 mwN). Denn diese sind spätestens durch das - zum Zeitpunkt der Beschwerdebegründung
noch nicht im Volltext veröffentlichte - Urteil des 5. Senats vom 28.6.2018 (B 5 R 25/17 R - BSGE 126, 128 = SozR 4-2600 § 51 Nr 2) sowie zwei Urteile des 13. Senats vom 12.3.2019 (B 13 R 19/17 R - SozR 4-2600 § 51 Nr 3, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, sowie B 13 R 5/17 R) entschieden.
In seinem Urteil vom 28.6.2018 hat der 5. Senat seine Rechtsprechung aus den Urteilen vom 17.8.2017 (ebd, aaO) bestätigt und
unter Berücksichtigung weiterer, vorliegend auch von der Klägerin vorgetragener Argumente erneut dargelegt, dass und warum
§
51 Abs
3a Nr
3 Buchst a Teilsatz 2
SGB VI mit der Verfassung in Einklang steht (BSG Urteil vom 28.6.2018 - B 5 R 25/17 R - BSGE 126, 128 = SozR 4-2600 § 51 Nr 2, RdNr 58 ff). Danach scheidet eine Verletzung von Art
3 Abs
3 GG wegen Altersdiskriminierung schon deshalb aus, weil der Katalog der in der Grundrechtsnorm aufgeführten Merkmale abschließend
ist und das Merkmal "Alter" nicht enthält. Auch ist es mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar, dass Zeiten des Bezugs
von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung gemäß §
51 Abs
3a Satz 1 Nr
3 Buchst a Teilsatz 2
SGB VI in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn entgegen der Grundregel des Teilsatz 1 nicht auf die Wartezeit von 45 Jahren
angerechnet werden. Zwar benachteiligt die Regelung des Teilsatz 2 die Personengruppe, die Zeiten iS des Abs 3a Satz 1 Nr
3 Buchst a
SGB VI in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn zurückgelegt hat, gegenüber der Personengruppe, die derartige Zeiten vor diesem
Zeitraum absolviert hat und damit der Grundregel des Teilsatz 1 unterfällt. Die unterschiedliche Behandlung der dargestellten
Gruppen durch den Gesetzgeber ist jedoch durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt. Ebenso erweist sich die Rückausnahmeregelung
des §
51 Abs
3a Satz 1 Nr
3 Buchst a Teilsatz 3
SGB VI, nach der Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn
in den Fällen angerechnet werden, in denen dieser Bezug durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers
bedingt ist, als mit Art
3 Abs
1 GG vereinbar (ebd, aaO, RdNr
82 ff). Da die Rückausnahmeregelung des Teilsatz 3 die Personengruppen begünstigt, die aufgrund einer Insolvenz oder vollständigen
Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers zwei Jahre vor Rentenbeginn Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung beziehen, kommen
als Vergleichsgruppen solche Personengruppen in Betracht, die aus anderen betriebsbedingten Gründen ihren Arbeitsplatz verloren
haben und ebenfalls im vorgenannten Zeitraum Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung beziehen. Ihnen wird anders als
den begünstigten Personengruppen diese Zeit nicht auf die 45-jährige Wartezeit angerechnet, was grundsätzlich zu einem Rentenausschluss
führt, falls die Wartezeit nicht bereits zu diesem Zeitpunkt erfüllt ist. Auch die unterschiedliche Behandlung dieser Personengruppen
ist durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt.
Anlässlich zweier Urteile vom 12.3.2019 konnte sich auch der 13. Senat des BSG nicht davon überzeugen, dass §
51 Abs
3a Satz 1 Nr
3 Teilsatz 2 und 3
SGB VI in der Fassung des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes verfassungswidrig ist (BSG Urteil vom 12.3.2019 - B 13 R 19/17 R - SozR 4-2600 § 51 Nr 3 RdNr 30 ff, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSG Urteil vom 12.3.2019 - B 13 R 5/17 R - unter II.B. der Gründe). Insbesondere liegt kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art
3 Abs
1 GG vor. Dies gilt sowohl mit Blick auf den Anrechnungsausschluss von Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung
in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn als auch mit Blick auf die Rückausnahmen zugunsten der Personen, deren Leistungsbezug
durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt ist. Der Gesetzgeber durfte die angegriffenen
Regelungen zur Vermeidung von Fehlanreizen für verhältnismäßig halten. Insoweit verfügt er über einen weiten Einschätzungs-
und Prognosespielraum. Für die in Frage stehenden Verhaltenseffekte bzw deren Ausmaß sind keine empirischen Befunde vorhanden.
Derartige Sachverhalte sind auch nicht im Voraus aufklär- oder vorhersehbar, denn das Rentenzugangsgeschehen ist multifaktoriell.
Die vorgenommene gesetzgeberische Wertung widerspricht zugleich nicht der Lebenserfahrung.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.