Zurückverweisung durch Beschluss im sozialgerichtlichen Verfahren nach einer Nichtzulassungsbeschwerde
Gründe:
I
Die 1949 geborene, bei der beklagten AOK versicherte Klägerin ist mit ihrem Begehren auf Gewährung einer operativen Fettschürzenreduktion
vor dem LSG ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat das stattgebende SG-Urteil auf die Berufung der Beklagten aufgehoben: Der Senat folge der Klägerin darin, dass ihre Hautveränderungen im Unterleib
und ihre psychischen Störungen Krankheiten iS von §
27 Abs
1 Satz 1
SGB V seien. Die begehrte Operation stelle jedoch einen Eingriff in einen intakten Körperteil dar, der das Vorliegen weiterer -
wie näher ausgeführt wird - hier nicht vorliegender Voraussetzungen erfordere. Die durch die Fettschürze verursachten Hautveränderungen
rechtfertigten nicht die Entfernung der Fettschürze. Der Klägerin sei vielmehr zuzumuten, diese Veränderungen selbst zu pflegen
bzw durch ihren Hautarzt behandeln zu lassen. Die Operation sei auch nicht aufgrund der psychischen und sozialen Störungen
der Klägerin gerechtfertigt (Urteil vom 18.8.2010).
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die zulässige Beschwerde der Klägerin ist begründet.
1. Die Klägerin hat fristgerecht und hinreichend deutlich einen Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§
103 SGG) bezeichnet (§
160a Abs
2 Satz 3 iVm §
160 Abs
2 Nr
3 SGG). Sie rügt, das LSG habe trotz zu Protokoll erklärten Beweisantrags der Klägerin keinen Beweis durch Sachverständige darüber
erhoben, dass ua die Fettschürze krankhaft und entstellend sei bzw die Klägerin in ihren Körperfunktionen beeinträchtige und
sich hieran auch durch eine Umstellung der Ernährungsgewohnheiten nichts ändere, obwohl dies nach der Rechtsauffassung des
LSG geboten gewesen sei und zur Zurückweisung der Berufung geführt hätte. Dies entspricht den von der Rechtsprechung entwickelten
Darlegungserfordernissen (vgl zum Ganzen: BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 35, 45 und § 160a Nr 24, 34) in noch ausreichendem Maße.
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Der mit der Beschwerde gerügte Verfahrensmangel der Verletzung der Aufklärungspflicht
liegt vor. Das LSG ist den in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gestellten Beweisanträgen der Klägerin zum Krankheitswert
der Fettschürze und zu der Notwendigkeit ihrer operativen Beseitigung ohne hinreichenden Grund iS des §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2 iVm §
103 SGG nicht gefolgt. Die Anwendung der vom LSG allein herangezogenen Grundsätze zur mittelbaren Behandlung (BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3; BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14), die nach Ansicht des LSG keinen Behandlungsanspruch begründen, beruhte in tatsächlicher Hinsicht
auf der Annahme, die Fettschürze sei für sich ein gesunder Körperteil und eine operative Reduktion sei mittelbare Behandlung,
die §
27 Abs
1 Satz 1
SGB V nur ausnahmsweise für Eingriffe in intakte Organe gewähre. Es fehlt indes an Feststellungen des LSG, die diese Sichtweise
im Tatsächlichen untermauern. Es hat weder Feststellungen zu (fehlenden) Funktionsbeeinträchtigungen noch zur (fehlenden)
entstellenden Wirkung getroffen, obwohl es nach der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung davon ausgeht, dass Fehlfunktionen
oder Entstellungen einen unmittelbar behandlungsbedürftigen Krankheitszustand begründen (stRspr, BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3 RdNr 9 mwN; vgl zuletzt BSG Urteil vom 28.9.2010 - B 1 KR 5/10 R - RdNr 11 ff, zur Veröffentlichung in SozR 4-2500 § 27 Nr 20 vorgesehen). Demgegenüber zielen die Beweisanträge der Klägerin
gerade darauf ab, festzustellen, dass die Fettschürze als solche krankhaft und behandlungsbedürftig ist. Danach hat das LSG
eine weitere Beweiserhebung ohne objektiv ausreichenden Grund unterlassen.
3. Nach §
160a Abs
5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG vorliegen, was - wie ausgeführt - hier der Fall ist. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch. Dem steht nicht entgegen,
dass sich die Klägerin auch auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache beruft (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Allerdings wäre es aus Gründen der Prozessökonomie und der Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten, eine Sache trotz
voraussichtlicher Zurückverweisung im Revisionsverfahren zu entscheiden und deshalb die Revision zuzulassen, wenn vom Revisionsverfahren
die Klärung grundsätzlicher Fragen zu erwarten wäre, die sich auf die anschließend - nach Zurückverweisung - vorzunehmende
Beweiserhebung auswirkt (Abgrenzung zu BSG Beschluss vom 23.5.2006 - B 13 RJ 253/05 B - mwN).
Die von der Klägerin zusätzlich aufgeworfene Frage, ob die Grundsätze der mittelbaren Behandlung in jedem Fall eingreifen,
wenn eine Operation Nebenerkrankungen beseitigt, lässt unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Senats (vgl BSG SozR
4-2500 § 27 Nr 18 und Urteil vom 28.9.2010 - B 1 KR 5/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-2500 § 27 Nr 20) indessen keinen zusätzlichen Klärungsbedarf erkennen.
4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.